Direktdemokratie im internationalen Vergleich
Einleitung
Im Hinblick auf die neunziger Jahre wird von informierten Beobachtern von einem "Aufschwung",[1] ja einem "Siegeszug"[2] der direkten Demokratie gesprochen. Worauf gründet sich dieses Urteil? Aus internationaler Perspektive betrachtet, sehen etwa die Hälfte aller Staaten weltweit Volksentscheide auf der nationalen Ebene vor; in der Zeit zwischen 1990 und 2000 hat sich der Zahl der nationalen Volksabstimmungen gegenüber dem vorhergehenden Jahrzehnt beinahe verdoppelt. Die meisten der 405 registrierten gesamtstaatlichen Referenden fanden dabei in Europa statt (248), davon allein 115 in der Schweiz, dem Staat mit dem am weitesten ausgebauten direktdemokratischen Instrumentarium.[3] Die Gründe für diese Zunahme gerade in Europa sind erstens in den demokratischen Revolutionen in Osteuropa zu suchen, die nach 1989 zur Verabschiedung von nicht weniger als 27 neuen Verfassungen geführt haben, von denen die allermeisten direktdemokratische Elemente enthalten und auch direkt von den einzelnen Völkern verabschiedet wurden. Der zweite Grund hängt mit dem Ausbau der europäischen Integration in den neunziger Jahren zusammen, die wie kein anderer Fragenkomplex im internationalen Vergleich so viele Referenden ausgelöst hat.[4]
Aber auch in der Bundesrepublik Deutschland ist es unterhalb der nationalen Ebene - auf der das Grundgesetz in seinem Art. 29 Verfahren der Direktdemokratie nur im Falle der Länderneugliederung kennt - auf der kommunalen Ebene und der der Länder in den neunziger Jahren zu einer Bedeutungszunahme direktdemokratischer Verfahren gekommen, und auch auf der Bundesebene ist eine Intensivierung der politischen Auseinandersetzung mit Fragen der Direktdemokratie nicht zu verkennen:[5] - Im Zuge der Verfassungsgebung in den ostdeutschen Bundesländern wurden auf der Landesebene in allen Ländern direktdemokratische Instrumente eingeführt.[6] - In Schleswig Holstein wurden 1990 direktdemokratische Rechte der Bürger neu in die Landesverfassung aufgenommen und auch die kommunale Ebene für eine direktdemokratische Partizipation der Bürgerinnen und Bürger geöffnet. - Sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland wurden nach 1990 auf der Kommunalebene die direktdemokratischen Instrumente des Bürgerbegehrens und des Bürgerentscheids eingeführt und zum Teil auch bereits rege genutzt.[7] - Im Zuge der Verfassungsreform nach der deutschen Einheit wurden in der Gemeinsamen Verfassungskommission Vorschläge für die Einführung direktdemokratischer Instrumente auf Bundesebene erarbeitet. Zwar erhielten die Anträge für die Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid einfache Mehrheiten in der Kommission, die für eine Änderung des Grundgesetzes erforderliche Zweidrittel-Mehrheit kam jedoch nicht zustande. Das Thema Direktdemokratie auf Bundesebene wurde dann nach dem Regierungswechsel 1998 in der Koalitionsvereinbarung der neuen rot-grünen Bundesregierung wieder aufgenommen und im März 2002 ein entsprechender Gesetzentwurf zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid auf der Bundesebene im Bundestag eingebracht, der allerdings nicht die erforderliche Zweidrittel-Mehrheit fand.[8] - Das öffentliche Meinungsklima zeigte in den neunziger Jahren eine deutlich positive Einstellung der bundesdeutschen Bevölkerung zur Frage einer Stärkung der direkten Beteiligung der Bürger an politischen Entscheidungen.[9]
Vor diesem für die Direktdemokratie sehr positiven, internationalen und nationalen Hintergrund soll im Folgenden der Frage nachgegangen werden, welche Erfahrungen außerhalb der Bundesrepublik mit der Direktdemokratie gemacht worden sind und welche Lehren aus diesen Erfahrungen gezogen werden können.