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Plädoyer für einen regulierten Kapitalismus | Krise der Weltwirtschaft | bpb.de

Krise der Weltwirtschaft Editorial Anmerkungen zur Zukunft des Kapitalismus - Essay Anatomie der Weltwirtschaftskrise: Ursachen und Schuldige Plädoyer für einen regulierten Kapitalismus Rückkehr des Keynesianismus: Anmerkungen aus ordnungspolitischer Sicht War 2008 das neue 1931? "Islamic Finance" und die Finanzmarktkrise

Plädoyer für einen regulierten Kapitalismus

Rudolf Hickel

/ 16 Minuten zu lesen

Die derzeitige Krise rückt die Kritik an der Deregulierungspolitik in den Mittelpunkt. Die Spieltische im "Kasinokapitalismus" müssen geschlossen, das Weltwirtschaftssystem sozial und ökologisch gestaltet werden.

Einleitung

In einer aktuellen Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF) wird das bisher nicht für möglich gehaltene Ausmaß der aktuellen Wirtschaftskrise abgeschätzt: Erst-mals seit 60 Jahren schrumpft die Weltwirtschaft. Die Ökonometriker des IWF rechnen beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2009 mit einem Minus von 1,3Prozent. Ob es im kommenden Jahr wieder aufwärts gehen wird, hänge maßgeblich von weltweiten Maßnahmen gesamtwirtschaftlichen Gegensteuerns ab. Es lasse sich bereits erkennen: "Das wird kein schneller Aufschwung, wie wir ihn nach anderen Wirtschaftskrisen beobachten konnten." Die Wirtschaftskrise bestätigt gleichsam spiegelbildlich die weltweite Vernetzung des Wirtschaftens: Grundsätzlich kann sich ihr kein Land entziehen. Allerdings zeigt sie auch die unterschiedliche Teilhabe an den ökonomischen Vorteilen der Globalisierung.


Die reichen Länder, die bisher besonders von der Globalisierung profitiert haben, müssen jetzt hohe Wachstumsverluste hinnehmen. So stellt der IWF in seinem "World Economic Outlook" zutreffend fest: "Die sieben größten Industriestaaten werden den mit Abstand schärfsten Einbruch seit dem Zweiten Weltkrieg erleben." Mit dem weltweiten Einknicken der Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen ist der Welthandel nach Jahren des Wachstums seit dem Höchststand im Herbst 2008 um mehr als 20 Prozent eingebrochen. Auch die aufsteigenden Schwellenländer sind betroffen, und in den durch ökonomische Schwäche und Armut gekennzeichneten Entwicklungsländern verschärft sich die Lage katastrophal.

Daraus folgt: Diese globale, auf die wirtschaftsstarken Staaten konzentrierte Wirtschaftskrise verlangt eine international koordinierte Expansionspolitik. Der Protektionismus einiger ökonomisch dominanter Länder, die glauben, sich gegen die Internationalisierung nationale Vorteile durch das Aushungern anderer Länder verschaffen zu können, verstärkt die Krise. Dass es sinnvoll ist, statt einer beggar-my-neighbour-policy auf internationale Koordination zu setzen, ist im Bereich einer fiskalischen Impulspolitik noch viel zu wenig begriffen worden. Die Notwendigkeit, die Wucht des globalen Absturzes zu verstehen und eine angemessene Antikrisenstrategie zu entwickeln, verlangt zudem nach einer ideologiefreien Analyse der Ursachen.

Ein neuer Krisentyp?

