Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Der Kampf indigener Völker um territoriale Rechte in Venezuela | Venezuela | bpb.de

Venezuela Editorial Venezuela und der Makel der verspäteten Ankunft Machtkampf um Venezuela. Zwei Perspektiven Versagen der Diplomatie Keine einfachen Lösungen Außenpolitik und internationale Beziehungen Venezuelas Auswanderungsland Venezuela Geschichte und Geschichtsbilder Venezuelas: eine Skizze "Fluch der Ressourcen"? Die Bedeutung des Erdöls für die venezolanische Wirtschaft Der Kampf indigener Völker um territoriale Rechte in Venezuela Venezuela: Karten

Der Kampf indigener Völker um territoriale Rechte in Venezuela

Minerva Vitti Andrea Scholz

/ 14 Minuten zu lesen

Eine indirekte Folge der Krise in Venezuela ist der massive Ausbau des Bergbaus in weiten Teilen des Südens des Landes. Davon sind insbesondere die indigenen Gruppen betroffen, die dort seit Jahrzehnten erfolglos um eine rechtliche Anerkennung ihrer Territorien kämpfen.

Das Territorium ist der Raum, in dem Lebensweise, Sprache, Kultur und Existenz indigener Völker in Lateinamerika ihre Basis haben. Entsprechend achtungsvoll gehen indigene Völker mit den natürlichen Ressourcen in ihren Siedlungsgebieten um, aus denen sie Lebensmittel und Materialien für die Herstellung von Häusern, Booten und Utensilien gewinnen. Obwohl sich auch die indigenen Lebensweisen im Laufe der Zeit verändert haben, ist die Bindung an das Territorium innerhalb eines ökologischen Gleichgewichts eine Konstante geblieben.

Nicht von ungefähr sind die Auseinandersetzungen im Zuge von Umweltkonflikten von Argentinien bis Mexiko gerade dann umso heftiger, wenn Wissen und Anliegen lokaler Gemeinschaften, also der Indigenen oder Kleinbauern, eine große Rolle spielen. Denn die Lokalbevölkerung trägt Wissensformen bei, die den hegemonialen Diskurs herausfordern, in dem die Kosten-Nutzen des Ressourcenabbaus im Vordergrund stehen, ohne die Kosmovision der Völker und die Verantwortung für die Umwelt und das kulturelle Erbe zu berücksichtigen, deren monetärer Wert nicht messbar ist. In diesem Sinne könnte man die indigenen Völker und Gemeinschaften im Sinne von Emiliano Terán Mantovani in nuklearen Ökologien verorten. Sie charakterisieren sich nicht durch spezifische ökologische Besorgnisse, sondern durch die enge Beziehung zwischen Territorium, Identität und Leben. Das Territorium ist daher die zentrale und gemeinsame Forderung in den verschiedenen Kämpfen der indigenen Völker.

"Das Territorium ist das wichtigste Bindeglied zur Mutter Erde, gleichzeitig ist es ein kollektives Gedächtnis, das die kulturelle Reproduktion indigener Völker ermöglicht und ermöglicht hat. Es ist ein Raum der Aneignung, es ist die Quelle von Gütern und Ressourcen für den individuellen und kollektiven Nutzen, es ist ein Raum für Entscheidungen, soziale Mobilisierung und die Basis von Identität. Es ist ein kollektives Erbe, in dem sämtliche Güter, unser Wissen, unsere soziale Organisation und Beziehungen zwischen uns und anderen Wesen ihre Grundlage haben", heißt es in einer Broschüre über indigene Kartografien, die vom indigenen Ministerium veröffentlicht wurde.

In Venezuela beginnt die Liste der indigenen Rechte, die in der Verfassung von 1999 verankert sind, mit dem Recht auf Territorium: Die Verfassung erkennt den multiethnischen, multikulturellen und mehrsprachigen Charakter der venezolanischen Gesellschaft an. 2001 hat die venezolanische Regierung zudem die Konvention Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation ratifiziert, das einzige völkerrechtlich verbindliche internationale Abkommen zum Schutz der Rechte indigener Völker. 2005 wurde das Rahmengesetz über indigene Völker und Gemeinschaften verabschiedet. Darüber hinaus hat der venezolanische Staat eine Reihe weiterer Gesetze speziell für indigene Völker erlassen, darunter das Gesetz über die Abgrenzung und Gewährleistung des Lebensraums und der Länder indigener Völker (2001), das ein genaues Prozedere für die Demarkierung und Titulierung indigener Territorien festlegt, das Gesetz über indigene Sprachen (2007), das Gesetz über das kulturelle Erbe indigener Völker und Gemeinschaften (2009) und das Gesetz über indigenes Kunsthandwerk (2009). 2007 stimmte Venezuela der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker zu und gründete ein indigenes Ministerium.

