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War 2008 das neue 1931? | Krise der Weltwirtschaft | bpb.de

Krise der Weltwirtschaft Editorial Anmerkungen zur Zukunft des Kapitalismus - Essay Anatomie der Weltwirtschaftskrise: Ursachen und Schuldige Plädoyer für einen regulierten Kapitalismus Rückkehr des Keynesianismus: Anmerkungen aus ordnungspolitischer Sicht War 2008 das neue 1931? "Islamic Finance" und die Finanzmarktkrise

War 2008 das neue 1931?

Albrecht Ritschl

/ 15 Minuten zu lesen

Zwar gibt es Ansatzpunkte für einen Vergleich der heutigen Situation mit der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre. Aber im Detail zeigt sich, das die Unterschiede überwiegen.

Einleitung

Die gegenwärtige Finanzkrise ruft uns in die Geschichte zurück. Sie weckt traumatische Erinnerungen an die Krise der 1930er Jahre, in deren Folge die Weimarer Republik unterging. Sie gibt zur Sorge Anlass, ob ein Konjunktureinbruch die Fundamente unserer Sozialsysteme in ähnlicher Weise bedrohen kann wie damals. Und sie wirft die Frage auf, was man aus einem Vergleich beider Krisen lernen kann.



Die gegenwärtige Krise ist keineswegs die erste schwere Verwerfung des Finanzsystems seit den 1930er Jahren. 1972 wurde die Weltwirtschaft vom Auseinanderbrechen des Währungssystems von Bretton Woods getroffen; im Folgejahr kam der erste Ölpreisschock. Der zweite Ölpreisschock von 1979 traf zusammen mit einer Hochzinspolitik der Zentralbanken. Auf eine Sparkassenkrise in den USA folgte 1987 ein scharfer Rückschlag an den internationalen Börsen. Auch die europäische Währungskrise von 1993, die Asienkrise von 1997 und der Zusammenbruch der "Dotcom-Spekulation" im Jahr 2000 sind ernsthafte Finanzkrisen gewesen.

Allerdings hat keine dieser Krisen auch nur entfernt die Zerstörungskraft der Weltwirtschaftskrise erreicht: Während etwa in den USA und Deutschland zwischen 1929 und 1933 die Wirtschaftsleistung um gut ein Viertel sank, führten die Rezessionen der vergangenen Jahrzehnte selten zu einem Rückschlag um mehr als zwei Prozent. Diese stark gedämpften Konjunkturschwankungen haben Volkswirte dazu veranlasst, von einer Entkoppelung zwischen Finanzkrisen und allgemeiner Konjunktur zu sprechen. Dabei hat es in keiner dieser Krisen an warnenden Vergleichen mit den 1930er Jahren gefehlt. Die Ölschocks der 1970er Jahre und die pessimistischen Wachstumsprognosen des Club of Rome prägten das politische Denken einer ganzen Generation. Nach dem Einbruch der Börsenkurse im Jahr 1987 waren Vergleiche mit 1929 wohlfeil. Auch das Platzen der "Dotcom-Blase" im Jahr 2000 hat zu ähnlichen Überlegungen Anlass gegeben. Allerdings erwiesen sich in keiner dieser Krisen die Kassandrarufe als gerechtfertigt. Nur 2008 bildet die Ausnahme.

Seit der zweiten Jahreshälfte 2008 befinden sich die Konjunkturindikatoren aller führenden Wirtschaftsnationen im freien Fall. In den USA und Großbritannien lag die Industrieproduktion im Februar 2009 um mehr als zehn Prozent unterhalb der Werte des Vorjahresmonats. In Deutschland liegt der Rückgang bei 25 Prozent, in Japan nahe an 40 Prozent. Für Deutschlands Gesamtwirtschaft ist im laufenden Jahr ein Rückgang von gut fünf Prozent veranschlagt; kaum besser sind die Voraussagen für die USA und Großbritannien. Japan muss mit einem Einbruch von bis zu acht Prozent rechnen. Die Aktienkurse sind um die Hälfte gefallen, während sich die Arbeitslosigkeit um die Hälfte erhöht hat und weiter rasch steigt. Das sind Zahlen, wie man sie in Friedenszeiten seit den 1930er Jahren nicht mehr gesehen hat; der Vergleich mit der Weltwirtschaftskrise nach 1929 drängt sich auf. Aber ist ein solcher Vergleich sinnvoll?