Im Kern handelt es sich um eine doppelte Krise: Eine tiefe Konjunkturkrise, die auch strukturelle Überkapazitäten beispielsweise in der Automobil- und Werftenindustrie offenlegt, trifft mit einer tief greifenden Krise der weltweiten Finanzmärkte zusammen. Beide schaukeln sich wechselseitig mit einer bedrohlichen Gesamtwirkung hoch. Das Zusammenwirken stellt sich wie folgt dar: Der konjunkturelle Absturz ist vor allem in den großen Industriestaaten die Folge einer aggressiven Strategie um Zuwachsgewinne auf den Weltmärkten. In den lange davon profitierenden Ländern hat sich der Typ einer extrem exportlastigen Wirtschaftsstruktur durchgesetzt. Die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen den Ländern haben damit massiv zugenommen. Außenwirtschaftliche Defizitländer stehen Überschussländern gegenüber. Gleichzeitig ist in den exportstarken Wirtschaften die Entwicklung der Binnenwirtschaft vernachlässigt worden. Der Zusammenbruch der Exporte infolge rückläufiger Nachfrage aus anderen Ländern traf auf eine in den vergangenen Jahren vergleichsweise unterentwickelte Nachfrage im Inland. Ein selbstverstärkender Prozess der gesamtwirtschaftlichen Schrumpfung war die Folge. Diese Erklärung des konjunkturellen Absturzes, der zugleich strukturelle Probleme aufgedeckt hat, trifft auch für Deutschland zu. Der Einbruch der Exporte von Gütern und Dienstleistungen von zuvor hohen Zuwachsraten (2007 noch 7,5 Prozent) auf Wachstumsverluste von 25 Prozent in den ersten Monaten 2009 stieß auf einen schon mehrere Jahre leicht rückläufigen privaten Konsum. Auch der Staat hat zu wenig zur infrastrukturellen Zukunftsvorsorge beigetragen. 2007 lag der Anteil der öffentlichen Investitionen am BIP mit 1,3 Prozent nur halb so hoch wie im Durchschnitt der EU-Länder. Bereits im Frühjahr 2008 zeichnete sich nach einem vergleichsweise schwachen Aufschwung die Schrumpfung der gesamtwirtschaftlichen Produktion ab.

Vom Grundmuster her handelt es sich um die Bewegung auf einem klassischen Konjunkturzyklus. Überraschend ist jedoch die Intensität des Abschwungs. Diese ist maßgeblich auf zwei Determinanten zurückzuführen: Zum einen handelt es sich um die durch die Liberalisierung und Globalisierung ermöglichte Expansion der Auslandsmärkte, von der Deutschland wegen seiner hohen internationalen Wettbewerbsfähigkeit besonders profitiert hat. Zum anderen ist die negative Entwicklung des privaten Konsums als wichtigstes Aggregat der Binnenwirtschaft auf eine massive Umverteilung zugunsten der Unternehmens- und Vermögenseinkünfte sowie zu Lasten der Arbeitnehmereinkünfte zurückzuführen. Seit 2003 hat sich die Schere zwischen den Einkünften aus Kapital und den Einkommen aus Arbeit deutlich auseinanderentwickelt. Der Anteil der Arbeitnehmerentgelte am Volkseinkommen ist vom Spitzenwert mit 72,2 Prozent auf knapp 64 Prozent zurückgefallen. Die moderate Lohnpolitik sollte auch der Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit dienen; die Verluste bei den Arbeitnehmereinkommen waren der Preis dafür.

Diese Schwächung der binnenwirtschaftlichen Nachfrage wurde durch eine restriktive Finanzpolitik zusammen mit Steuersenkungen zugunsten der Unternehmensgewinne verstärkt. Diese Umverteilungspolitik ist das Ergebnis einer gezielten Strategie der Stärkung der einzelwirtschaftlichen Unternehmen ohne Berücksichtigung gesamtwirtschaftlicher Zusammenhänge. Dieses Konzept wird aus ökonomischer Sicht als Neoklassik bezeichnet und in der Politik mit dem Kampfbegriff "Neoliberalismus" belegt. Die aktuelle Krise rückt zwangsläufig die Kritik an dieser Politik des Abbaus sozialer und ökologischer Regulierungen der Märkte - also das Modell der Deregulierung - in den Mittelpunkt.

