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Die USA, Israel und der Nahost-Konflikt

Gert Krell

/ 17 Minuten zu lesen

Der Blick auf die Geschichte und Entwicklung der Beziehungen zwischen den USA und Israel stellt gängige politische Ansichten verschiedener Richtungen in Frage. Er dokumentiert zugleich Widersprüche in der Außenpolitik der amerikanischen Demokratie gegenüber dem Nahost-Konflikt.

Einleitung

Dass den USA eine besondere Bedeutung für die Gestaltung des Nahost-Konflikts zukommt, ist unstrittig. Die Grundlage dafür bieten ihr Supermachtstatus und die "special relationship" zwischen den Vereinigten Staaten und Israel. Die USA sind zur Schutzmacht des israelischen Staates geworden, demsie trotz der eklatanten Unterschiede inden Machtpotenzialen viele Freiheiten lassen. Bei der Wirtschafts- und Militärhilfe liegt Israel seit den siebziger Jahren an der Spitze der amerikanischen Aufwendungen. In kritischen Situationen waren amerikanische Waffenlieferungen zentral für die Selbstbehauptung Israels; die USA tolerieren sogar dessen inoffiziellen Nuklearstatus.

Die engen Beziehungen lassen sich nicht nur mit dem sicherheitspolitischen Nutzen für beide Seiten erklären. Mindestens genauso wichtig sind emotionale Bindungen und politisch-kulturelle Affinitäten. Israel kann durchgehend mit großer Unterstützung in den USA rechnen, und zwar nicht nur, weil es eine Demokratie ist, sondern auch wegen des Holocaust. Unabhängig davon spiegeln sich in der israelischen Vorgeschichte und in der zionistischen Programmatik einige zentrale Aspekte des amerikanischen Selbstverständnisses wider. Beide Gesellschaften sind vordergründig säkular, aber in beiden spielt die Religion eine zentrale Rolle. Der Bezug zum "Heiligen Land" ist nicht nur für viele Israelis, sondern auch für viele US-Amerikaner von hoher symbolischer Bedeutung. Beide Länder sind aus zunächst durchaus prekären Pioniergesellschaften hervorgegangen, die sich in schwierigen Unabhängigkeitskriegen als Staaten etabliert haben. Beide Gesellschaften sind hochgradig, wenn auch hierarchisiert multikulturell: Prinzipiell kann jeder Mann oder jede Frau Amerikaner(in), jeder Jude und jede Jüdin Israeli(n) werden.

Über diese allgemeinen Feststellungen hinaus gibt es sehr unterschiedliche Deutungen des Verhältnisses zwischen den USA und Israel. Der Blick auf die Geschichte ihrer Beziehungen stellt gängige politische Ansichten in Frage; er dokumentiert zugleich zentrale Widersprüche in der Außenpolitik der USA gegenüber dem Nahost-Konflikt.

Der vorliegende Beitrag ist eine komprimierte und aktualisierte Fassung einer Studie, die als HSFK-Report 14/2004 (Frankfurt/M. 2004) erschienen ist.

Die Vorgeschichte

Zwei gegensätzliche Tendenzen prägten das Verhältnis zwischen den USA und dem Ende des 19. Jahrhunderts entstandenen Zionismus im und nach dem Ersten Weltkrieg. Die eine, insbesondere von US-Diplomaten und Experten im State Department vertreten, stand dem zionistischen Programm der Besiedlung Palästinas skeptisch bis kritisch gegenüber. Sie schätzte das Konfliktpotenzial als sehr hoch ein, befürchtete eine Missachtung des Selbstbestimmungsrechts der ortsansässigen arabischen Mehrheit und damit auch einen Glaubwürdigkeitsverlust für die amerikanische Außenpolitik. Charakteristisch für diese Position ist etwa der Bericht der von Präsident Wilson selbst eingesetzten King/Crane Kommission vom August 1919. Dort heißt es, die neun Zehntel der nicht-jüdischen Einwohner in Palästina mit einer unbegrenzten jüdischen Einwanderung zu konfrontieren, komme einer massiven Verletzung ihrer Rechte gleich und damit auch der Prinzipien, die der amerikanische Präsident selbst verkündet hatte. Die Kommission empfahl schließlich: "The project for making Palestine distinctly a Jewish commonwealth should be given up." Noch gegenüber dem Teilungsplan der Vereinten Nationen von 1947 formulierten Mitarbeiter des State Department grundsätzliche Bedenken, weil er ohne die Zustimmung der arabischen Bevölkerungsmehrheit zustande gekommen war.