Zunächst muss man sich von der Vorstellung befreien, für die Weltwirtschaftskrise der Zwischenkriegszeit gebe es eine einzige, monokausale Erklärung. Mehrere Krisenerscheinungen traten gleichzeitig auf und überlagerten einander. Für jede einzelne lassen sich abweichende Verlaufsmuster erkennen, ergeben sich aber auch unterschiedliche Einschätzungen. Vor einem Vergleich mit der heutigen Krise muss also zuerst bestimmt werden, wovon jeweils die Rede sein soll. Nachfolgend werden wesentliche Ursachen der Weltwirtschaftskrise der Reihe nach beleuchtet. Anschließend werden sie in Bezug zur gegenwärtigen Krise gestellt. Rasch wird sich herausstellen, dass im Detail die Unterschiede überwiegen und sich ein vorschneller Vergleich nicht empfiehlt. Allerdings bleibt die eine Gemeinsamkeit, dass die jetzige Krise in ihrer Schärfe die meisten Fachleute - auch den hier schreibenden Verfasser - ebenso überrascht hat, wie das bei der Weltwirtschaftskrise der Fall gewesen sein muss.

Ursachen der Weltwirtschaftskrise

Eine Denkmöglichkeit ist, den Beginn der Weltwirtschaftskrise mit dem internationalen Verfall der Agrar- und Rohstoffpreise in der Mitte der 1920er Jahre anzusetzen. Verursacht durch die Ausdehnung der Agrarflächen und der Rohstoffförderung außerhalb Europas während des Ersten Weltkrieges, drängte in den ersten Friedensjahren ein stark vergrößertes Produktionsvolumen auf die Weltmärkte, dem keine entsprechende Nachfrage gegenüberstand. Im Ergebnis befanden sich die agrar- und rohstofforientierten Volkswirtschaften der weltwirtschaftlichen Peripherie, aber auch die entsprechenden Sektoren der entwickelten Volkswirtschaften Europas und Nordamerikas, bereits zum Jahresbeginn 1928 in einer Rezession. Zu einer nachhaltigen Erholung dieser Märkte ist es bis Mitte der 1930er Jahre nicht gekommen. Angesichts der damals bedeutenden wirtschaftlichen und politischen Rolle der Landwirtschaft - in Deutschland arbeiteten noch gut 30 Prozent, in den USA 20 Prozent aller Erwerbstätigen in diesem Bereich - kann also die Weltwirtschaftskrise zu einem Gutteil als langanhaltende weltweite Depression des primären Sektors beschrieben werden.

Ein zweiter Zugang zur Weltwirtschaftskrise führt über die kriegsbedingten Umwälzungen der industriellen Arbeitsverhältnisse. In weiten Teilen Europas brachte das Ende des Ersten Weltkrieges die gesetzliche Anerkennung der Gewerkschaftsbewegung und mit ihr des Achtstundentages sowie der kollektiven Lohnverhandlungen. Die stark gestiegene, nun gesetzlich geschützte Verhandlungsmacht der Gewerkschaften traf auf eine umfassend kartellierte, monopolisierte Industriestruktur; die gewerkschaftlich organisierte Arbeiterschaft konnte sich nun einen Anteil an den Monopolgewinnen sichern. Im Ergebnis verschoben sich die Verteilungsrelationen zwischen Kapital und Arbeit bei geringen Unternehmensgewinnen und Investitionen sowie einer schon vor 1929 hohen strukturellen Arbeitslosigkeit unter der Industriearbeiterschaft.

