Europäisierung des Islam und Islamisierung der Debatten
"Religion" und "Islam" in neuer Konjunktur
Seit der Revolution in Iran 1979 stand der Islam wieder auf der politischen Agenda, und spätestens mit dem Ende des short century (1914 - 1991, Eric Hobsbawm) tauchten in den verschiedensten Regionen der Welt (auch der westlichen) religiös definierte, moderne politische Bewegungen auf: vom Erwachen des amerikanischen bible belt unter US-Präsident Ronald Reagan, also der protestantischen Religiösen Rechten in den USA, über die Islamische Heilsfront (FIS) in Algerien bis zur extremistischen Bewegung Comunione e Liberazione aus katholischen Reihen in Italien. Davon unabhängig war in Europa Mitte der 1980er Jahre die Zahl islamischer Gemeindegründungen und Moscheen sprunghaft angestiegen.[6] Genaugenommen waren damit die ersten Anhaltspunkte für dieetwaige gesellschaftliche Relevanz einer Neuen Islamischen Präsenz (NIP)[7] als Konsequenz der Erdölkrise sichtbar geworden: Die Regierungen der Einwanderungsländer hatten seit 1974 den weiteren Zustrom von Arbeitskräften gestoppt, erlaubten aber die Familienzusammenführung. Mit der Ankunft der Frauen und Kinder wurde der Plan zur Rückkehr endgültig zum Mythos. Erste Schritte von Institutionalisierungsprozessen waren damit eingeleitet.Mit dem ersten (medienträchtigen) französischen Kopftuchstreit und der über britische Grenzen weit hinaus transportierten Rushdie-Affäre - der öffentliche Protest von islamischen Gemeindevorstehern in Bradford gegen die Satanischen Verse, der mit einer Bücherverbrennung in Szene gesetzt wurde, und Khomeinis folgenreicher Ausspruch der so genannten "Todes-Fatwa" gegen den Schriftsteller Salman Rushdie - im selben Jahr begann auch der Wendepunkt der jungen Geschichte der Neuen Islamischen Präsenz in Europa im Jahre 1989.[8] Die Forschungsperspektiven änderten sich nahezu schlagartig. Publikationen aus den 1990er Jahren diagnostizieren im Rückblick auf die späten 1980er Jahre ein "Islamic Revival",[9] "Islamic Resurgence" oder eine "Re-Islamisierung".[10] Gleichzeitig scheint sich binnen der letzten ca. 25 Jahre eine renovierte Variante der Dichotomie von der "christlich geprägten", aufgeklärten, modernen, europäisch-westlichen Gesellschaft einerseits und der unaufgeklärten, vormodernen "islamischen Welt" andererseits verfestigt zu haben. Allen gegenläufigen empirischen Argumente zum Trotz, die Familienbiografien von gesellschaftlich wohl integrierten Muslimen in europäischen Ländern liefern, wird diese Dichotomie in der medialen Öffentlichkeit ausgerechnet in den Emigranten, die eine islamische Mehrheitsgesellschaft verlassen haben (oder gar in ihren hier geborenen Nachkommen), personalisiert und erlangt in Selbst- und Fremdzuschreibungen eine gesellschaftliche Wirkungsmacht.