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Radikale Parteien in Europa | Extremistische Parteien | bpb.de

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Radikale Parteien in Europa

Cas Mudde

/ 16 Minuten zu lesen

Die größte Herausforderung für die europäischen Liberaldemokratien bildet die radikale Rechte, insbesondere der radikale Rechtspopulismus. Das 21. Jahrhundert könnte zur Epoche des politischen Radikalismus werden.

Einleitung

Einen Überblick über radikale Parteien in Europa zu geben, ist aus verschiedenen Gründen problematisch. Zum einen steht die Forschung vor terminologischen Schwierigkeiten: Was ist unter "politischem Radikalismus" zu verstehen? Und in welcher Beziehung steht er zu "politischem Extremismus" einerseits und zur "(liberalen) Demokratie" andererseits? Erschwerend wirkt zum anderen der Mangel an umfassenden und vergleichbaren empirischen Daten: Während rechtsradikale Parteien - zumindest in einigen europäischen Ländern wie Frankreich und Deutschland - wissenschaftlich relativ gut erfasst sind, gilt dies längst nicht in demselben Maß für linksradikale Parteien.


Daher kann dieser Artikel nicht mehr leisten, als einen knappen Überblick über den Zustand und die Wahlerfolge radikaler Parteien in Europa zu liefern. Zusätzlich zu einem eigenständigen Ansatz bietet er eine kurze Darstellung und eine grobe Bestandsaufnahme der Stärken und Schwächen radikaler Parteien in Europa zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Es soll auf Kernideologien, Wahlergebnisse sowie die politische Bedeutung rechts- und linksradikaler Parteien insgesamt eingegangen werden, notwendigerweise unter Vernachlässigung parteispezifischer oder nationaler Besonderheiten.

Extremismus und Radikalismus

Seit 1973 unterscheidet das Bundesamt für Verfassungsschutz in der Bundesrepublik zwischen Extremismus und Radikalismus, und das spiegelt sich auch in der wissenschaftlichen Tradition der Extremismustheorie wider. Extremismus ist verfassungswidrig, will er doch die "freiheitlich-demokratische Grundordnung" komplett beseitigen, wohingegen Radikalismus "nur" verfassungsfeindlich ist, wenngleich auch er nach einseitigen, "an die Wurzeln gehenden Lösungen" sucht, aber die Verfassungsordnung nicht in toto zu beseitigen trachtet.

Trotz ihrer intuitiv hohen Aussagekraft sind diese Definitionen nicht unproblematisch, insbesondere in der vergleichenden Forschung. Zunächst einmal sind sie eng auf die "freiheitlich-demokratische Grundordnung" Deutschlands bezogen, weshalb sie sich nur schwer außerhalb dieses konstitutionellen Rahmens anwenden lassen. Des Weiteren ist die Unterscheidung zwischen Extremismus und Radikalismus alles andere als eindeutig und verursacht enorme Abgrenzungsschwierigkeiten in der empirischen Forschung. Wann wird eine "verfassungsfeindliche" Partei zu einer "verfassungswidrigen"? Zudem grenzt diese Definition Demokratie implizit auf Liberaldemokratie ein, welche zwar recht verbreitet, jedoch nur eine bestimmte Form von Demokratie ist. Die liberale oder konstitutionelle Demokratie ist eine spezifische Demokratieform und, wie sich argumentieren ließe, nicht unbedingt die demokratischste.

Ohne die Beantwortung dieser Fragen anzustreben, werde ich einen alternativen Ansatz vorstellen, der uns hoffentlich der Beantwortung ein Stück näher bringt. Wie Uwe Backes und andere definiere ich Extremismus als Antithese zur Demokratie, d.h. als Antidemokratie. Demokratie wird hier als minimal oder prozedural verstanden. In der bekannten Definition des österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter ist Demokratie "an institutional arrangement for arriving at political decisions which realizes the common good by making the people itself decide issues through the election of individuals who are to assemble in order to carry out its will". Kurz gesagt: Extremismus weist den Glauben an die Volkssouveränität zurück, die gewöhnlich durch ein Wahlsystem nach dem Prinzip "eine Person, eine Stimme" gekennzeichnet ist.