Die andere Tendenz, die von den Präsidenten Wilson und Truman, vom Kongress und von der Öffentlichkeit vertreten wurde, stand der Gründung eines jüdischen " Commonwealth" bzw. Staates deutlich positiver gegenüber. Sicher spielten dabei auch Rücksichten auf jüdische Wählerstimmen und der Lobbyismus der Zionist Organization of America eine Rolle, von größerer Bedeutung war freilich der inszenierte Gegensatz zwischen der christlich-jüdischen Kultur auf der einen und der islamischen auf der anderen Seite in der Kontinuität der Kreuzzüge, wobei unterschlagen wurde, dass diese Kreuzzüge ja auch mit massiven Verbrechen der Christen gegen Juden (Entrechtungen, Vertreibungen, Ermordungen) verbunden waren - von den Verbrechen gegen die Muslime ganz zu schweigen. In den großen Tageszeitungen und im Kongress wurden die jüdischen Siedler in Palästina wiederholt zum Vorposten der zivilisierten westlichen Welt erklärt, wurde General Allenby, der die britische Armee im Dezember 1917 in das damals zum osmanischen Reich gehörende Jerusalem geführt hatte, als Befreier des Heiligen Landes an die Seite von Richard Löwenherz und Gottfried von Bouillon gestellt.

Die offizielle Politik löste den Widerspruch zwischen dem Prinzip der Selbstbestimmung, das Präsident Wilson selbst als Regulativ für die Nachkriegsordnung in die Debatte geworfen hatte, und den imperialistischen Interessen Großbritanniens und Frankreichs bzw. den zionistischen Plänen in der Nahost-Region über das Mandatssystem des Völkerbundes; die Balfour-Erklärung von 1917, die sich die Förderung einer "nationalen Heimstätte für das jüdische Volk" zum Ziel gesetzt und der Woodrow Wilson seine Zustimmung gegeben hatte, wurde 1922 in das britische Mandat für Palästina integriert. Die Herrschaft über die als rückständig angesehene Kultur, der der Westen das Selbstbestimmungsrecht verweigerte, wurde als altruistischer Akt legitimiert. Letztlich ging es darum, das "Heilige Land" aus dieser "Rückständigkeit" zu befreien; davon würden alle profitieren, auch die Araber.

Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurde dieser Kontext überlagert vom Erschrecken über die Verfolgung und Ermordung von Millionen europäischer Juden durch die Nationalsozialisten. Angesichts dieses Völkermords war die Etablierung des "Jewish Commonwealth" in Palästina, das in den dreißiger Jahren vermehrt zum Zufluchtsort jüdischer Emigranten und Flüchtlinge geworden war, jetzt nicht nur Konsens unter den amerikanischen Zionisten, sondern auch breite Mehrheitsmeinung unter den amerikanischen Juden insgesamt, die weitgehende Unterstützung von der nicht-jüdischen Bevölkerung der USA und vom Kongress erhielten. Freilich war diese Unterstützung nicht ganz frei von Eigennutz. Die Einwanderungsgesetzgebung in den USA blieb äußerst restriktiv, daran hatten schon Appelle anlässlich der Pogrome in Deutschland im November 1938 nichts geändert.

Von der Staatsgründung bis zur "strategic relationship"

Schon unter Präsident Truman mit den Kontroversen über den Teilungsplan der Vereinten Nationen, der Anerkennung Israels sowie Fragen der Grenzziehung und der palästinensischen Flüchtlinge entfaltete sich eine vertraut werdende Konstellation: Ambivalenzen auf der amerikanischen Seite wegen der Balance zwischen Israel und den arabischen Ländern, eine in der Tendenz eher pro-israelische Vermittlung zwischen den Konfliktparteien und zugleich Enttäuschung über mangelnde Flexibilität des jüdischen Staates, schließlich eine Mischung aus strategischen Überlegungen in der Administration (eher vom State Department vertreten) und Rücksichten auf pro-israelische Präferenzen in der amerikanischen Gesellschaft (eher auf Seiten des Präsidenten, allemal im Kongress).