Was sich auf dem Papier gut liest, sieht in der Realität jedoch oft anders aus für die 51 indigenen Völker, die auf dem venezolanischen Staatsgebiet leben. Das entspricht rund 725.000 Menschen beziehungsweise 2,7 Prozent der Gesamtbevölkerung, von denen die Wayúu mit einem Anteil von etwa 57 Prozent, die Warao mit 7, die Kari’ña mit 5 und die Pemón mit 4 Prozent die größten Gruppen stellen. 61,2 Prozent der indigenen Bevölkerung Venezuelas leben im Bundesstaat Zulia, 11 Prozent in Amazonas, 8 Prozent in Bolívar, 6 Prozent in Delta Amacuro, 5 Prozent in Anzoátegui, je etwa 3 Prozent in Sucre, Monagas und Apure sowie je 0,3 Prozent in Nueva Esparta und Lara. Im vergangenen Jahrzehnt wurde mehr als deutlich, dass der venezolanische Staat nicht in der Lage war, das von ihm anerkannte Recht der Indigenen auf ihre Territorien zu garantieren. Bisher hat er die indigenen Siedlungsgebiete nicht demarkiert beziehungsweise den indigenen Völkern Landtitel über diejenigen Territorien übertragen, die für die Entwicklung und Gewährleistung ihrer Lebensweise von entscheidender Bedeutung sind.

Stockender Demarkierungsprozess

Der Prozess der Demarkierung indigener Siedlungsgebiete und Lebensräume hätte innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten der Verfassung der Bolivarischen Republik Venezuela von 1999 stattfinden sollen. Die regionalen Demarkierungskommissionen wurden aber erst 2003 und 2004 eingerichtet, und die ersten Demarkierungsprozesse 2005 und 2009 eröffnet.

Nach Angaben des venezolanischen Umweltministeriums wurden bis 2013 80 Landtitel erteilt, die hauptsächlich für indigene Gemeinschaften bestimmt waren. Angekündigt war die Verleihung von insgesamt 21 weiteren Titeln anlässlich des Feiertags zu Ehren des indigenen Widerstands am 12. Oktober 2014, sodass zusätzliche rund 4900 Quadratkilometer beziehungsweise fünf Prozent des Landes offiziell als indigene Gebiete anerkannt worden wären, über die bereits zugestandenen 1,1 Millionen Hektar hinaus. Dies wurde allerdings nicht realisiert. 2015 wurden laut Berichten des indigenen Ministeriums insgesamt 120 Titel über rund 260.000 Hektar verliehen, an die indigenen Gruppen der Cumanagoto, Kari’ña und Pumé. 2016 enthielt der Rechenschaftsbericht des indigenen Ministeriums keinen Hinweis auf neue Landtitel, und seit 2017 wurden keine Berichte mehr veröffentlicht. Dies macht es sehr schwierig zu überprüfen, ob es weitere Demarkierungen und Anerkennungen von Gebieten an indigene Gemeinschaften gegeben hat. Nach offiziellen Angaben machen die bisher gewährten Titel zwölf Prozent des Territoriums aus.

Im Allgemeinen war das Thema der Demarkierung durch Undurchsichtigkeit und politische Kooptierung gekennzeichnet – die meisten Titel wurden an 12. Oktobern oder anlässlich von Wahlen verliehen –, und die anerkannten Gebiete gleichen Agrartiteln, da sie unzusammenhängend und vereinzelt sind und nicht mit den ausgedehnten indigenen Gebieten übereinstimmen, die fast der Hälfte des Territoriums südlich des Orinoco entsprechen. Dies hat immer wieder zu Spaltungen und Konflikten auch zwischen indigenen Völkern geführt, weil der Staat die angestammten Gebiete fragmentiert. Eine weitere Folge der Verzögerung der Demarkierung ist die Nutzung dieser Gebiete durch den Staat und nicht-indigene Privatleute für extraktivistische Zwecke.