Anders als in der Schule der Extremismustheorie wird im vorliegenden Aufsatz Radikalismus als Gegensatz zu liberaler (oder konstitutioneller) Demokratie definiert. Von besonderer Bedeutung ist bei meiner Definition, dass Radikalismus die demokratischen Verfahrensregeln akzeptiert, Extremismus hingegen nicht. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Radikalismus sowohl die liberale Grundlage der Verfahrensdemokratie - insbesondere den positiven Wert des Pluralismus - als auch die rechtsstaatlichen Grenzen der Volkssouveränität anficht. Der Kern des Radikalismus ist Monismus, d.h. die Tendenz, gesellschaftliche Spaltung und Getrenntheit als rechtswidrig zu betrachten.

Ein gutes Beispiel für eine radikale Ideologie ist der Populismus, definiert als (dünne) Ideologie, welche die Gesellschaft letztlich in zwei homogene und antagonistische Gruppen teilt: "das reine Volk" und "die korrupte Elite". Laut dieser Ideologie sollte Politik ein Ausdruck des allgemeinen Volkswillens (volonté générale) sein. Bemerkenswert ist die aktuelle Kritik vieler Populisten an der liberalen Demokratie, die aus ihrer Sicht nicht demokratisch genug ist.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Extremismus und Radikalismus einige Merkmale gemeinsam haben, sich jedoch gleichzeitig grundlegend und eindeutig unterscheiden. Sowohl Extremismus als auch Radikalismus sind antiliberal (oder monistisch) und antikonstitutionell. In erster Linie ist Extremismus fundamental antidemokratisch, während dieses Merkmal auf Radikalismus nicht zutrifft. Folglich sind Extremisten nicht einfach nur "extreme" Varianten von Radikalen; vielmehr besteht ein qualitativer Unterschied, nämlich die Akzeptanz der Volkssouveränität als Richtlinie der Politik.

Links gegen Rechts

Die am weitesten verbreitete ideologische Unterscheidung in der Politikwissenschaft im Allgemeinen und in der Extremismusforschung im Besonderen besteht zwischen Links und Rechts. Die bekannteste Erklärung führt diese Unterscheidung auf das erste Parlament nach der Französischen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts zurück, wo die Anti-Revolutionäre (die Repräsentanten des ancien régime) auf der rechten und die Revolutionäre auf der linken Seite saßen. Teils aufgrund dieses (angeblichen) Erbes wird die politische Rechte oft als konservativ oder sogar reaktionär betrachtet, während die Linke per se als progressiv angesehen wird. Diese Unterscheidung ist in der vergleichenden Forschung indes so fragwürdig wie problematisch. Die Bedeutung dieser Begriffe hängt vom politischen System ab, auf das sie angewendet werden.

Vom beginnenden 19. Jahrhundert bis weit ins 20. Jahrhundert hinein basierte die Unterscheidung zwischen der politischen Rechten und der Linken auf religiösen Kriterien. In der Nachkriegszeit wurde die Unterscheidung zwischen Rechts und Links im Kern anhand eines sozioökonomischen Konzepts vorgenommen, d.h. hinsichtlich der Rolle des Staates in Bezug auf die Wirtschaft. In den vergangenen Jahrzehnten wurden etliche neue Vorschläge für die Links-Rechts-Skala gemacht, die von multikulturell im Vergleich zu nationalistisch und libertär gegenüber autoritär reichen. Obgleich diese neuen Einteilungen über immanente Erklärungskraft verfügen, tragen sie nicht unbedingt zu begrifflicher Klarheit bei.

Trotz dieser terminologischen Unklarheit werden die Begriffe "links" und "rechts" hier verwendet, um zwischen den beiden Haupttypen des politischen Radikalismus in Europa zu unterscheiden. In Anlehnung an Norberto Bobbio liegt dieser Hauptunterschied in der Betrachtungsweise von gesellschaftlicher (Un-)Gleichheit: Die Linke hält die entscheidenden Ungleichheiten zwischen Menschen für künstlich und negativ und fordert, diese durch einen aktiven Staat zu überwinden; die Rechte dagegen betrachtet die ausschlaggebenden Differenzen zwischen Menschen als natürlich und positiv und verlangt vom Staat ihre Verteidigung.