Auch in einem ganz anderen Zusammenhang wurde Deregulierung zu einer wichtigen Ursache der derzeitigen Weltwirtschaftskrise. Der gesamtwirtschaftliche Verlust an realisierter Produktion und an Arbeitsplätzen wurde überlagert und beschleunigt durch eine zuvor in diesem Ausmaß nicht für möglich gehaltene Finanzmarktkrise, welche die Funktionsfähigkeit des Bankensystems massiv eingeschränkt und die bisher geltenden Regeln zur Geldpolitik außer Kraft gesetzt hat. Ein entscheidender Faktor für die Entwicklung der Krise war die Schaffung neuer Finanzmarktprodukte, die im Vergleich zur Produktionswirtschaft üppige Renditen versprachen, allerdings zum Preis von riskanten Spekulationen. Hier sind zuvorderst die sogenannten Derivate zu nennen. Bei diesen zählt nicht mehr der ökonomische Ursprungswert (etwa der Aktien und Rentenpapiere), sondern davon mehrfach abgeleitete Indikatoren. Eine der massenhaft erzeugten Finanzmarktinnovationen ist das Verbriefungsgeschäft. Hierbei sind Forderungen auch aus minderwertigen (subprime) Krediten zu Wertpapieren verpackt und dann weltweit gehandelt worden. Die diese Kredite verbriefende Hypothekenbank konnte dadurch ihre Risiken verteilen und den notwendigen Eigenkapitaleinsatz reduzieren. Heute erweisen sich diese Produktkreationen mangels Werthaltigkeit als "toxischer" Schrott, der die Bilanzen vieler Banken schwer belastet. Durch die massenhafte Produktion dieses "Giftmülls" wird aber auch die Produktionswirtschaft außerhalb der Finanzwelt stark in Mitleidenschaft gezogen.

Bezogen auf die Rolle der Finanzmärkte handelt es sich also um einen neuen Krisentyp, der nicht unmittelbar mit der Weltwirtschaftskrise ab 1929 zu vergleichen ist. Die Ursachen der heutigen Krise liegen in einer Schwerpunktverlagerung zu einem finanzmarktgetriebenen Kapitalismus mit völlig neuen, hoch riskanten Spekulationsobjekten. Zu Recht ist die Rede vom "Kasinokapitalismus", in dem die dienende Funktion des Bankensystems an Bedeutung verloren hat. Auch Unternehmen haben nicht sachinvestiv verwendete Gewinne auf den Finanzmärkten eingesetzt. Zugleich dominierten die Mega-Finanzinvestoren auch die gegenüberstehende Produktionswirtschaft durch das Diktat nicht aus der Wertschöpfungsperspektive ableitbarer, viel zu hoher Renditeansprüche.

Wie bereits erwähnt, liegt eine entscheidende Ursache für die enorm gestiegenen Risiken aus der relativen Entkoppelung der Finanzanlagen von der ökonomischen Wertschöpfung in der Liberalisierung und Deregulierung der Finanzmärkte. Durch diese Entfesselung hat die Politik die Schleusen für gesamtwirtschaftlich hoch riskante Finanzanlagen geöffnet, und sie hat diese Fehlentwicklung auch zu verantworten. Jetzt lehrt die Wucht der aktuellen Krise: Das Finanzsystem ist das Nervensystem einer modernen Wirtschaft, jedoch auch extrem anfällig gegenüber einem sich schnell verbreitenden Vertrauens- und Akzeptanzverlust. Deshalb ist eine funktionierende Regulierung unverzichtbar. Finanzmärkte brauchen klare Spielregeln, die durch Gier getriebene riskante Geschäfte nicht zulassen. Entsprechend der Gleichzeitigkeit der Krise in einer globalisierten Welt sind internationale Abkommen zur Regulierung der Finanzmärkte, aber auch zur abgestimmten Finanz- und Geldpolitik erforderlich. Nach der Vertrauenskrise der Banken, welche die abhängige Produktionswirtschaft belastet, müssen kurzfristig unkonventionelle Maßnahmen wie die Teil- oder Totalverstaatlichung von einzelnen Banken ebenso wie eine Politik der Geldschöpfung durch die Notenbanken ergriffen werden. Für die Stabilisierung des Wirtschaftens ist jedoch der Aufbau einer in sich stabilen Finanzarchitektur durch strenge Regeln entscheidend.