Die Gründung Israels als ein Komplott der USA zu deuten, wäre gleichwohl ein grobes Missverständnis. Zwar hatte sich Truman im Gegensatz zu seinem Vorgänger - Roosevelt hatte den Arabern noch zugesichert, dass über Palästina keine Entscheidungen ohne ihre Zustimmung getroffen würden - einseitig für die Teilung und damit einen israelischen Staat ausgesprochen, aber dabei spielten neben innenpolitischen Motiven eher außenpolitische Gründe eine Rolle: die Sorge über das Konfliktpotenzial in einer Region, über die der Ost-West-Konflikt zwischen den USA und der UdSSR seine Schatten zu legen drohte, und über die Lage der "Displaced Persons" in den amerikanischen Lagern in Deutschland, in erster Linie Holocaust-Überlebende und andere Juden, die vor neuem Antisemitismus und vor den neuen Diktaturen in Osteuropa geflohen waren. Viele dieser "Displaced Persons" wollten nach Palästina.

Israel verdankt seine Entstehung außenpolitisch nicht nur der amerikanischen Fürsprache, sondern auch dem sowjetischen Votum für die Teilung, mithin einem eher zufälligen, vorübergehenden Zusammenspiel zwischen den beiden neuen Supermächten, jedenfalls nicht mehr ihrer antifaschistischen Allianz. Entscheidende Waffenhilfe im ersten israelisch-arabischen Krieg und damit für den Unabhängigkeitskampf der Israelis kam nicht von den USA - die hatten ein Embargo verhängt -, sondern aus der Tschechoslowakei und wurde von der Sowjetunion zumindest toleriert.

Es ist heute kaum noch vorstellbar, wie gespannt die Beziehungen der Regierung Eisenhower zu Israel zeitweise waren, insbesondere wegen des Suez-Krieges 1956 zwischen Frankreich, Großbritannien und Israel auf der einen und Ägypten auf der anderen Seite. Kein amerikanischer Präsident hat je wieder so massiven Druck auf Israel ausgeübt, es musste die "Kriegsbeute" ohne Gegenleistungen herausgeben. Zwar verbesserten sich die Beziehungen wieder, aber das Waffenembargo blieb. Der entscheidende militärische Partner Israels war in dieser Zeit Frankreich, das ein Gegengewicht gegen die ägyptische Unterstützung der algerischen Befreiungsfront suchte. Noch den Sechs-Tage-Krieg 1967 gewann Israel überwiegend mit französischen Waffen, auch die Entwicklung einer eigenen Nuklearkapazität profitierte von der französischen Kooperation.

Die zunächst nur vermutete Entwicklung israelischer Nuklearwaffen war dann auch der größte Konflikt zwischen der Kennedy-Regierung und Israel, ein Konflikt, den Kennedys Nachfolger mit einem für die Nichtweiterverbreitung problematischen Kompromiss beendeten: Die USA tolerieren das israelische Nuklearpotenzial, solange Israel sich nicht offen dazu bekennt (no denial, no confirmation) und sich bereit erklärt, nicht als erstes Land Atomwaffen in den Nahen Osten "einzuführen". Ansonsten tat die US-Regierung unter Kennedy insofern einen wichtigen Schritt für die Intensivierung der amerikanisch-israelischen Beziehungen, als zum ersten Mal ein US-Präsident die Sicherheit Israels zu einem unmittelbaren Anliegen der USA erklärte und von einer "special relationship" ähnlich der Beziehungen zu Großbritannien sprach. Vorausgegangen waren intensive, wenn auch erfolglose Bemühungen Kennedys, die Beziehungen zu Ägypten unter Präsident Nasser zu verbessern.