Obwohl "jede Charakterisierung bezüglich links und rechts immer eine rücksichtslose Verallgemeinerung darstellt", unabhängig von der Genauigkeit und Eindeutigkeit der Definition, trägt die Unterscheidung dieser beiden verbreiteten - wenngleich unvollkommenen - Typen meiner Meinung nach dazu bei, die Argumentation und Struktur dieses Aufsatzes zu verdeutlichen. Des Weiteren hält sich diese Konzeptualisierung eng an die gängige Interpretationsweise der beiden Begriffe sowohl innerhalb als auch außerhalb der Forschung.

Linksradikale Parteien in Europa

Nach dem Zweiten Weltkrieg ging die einzige bedeutsame ideologische Herausforderung der Demokratie in Westeuropa vom revolutionären Sozialismus aus, d.h. vom Kommunismus. Es existierten und existieren noch heute viele Varianten des Kommunismus - darunter der Trotzkismus und der (chinesische und albanische) Maoismus -, und alle haben einen marxistisch-leninistischen Kern, nach dem die Hauptunterschiede der Menschen im Klassenkampf begründet liegen. Die sozialistische Utopie, die durch Revolution sowie eine durch die "Diktatur des Proletariats" gekennzeichnete Übergangsphase verwirklicht werden soll, ist eine egalitäre (globale) Gesellschaft, in der soziale Klassen nicht mehr von Bedeutung sind.

Der Niedergang der real existierenden sozialistischen Regime in den Jahren 1989/91 führte zu einer (weiteren) tiefen Krise der kommunistischen Parteien Europas. Sie antworteten darauf auf vier verschiedene Arten: 1) mit dem Verzicht auf das Etikett "kommunistisch" und der vollständigen Entwicklung zum demokratischen Sozialismus; 2) durch die Transformation zu sozialdemokratischen Parteien (wie die Democratici di Sinistra/DS, Linksdemokraten in Italien oder die Magyar Szocialista Párt/MSzP, Ungarische Sozialistische Partei); 3) durch Beendigung ihrer unabhängigen Existenz und die Neugründung als Teil anderer Parteien (wie die Communistische Partij Nederland/CPN, Kommunistische Partei der Niederlande, die in der GroenLinks, Grüne Linke, aufging); und 4) durch ungebrochene Loyalität zum Kommunismus.

Trotz des Makels, der dem Begriff anhaftet, entschieden sich einige Parteien für die Beibehaltung der Bezeichnung "kommunistisch". Nur wenige der heutigen kommunistischen Parteien können als in der besonderen Gunst der Wähler stehend oder gar als politisch bedeutsam bezeichnet werden (siehe Tabelle 1 der PDF-Version). Die meisten spielen in ihren Ländern kaum eine Rolle. Doch die wenigen, die der Roten Fahne treu geblieben sind, konnten bislang der politischen Marginalisierung entgehen. Als bedeutendste offen kommunistische Parteien in Westeuropa sind die Kommounistikó Kómma Elládas (Kommunistische Partei Griechenlands, KKE), die Parti Communiste Français (Kommunistische Partei Frankreichs, PCF) und die Rifondazione Comunista (Partei der Kommunistischen Wiedergründung, RC, in Italien) zu nennen, die mit jeweils fünf bis sechs Prozent der Wählerstimmen in den Parlamenten vertreten sind. Nichtsdestoweniger sind die revolutionären Überzeugungen dieser Parteien nur schwach ausgeprägt. Ihr Bekenntnis zum Kommunismus dient meist als kosmetisches und rhetorisches Mittel. Ihr Verhalten gleicht insofern dem sozialdemokratischer Parteien, als sie die parlamentarische Demokratie akzeptieren; dabei streben sie jedoch (zumindest in der Theorie) die Schaffung eines sozialistischen Regimes an.