Die materielle Gewalt der Wirtschaftskrise zeigt, dass die Politik der Entfesselung der Finanz-, Waren- und Arbeitsmärkte gescheitert ist. Eine ordnungspolitische Rückbesinnung auf die Nutzung der Marktkräfte innerhalb politisch klarer Spielregeln ist dringend erforderlich. Erste Ansätze in diese Richtung sind erkennbar. Einen Vorteil, so scherzte unlängst Robert Solow, Nobelpreisträger der Ökonomie, habe die Krise: Ökonomen beschäftigten sich wieder mehr mit der Konjunktur, ja überhaupt mit der Makroökonomik. Noch tut sich die beratende Wirtschaftswissenschaft schwer, sich diesen notwendigen Abschied vom neoklassisch-neoliberalen Paradigma einzugestehen. Dabei ist unstrittig: Die "Mainstream-Economics" hat sich in den vergangenen Jahren blamiert. Die Krisenrealität erfordert, dass jetzt eine plausible Theorie dazu entwickelt wird. Erst auf dieser Grundlage kann auch die Kompetenz zur Wirtschaftsprognose zurückgewonnen werden. Die derzeit verwendeten ökonometrischen Modelle sind untauglich. Denn die Vertrauenskrise der Banken mit sich verändernden Verhaltensweisen für die Produktionswirtschaft kommen darin nicht vor. Anstatt Prognosegenauigkeit zu suggerieren, ist es wichtig, wirtschaftspolitisch gegen den unbestreitbaren Schrumpfungstrend zu steuern und die Finanzmärkte durch mutige Regulierungspolitik zu bändigen.

Schritte zu einem regulierten Kapitalismus

Der neue Krisentyp bedroht die Grundlagen des Wirtschaftens. Das Bankensystem ist in eine tiefe Vertrauenskrise geraten. Die wertschöpfende Produktionswirtschaft außerhalb der Finanzwelt schrumpft. Die Finanzkrise hat insofern darauf Einfluss, als auch dringende Kredite durch die Banken nicht weitergegeben werden. Wegen der verstopften Übertragungskanäle versagt auch die traditionelle Geldpolitik. Der Abbau von Produktionskapazitäten und Arbeitsplätzen wird durch eine unzureichende Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen vorangetrieben. Die hoch entwickelten Ökonomien produzieren derzeit weit unter ihren Verhältnissen. Durch die mangelnde gesamtwirtschaftliche Nachfrage bewegt sich die Gesamtwirtschaft in einer Rationalitätsfalle. Von den einzelnen Unternehmen sind in dieser Situation mangels Nachfrage kapazitätserweiternde Investitionen nicht zu erwarten. Es bedarf eines gesamtwirtschaftlichen Impulses durch den Staat, der außerhalb des Marktwettbewerbs steht.

Zur Bewältigung der Finanzmarktkrise stellt sich die doppelte Aufgabe: Ad hoc müssen Maßnahmen zur Wiederherstellung der Funktionen des Bankensystems durchgesetzt werden. Gleichzeitig ist jedoch der Aufbau einer stabilen Finanzmarktarchitektur anzustreben. Wie die Beschreibung der Dynamik des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus zeigte, haben die Finanzmärkte in den vergangenen Jahren die Dominanz über die Waren- und Arbeitsmärkte gewonnen. Aus dieser Hierarchisierung der Märkte leitet sich der Vorrang für die Sanierung der Finanzmärkte zusammen mit dem Bankensystem ab.

Kurzfristig geht es darum, die für die Gesamtwirtschaft dringlichen Funktionen des Bankensystems wieder sicherzustellen. Der deutsche "Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung" (SoFFin) mit einem Volumen von 480 Milliarden Euro greift aus verschiedenen Gründen nicht richtig. Neben den Mitteln für die Stärkung des Eigenkapitals der Banken sowie die Übernahme von toxischen Produkten werden die 400 Milliarden Euro an Bürgschaften zur Kreditvergabe im kurzfristigen Interbankenmarkt kaum genutzt. Dies zeigt, wie tief die Vertrauenskrise zwischen den Banken ist. Deshalb war es von der Bundesregierung richtig, im "Konjunkturprogramm II" 100 Milliarden Euro zur Förderung der Kreditnahme durch die Wirtschaft direkt zur Verfügung zu stellen. Zur Rettung systemischer Banken, deren Zusammenbruch weite Teile der Wirtschaft belasten würde, ist eine zeitlich befristete Teilverstaatlichung unvermeidbar. Als Ultima Ratio ist auch eine Vollverstaatlichung, wie bei der Hypo Real Estate, ökonomisch durchaus sinnvoll, denn die Kosten des Zusammenbruchs wären auf jeden Fall viel höher. Diese Sozialisierung der Verluste durch den Staat muss jedoch durch eine Sozialisierung der später zu erwartenden Gewinne ergänzt werden. Schließlich sollte ein Teil der durch die staatliche Kapitalbeteiligung zusätzlichen Aufsichtsratsmandate an die Belegschaft zum Ausbau der unternehmerischen Mitbestimmung weitergegeben werden. Weiterhin ist es vernünftig, gekoppelt an die jeweils zu sanierende Bank eine bad bank anzudocken. Diese würde mit staatlicher Unterstützung in der Nähe zum jeweiligen Kreditinstitut die Abwicklung der vergifteten Produkte übernehmen. Jedoch sollten nur Banken gerettet werden, die systemische Relevanz und eine ernsthafte Chance auf ein künftig tragfähiges Geschäftsmodell haben.