Für Deutschland ist diese prekäre Situation prominent als "Krise vor der Krise" bezeichnet worden und hat eine umfangreiche Debatte hervorgebracht. In der Folge dieser Umwälzungen der Arbeitsmarktverfassung blieb die wirtschaftliche Rekonstruktion nach dem Ersten Weltkrieg vor 1929 unvollendet. Länder wie Frankreich, wo diese Umwälzungen ausgeblieben waren, oder die USA, wo sie durch höchstrichterliche Urteile rasch wieder rückgängig gemacht wurden, haben sich vom Ersten Weltkrieg wirtschaftlich zwar besser erholt als etwa Deutschland oder Großbritannien, wo eine Depression vor der Depression das Bild bestimmte. Aber sowohl Frankreich als auch die USA holten in den 1930er Jahren diese Reformen nach, was als Grund dafür gilt, dass die wirtschaftliche Gesundung beider Länder nach 1933 unvollständig blieb. In beiden Ländern warfen die Reformen ihre Schatten voraus, in den USA sogar bis zum Sommer 1929. Man wird daher die geplante Einführung kollektiver Lohnverhandlungen zu einem Teil für den schweren Kriseneinbruch in den USA mitverantwortlich machen müssen.

Dem Laien vertrauter ist die Erklärung der Weltwirtschaftskrise als Folge der Aktienspekulation an der New Yorker Börse. Der doppelte Börsenkrach am Black Thursday des 24. Oktober und dem Black Tuesday des 29. Oktober 1929 (einen Schwarzen Freitag gab es 1929 entgegen landläufiger Meinung nicht) brachte das Ende einer achtjährigen Aktienhausse, in deren Verlauf sich der Dow-Jones-Index mehr als verfünffacht hatte. Dieser Boom ist zu allen Zeiten als Musterbeispiel spekulativer Übertreibung gebrandmarkt worden, und sein Ende hat ebenso selbstverständlich als Universalerklärung für die nachfolgende Weltkrise herhalten müssen.

Tatsächlich liegen die Verhältnisse etwas schwieriger. Denn bis kurz vor der Schlussphase des Aktienbooms stiegen Unternehmensgewinne und Dividenden, aber auch der Auftragseingang im US-Maschinenbau im Gleichklang mit den New Yorker Aktienkursen. Es gilt heute als ausgemacht, dass man allenfalls für das letzte Jahr des Booms von einer Spekulationsblase sprechen kann. Die psychologischen Wirkungen des Börsenkrachs von 1929 können vermutlich kaum überschätzt werden; die genauen Wirkungsmechanismen bleiben aber undeutlich. Zu dieser Unsicherheit trägt die Erfahrung mit den nur geringen konjunkturellen Rückwirkungen späterer, vergleichbar schwerer Kurseinbrüche bei. Vor allem aber hatte der Rückschlag am New Yorker Aktienmarkt zunächst keine wesentlichen Auswirkungen auf die europäischen Börsen. Erst in der zweiten Jahreshälfte 1930 wurden die internationalen Börsen in den amerikanischen Abwärtstrend hineingezogen. An seinem Tiefststand im Frühjahr 1932 hatte etwa der Berliner Aktienmarkt knapp zwei Drittel seines Kursstandes vom September 1929 eingebüßt; in den USA betrug der Kursverlust mehr als 85 Prozent.

Währungspolitik und Banken

Prominent und unter Fachleuten bis heute einflussreich ist die monetäre Interpretation der Weltwirtschaftskrise. Nach den Hyperinflationen in Deutschland und Mitteleuropa war der Goldstandard als ein System fester Wechselkurse zum US-Dollar mit einem Goldkern wiedererrichtet worden. Mit dem Beitritt Großbritanniens 1925 und Frankreichs 1928 war der Neubau dieses Systems abgeschlossen. Neu gegenüber der Vorkriegszeit war vor allem, dass die USA die Rolle Großbritanniens als größter Kapitalexporteur einnahmen und der US-Dollar rasch zur Leitwährung des Systems wurde. Damit fiel aber auch der US-Geldpolitik, damals vertreten durch die Federal Reserve Bank of New York, die Rolle der internationalen Koordination zu. Man hat der "Fed" vorgeworfen, in den 1920er Jahren die Zinsen künstlich niedrig gehalten zu haben, um den europäischen Volkswirtschaften den Einstieg in das neue System zu erleichtern. Allerdings sprechen die Zahlen eher gegen eine solche Sichtweise. Nach der Korrektur um die Preisschwankungen lagen in den USA die Leitzinsen bei drei bis vier Prozent und damit im Bereich heutiger Normen. Ab der Jahresmitte 1928 wurden die Zinsen von vier auf sechs Prozent angehoben, um der Spekulation auf dem Aktienmarkt entgegenzuwirken. Gleichzeitig wurde der Zuwachs der Geldmenge begrenzt. Beide Maßnahmen sind später von monetaristischer Seite scharf kritisiert und für ein Abgleiten in die Rezession verantwortlich gemacht worden.