In Osteuropa ist die Lage anders. Während die meisten kommunistischen Nachfolgeparteien auch hier ihre Vergangenheit hinter sich gelassen haben und die uneinsichtigen größtenteils in Vergessenheit geraten sind, ist es einigen offen kommunistischen Parteien dennoch gelungen, einen erheblichen Teil der Wählerschaft zu halten. Diese finden sich überwiegend in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, besonders in Russland und der Ukraine, wobei es diesen Parteien allerdings nicht gelungen ist, den Rückhalt der Wähler in politische Macht umzusetzen. Nicht so in Moldawien: Hier ist die Partidul Comuni?tilor din Republica Moldova (Kommunistische Partei der Republik Moldawien, PCRM) stärkste Kraft im Land und stellt seit 2001 allein die Regierung. Doch trotz ihres Namens und ihrer Symbole hat die Partei in ihrer Regierungsarbeit Pragmatismus bewiesen und kann allenfalls als radikal, jedoch keineswegs als extremistisch eingestuft werden.

Innerhalb der EU-Mitgliedstaaten waren (und sind) nur drei linksradikale Parteien in der Lage, einen bedeutenden Anteil der Wählerstimmen für sich zu gewinnen und politischen Einfluss auszuüben. Da ist zunächst die Anorthotikó Kómma Ergazómenou Laoú (Fortschrittspartei des werktätigen Volkes, AKEL) in Zypern, die bei den letzten Wahlen über 30 Prozent der Stimmen für sich gewinnen konnte und bereits zwei Mal den Präsidenten gestellt hat. Allerdings gehen Wahlerfolg und politische Bedeutung Hand in Hand mit ideologischer Mäßigung, unabhängig von anderslautenden Behauptungen der Partei selbst. Bei der zweiten Partei, die sich ohne massive Stimmeinbußen von einer linksextremen zu einer linksradikalen gewandelt hat, handelt es sich um die tschechische Komunistická Strana Cech a Moravy (Kommunistische Partei Böhmens und Mährens, KSCM), die trotz schwindenden Erfolgs an den Wahlurnen noch immer die drittgrößte Partei der Tschechischen Republik ist. Die verstärkte Polarisierung der beiden wichtigsten politischen Blöcke in Tschechien, Reformen (sowohl in Bezug auf ideologische Fragen als auch auf politische Persönlichkeiten) innerhalb der KSCM sowie die zunehmende Offenheit der Sozialdemokraten haben indes die Chancen der Partei, aus ihrem politischen Ghetto auszubrechen, deutlich erhöht.

Das dritte und letzte Beispiel bildet die Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) in Deutschland, seit 2006 unter dem Namen "Die Linke". In den 1990er Jahren schien es so, als würde die PDS zum Prototyp eines neuen linksradikalen Phänomens, einer linkspopulistischen Partei, die (sanften) Sozialismus mit Populismus kombiniert. Da diese Parteien nicht länger den Anspruch geltend machten, die Verteidiger des Proletariats zu sein, waren sie zur Stimme des Volkes geworden. Statt purer sozialistischer Ideologie wurde populistische Kritik zur Waffe von Parteien wie der niederländischen Socialistische Partij (Sozialistische Partei, SP) und der PDS, was Wahlparolen der 1990er wie Stem tegen! (Stimme dagegen!) oder Wahltag ist Protesttag! verdeutlichen.

Trotz wachsenden Unmuts gegenüber der gemäßigten Linken und dem fast vollständigen Verschwinden der Linksextremen wird linkspopulistische Politik in Zukunft keinen starken Einfluss auf das europäische Parteiensystem ausüben. Die niederländische SP hat sich des Großteils ihres Populismus entledigt, um koalitionsfähig zu werden, wohingegen die Scottish Socialist Party (Schottische Sozialistische Partei) nach mehreren Skandalen um Parteivorsitzende implodiert ist. Dies steht in scharfem Kontrast zur Situation in Lateinamerika, wo Linkspopulismus in Ländern wie Bolivien oder Venezuela die Parteipolitik dominiert.