Langfristig müssen strenge Regeln aufgestellt werden. Es ist schon erstaunlich, wie in den vergangenen Jahren die ordoliberale Botschaft verdrängt worden ist, sind regulierte Finanzmärkte doch die Voraussetzung für eine funktionierende, wettbewerbliche Produktionswirtschaft. Die hoch riskanten und entwicklungsbestimmenden Finanzmärkte müssen redimensioniert werden, damit vor allem auch die Geldpolitik ihre Wirksamkeit wiedererlangt. Die Zähmung der Finanzmärkte zielt auch darauf ab, die machtvolle Durchsetzung viel zu hoher Ansprüche auf Kapitalrenditen in der Unternehmenswirtschaft zu verhindern. Ein entschiedenes "Raus aus dem Kasinokapitalismus" wäre ein ökonomischer Befreiungsschlag.

Die Flut der derzeit diskutierten Instrumente zur Finanzmarktregulierung ist kaum noch überschaubar. An den beschriebenen, weltweit verbreiteten toxischen Finanzmarktprodukten sind aber bereits wichtige Hebel deutlich geworden:

  • Bei der Kreditvergabe durch Finanzinstitute ist ein ernsthaftes Risikomanagement auf der Basis transparenter Verträge sicherzustellen.

  • Die Weitergabe der unkontrollierbaren Risiken durch Verbriefung muss begrenzt werden. So sollten Banken mindestens 20 Prozent der Kredite in der Bilanz behalten müssen, also nicht verbriefen dürfen. Das schafft den Anreiz, bei der Kreditvergabe auf die Bonität der Kreditnehmer zu achten.

  • Ratingagenturen, die ihre Informationspflicht verletzt haben, müssen umgebaut oder die Informationspflicht muss auf staatliche Organe übertragen werden. Zumindest dürfen diese Agenturen künftig nicht mehr Produkte für Banken bewerten, für die sie andere Geschäfte betreiben.

  • Zweckgesellschaften dürfen nicht mehr außerhalb der Bilanz geführt werden. Alle Geschäfte müssen dem Risikoprofil entsprechend mit Eigenkapital unterlegt werden.

  • Managergehälter und Bonuszahlungen, die einen Anreiz für eine kurzfristige Orientierung zu Lasten der Zukunftsfähigkeit geschaffen haben, müssen begrenzt werden.

  • Anlageberater, die ahnungslosen Kunden in Form von Zertifikaten reine Glückswetten vermittelt haben, müssen in die Haftung genommen werden. Hier wäre eine Beweislastumkehr sinnvoll, welche die Banken in die Pflicht nimmt.

  • Alle Finanzmarktprodukte müssen einem "TÜV" unterzogen werden.

  • Banken sollten wieder auf tragfähige Geschäftsmodelle redimensioniert werden.

    Gerade wegen der Globalisierung der Finanzmärkte muss Regulierung international vereinbart und kontrolliert werden. Voraussetzung dafür ist zunächst die Schaffung von Instrumenten in Deutschland sowie auf EU-Ebene. Was die Internationalisierung betrifft, weisen die Beschlüsse des Londoner G-20-Gipfels vom April 2009 in die richtige Richtung: Künftig soll kein Finanzmarkt, kein Produkt, keine bedeutende Finanzmarktinstitution ohne Regulierung und Aufsicht bleiben. Erstmals werden auch Hedgefonds einbezogen, jedoch leider nur die "bedeutenden". Auch Managergehälter und Bonuszahlungen sollen weltweit geregelt werden. Allerdings ist nicht konkretisiert worden, wie dies durchgesetzt werden soll. Anerkennung verdient auch der Beschluss, Staaten, die die OECD-Standards für faire Besteuerung nicht einhalten, auf eine "schwarze Liste" zu setzen. Mittlerweile liegt auch eine "graue Liste" vor, auf der Staaten wie Österreich, die Schweiz und Luxemburg verzeichnet sind, die trotz offizieller Zusagen die Standards immer noch nicht gesetzlich geregelt haben. Ein wichtiges Ergebnis des Londoner Gipfels ist auch die Reform des IWF. China und Indien erhalten darin künftig mehr Einfluss, zudem bekommt der Fonds mehr Spielraum, um krisenbedrohten Entwicklungs- und Schwellenländern zu helfen.