Entscheidend für die Gesamtanalyse ist, dass sich die Beziehungen zwischen den USA und Israel erst allmählich intensivierten. Die ersten Lieferungen von amerikanischen Offensivwaffen - Flugabwehrraketen hatte schon Kennedy zugesagt (die erste Batterie wurde ironischerweise 1965 bei der Nuklearanlage Dimona stationiert) - gab es nach dem Sechs-Tage-Krieg, mit dem sich Frankreich aus der Position des Waffenlieferanten zurückzog. Erst unter Präsident Nixon und Sicherheitsberater Henry Kissinger mit der neuen Mächtekonstellation nach dem Yom Kippur-Krieg 1973, die schließlich zur politischen Neuorientierung Ägyptens und damit auch zum Friedensvertrag zwischen Äygpten und Israel führen sollte, wurde Israel zum bevorzugten Partner amerikanischer Waffen- und Wirtschaftshilfe. In den achtziger Jahren entwickelte sich das Verhältnis von der "special" zur "strategic relationship" weiter. Parallel dazu rückten Bemühungen der USA um eine weitere Regelung des Konflikts, einschließlich der Palästinenserfrage, in den Kernbereich amerikanischer Nahost-Politik, und zwar auch hier auf der Grundlage des Prinzips "Land gegen Frieden", das durch die Eroberungen im Sechs-Tage-Krieg jetzt auch für Israel eine vertretbare Option zu werden schien.

Der Friedensprozess unter Clinton und Bush jun.

Die größten Wechselbäder zwischen Erfolg und Niederlage erlebte die amerikanische Politik im Nahost-Konflikt in den neunziger Jahren unter Präsident Clinton. Sie kam einer umfassenden Verständigung in allen substanziellen Fragen zwischen Israel und den Palästinensern am nächsten und scheiterte doch wieder in sehr charakteristischer Weise. Die Clinton-Administration ging von der Grundannahme aus, je sicherer sich Israel fühle, desto eher werde es Zugeständnisse im Friedensprozess machen. Israel sollte auf keinen Fall wieder öffentlich unter Druck gesetzt werden, so wie das Clintons Vorgänger, George H. W. Bush, und sein Außenminister James Baker noch getan hatten. (Am 22. Mai 1989 sagte Baker ausgerechnet vor AIPAC, der bedeutendsten pro-israelischen Lobby in den USA: "Für Israel ist es nun an der Zeit, ein für alle Mal die unrealistische Vision eines Groß-Israel zu begraben. [...] Stellen Sie die Annexion ein, beenden Sie die Siedlungsaktivitäten [...] Und reichen Sie den Palästinensern als Nachbarn die Hand, die politische Rechte verdienen.") Die besetzten wurden jetzt nicht mehr als besetzte, sondern als umstrittene Gebiete bezeichnet, Ostjerusalem nicht mehr als Teil der besetzten Gebiete genannt, und es erfolgte keine ausdrückliche Verurteilung des Siedlungsbaus mehr. Außerdem wurde die militärische Zusammenarbeit weiter verstärkt bis knapp unterhalb eines förmlichen Militärpakts.

Die Strategie der positiven Anreize geriet jedoch in Schwierigkeiten, als der Friedensprozess wieder durch terroristische Anschläge, durch die Ermordung Rabins und durch den erneuten Wechsel zu einer vom Likud geführten Regierung gefährdet wurde. Premierminister Netanjahu kündigte schon bei Amtsantritt an, er werde eher die Beziehungen zu den USA belasten, als Konzessionen an die arabischen Staaten zu machen. Um dem Druck von Seiten der Regierung Clinton auszuweichen, wandte er sich wiederholt an den Kongress, der ihn gegen Pressionen in Schutz nahm. Newt Gingrich, der Fraktionsvorsitzende der Republikaner im Repräsentantenhaus, betrieb seine eigene Nebenaußenpolitik zugunsten des Likud und war sich nicht zu schade, Außenministerin Madeleine Albright als "Agentin Arafats" zu bezeichnen.