Zur Zeit ist "Die Linke", die transformierte PDS, eine der wenigen noch verbliebenen und erfolgreichen linkspopulistischen Parteien; ihr wachsender Erfolg wird zweifellos andere inspirieren. Eine andere, ziemlich eigenwillige linkspopulistische Partei ist die slowakische Smer (Richtung), die Hauptkraft in der derzeitigen slowakischen Regierung des Premiers und Smer-Vorsitzenden Robert Fico. Die Tatsache, dass Smer Mitglied der Party of European Socialists (Partei Europäischer Sozialisten, PES) ist und nicht etwa (wie Die Linke) der Confederal Group of the European United Left/Nordic Green Left (Vereinte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke, GUE/NGL), belegt sowohl die unterschiedlichen Entstehungshintergründe der Parteien als auch das Fehlen einer Selbstdefinition und internationaler Zusammenarbeit linkspopulistischer Parteien.

Rechtsradikale Parteien in Europa

Im heutigen Europa gibt es keine rechtsextremen Parteien, die Erfolge bei Wahlen verbuchen können. Die beiden wichtigsten rechtsextremen Parteien sind die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) und die italienische Movimento Sociale-Fiamma Tricolore (Sozialbewegung-Dreifarbige Flamme, MS-FT). Aber auch deren Wahlergebnisse sind nur in einzelnen Regionen der jeweiligen Länder nennenswert. Zudem sind diese Parteien zwar eindeutig antiegalitär, ihr antidemokratischer Charakter äußert sich jedoch zumeist nur implizit (oder kann sogar grundsätzlich angezweifelt werden).

Während die extreme Rechte in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts die stärkste Bedrohung für die westeuropäische Demokratie darstellte, geht die größte Herausforderung für liberale Demokratien in Europa heute vor allem von der radikalen Rechten aus. Die Literatur unterscheidet innerhalb dieser groben Kategorien wiederum verschiedene Untergruppen und -typen, die allerdings nicht immer auf eindeutigen Definitionen basieren. Im Folgenden soll näher auf die beiden zu Anfang des 21. Jahrhunderts am weitesten verbreiteten Untertypen eingegangen werden: neoliberalen Populismus und radikalen Rechtspopulismus.

Die neoliberalen Populisten waren die erste ernstzunehmende rechtsradikale Herausforderung für das Westeuropa der Nachkriegszeit. Ihre Kampfansage begann mit der dänischen Fremskridtspartiet (Fortschrittspartei, FP), die bei den "Erdrutschwahlen" 1973 die erschreckende Anzahl von 28 Sitzen im dänischen Parlament, dem Folketing, erhielt. Obwohl ihr Erfolg nicht lange währte, folgte ihr bald ihre norwegische Namensschwester, die Fremskrittspartiet (FrP), die sich als beständiger erwiesen hat. Die Grundlage ihrer Ideologie war eine Kombination aus Neoliberalismus, d.h. einem grundlegenden Glauben an den kapitalistischen (Welt-) Markt, und Populismus, dem Kampf "des einfachen Volkes" gegen "die korrupte Elite".

Doch erst in den 1990er Jahren wurden neoliberale Populisten zu wirklich einflussreichen Akteuren in der europäischen Politik. Die beiden bekanntesten Repräsentanten dieser Spielart des Rechtsradikalismus sind die Forza Italia (Aufschwung Italien, FI) und die Lijst Pim Fortuyn (Liste Pim Fortuyn, LPF). Obgleich Silvio Berlusconi und Pim Fortuyn zeitweise fremdenfeindliche (insbesondere islamfeindliche) Äußerungen von sich gaben, ist die Kernideologie ihrer Parteien nicht nationalistisch, sondern neoliberalistisch. Zusätzlich gerierten sie sich selbst während ihrer Regierungszeit äußerst populistisch und wandten sich vor allem gegen "die roten Roben" (Berlusconi) oder "die linke Kirche" (Fortuyn). Bisher ist Rechtspopulismus vor allem ein westeuropäisches Phänomen, wobei sich einzelne Vertreter auch im Osten des Kontinents finden.

Die andere wichtige Untergruppe des Rechtsradikalismus im heutigen Europa bilden radikale Rechtspopulisten. Diese Ideologie ist eine Kombination aus Nativismus (eine Mischung aus Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit), Autoritarismus (im Sinne Adornos) und Populismus. Ihre wichtigsten Vertreter auf der politischen Bühne sind Parteien, die in der Literatur üblicherweise als rechtsextrem bezeichnet werden. Da sie die Verfahrensdemokratie jedoch zweifellos akzeptiert haben, werden diese Parteien im vorliegenden Aufsatz als Teil der Rechtsradikalen eingestuft.

