Die DDR im Blick der Stasi 1989
Rezeption der ZAIG-Berichte
Im Jahr 1989 fertigte die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) im MfS 239 Inlandsberichte ("Informationen") für die Staats- und Parteiführung der DDR an.[5] Ab Mitte November 1989 erfolgte dies unter der neuen Bezeichnung "Amt für nationale Sicherheit", vier Wochen später unter dem Label "Verfassungsschutz der DDR". Darüber hinaus wurden bis zum 24. November 1989 zu unterschiedlichen Anlässen 21 Berichte über die Stimmungslage in der Bevölkerung verfasst, die vor allem zum internen Gebrauch für die oberste MfS-Führungsriege - den Minister, seine Stellvertreter sowie einzelne Hauptabteilungsleiter - bestimmt waren. Angesichts der sich zuspitzenden Lage im Laufe des Jahres 1989 wurden diese Stimmungsberichte in einigen Fällen auch dem jeweiligen SED-Chef zur Kenntnis gegeben.Erich Honecker erhielt 1989 bis zu seiner Entmachtung im Oktober 50 Inlandsberichte der ZAIG zur Kenntnis. Von den Stimmungsberichten wurde ihm lediglich einer über die "Reaktion der Bevölkerung" auf das "Neue Forum" vom 13. Oktober 1989 vorgelegt.[6] Durch handschriftliche Vermerke auf den Berichten lässt sich feststellen, dass Honecker die ihm zugänglich gemachten "Informationen" zur Kenntnis genommen hat. Die meisten der von der ZAIG im Jahr 1989 verfassten "Informationen" (94) wurden an Egon Krenz - zunächst in seiner Funktion als ZK-Sekretär (u.a. für Sicherheitsfragen), dann als Generalsekretär der SED - weitergeleitet. Im Gegensatz zu Honecker bekam Krenz in seiner kurzen Amtzeit als erster Mann im Staate alle von der ZAIG verfassten Berichte zu Gesicht. Gleiches gilt später für den DDR-Ministerpräsidenten Hans Modrow.
Ein Abgleich mit den Protokollen der Politbürositzungen des Jahres 1989 lässt nur einen einzigen unmittelbaren Bezug zur Stasi-Berichterstattung erkennen:[7] So wurden Informationen über geplante Aktivitäten von Oppositionellen zur Kommunalwahl am 7. Mai 1989 im höchsten Parteigremium besprochen.[8] In zahlreichen weiteren Fällen lässt sich jedoch immerhin ein indirekter Zusammenhang rekonstruieren: So wurden in der Stasi-Berichterstattung Themen, die im Politbüro bereits behandelt worden waren, im Nachhinein ausführlich bearbeitet sowie die Reaktion der Bevölkerung auf Politbürobeschlüsse bzw. deren Auswirkungen erörtert und analysiert. Wie kaum anders zu erwarten, lagen im Jahr 1989 die Schwerpunkte auf den Themen Opposition, Kirche, Ausreise sowie ab Oktober auf den politischen Umwälzungen. Hinzu kam die direkte Unterrichtung Honeckers durch Mielke in Vieraugengesprächen. Solche Gespräche haben später auch zwischen Krenz bzw. Modrow und dem neuen Chef des nun so genannten "Amtes für nationale Sicherheit", Wolfgang Schwanitz, stattgefunden.