Einer der wichtigsten kollektiven Demarkierungsprozesse, die von der Nationalen Demarkierungskommission bearbeitet wurde, war jener der Ye’kwana und Sanema aus dem Gebiet des oberen Caura. Die Selbstdemarkierung mit Festlegung und Begründung der Gebietsgrenzen, in deren Zuge eigens dafür ausgebildete Indigene die topografische Vermessung mit GPS vornahmen, dauerte fast drei Jahre. 2001 wurde der Demarkierungsantrag offiziell eingereicht, ohne dass bis dato die staatliche Infrastruktur für dessen Bearbeitung vorhanden gewesen wäre. Das demarkierte Gebiet umfasste vier Millionen Hektar für 52 Gemeinden und wurde in keiner Phase des Prozesses angefochten, der mit einem Bericht der Nationalen Abgrenzungskommission zugunsten des Titels abgeschlossen wurde. Auch das Umweltministerium stimmte zu. 2006 wurde die Verleihung eines Titels jedoch vom Präsidenten der Republik, Hugo Chávez, im Ministerrat abgelehnt, mit der Begründung, dass indigene Völker kein so großes Gebiet für sich beanspruchen könnten.

Der Kampf der Ye’kwana und Sanema um die Titulierung ihrer Territorien hatte 1996 mit der Gründung der Indigenen Organisation des Caura-Beckens, Kuyujani, begonnen. "Wir warten seit zwanzig Jahren auf eine Antwort der Regierung. (…) Es gibt Gesetze zu unseren Gunsten, aber die Diskriminierung geht weiter, wir befinden uns in einer kolonialen Situation", erklärte Asdrúbal Sarmiento im April 2016 bei einer Versammlung der Ye’kwana in El Playón. Der ebenfalls angereiste Ye’kwana-Älteste José Domínguez berichtete von den beiden indigenen Politikerinnen Nicia Maldonado und Aloha Nuñez, die bei einem Besuch in Saisoriñña gefragt worden waren, warum sie den Landtitel noch nicht übergeben hätten. Ihre Antwort lautete, dass es der Bergbau sei, der dies verhindere, und dass es keine offizielle Stellungnahme der Nationalen Demarkierungskommission gäbe. "Die Regierung wird uns keinen Titel geben, weil sie in den indigenen Gebieten etwas anderes vorhat. Die Regierung erkennt uns institutionell an, berücksichtigt uns aber nicht bei ihren Plänen (…). Auch in der Nationalversammlung haben wir keine Unterstützung. Wir haben Treffen mit verschiedenen Gruppen im Parlament einberufen, aber das hat nichts genützt. Die beiden Ausreden sind: Bergbau, und dass das beanspruchte Gebiet zu groß ist."

Die mangelnde staatliche Unterstützung beklagt auch Vladimir Aguilar, Rechtsanwalt und Koordinator der Arbeitsgruppe für indigene Angelegenheiten (GTAI) der Universidad de Los Andes. Er sieht in autonomen Selbstdemarkierungsprozessen den einzigen Weg, die Demarkierung als Pflicht des Staates und als Recht der indigenen Völker anzuerkennen. "Selbstdemarkierungen sollten in diesen Gebieten und bei den Völkern, in denen sie noch nicht existieren, gefördert werden, und der venezolanische Staat sollte der Garant für jeden dieser Prozesse sein. (…) Darüber hinaus darf die Titulierung nicht der Logik von Agrartiteln folgen, sondern muss das Ergebnis eines Prozesses der Anerkennung und Ausübung differenzierter indigener Rechte sein. Es muss so viele Arten geben, Grenzen zu stecken, wie es indigene Völker und Gemeinschaften im Land gibt. Demarkierung kann kein homogener Prozess sein (…). Sie muss das Ergebnis einer partizipativen Dynamik mit indigenen Völkern und Gemeinschaften sein. (…) Die Demarkierung hat nicht nur die bloße Abgrenzung des Territoriums zum Ziel, sondern im Wesentlichen auch dessen Management, im Sinne von indigenen Lebensplänen. Die Ausarbeitung solcher Pläne ist der Schlüssel zur Selbstdemarkierung."

Extraktivismus versus "freie, vorherige und informierte Zustimmung"

Am 24. Februar 2016 verkündete Präsident Nicolás Maduro mit dem Erlass 2.248 die sogenannte Nationale Strategische Entwicklungszone Arco Minero del Orinoco (ZDEN-AMO) zur Förderung der Ausbeutung der zahlreichen Mineralvorkommen im venezolanischen Amazonasgebiet. Das Gebiet umfasst etwa zwölf Prozent des Landes und ist in vier Bereiche unterteilt, in denen Gold, Coltan, Diamanten, Bauxit, Eisen, Kupfer und Seltene Erden vorkommen. Mit dem Dekret 2.248 wurde außerdem die Compañía Anónima Militar de Industrias Mineras, Petrolíferas y de Gas (Camimpeg) gegründet, die dem Verteidigungsministerium angegliedert ist und "ohne Einschränkung" Tätigkeiten ausüben darf, die direkt oder indirekt mit Bergbau oder der Exploration der Öl- und Gasvorkommen zusammenhängen.