Mit der Wahl von Ehud Barak kam wieder Bewegung in den Friedensprozess, aber am Ende lief dem amerikanischen Präsidenten die Zeit davon. Mit großem persönlichem Einsatz versuchte Clinton bei der Annäherung in den Endstatusfragen behilflich zu sein. Obwohl sich beide Seiten unter seiner Vermittlung nach dem Scheitern von Camp David im Juli 2000 dann im Januar 2001 in Taba in allen Streitpunkten näher kamen als je zuvor, fiel der Friedensprozess erneut einer Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse und einer weiteren Gewalteskalation zum Opfer. Clinton gab, wie auch Barak, wiederholt Arafat die Schuld für das Scheitern von Camp David, obwohl er dem palästinensischen Präsidenten und PLO-Chef die Zusicherung gemacht hatte, keine solchen Schuldzuweisungen vorzunehmen. Aber der amerikanische Präsident, der Barak damit innenpolitisch stützen wollte, erreichte nur das Gegenteil: Barak war nicht mehr zu helfen, und die Palästinenser waren einmal mehr erzürnt über die als einseitig wahrgenommene Haltung der Vereinigten Staaten.

Das Problem der Endstatus-Verhandlungen unter Clinton war, dass Baraks Rückhalt in Israel seit längerem mit jeder Konzession weiter erodierte - er hatte am Ende keine Mehrheit mehr in der Knesseth - und parallel dazu auf palästinensischer Seite das Vertrauen in eine Verhandlungslösung und eine Verbesserung der dramatischen wirtschaftlichen und politischen Lage auf einen neuen Tiefpunkt zugesteuert war. Ami Ayalon, Chef des israelischen Geheimdienstes Shin Bet unter Barak, hatte seinen Premier gewarnt, das ungehinderte Anwachsen der Siedlungen auch unter seiner Regierung und vor allem die Not und die Demütigungen, unter denen die Palästinenser in den besetzten Gebieten zu leiden hatten, hätten zu einer explosiven Situation geführt, die nur noch eines zündenden Funkens bedurfte. Diesen Funken lieferten Scharons Besuch des Tempelbergs am 28. September 2000 und die harsche Reaktion Israels auf die palästinensischen Demonstrationen.

Die arabische Welt setzte, den Wahlsieg Scharons im Blick, Hoffnungen auf die Präsidentschaft von George W. Bush, weil sie ihn mit der Politik seines Vaters und den amerikanischen Ölinteressen identifizierte. Sie übersah dabei, dass Bush jr. neben der Öl-Lobby und den Reichen und Superreichen eine weitere Klientel der republikanischen Partei bedient: die Christliche Rechte, die aus religiösen Gründen eine radikal pro-israelische Position verfolgt. Konträr zu den genannten Erwartungen kam es diesmal zu einem hohen Maß an Übereinstimmung zwischen einer republikanischen US-Administration und einer vom Likud dominierten israelischen Regierung. Das hatte auch damit zu tun, dass einige Berater des Präsidenten die Radikalkritik der israelischen Nationalisten am Friedensprozess teilten, die palästinensische Seite für dessen Scheitern verantwortlich machten und teilweise offen annexionistische Positionen vertraten. Der 11. September 2001 verstärkte diese Identifikation. Ähnlich wie 1967 wurden Amerikaner und Israelis wieder als Brüder im Kampf interpretiert, diesmal nicht gegen die Sowjetunion bzw. deren Verbündete in der Region, sondern gegen den internationalen Terrorismus. Während das State Department noch davon ausging, dass der Terrorismus der Palästinenser und der Al Quaida verschiedene Wurzeln haben, verschmolzen sie in den Augen der Neokonservativen zu einer einheitlichen Bedrohung.

Im Friedensprozess hielt sich die neue amerikanische Regierung zunächst bewusst zurück, sie erklärte, sie sei "ready to assist, not insist". Das hatte einmal damit zu tun, dass sie sich deutlich von ihrer demokratischen Vorgänger-Regierung und deren Scheitern beim Mikromanagement des Friedensprozesses absetzen wollte, es lag aber auch daran, dass führende Regierungsexperten den Konflikt im aktuellen Stadium nicht für lösbar hielten. Die zunehmende Eskalation der Gewalt brachte die Regierung Bush dazu, ihre Zurückhaltung zu überdenken, zumal es nach dem 11. September 2001 auch darum ging, eine weltweite Koalition gegen das Taliban-Regime in Afghanistan zu schmieden. Am 2. Oktober erklärte Bush seine Unterstützung für einen palästinensischen Staat, betonte aber ebenso unmissverständlich, dass die Palestinian Authority vor einer Wiederaufnahme von Verhandlungen wirksame Maßnahmen gegen die terroristischen Aktivitäten zu ergreifen habe.