    Nicht auf der Tagesordnung stand die Bekämpfung der Ungleichgewichte zwischen den Überschuss- und Defizitländern. Hier gibt es einen dringlichen Nachholbedarf. Auch wurde über eine grundsätzliche Reform des Weltwährungssystems mit einem für Stabilität sorgenden Wechselkurssystem nicht verhandelt. Aber die Arbeit daran darf nicht auf die lange Bank geschoben werden. Um wenigstens die hoch spekulativen Währungstransaktionen zu dämpfen, ist kurzfristig die Einführung einer Devisenumsatzsteuer anzustreben. Vor allem aber hat der Gipfel bei der wichtigen Aufgabe, eine koordinierte expansive Finanzpolitik durchzusetzen, versagt. So hat Deutschland der Forderung des US-Präsidenten sowie der japanischen Regierung nach einem weltweit abgestimmten Konjunkturimpuls widersprochen. Den einzelnen Ländern bleibt es überlassen, in welchem Umfang konjunkturpolitische Maßnahmen durchgesetzt werden. Dieser Verzicht auf eine gemeinsame Initiative zeigt, dass das Ausmaß dieser Globalisierungskrise in vielen Ländern noch nicht begriffen worden ist. Um die Beschlüsse zu sichern und voranzutreiben, bedarf es also einer entschiedenen Fortsetzung der Gipfelarbeit.

    Expansive Geldpolitik und fiskalische Steuerung



    Die hartnäckige Vertrauenskrise der Geschäftsbanken zwingt die Geldpolitik zu ganz und gar unkonventionellen Maßnahmen. Die Variation der Leitzinsen und die Geldmengensteuerung der Notenbanken werden kaum noch über das Bankensystem in die Wirtschaft transportiert. Daher sind die USA dazu übergangen, bei einem praktischen Nullzinssatz durch den Ankauf von Staats- und Unternehmensanleihen Geld zu schöpfen. Im Kern geht es darum, der Volkswirtschaft an den Banken vorbei Liquidität zuzuführen. Zur derzeitigen Geldschaffung durch den Kauf von Staats- und Unternehmensanleihen gibt es keine Alternative. Aktuell wird diese Politik wegen der später drohenden Inflationsgefahren kritisiert. Doch den unverantwortlich geschürten Inflationsängsten kann zweierlei entgegnet werden: Zum einen droht derzeit nicht eine Inflation, sondern eher eine Deflation, also ein Preis- und Gewinnverfall. Zum anderen hat die Notenbank genügend Möglichkeiten, die später drohende Inflationsgefahr zu bekämpfen.

    Vor allem die Europäische Zentralbank (EZB) lässt sich bei ihrer Geldpolitik mit den Instrumenten der Geldschöpfung viel zu stark von der Sorge vor einer späteren Inflation leiten. Mit ihrer Zinspolitik hält sie am Vorrang der (vorauseilenden) Inflationsbekämpfung fest und setzt immer noch auf die traditionellen Übertragungskanäle ihrer Geldpolitik. Unter dem Regime der tiefen Vertrauenskrise des Bankensystems funktionieren die herkömmlichen Kanäle jedoch längst nicht mehr, und die Verhaltensannahmen sind nicht mehr gültig. Dem Euroraum droht derzeit keine Inflationsgefahr. Vielmehr spekuliert die Wirtschaft auf weitere Preissenkungen, die am Ende zu Gewinneinbrüchen führen. Wenn sich die Deflation aber einmal festsetzen sollte, dann wird die Wirtschaftskrise, wie das Beispiel Japan in den 1990er Jahren zeigt, viele Jahre andauern. Eine Geldpolitik, die dazu beitragen will, eine Deflation zu vermeiden, muss die Wirtschaft mit quasi kostenloser Liquidität fluten. Es geht um die Schaffung eines monetären Spielraums für die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen. Wenn die Wirtschaft unterstützt durch eine expansive Geld- und Finanzpolitik wieder auf den Wachstumskurs einschwenken sollte, bleibt genug Zeit, mit den Instrumenten der Geldpolitik inflationstreibende Liquidität erfolgreich "abzusaugen". Die EZB sollte daher im Gleichschritt mit den Notenbanken in den USA und Japan den Leitzins in die Nähe von null Prozent bringen.

