Lobbyismus als Schattenpolitik
Es wird für eine differenzierte, abschattierte Betrachtungsweise des Lobbyismus plädiert. Denn Lobbyismus spielt sich zwischen legitimer Willensbildung und illegitimen Formen wie Erpressung und Korruption ab.Einleitung
Lobbyismus polarisiert. Der Einfluss von Verbandsinteressen spaltet die öffentliche Meinung in Kritiker und Unterstützer organisierter Interessenwahrnehmung. Dies ist übrigens keineswegs eine neue Entwicklung. "Den Eygen-Nutz last herrschen nicht. Sonst straft Euch Gott in seim Gericht."[1]
In diesen Vers kleidete schon Hans Michael Woscherosch 1643 den heute noch beliebten Spruch Gemeinnutz geht vor Eigennutz. Seit dem Mittelalter hatte die christliche Ständeordnung das Interesse, den Eigennutz, verteufelt und das Gemeinwohl idolisiert. Die Aufklärung machte dem ein Ende. So hieß es in der Deutschen Encyklopädie von 1793: "Das Interesse ist das Band der menschlichen Gesellschaften (...). In allen Staaten, die das Eigentum eingeführt, kann keine andere Triebfeder als das Interesse stattfinden, und dieses wahre Interesse jeden Privatmannes in den Gewerben, stimmt auch mit dem gemeinschaftlichen Besten, und dem Zusammenhang des Nahrungsstandes überein."[2]
Denn am Beginn des bürgerlichen Zeitalters stand die Devise "Interesse regiert die Welt" (Interest governs the world).[3] Im Gegensatz dazu wurzelte die unerschütterliche konservative Gewissheit vom Staat hoch über dem Gerangel der Interessen, die Heinrich von Treitschke Ende des 19. Jahrhunderts noch einmal in seiner "Politik" auf die Formel brachte: "Ein Gemeinwohl gibt es unzweifelhaft, weil es einen Staat gibt."[4] Dagegen konstatierte ungefähr zur selben Zeit der bürgerliche Ökonom und frühe Soziologe Lorenz von Stein: "Das Interesse, in dem es den Mittelpunkt der Lebenstätigkeit jedes Einzelnen in Beziehung auf jeden anderen, mithin der ganzen gesellschaftlichen Bewegung abgibt, ist daher das Prinzip der Gesellschaft."[5] Was regiert die Welt? Interessen oder Gemeinwohl? Das ist der Grundwiderspruch der bürgerlichen Gesellschaft von Anfang an. Noch heute hält die Kontroverse an. Die "heimliche Macht starker Interessen"[6] gefährde das Gleichheitsversprechen liberaler Demokratien. So forderte jüngst im Frühjahr 2006 der Bundesfinanzminister Peer Steinbrück "Lobbyisten in die Produktion". Er müsse "ein robustes Immunsystem entwickeln gegen die Attacken der organisierten Einzelinteressen".[7]