Die Appelle der USA an beide Seiten blieben fruchtlos; im Frühjahr 2002 eskalierte die Gewalt bis zur Wiederbesetzung eines großen Teils der West Bank durch die israelische Armee. Präsident Bushs Friedensplan vom 24. Juni 2002 wiederholte die Forderung an Israel, die Siedlungsaktivitäten in den besetzten Gebieten zu beenden, und stellte den Palästinensern einen eigenen Staat in Aussicht, machte die amerikanische Unterstützung aber nicht nur von einer Abkehr vom Terrorismus abhängig, sondern auch von demokratischen Reformen und einem Ende der Korruption. Damit zeichnete sich die Überlagerung der amerikanischen Politik im israelisch-palästinensischen Konflikt durch das neue "Grand Design" für die ganze Region ab, mit dem sich die Neokonservativen hatten durchsetzen können. Es ging jetzt darum, Saddam Hussein zu entmachten und den Nahen Osten mit einer Doppelbotschaft von Abschreckung und Reformen zu konfrontieren. Scharon sollte gestützt und die Palästinenser nur dann belohnt werden, wenn sie vom Terrorismus Abstand nahmen. Die Förderung von Freiheit und Demokratie in der ganzen Region würde schließlich die arabische Seite friedensfähig machen und damit auch Israel zu den für eine Friedensregelung erforderlichen Konzessionen ermutigen.

Zwar setzte auch die so genannte Road Map, zum ersten Mal Ende April 2003 veröffentlicht, mit ihrem Drei-Stufen-Plan, auf den sich das Nahost-Quartett von USA, EU, Russland und den Vereinten Nationen verständigte, auf Reformen bei der palästinensischen Seite; aber Mahmud Abbas (Abu Mazen), der erste palästinensische Premierminister, scheiterte an der Gewaltbereitschaft der terroristischen Gruppen, an der mangelnden Unterstützung Arafats, an der erneuten Eskalation durch Israel und daran, dass er zu sehr mit der Politik der amerikanischen Regierung identifiziert wurde. Präsident Bush entfernte sich seinerseits von der Programmatik der Road Map. So bezeichnete er mit Blick auf seine Wiederwahl (zur neuen Strategie der Republikaner gehört es, das "Jewish vote" in den USA, das traditionell eher zur demokratischen Partei tendiert, für eine langfristige republikanische Mehrheit zu gewinnen) Scharon gegenüber die großen Siedlungsblöcke in der West Bank als "new realities on the ground". Er erklärte, eine Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge nach Israel komme nicht mehr in Frage. Die USA gingen zunehmend auf Distanz zu Präsident Arafat, der allzu offenkundig den bewaffneten Kampf tolerierte, wenn nicht sogar unterstützte, und setzten auf Scharons Unilateralismus, insbesondere den Rückzug aus Gaza, den sie schließlich durch Intervention von Außenministerin Condoleezza Rice zu einem einvernehmlichen Abschluss brachten.