Nach der Mechanik des Goldstandards musste eine solche Zinsanhebung den konjunkturellen Bremsimpuls auch auf das Ausland übertragen. In einer schweren Rezession würde das System an der schwächsten Stelle brechen. Genau dieser Fall trat ein, als Deutschland im Sommer 1931 zu Kapitalverkehrskontrollen überging und damit den Abzug kurzfristiger, vor allem britischer Kredite blockierte. Zunehmend selbst unter Druck, gab Großbritannien im September 1931 den Kurs des Pfunds frei; binnen Kurzem bildete sich ein "Sterling-Block", der neben den Ländern des Commonwealth auch Skandinavien umfasste. Die Abwertung des Pfundes wird einhellig als konjunkturpolitischer Befreiungsschlag angesehen. Tatsächlich erholten sich die Volkswirtschaften der Abwertungsländer rascher von der Krise - allerdings waren sie insgesamt auch deutlich weniger stark davon betroffen als etwa die USA oder Deutschland.

In den USA selbst wurde im April 1933 der Dollar gegenüber dem Gold freigegeben. Um das Preisniveau anzuheben, wurde eine Politik der Geldmengenausweitung betrieben. Im Verein mit einer gewissen Ausweitung der staatlichen Defizite unter dem New Deal mag das expansiv gewirkt haben, zeitigte aber nur geringe Effekte auf die Preisbewegung selbst. Allgemein sind in den Abwertungsländern sowohl Geld- als auch Fiskalpolitik ab 1933 nur wenig expansiv gewesen. Im Vordergrund stand der Versuch, neues Vertrauen in die nun frei schwankenden Währungen zu schaffen. Dies erforderte die rasche Rückkehr zu einer regelgebundenen Geld- und Fiskalpolitik durch weitgehenden Budgetausgleich und relativ hohe Leitzinsen. Der Versuch Frankreichs, sich an die Spitze eines "Goldblocks" zu setzen, der dem alten System treu blieb, scheiterte nach starken Reserveverlusten im Jahr 1936.

Wesentlich für ein tieferes Verständnis der Weltwirtschaftskrise ist die Betrachtung des Bankensystems. Durch die Agrarkrise der 1920er Jahre ging das internationale Finanzsystem bereits geschwächt in die Krise. In Mitteleuropa kam als Nachwirkung der Hyperinflation eine Unterausstattung des Bankensystems mit Eigenkapital hinzu. In den USA traten erste Krisenerscheinungen in einer Bankenpanik zum Jahresende 1930 auf, danach in mehreren Wellen von Bankkrisen, denen vor allem kleinere, unterkapitalisierte Institutionen im ländlichen Raum zum Opfer fielen. Vonseiten des Zentralbanksystems wurde Unterstützung nur punktuell gewährt, was der US-Geldpolitik die Kritik eingetragen hat, eine "normale" Rezession nach 1929 überhaupt erst in eine tiefe Depression verwandelt zu haben. Ihren Höhepunkt erreichte die US-Bankenkrise am Tiefpunkt der Depression Anfang 1933. Unter der neuen Roosevelt-Administration wurde, mehr der Not gehorchend denn aus innerer Überzeugung, ab dem Frühjahr eine durchgreifende Reorganisation des US-Bankwesens eingeleitet. Mit der Lösung des US-Dollars vom Gold ging der Erlass von "Bankfeiertagen" (der tageweisen Schließung aller Banken) sowie die Zwangsschließung von Tausenden kleinerer Banken einher. Nach einer oft langwierigen Bilanzprüfung wurden die überlebensfähigen Institutionen reorganisiert und wiedereröffnet. Der Glass-Steagall Act verordnete eine Trennung von Investment- bzw. Industriebanken einerseits und Depositen- bzw. Geschäftsbanken andererseits, die bis in die 1990er Jahre Bestand gehabt hat. Bankensanierung und Dollarabwertung standen am Beginn eines stürmischen Aufschwungs, in dessen Verlauf das US-Sozialprodukt mit Jahresraten von über neun Prozent zunahm. Erst ein neuerlicher konjunktureller Einbruch im Jahr 1938 hat in den USA die Rede von den 1930er Jahren als einer Great Depression in Umlauf gebracht.