Innerhalb der Grenzen der ZDEN-AMO leben 7,5 Prozent der indigenen Bevölkerung Venezuelas, außerdem fallen davon zahlreiche Gebiete unter besondere Schutzregelungen wie Naturdenkmäler, Nationalparks und Waldgebiete. Nach Informationen der GTAI deckt sich das Gebiet des Arco Minero im Bundesstaat Bolívar mit einigen bereits vollzogenen Demarkierungen und Selbstdemarkierungen. Das Gebiet der Pemón ist bereits vollständig von ihnen demarkiert worden, ebenso wie das Territorium der Ye’kwana und Sanema. Auch die Piapoco haben eine Selbstdemarkierung vorgenommen. Über Landtitel, die eher Agrartiteln ähneln, verfügen bislang nur die Mapoyo von Bolívar, die Pemón von Ikabarú sowie einige Gemeinschaften der Jodi (Bolívar und Amazonas) und Eñepa (Bolívar).

"Sowohl vor als auch nach dem Erwerb von Titeln über ihre Territorien haben indigene Völker das Recht, die potenziellen ökologischen und sozialen Auswirkungen von Projekten, die ihre physische und kulturelle Sicherheit bedrohen, zu kennen und an Diskussionen teilzunehmen, und vor allem haben sie das Recht, ein Projekt abzulehnen beziehungsweise es zu stoppen, sobald dessen Auswirkungen bekannt sind", erklärt Vladimir Aguilar. Zwar hielten nach der Veröffentlichung des Dekrets Regierungsvertreter eine Reihe von Treffen mit indigenen Völkern ab, die sie "Konsultationen" nannten, bei denen sie für die Vorteile warben, die der Arco Minero für ihre Gemeinschaften mit sich bringen würde. Diese Veranstaltungen waren jedoch weit davon entfernt, freie, vorherige und informierte Konsultationsprozesse zu sein und entsprachen keineswegs den Anforderungen der Verfassung, des Rahmengesetzes für indigene Völker und Gemeinschaften und den von Venezuela unterzeichneten internationalen Pakten über indigene Rechte.

Auch Gregorio Mirabal von der Koordinierungsplattform der indigenen Organisationen des Amazonasbeckens COICA kritisiert die Verletzung des indigenen Grundrechts: "Es muss eine Konsultation mit den Menschen stattfinden, die von einem Projekt betroffen sein oder davon profitieren werden, in diesem Fall einem extraktivistischen Projekt, das reale Auswirkungen hat, nicht nur wirtschaftliche, sondern vor allem in den Bereichen Gesundheit, Umwelt, Klimawandel. Wir fordern, dass das gesamte venezolanische Volk, die nationale Regierung, einen Dialog sucht, eine vorherige Konsultation einleitet, denn die indigenen Völker sind wirklich besorgt über diese Situation. Für uns ist Bergbau kein Fortschritt, für uns ist Bergbau Zerstörung, der Tod von Flüssen, Wäldern und indigenen Völkern."

Zum Zeitpunkt der Ankündigung von ZDEN-AMO hatte die venezolanische Regierung mehr als 150 transnationale Unternehmen eingeladen, sich am Ressourcenabbau in dem Gebiet zu beteiligen. Nach drei Jahren ist vor allem der Vormarsch des illegalen Bergbaus zu beobachten, der die Konflikte verschärft hat, die an diesen Orten bereits virulent waren. Um die Kontrolle der Bergbauaktivitäten konkurrieren Syndikate, die Mafia, Menschenhändler, irreguläre bewaffnete Gruppen wie FARC und ELN, Soldaten, Geschäftsleute und Regierungsbeamte. Dazwischen befindet sich die lokale Bevölkerung: Indigene und Menschen, die aus den Städten ausgewandert sind, um mit dem geringen Einkommen zu leben, das ihnen der informelle Goldbergbau einbringt – aus Sicht vieler Indigene der einzige Weg, Zugang zu westlichen Gütern zu erhalten, denn der Staat war aus ihrer Sicht unfähig, eine Politik umzusetzen, die wohlfahrtsorientiert ist oder produktive Arbeit fördert.

Die indigenen Völker haben begonnen, sich zu organisieren und Sicherheitsgruppen wie die Pemón-Territorialgarde zu bilden, um ihre informellen Bergbauaktivitäten zu schützen. Dies spaltet die Pemón: Viele sehen diesen Schritt kritisch, fürchten aber sonst vor allem den Kriminellen ausgeliefert zu sein, die sich im Staat Bolívar festgesetzt haben. Zugleich sind längst nicht alle Pemón im Bergbau aktiv, und viele der Ältesten und Frauen, die häufig traditionellen landwirtschaftlichen Aktivitäten nachgehen, lehnen ihn als destruktiv und ihrer angestammten Kultur fremd ab.