    Monetäre Steuerung allein bliebe gesamtwirtschaftlich jedoch wirkungslos. Schließlich befindet sich auch Deutschland in einer Liquiditätsfalle, das heißt, wegen der negativen Geschäftserwartungen finden die Geldanlagen nicht den direkten Weg in die Finanzierung der Produktion. Es fehlt an gesamtwirtschaftlicher Nachfrage. Diese Lücke kann nur durch eine expansive Finanzpolitik durchbrochen werden. Dies lehrt auch die Weltwirtschaftskrise vor achtzig Jahren. Während Roosevelt mit seinem New Deal die Wirtschaft stärkte, hat die Brüning'sche Notverordnungspolitik in Deutschland die Krise beschleunigt. Heute ziehen vor allem die USA und Japan mit gigantischen öffentlichen Ausgabenprogrammen aus dieser Erfahrung mit der damaligen New Deal-Politik die richtigen Schlüsse. Der Staat muss eine sich vervielfachende Nachfrage durch die Finanzierung zukunftswichtiger Projekte generieren. Dadurch ist ein doppelter ökonomischer Nutzen zu erreichen: Für jeden US-Dollar, der von der Regierung investiert wird, so Ökonomie-Nobelpreisträger Paul Krugman, wird über Multiplikatoren und Akzeleratoren das BIP um mindestens 1,50 US-Dollar vermehrt. Zugleich werden durch Zukunftsinvestitionen die Lebens- und Produktionsbedingungen künftiger Generationen verbessert. Durch diese beiden Aspekte wird die Nutzung der Staatsverschuldung entdämonisiert. Oftmals wird eingewendet, Konjunkturprogramme würden zu spät bzw. überhaupt nicht wirken. In einer jüngeren Untersuchung haben zwei IWF-Ökonomen beim Vergleich der Wirkungsweise von Konjunkturprogrammen festgestellt, dass diese in wichtigen Ländern der G-7-Gruppe zu Wachstumsimpulsen geführt hätten.

    Die Bundesregierung hat zwei Konjunkturprogramme vorgelegt. Hinzuzurechnen sind die Entlastungen durch die Wiedereinführung der Pendlerpauschale mit 7 Milliarden Euro 2009 und 2010, die allerdings das Bundesverfassungsgericht erzwungen hat. Von den 50 Milliarden Euro des "Konjunkturprogramms II" sind in den Jahren 2009 und 2010 17,3 Milliarden für öffentliche Investitionen vor allem in den Kommunen vorgesehen. Diese Entscheidung geht in die richtige Richtung. Durch die Kleinteiligkeit der Projekte etwa im Bereich der Schulsanierung kann am Ende auch die lokale Wirtschaft profitieren. Allerdings ist der Schritt zu halbherzig. Die drohende Deflation sollte durch ein Zukunftsinvestitionsprogramm von jährlich mindestens zwei Prozent des BIP - also 50 Milliarden Euro pro Jahr - gebannt werden. Ad-hoc-Maßnahmen zur Rettung stark vernetzter Unternehmen - wie etwa den Autobauer Opel samt der Zulieferindustrie - lassen sich gegenüber den Kosten einer Insolvenz durchaus rechtfertigen. Die Unterstützung der Unternehmen durch die Verlängerung des Kurzarbeitergelds ist richtig. Unternehmen und Politik haben begriffen, dass die Beschäftigten für die künftige wirtschaftliche Entwicklung gehalten werden müssen. Dabei ist die Verbindung mit Qualifizierungsmaßnahmen besonders positiv hervorzuheben. Die gewonnene Zeit muss jedoch dazu genutzt werden, den Brückenschlag auch an das Ufer zu schaffen. Schließlich müssen auch die Maßnahmen der Deregulierung der Arbeitsmärkte, die zu einer Zunahme der Zeitarbeit sowie prekärer Arbeitsverhältnisse geführt haben, dringend auf den Bedarf an Reregulierung hin überprüft werden.