In Europa wurde die Finanzkrise der frühen 1930er Jahre weitgehend vom Sonderfall Deutschland bestimmt. Unter dem Dawes-Plan von 1924 hatte Deutschlands neue Währung, die Reichsmark, einen Schutz gegen den Transfer von Reparationsleistungen in Fremdwährung erhalten. Bald nutzten Banken, aber auch der Staatssektor, die neugewonnene Kreditwürdigkeit, um sich im Ausland, besonders in den USA, zu verschulden. Hypothekenpfandbriefe auf kommunale Versorgungs- und Wohnungsbauunternehmen wurden in den USA an den Haustüren an Privatanleger verkauft - die Goldklausel und die zugrundeliegenden Immobilienwerte taten das ihre, um den ahnungslosen Käufern eine sichere Geldanlage zu suggerieren.

Zugleich aber bestanden Deutschlands Reparationsschulden fort; sie wurden in den ausgehenden 1920er Jahren ausschließlich auf Kredit bezahlt. Im Ergebnis türmte sich bedenklich rasch eine Schuldenpyramide auf, die im Jahr 1929 etwa 80 Prozent des Sozialprodukts ausmachte. Weil alle Schulden in Fremdwährung zu begleichen waren, setzte allein der Zinsendienst einen Ausfuhrüberschuss in Höhe von etwa fünf Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung voraus, der aber nicht vorhanden war. Den Reparationsgläubigern blieb dieses Spiel nicht verborgen. Der Young-Plan von 1930 sah die faktische Abschaffung der Schutzbestimmungen für die Währung vor. Nun war es Deutschland selbst überlassen, die nötigen Devisen für Schuldendienst und Reparationszahlungen zu beschaffen; ausländische Gläubiger von kommerziellen Krediten konnten sich nicht mehr darauf verlassen, ihre Ansprüche vor denen der Reparationsgläubiger befriedigt zu sehen. Außer der Young-Anleihe, die den Devisenbedarf für 1930 knapp abdeckte, war angesichts der drohenden deutschen Überschuldung an weitere Auslandskredite nicht mehr zu denken. Am Vorabend der Weltwirtschaftskrise stand Deutschland damit vor einer auswärtigen Schuldenkrise lateinamerikanischen Zuschnitts. Diese Krise entfaltete sich mit voller Wucht im Jahresverlauf 1931, als Deutschlands Versuch unter Kanzler Heinrich Brüning, mit einer Deflations- und strengen Sparpolitik Außenhandelsüberschüsse zu erzwingen, nicht zu ausreichenden Deviseneinnahmen führte. Ein Aussetzen der deutschen Reparationsverpflichtungen auf amerikanische Initiative hin konnte eine allgemeine deutsche Währungs- und Bankenkrise nicht mehr verhindern. Im Juli 1931 wurden "Bankfeiertage" erlassen, zwei von fünf Berliner Großbanken (DANAT und Dresdner) nach Insolvenz zwangsfusioniert und das Geschäftsbankensystem unter Staatseinfluss gestellt. Erst nach 1933 ist es zu einer Reprivatisierung gekommen.

