Die Sicherheitspolitik der Europäischen Union
Der Beitrag untersucht anhand von drei zentralen Aspekten der europäischen Sicherheitspolitik – Sicherheit durch Integration, Sicherheitsprojektion durch Stabilisierung und Assoziierung und autonome Sicherheit – den schleichenden Wandel der EU.Einleitung
Wenn die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union am 25. März 2007 unter deutscher Ratspräsidentschaft den 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge begehen, wird die Gemeinschaft der Sechs ihre Mitgliedschaft mehr als vervierfacht und ihre Politikfelder auf sämtliche Bereiche des täglichen Lebens ihrer mehr als 480 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner ausgeweitet haben.Ein Politikfeld, das in seiner klassischen Ausgestaltung in den Anfangsjahren scheiterte und doch in der Idee des Gründungsprozesses des organisierten Europa wie kein anderes angelegt und "von dem Rückgriff auf die Vergangenheit als einem Gegenbild zur Wirklichkeit der unmittelbaren Nachkriegszeit"[1] geprägt war, hat seit den mit dem Ende des Ost-West-Konflikts einhergehenden tektonischen Verschiebungen des internationalen Systems und verstärkt seit der Jahrtausendwende an Bedeutung und Dynamik gewonnen: die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union. Im außen- und sicherheitspolitischen Bereich hat die EU in den zurückliegenden Jahren in einem sich dramatisch wandelnden weltpolitischen Umfeld die größten Fortschritte erzielt. Gestützt auf die Beschlüsse der Gipfeltreffen von Köln, Helsinki und Feira[2] und einem umfassenden Sicherheitsbegriff verpflichtet, der unter Berücksichtigung internationaler Friedensmissionen der vergangenen Jahre zivile und militärische Aspekte des Krisenmanagements säulenübergreifend miteinander in Beziehung setzt, hat sie ihren ehrgeizigen, institutionelle und operative Elemente verbindenden Stufenplan zur Verwirklichung einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik vorangetrieben, der es ihr in begrenztem Rahmen erlaubt, Aufgaben von der Konfliktverhütung bis zur Krisenbewältigung in politischer Eigenverantwortung zu übernehmen.
Dabei trifft die gemeinsame europäische Außenpolitik seit Jahren in der europäischen öffentlichen Meinung auf große Zustimmung und wird zunehmend mit dem Anspruch auf eine führende weltpolitische Rolle für die EU verknüpft. Noch aufgeschlossener zeigen sich die Bürger des organisierten Europas für Fragen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, während gleichzeitig - und das ist ein neuer Trend - die öffentliche Unterstützung für das Nordatlantische Bündnis vor allem in den traditionell pro-atlantisch ausgerichteten Ländern Deutschland, Italien und Polen schwindet, was wiederum ganz unmittelbar im Zusammenhang mit dem kontinuierlich und dramatisch nachlassenden Wunsch nach einer US-amerikanischen Führungsrolle in Verbindung steht.[3] Während die öffentliche Zustimmung mit dem Begehren nach einer vertieften Integration in dem traditionell zwischenstaatlich angelegten Politikbereich der Europäischen Sicherheitspolitik einhergeht und somit den jüngeren Entwicklungen auf EU-Ebene vorauseilt, bleiben die Vorstellungen der EU-Bürger über deren inhaltliche Ausgestaltung abgesehen von der wenig konkreten Befürwortung der Demokratieförderung, die sich mit der strategischen Prioritätensetzung des europäisch-amerikanischen Gipfels in Wien im Juni 2006 deckt, eher vage.[4]
Es gehört zur Geschichte der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik, dass die an sie gestellten Erwartungen mit den jeweils zur Verfügung stehenden Fähigkeiten, das heißt den Institutionen, Instrumenten und Ressourcen, nur selten zur Deckung gebracht werden konnten.[5] In besonderer Weise galt das für die mit dem Vertrag von Maastricht (1993) verbundenen Erwartungen an eine gemeinsame europäische Außenpolitik, die in den von Belgrad initiierten vier blutigen Kriegen um politische Macht und ethnische Vorherrschaft in Europas Hinterhof in den neunziger Jahren ertränkt wurden. Während die Lücke zwischen Erwartungen und Fähigkeiten gegen Ende des vergangenen Jahrzehnts aufgrund sinkender Erwartungen verringert werden konnte, schienen Anspruch und Wirklichkeit mit dem erstmals in der britisch-französischen Erklärung von Saint-Malo vom 4. Dezember 1998[6] definierten und dann in der Kölner Gipfelerklärung übernommenen ambitionierten Ziel einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik erneut weit auseinanderzuklaffen. Den anfänglichen, durch institutionelle und operative Neuerungen zu verzeichnenden Fortschritten setzte jedoch erst das Verhalten der "Großen Drei" - Deutschland und Frankreich auf der einen und Großbritannien, sekundiert von einer amerikanischen Politik des divide et impera, auf der anderen Seite - während der Irakkrise klare Grenzen: Die EU griff als eigenständige internationale Kraft zu keinem Zeitpunkt in das Krisengeschehen ein. Das Ausmaß der Krise erinnerte in mancher Hinsicht an die politischen Zerwürfnisse im Zusammenhang mit dem Zerfall Jugoslawiens, als die Führungsmächte Europas glaubten, ihr Beharren auf nationalen Souveränitäten sei gleichbedeutend mit einem Mehrwert an erfolgreicher Interessenvertretung.
Getreu dem Prinzip, dass Krisen ein wichtiger Teil des europäischen Integrationsprozesses sind und dass aus Scheitern und Versagen neue Ambitionen erwachsen, verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs der EU im Dezember 2003 eine gemeinsame Sicherheitsstrategie, in der die EU "zwangsläufig" als "globaler Akteur" beschrieben wird, der "bereit sein (sollte), Verantwortung für die globale Sicherheit und für eine bessere Welt mit zu tragen"[7].
Parallel dazu tagte der Europäische Verfassungskonvent. Die Fortschreibung der Gründungsverträge ist seit der Einheitlichen Europäischen Akte (1987) ein machtvolles Instrument des Integrationsprozesses gewesen. Der von den Staats- und Regierungschefs verabschiedete, in den Referenden in Frankreich und den Niederlanden gescheiterte Vertragsentwurf[8] hätte die der EU der 25 inhärenten politischen Spannungen ebenso wenig wie die komplizierte institutionelle Säulenstruktur beseitigt. Doch mit der Abschaffung der rotierenden Präsidentschaft und der Einführung des Amtes eines die außenpolitischen Funktionen der Kommission und des Rates zusammenführenden europäischen Außenministers sowie eines europäischen diplomatischen Dienstes wäre ein wichtiger institutioneller Beitrag geleistet worden, um die unverändert vorhandene Lücke zwischen Erwartungen und Fähigkeiten zu schließen und somit das außen- und sicherheitspolitische Handeln der EU mit den ganz unterschiedlichen diplomatischen, sicherheits-, verteidigungs-, entwicklungs- und handelspolitischen Instrumenten zu optimieren.