Obwohl radikale, rechtspopulistische Parteien nur in wenigen europäischen Staaten nennenswerte Wahlerfolge verbuchen können (siehe Tabelle 2 der PDF-Version), erleben sie derzeit ihre einflussreichste Phase seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. In einigen Ländern (Österreich, Kroatien, Italien, Polen, Rumänien, Serbien, Slowakei und Schweiz) haben es radikal-rechtspopulistische Parteien bis in die nationalen Regierungen geschafft, unterstützen eine Minderheitsregierung (Dänemark) oder gehören zu den Hauptoppositionsparteien (Belgien, Bulgarien, Frankreich). Allerdings liegt das höchste Wahlergebnis von sieben der 13 bedeutendsten, in Tabelle 2 (siehe PDF-Version) aufgeführten Parteien eine (ganze) Weile zurück; drei Parteien haben in jüngster Zeit gänzlich an Bedeutung verloren (FN, HSP, LPR).

Doch selbst in Ländern wie Großbritannien oder Lettland, in denen die Wahlergebnisse eher niedrig ausfallen, wird ihre Wirkung auf die politische Tagesordnung als (überproportional) hoch bewertet. Im gesamten Europa haben es Wahlkampfthemen der radikalen Rechtspopulisten (Kriminalität, Korruption und Immigration/Integration) ganz nach oben auf die politische Agenda geschafft. Und offenbar haben sich einige Parteien der politischen Mitte so weit in Richtung der radikalen Rechtspopulisten bewegt, dass sich ihre Wahlkampagnen nur noch mit Mühe von denen ihrer Herausforderer unterscheiden lassen - Beispiele dafür sind die niederländische Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (Volkspartei für Freiheit und Demokratie, VVD), die bayerische Christlich Soziale Union (CSU) oder die ungarische Fidesz-Magyar Polgári Szövetség (Fidesz-Ungarischer Bürgerbund).

Andererseits lassen sich unmittelbare Auswirkungen der Rechtsradikalen auf das Vorgehen anderer Parteien nicht einfach isolieren. Was direkte Einflussnahme betrifft, so haben regierungsbildende rechtsradikale Parteien die Gesetzgebung hauptsächlich im Bereich Integration/Immigration und öffentliche Ordnung beeinflusst. Ähnliche Beobachtungen indirekter Auswirkungen in diesen Bereichen wurden in Ländern mit starken rechtsradikalen Parteien gemacht. Gleichwohl muss festgehalten werden, dass diese beiden Themenfelder in nahezu allen europäischen Ländern zugespitzt diskutiert werden - ungeachtet der politischen oder Wahlkampfposition der jeweiligen radikal-rechtspopulistischen Partei.

Der Unterschied zwischen den rechtsradikalen und den Mitte-(Rechts-)Parteien scheint somit eher in der Abstufung als in der politischen Substanz zu liegen. In der bekannten Terminologie Erwin Scheuchs und Hans-Dieter Klingemanns ist der radikale Rechtspopulismus nicht eine normale Pathologie, sondern vielmehr eine pathologische Normalität, d.h. eine Radikalisierung der politischen Hauptströmung.

Fazit

Dieser Artikel hat eine weitgehend neuartige Typologie radikaler Parteien vorgestellt und dabei zwischen politischem Extremismus und politischem Radikalismus (d.h. dem Gegensatz zur Demokratie bzw. zur Liberaldemokratie) einerseits sowie zwischen Links und Rechts (d.h. der Verteidigung von Gleichberechtigung bzw. von Ungleichheit) andererseits unterschieden. In diesem zwangsläufig knappen und oberflächlichen Überblick wurden die derzeit wichtigsten links- und rechtsradikalen Parteien in Europa vorgestellt und erläutert.