Die Besonderheit der deutschen Bankenkrise von 1931 ist das Zusammentreffen einer auswärtigen Finanz- und Schuldenkrise mit den politischen Verstrickungen des Reparationskonflikts. Die Frage nach möglichen Rettungsversuchen durch weitere internationale Kredite ist unterschiedlich bewertet worden. Skepsis bleibt angebracht, da Deutschland strukturell im Ausland überschuldet war und nur die Modalitäten einer Schuldenstreichung Verhandlungsgegenstand sein konnten, nicht aber die Wiederaufnahme der deutschen Zahlungen. Zuletzt gelang es der deutschen Seite, die auswärtigen Verpflichtungen fast vollständig abzuschütteln, womit am Ende der Weltwirtschaftskrise ein Schuldenstand von etwa 20 Prozent des US-Sozialprodukts von 1929 ausradiert wurde. Relativ zur amerikanischen Wirtschaftsleistung schlägt allein dieses Kapitel der damaligen Finanzkrise stärker zu Buche als die gegenwärtige US-Hypothekenkrise.

Bezug zur aktuellen Krise

Jeder hier beschriebene Strang der Weltwirtschaftskrise hat enge Bezüge zur heutigen Krise. Allerdings dominieren bei genauerem Hinsehen die Unterschiede. Hervorzuheben sind zunächst Abweichungen in der Chronologie. In den 1930er Jahren stand die Bankenkrise eher am Ende des internationalen Konjunktureinbruchs. Allenfalls hat sie zu einer weiteren Vertiefung und Verlängerung der Rezession beigetragen. Ein sinnvoller Zeitvergleich beider Finanzkrisen kann daher erst gegen 1931 einsetzen, nicht schon 1929. Damit wäre die Finanzkrise nach dem Zusammenbruch des Bankhauses Lehman Brothers im September 2008 in Bezug zu setzen zur europäischen Finanzkrise vom Sommer 1931, die mit der Wiener Creditanstalt-Krise begann, ihren Höhepunkt in der beginnenden deutschen Zahlungseinstellung und dem staatlichen Auffangen der Berliner Großbanken erreichte und nach dem britischen Abschied von der Goldparität in das Auseinanderbrechen des Goldstandards mündete. Im deutlichen Wertverlust des Pfundes und der staatlichen Auffangaktion für die schottischen Großbanken im Herbst 2008 lassen sich weitere Parallelen zur deutschen Bankensanierung ab 1931 erkennen. Ein fundamentaler Unterschied zwischen beiden Finanzkrisen besteht allerdings im Ausbleiben einer größeren auswärtigen Schuldenkrise. Ohne Frage hat in der Zwischenkriegszeit die politische Vergiftung der internationalen Finanzbeziehungen durch das deutsche Reparationsproblem und seine dramatische Zuspitzung eine Sonderrolle bei der Verschärfung der internationalen Finanzkrise gespielt, der heute nichts Vergleichbares entgegensteht.

Auch auf der Ebene der Gesamtwirtschaft wäre ein Vergleich mit 1931 in mancher Hinsicht trostreich. Denn zwischen 1931 und 1932 brach in Deutschland und den USA das Sozialprodukt um weitere 15 Prozent ein. Dieser Einbruch ist dreimal stärker als die gegenwärtig für das Jahr 2009 prognostizierte Schrumpfung in beiden Ländern und immer noch doppelt so hoch wie die pessimistischsten derzeit kursierenden Szenarien. Für die USA bietet sich ein direkter Vergleich zwischen der Bankensanierung im Jahr 1933 und den gegenwärtig anvisierten Maßnahmen an. In beiden Fällen ist das Ziel, direkte Staatsbeteiligungen an Banken zu vermeiden, die Bankenaufsicht zu stärken sowie künftigen Fehlentwicklungen entgegenzuwirken. Nach den gegenwärtig bekannten Planungen werden die regulativen Eingriffe kaum geringer ausfallen als 1933, allerdings - hierin liegt eine gewisse historische Ironie - nicht durch den Übergang zu einem Trennbankensystem, sondern umgekehrt durch die politisch forcierte Vereinigung von Investment- und Depositenbanken zu einem Universalbankensystem unter einheitlicher staatlicher Aufsicht.