Die palästinensischen Parlamentswahlen vom Januar 2006 haben Grundannahmen der Nahostpolitik von George W. Bush in Frage gestellt. Der US-Präsident machte jedoch zunächst "gute Miene zum bösen Spiel". Er nannte den Wahlsieg der Hamas "einen Triumph der Demokratie" und eine Abfuhr für die alte Garde. Gleichzeitig lud er die Hamas zur Mäßigung ein und forderte sie auf, dem Terrorismus abzusagen und das Existenzrecht Israels anzuerkennen. Unter erschwerten Bedingungen gilt es also jetzt, erneut den großen historischen Kompromiss um "Land und Frieden" von vorne auszuhandeln. Zwar hat sich "der vernünftige Teil der israelischen Rechten" (Joschka Fischer) endlich von Groß-Israel verabschiedet; er scheint im Prinzip zu einem weiträumigen Rückzug aus der West Bank bereit, will aber die großen Siedlungsblöcke um Ariel und um Jerusalem behalten. Ob das gegenüber der "alten Garde" der Palästinenser für einen gemeinsam ausgehandelten Endstatus ausgereicht hätte, mag man angesichts der bisherigen Erfahrungen bezweifeln. Mit der neuen politischen Mehrheit in den palästinensischen Gebieten wird es auch jenseits der aktuellen Aufgeregtheiten noch schwieriger, nicht zuletzt wegen der zusätzlichen Komplikationen in der Region durch die gegenwärtige rabiat antiisraelische und antisemitische Führung in Teheran mit ihren nuklearen Ambitionen.

Bilanz

Die amerikanische Nahostpolitik hat aus übergeordneten Interessen Israel nicht nur in kritischen Phasen politisch und militärisch beigestanden, sie war auch bereit, Israel zu zügeln, wenn es sich anschickte, die Gegenseite zu sehr zu dominieren oder gar auszuschalten. Das gilt im Suez- und im Yom Kippur-Krieg gegenüber Ägypten und im Libanon-Krieg gegenüber der PLO. Die USA haben sich in einem langwierigen Prozess von nahezu hundert Jahren, an dessen Beginn Rücksichten auf die imperialistischen Interessen der europäischen Verbündeten und der eigene kulturimperialistische Diskurs die propagierten demokratischen Werte überlagerten, zunehmend auch der Anliegen der Palästinenser angenommen und sie partiell politisch mitvertreten. Sie haben schließlich Beziehungen zur PLO aufgenommen und die Palestinian Authority auch finanziell unterstützt, wenn auch in bescheidenem Maße; eine Unterstützung, die mit dem Wahlsieg von Hamas in Frage steht.

Gleichwohl lässt sich nicht übersehen, dass sich die Lage der Palästinenser im Laufe des Friedensprozesses nur unwesentlich verbessert, ja in mancher Hinsicht sogar erheblich verschlechtert hat, und zwar nicht nur wirtschaftlich. Israel hat kontinuierlich und mehr oder weniger gezielt das Grundprinzip "Land gegen Frieden", auf das die USA seit den siebziger Jahren ihre Politik im Friedensprozess bauen, unterlaufen. Seit Jahrzehnten fordern die USA von ihrem wichtigsten Verbündeten im Nahen Osten: "the settlements must stop"; aber der Siedlungsprozess stoppt nicht, er geht immer weiter, auch nach dem Rückzug aus dem Gaza-Streifen. Parallel zum Friedensprozess hat sich in den neunziger Jahren die Zahl der israelischen Siedler in der West Bank verdoppelt. Speziell in und um Jerusalem, dem Zentrum auch der palästinensischen Ökonomie und Kultur, hat Israel seine Position kontinuierlich ausgeweitet und damit möglicherweise den Frieden buchstäblich "verbaut". Hier und in der Frage der fast totalen Abhängigkeit der palästinensischen Ökonomie von Israel nicht mehr Einfluss oder sogar den falschen Einfluss (der Siedlungsbau profitiert direkt und indirekt von offiziellen und privaten Geldern aus den USA) genommen zu haben, liegt - jenseits der Schwierigkeiten des Konflikts, die auch eine wohlwollende Großmacht immer wieder überfordern können - das größte Versäumnis der amerikanischen Außenpolitik im Nahost-Konflikt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. David Schoenbaum, The United States and the State of Israel, New York/Oxford 1993, S. 10. Schoenbaum nennt die Beziehungen einen umgekehrten Melier-Dialog: "The weak do what they have the power to do and the strong accept what they have to accept."

  2. Vgl. den Auszug aus dem Report bei Walter Laqueur/Barry Rubin (Hrsg.), The Israel-Arab Reader. A Documentary History of the Middle East Conflict, New York-London-Victoria 20016, S. 23 - 25, hier S. 25.