Abschließend möchte ich einige allgemeine Betrachtungen anfügen. Obgleich im 21. Jahrhundert nahezu jeder von sich behauptet, ein Demokrat zu sein, haben wir das von Francis Fukuyama ausgerufene "Ende der Geschichte" nicht erreicht. Während die prozedurale Demokratie von allen politischen Akteuren - abgesehen von einigen wenigen Randerscheinungen - akzeptiert wird, scheint die liberale Demokratie zunehmend zur Disposition gestellt zu werden.

Wir leben in einem "populistischen Zeitgeist", in dem Radikale der Linken und Rechten den Pluralismus und Konstitutionalismus heutiger Liberaldemokratien ernsthaft bedrohen. Es muss darauf hingewiesen werden, dass zahlreiche Parteien der Mitte - darunter auch Regierungsparteien - sich dafür entschieden haben, gemäßigte Formen der populistischen Rhetorik und entsprechende Lösungskonzepte zu übernehmen. Wie das Ende des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland das Ende der Rechtsextremen bedeutete, so führte der Fall der Berliner Mauer zunächst zum Untergang der Linksextremen. Bisher ist dies nicht von einem Aufschwung der Linksradikalen begleitet worden, die weiterhin als allenfalls schwach einzustufen sind. Andererseits brauchten auch die Rechtsradikalen etwa vierzig Jahre, um sich von den Verlusten der Rechtsextremen zu erholen.

Die größte Herausforderung für die europäischen Liberaldemokratien bildet heute die radikale Rechte, insbesondere der radikale Rechtspopulismus. Gleichzeitig sind Wahlerfolge und politischer Einfluss einzelner radikal rechtspopulistischer Parteien in Europa je nach Land sehr unterschiedlich. In der Stärke radikaler Parteien in Ost- und Westeuropa besteht kein wesentlicher Unterschied. Keine dieser Regionen ist eine Brutstätte des politischen Radikalismus. Es bleibt festzuhalten, dass die Linksradikalen, relativ betrachtet, im Osten und die Rechtsradikalen im Westen stärker sind.

In Westeuropa kennt das Lager der Rechtsradikalen einen zweiten Typus, den neoliberalen Populismus. Statt innerhalb eines Parteiensystems zu kooperieren oder zu wetteifern, scheinen sich neoliberale Populisten und radikale Rechtspopulisten funktional zu entsprechen, vergleichbar mit christdemokratischen und konservativen Parteien. Während das 20. Jahrhundert eine Ära des politischen Extremismus darstellte, könnte das 21. Jahrhundert zur Epoche des politischen Radikalismus werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Übersetzung aus dem Englischen: Jaiken Struck, South Petherton, England/UK.

    Dieser Artikel ist die überarbeitete, gekürzte und aktualisierte Fassung von Cas Mudde, Politischer Extremismus und Radikalismus in Westeuropa - Typologie und Bestandsaufnahme, in: Uwe Backes/Eckhard Jesse (Hrsg.), Gefährdungen der Freiheit: Extremistische Ideologien im Vergleich, Göttingen 2006, S. 87 - 104.

  2. Vgl. auch Sarah De Lange/Cas Mudde, Political Extremism in Europe, in: European Political Science, (2005) 4, S. 476 - 488.

  3. Vgl. Uwe Backes, Politischer Extremismus in demokratischen Verfassungsstaaten. Elemente einer normativen Rahmentheorie, Opladen 1989.

  4. Eine demokratische Kritik an der liberalen Demokratie findet sich bei Margaret Canovan, Trust the People! Populism and the Two Faces of Democracy, in: Political Studies, (1999) 1, S. 2 - 16.

  5. Joseph A. Schumpeter, Capitalism, Socialism and Democracy, New York 1947, S. 250.

  6. Vgl. Cas Mudde, The Populist Zeitgeist, in: Government & Opposition, (2004) 3, S. 543.

  7. Zum Begriff der "Rechten" siehe Roger Eatwell/Noel O'Sullivan (Hrsg.), The Nature of the Right: European and American Political Thought since 1789, London 1989; vgl. auch Piero Ignazi, Extreme Right Parties in Western Europe, Oxford 2003, Kapitel 1. Zur "Linken" siehe Joseph M. Schwartz, Left, in: Joel Krieger (Hrsg.), The Oxford Companion to Politics of the World, Oxford 1993, S. 531f.