Kaum ertragreich wäre dagegen der Versuch, die Aktienmarktentwicklung bis 1929 mit den Aktienmärkten vor der gegenwärtigen Krise zu vergleichen. Weder stand am Anfang der heutigen Krise ein Börsenkrach, noch hat es zuvor eine massive Aufwärtsentwicklung der Kurse gegeben. Wohl mag angesichts der historisch sehr hohen Kurs- bzw. Gewinn-Verhältnisse, die höher lagen als um 1929, der jetzige Kurseinbruch als fundamentale Korrektur angesehen werden. Dennoch gibt ein Vergleich mit 1929 wenig her.

Dasselbe gilt für die internationalen Rohstoffmärkte. Der Einbruch des vergangenen Jahres ist, ähnlich wie die Krisen von 1973 und 1979, unter anderem ein Ölpreisschock gewesen. Die derzeit oft anzutreffende Reduzierung des gegenwärtigen konjunkturellen Geschehens auf die Banken- und Finanzkrise ist insofern falsch, ging der Krise in der Zwischenkriegszeit doch eine Abwärtsbewegung der internationalen Rohstoffpreise voraus.

Auch der Blick auf längerfristig wirkende sozial- und arbeitsmarktpolitische Krisenursachen eröffnet keine befriedigenden Vergleichsmöglichkeiten. Gewerkschaftsmacht und Verteilungskämpfe spielten eine Hauptrolle beim Anwachsen der strukturellen Arbeitslosigkeit seit den 1970er Jahren. Noch bei der Wiedervereinigung Deutschlands hat die Übertragung der westdeutschen Arbeitsmarktverfassung auf Gesamtdeutschland zu einer schweren Depression geführt, die fast das ganze Jahrzehnt lang anhielt. International und auch in Deutschland hat allerdings die Problematik gewerkschaftlicher Kontrolle über die Lohnhöhe an Schärfe verloren, was auch mit der Erosion monopolistischer Gewinne im Zuge verstärkter internationaler Konkurrenz erklärt werden mag. Anders als in der Zwischenkriegszeit ist daher die Auflösung, nicht die Verfestigung kollektiver Entscheidungsprozesse am Arbeitsmarkt zu beobachten. Damit schwindet auch ihr möglicher Beitrag zu einer Krisenerklärung.

Ganz anders der Vergleich der Geldpolitik. Durchaus ähnlich wie in der Weltwirtschaftskrise hat die Geldpolitik nach Beginn der gegenwärtigen Finanzkrise (den man für den August 2007 festlegen kann) eine aktive Kredit- und Bankenstützungspolitik zunächst abgelehnt. In einer Verletzung klassischer Bankenregeln haben es die Notenbanken in den USA und Großbritannien bis zum Spätherbst 2008 vermieden, die Bonitätsanforderungen für die Hereinnahme von Wertpapieren als Deckungsunterlage für kurzfristigen Zentralbankkredit herabzusetzen. Aus Sorge vor hochriskanten Papieren (toxic assets) bestand man auf hohen Qualitätsanforderungen und vertraute auf scharfe Zinssenkungen. Erst zum Jahresbeginn 2009 ist es zu einem Politikwechsel und einer durchgreifend verbesserten Kreditversorgung durch die Notenbanken gekommen.

Dieser Punkt eröffnet eine überraschende Parallele zur Geldpolitik in der Weltwirtschaftskrise. Damals zwangen die Deckungsregeln des Goldstandards die Notenbanken zur Zurückhaltung bei der Kreditversorgung des Bankensystems. In der Finanzkrise des Jahres 2008 hat die Angst der Notenbanken vor den toxic assets ganz dieselbe Wirkung gehabt. Im heutigen Bankgeschäft dienen Hypothekenwertschriften als Pfänder für den kurzfristigen Tageskredit zwischen den Geschäftsbanken, eine Rolle, die früher der Handelswechsel innehatte. Als im Sommer 2007 mit der US-Hypothekenkrise Zweifel am Wert dieser Papiere aufkamen, brach über Nacht eine Hauptstütze der kurzfristigen Kreditversorgung im Bankensystem weg. Die seitherige internationale Kreditklemme hat wesentlich zu tun mit dieser Verbindung zwischen den Hypothekenpapieren und dem kurzfristigen Geldmarkt.