    Vorläufiges Fazit



    Nach dieser Krise darf nicht zur Tagesordnung übergegangen werden. Die Spieltische im Kasinokapitalismus müssen geschlossen und das Wirtschaftssystem sozial und ökologisch gestaltet werden. Wer jetzt darauf spekuliert, nach der Überwindung der Krise wieder in das alte Wirtschaftssystem zurückzukehren, der setzt auf die Wiederholung der nächsten, dann noch tieferen Krise. Ein capitalism reloaded würde die alten Probleme potenzieren und neue Herausforderungen nicht bewältigen. In der Tat bietet jede Krise Chancen. Diese jedoch auch konstruktiv zu nutzen, verlangt die Revitalisierung einer gestaltenden Politik des Wirtschaftens unter gesamtwirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Aspekten. Dazu gehört auch der Abbau von Marktmacht-konzentrationen zugunsten eines funktionsfähigen Wettbewerbs.

    Bei der Suche nach dem Ordnungskonzept hilft die Botschaft, die John Maynard Keynes in der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre formuliert hat: Bei den Regulierungen sowie der öffentlichen Investitionspolitik gehe es nicht um die Etablierung eines "autoritären Staatssystems". Vielmehr richteten sich die Spielregeln gegen die selbstzerstörerischen Kräfte entfesselter Märkte. Es gehe nicht um die Abschaffung des "freien Spiels der wirtschaftlichen Kräfte", sondern darum, die "Krankheit zu heilen und gleichzeitig Leistungsfähigkeit und Freiheit zu bewahren". Allerdings wäre ein "Ersatzkapitalismus", den der Ökonomie-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz in den USA durch Barack Obamas Art der Bankenrettung im Entstehen sieht, nicht die richtige Antwort. Der Staat darf nicht als Reparaturbetrieb im Dauereinsatz missbraucht werden. Vielmehr ist ein Leitbild eines regulierten Kapitalismus in einer globalisierten Weltwirtschaft zu erarbeiten. Die vorherrschende Wirtschaftswissenschaft, die sich mit ihrer Theorie dominanter Marktliberalisierung unter Verzicht auf eine gesamtwirtschaftliche Steuerung blamiert hat, sollte jetzt die Chance nutzen und an dem Ordnungsmodell eines modernen Kapitalismus durch verstärkte Forschungsaktivität mitarbeiten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. IWF, World Economic Outlook, Crisis and Recovery, April 2009, in: www.imf.org (27. 4. 2009).

  2. Vgl. Olaf Storbeck, Makroökonomie: Über die Tücken der Konjunkturpolitik; in: Handelsblatt vom 6. 4. 2009.

  3. Vgl. Christina Romer, Lessons from the Great Depression for Economic Recovery in 2009, Vortragsmanuskript, März 2009, im Internet über: www.handelsblatt.com/oekonomie (17. 4. 2009).

  4. Vgl. Paul Krugman, Das Konjunkturprogramm. Wie die amerikanische Regierung dazu beitragen kann, die Wirtschaft anzukurbeln: Bloß keine Angst vor großer Verschuldung, in: Frankfurter Rundschau (FR) vom 8.4. 2009.

  5. Vgl. Daniel Leigh/Sven Jari Stehn, Fiscal and Monetary Policy During Downturns: Evidence from the G7, IMF-Working Paper, 09/50 (März 2009).

  6. John Maynard Keynes, Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, Berlin 200610, S. 320f.

  7. Vgl. Joseph Stiglitz, Obamas Ersatzkapitalismus - Wie die amerikanischen Steuerzahler draufzahlen werden, in: FR vom 8. 4. 2009.

Dr. rer. pol., geb. 1942; Professor für politische Ökonomie und Finanzwissenschaft, Direktor des Instituts Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen (IAW), Universitätsallee 21-23, 28359 Bremen.
E-Mail: E-Mail Link: hickel@uni-bremen.de