All dies hat schwerwiegende Folgen für die indigenen Völker. Die Kriminalisierung, das Verschwinden und die Ermordung indigener Führer in den Gebieten haben drastisch zugenommen. Ein emblematischer Fall ist der von Lisa Henrito, einer Anführerin der Pemón, die von einem Militärbeamten beschuldigt wurde, eine sezessionistische Bewegung im Süden des Landes anzustacheln. Sie wird derzeit bedroht und verfolgt. 2018 wurden sechs Indigene im Staat Bolívar bei ihrem Versuch, Bergbauaktivitäten unter Kontrolle zu halten, ermordet.

Der Bergbau hat auch einen drastischen Anstieg der Malariafälle mit sich gebracht, denn die riesigen Löcher, die zur Goldgewinnung gemacht werden, begünstigen die Vermehrung der Anopheles-Mücke, die die Krankheit überträgt. Der Malariabericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vom November 2018 betonte den Ernst der Lage in Venezuela, angesichts von 400.000 gemeldeten Fällen. Die WHO beklagt hier den fehlenden Zugang zu Medikamenten, die mangelnde Bekämpfung der Mückenlarven und die Abwanderung der Bevölkerung aus dem Bundesstaat Bolívar, eines der am stärksten betroffenen Gebiete, in andere Gebiete des Landes, was weitere Ausbreitung befördere.

Fazit

Angesichts der geschilderten Situation der indigenen Völker Venezuelas fällt es schwer, optimistisch zu bleiben. Die Hoffnung auf eine Titulierung indigener Territorien im Sinne der Verfassung von 1999 schwindet weiter. Für Gruppen wie die Pemón und Ye’kwana, die schon seit Jahrzehnten um eine Anerkennung großer, zusammenhängender Gebiete kämpfen, besteht unter der aktuellen Regierung weniger Hoffnung denn je auf eine ernsthafte und gerechte Bearbeitung ihrer Demarkierungsanträge. Der massive Ausbau des Bergbaus im Süden des Landes führt vielerorts zu einer Verschärfung der Umweltkonflikte.

Theoretisch würde eine Legalisierung indigener Territorien viele Probleme abschwächen. Jedoch bestehen indigene Rechte in Venezuela nur in der Theorie, die Realität ist der Arco Minero sowie die Notlage und das Chaos, in dem sich das ganze Land befindet. Diese Situation trägt dazu bei, dass der Druck auf indigene Gebiete wächst und auch viele Indigene selbst im Bergbau aktiv sind, sei es als Bergleute auf eigene Rechnung oder in Form von Zwangsarbeit und Prostitution. In vielen Gebieten im Süden Venezuelas ist Gold als Zahlungsmittel weiter verbreitet und akzeptierter als die offizielle Währung. Aufgrund der komplizierten Lage sind die indigenen Organisationen in Befürworter und Gegner des Bergbaus gespalten. Hinzu kommt, dass die Regierung wie schon in früheren Zeiten aktiv eine Politik der Kooptierung und Spaltung gegenüber den indigenen Organisationen verfolgt. Eine nationale indigene Bewegung, die ihren Widerstand gegen Missstände mit geeinter Stimme formulieren würde, besteht in Venezuela seit Jahrzehnten nicht mehr. Der Consejo Nacional Indio de Venezuela, der zu Zeiten der Verfassungsverhandlungen eine gewichtige Stimme in der indigenen Politik besaß, existiert nur auf dem Papier. Für kritische Stimmen ist die Lage gefährlicher denn je, Wortführer*innen, die sich nicht "kaufen" lassen, sehen sich massiven Drohungen oder Schlimmerem ausgesetzt.

Dennoch gibt es in Venezuela weiterhin viele Indigene, die ihre Kultur leben und die Verbindung zu ihren Territorien nicht aufgeben. Sie haben ihrer Quasi-Auslöschung durch die europäische Kolonisierung widerstanden und existieren bis heute, als Teil der indigenen Bevölkerung der Amerikas. Es bleibt zu hoffen, dass sie nun auch den Arco Minero mit all seinen Konsequenzen überleben werden.

ist Journalistin mit Schwerpunkt auf indigenen Rechten und ökologischen Fragen. Sie arbeitet unter anderem für die Stiftung Centro Gumilla in Caracas. E-Mail Link: minervavitti@gmail.com

ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Südamerika-Sammlung des Ethnologischen Museums der Staatlichen Museen zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz. E-Mail Link: a.scholz@smb.spk-berlin.de