Eine aktive Geldpolitik zur Bekämpfung der Kreditkrise hätte an dieser Verbindung ansetzen müssen. Das ist bis zum Jahresende 2008 unterblieben; die eingetretene Verzögerung entspricht der geldpolitischen Untätigkeit zwischen dem Börsenkrach von 1929 und der Finanzkrise von 1931. Es bedarf keiner Prophetie, um vorherzusagen, dass diese Phase geldpolitischer Passivität, mit ihrer Analogie zur Weltwirtschaftskrise, die Aufmerksamkeit künftiger Kritiker auf sich ziehen wird.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Anm. d. Redaktion: Das Bretton-Woods-System bezeichnet das Nachkriegs-Währungssystem, das auf festen Wechselkursen mit dem US-Dollar als Leitwährung beruhte. Ein entsprechendes Abkommen wurde 1944 von 44 Ländern in Bretton Woods/USA geschlossen. 1952 trat ihm die Bundesrepublik Deutschland bei, 1973 wurde es außer Kraft gesetzt.

  2. Der fast völlige Produktionsstillstand in weiten Teilen Kontinentaleuropas am Ende des Zweiten Weltkrieges kann als Sonderfaktor hier unberücksichtigt bleiben - an Schwere und Nachhaltigkeit hat er die Krise der 1930er Jahre allerdings weit übertroffen und bis in die 1960er Jahre nachgewirkt. Vgl. Werner Abelshauser, Deutsche Wirtschaftsgeschichte seit 1945, München 2004.

  3. Wichtige Standardwerke zur Weltwirtschaftskrise sind u.a. Charles Feinstein/Peter Temin/Gianni Toniolo, The European Economy Between the Wars, Oxford 1997; Barry Eichengreen, Golden Fetters. The Gold Standard and the Great Depression 1919 - 1939, Oxford 1992 sowie Peter Temin, Lessons from the Great Depression, Cambridge, MA 1989.

  4. Vgl. Knut Borchardt, Wachstum, Krisen, Handlungsspielräume der Wirtschaftspolitik, Göttingen 1982.

  5. Vgl. Harold Cole/Lee Ohanian, The Great Depression in the United States From A Neoclassical Perspective, in: Federal Reserve Bank of Minneapolis Quarterly Review, 23 (1999), S. 2 - 24.

  6. Vgl. mit unterschiedlichen Bewertungen Peter Rappoport/Eugene White, Was There a Bubble in the 1929 Stock Market?, in: Journal of Economic History, 53 (1993), S. 549 - 574; Ellen McGrattan/Edward Prescott, The 1929 Stock Market: Irving Fisher Was Right, in: International Economic Review, 45 (2004), S. 991 - 1009.

  7. Vgl. Milton Friedman/Anna Schwartz, A Monetary History of the United States 1867 - 1960, Princeton 1963.

  8. Einflussreich hierzu Ben Bernanke, Essays on the Great Depression, Princeton 2000.

  9. Zum Folgenden vgl. Harold James, Deutschland in der Weltwirtschaftskrise 1924 - 1936, Stuttgart 1988; Albrecht Ritschl, Deutschlands Krise und Konjunktur 1924 - 1934, Berlin 2002.

  10. Vgl. Gerlinde und Hans-Werner Sinn, Kaltstart. Volkswirtschaftliche Aspekte der deutschen Vereinigung, Tübingen 1991.

Dr. oec. publ., geb. 1959; Professor für Wirtschaftsgeschichte an der London School of Economics, Houghton Street, London WC2 2AE, England/UK.
E-Mail: E-Mail Link: a.o.ritschl@lse.ac.uk