  8. Hierbei handelt es sich eher um eine persönliche Interpretation als um ein wortgetreues Zitat aus Bobbios Argumentation. Siehe z.B. Norberto Bobbio, Rechts und Links. Zum Sinn einer politischen Unterscheidung, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, (1994) 5, S. 543 - 549.

  9. Paul Spicker, A Third Way, in: The European Legacy, (2000) 5, S. 230.

  10. Eine detailliertere Beschreibung linksradikaler Parteien der Nachkriegszeit mit Schwerpunkt auf der Zeit nach 1989 findet sich in Luke March/Cas Mudde, What's Left of the Radical Left? The European Radical Left since 1989: Decline and Mutation, in: Comparative European Politics, (2005) 3, S. 23 - 49.

  11. Siehe auch Patrick Moreau/Stéphane Courtois/Gerhard Hirscher, Einleitung, in: Patrick Moreau et al. (Hrsg.), Der Kommunismus in Westeuropa. Niedergang oder Mutation?, Landsberg 1998, S. 15 - 21.

  12. Siehe z.B. András Bozóki/John T. Ishiyama (Hrsg.), The Communist Successor Parties of Central and Eastern Europe, Armonk, NY 2002.

  13. Ausführlicher beschrieben in Luke March, From Vanguard of the Proletariat to Vox Populi: Left-Populism as a "Shadow" of Contemporary Socialism, in: SAIS Review, (2007) 1, S. 63 - 77; siehe auch L. March/C. Mudde (Anm. 10).

  14. Siehe z.B. Mitchell A. Seligson, The Rise of Populism and the Left in Latin America, in: Journal of Democracy, (2007) 3, S. 81 - 95.

  15. Vgl. vor allem Cas Mudde, Populist Radical Right Parties in Europe, Cambridge 2007; Hans-Georg Betz, Radical Right-Wing Populism in Western Europe, Basingstoke 1994.

  16. Dieser Kategorie wäre evtl. auch die sog. Schill-Partei zuzurechnen. Siehe z.B. Frank Decker, Parteien unter Druck. Der neue Rechtspopulismus in den westlichen Demokratien, Opladen 2000.

  17. Die spärliche Literatur zum Populismus in Osteuropa bezieht sich auf rechte Parteien wie die bulgarische Nacionalno dvizenie Simeon II (Nationalbewegung Simeon II) des ehemaligen Königs oder die slowakische Aliancia Nového Obcana (Allianz des Neuen Bürgers, ANO), die als Beispiele für "sanften" oder "gemäßigten" Populismus dienen. Siehe Peter Ucen, Parties, Populism, and Anti-Establishment Politics in East Central Europe, SAIS Review, (2008) 1, S. 49 - 62; Grigorij Meseznikov/Ol'ga Gyárfásová/Daniel Smilov (Hrsg.), Populist Politics and Liberal Democracy in Central and Eastern Europe, Bratislava 2008.

  18. Vgl. C. Mudde (Anm. 15).

  19. Eine knappe Auswahl aus der wachsenden Literatur zu diesem Thema berücksichtigt Paul Hainsworth, The Extreme Right in Western Europe, London 2008; P.Ignazi (Anm.7).

  20. Siehe z.B. Martin Schain/Aristide Zolberg/Patrick Hossay (Hrsg.), Shadows over Europe: The Development and Impact of the Extreme Right in Western Europe, New York 2002; C. Mudde (Anm. 15), Kapitel 12.

  21. Vgl. Erwin Scheuch/Hans-Dieter Klingemann, Theorie des Rechtsradikalismus in westlichen Industriegesellschaften, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, (1967) 12, S. 11 - 29; Cas Mudde, The Populist Radical Right: APathological Normalcy, in: West European Politics (i.E.).

  22. Francis Fukuyama, The End of History and the Last Man, New York 1992.

  23. Vgl. C. Mudde (Anm. 6).

M.A., Ph.D., geb. 1967; Associate Professor in Political Science, Department Politieke Wetenschappen, Stadscampus, S.M. 281, Sint Jacobstraat 2, 2000 Antwerpen/Belgien.
E-Mail: E-Mail Link: cas.mudde@ua.ac.be