  3. Vgl. dazu Lawrence Davidson, America's Palestine. Popular and Official Perceptions from Balfour to Israeli Statehood, Gainesville-Tallahassee-Tampa 2001, S. 21-34, S.110 u. 113 f.

  4. Vgl. D. Schoenbaum (Anm. 1), S. 33. Schoenbaum schreibt zur Delegation des jüdischen Flüchtlingsproblems an Palästina: "Americans seemed to be searching for some solution to the refugee crisis that would not call on them to make any significant sacrifice."

  5. Vgl. die Übersichtsdarstellungen von D. Schoenbaum (Anm. 1) und Donald Neff, Fallen Pillars. U.S. Policy towards Palestine and Israel since 1945, Washington D.C. 1995.

  6. Zur wahrlich abenteuerlichen Suez-Politik Großbritanniens, Frankreichs und Israels vgl. Avi Shlaim, The Iron Wall. Israel and the Arab World, New York-London 2000, S. 143 - 185.

  7. Zur Kennedy-Zeit vgl. Warren Bass, Support Any Friend. Kennedy's Middle East and the Making of the U.S.-Israeli Alliance, Oxford-New York 2003.

  8. Vgl. William B. Quandt, Peace Process. American Diplomacy and the Arab-Israeli Conflict since 1967, Washington-Berkeley 20053, Kap.11 und 12.

  9. Hier zitiert nach Markus Kaim, Zwischen globaler Hegemonie und regionaler Begrenzung. Die amerikanische Politik im arabisch-israelischen Konflikt 1991 - 1996, Baden-Baden 1998, S. 73.

  10. Clinton hatte durchgängig mehr Rücksicht auf die politischen Probleme Baraks als die Arafats genommen. Zum Scheitern der Verhandlungen vgl. IISS (Hrsg.), Strategic Survey 2000 - 2001, Oxford 2001, S. 137 - 153, hier S. 142 - 150. Für Kontroversen und ausgewogene Bilanzen vgl. Jörn Böhme (Hrsg.), Friedenschancen nach Camp David. Legenden - Realität - Zukunftsperspektiven für Israel und Palästina, Schwalbach 2005.

  11. Vgl. dazu Henry Siegman, Sharon and the Future of Palestine, in: The New York Review of Books vom 2.12. 2004, S. 7 - 14.

  12. Vgl. dazu Markus Kaim, "Ready to Assist, Not Insist". Die Nahostpolitik der Bush-Administration, in: Werner Kremp/Jürgen Wilzewski (Hrsg.), Weltmacht vor neuer Bedrohung. Die Bush-Administration und die US-Außenpolitik nach dem Angriff auf Amerika, Trier 2003, S. 326 - 354.

  13. The White House, President Bush Calls for New Palestinian Leadership, Office of the Press Secretary, 24. Juni 2002, in: www.whitehouse.gov/news/releases/2002/06 (14.10. 2004).

  14. Vgl. dazu auch Philip H. Gordon, Bush's Middle East Vision, in: Survival, 45 (2003) 1, S. 155 - 165.

  15. IISS (Hrsg.), Strategic Survey 2003/04, Oxford 2004, S. 175 - 177.

  16. Statement by the President, 14.4. 2004, und Letter from President Bush to Prime Minister Sharon, www.whitehouse.gov/news/releases/2004/04 (14.9. 2004). Gegenüber Präsident Abbas, Arafats Nachfolger, betonte Bush ein Jahr später, es werde keine Grenzveränderungen ohne Zustimmung der Palästinenser geben. Vgl. International Herald Tribune (IHT) vom 21.6. 2005 (Henry Siegman, Is Bush Getting Serious about the Peace Process?).

  17. Vgl. IHT vom 16.11. 2005, S. 1 und S. 4.

  18. Vgl. IHT vom 27.1. 2006, S. 1 und S. 4.

Dr. phil., geb. 1945; Professor i. R. für Internationale Beziehungen an der Goethe- Universität Frankfurt/M., Im Langgewann 37, 65719 Hofheim.
E-Mail: E-Mail Link: krell@soz.uni-frankfurt.de