Traditionen, Gegenwart und Zukunft der kubanischen Revolution
Unter historischen und soziologischen Gesichtspunkten existiert seit etwa 1975 auf der Antilleninsel Kuba eine nachrevolutionäre Gesellschaft unter schwierigen internationalen Bedingungen, zugleich der erste Sozialstaat Lateinamerikas.Einleitung
Es gibt weder Gegenwart noch Zukunft "der kubanischen Revolution", sondern allein der Gesellschaft auf Kuba in ihrer gegenwärtigen politischen Form. La revolucion, "die kubanische Revolution", wird zwar gerne, besonders auf Kuba oder in internationalen Debatten unter Linken, als Synonym für das gegenwärtige Kuba benutzt. Aber unter historischen und soziologischen Gesichtspunkten existiert seit etwa 1975 auf der Antilleninsel eine nachrevolutionäre Gesellschaft unter schwierigen internationalen Bedingungen, zugleich der erste Sozialstaat Lateinamerikas.[1]Bis 1989 versuchte Kuba, das "Modell" seiner Revolution und seiner Gesellschaft in Lateinamerika und in Afrika (vor allem Angola) gegen alle Widerstände zu propagieren, auch mit militärischen Mitteln. Das führte zu massiven Konflikten vor allem mit den USA (die schon 1960 die bis heute existierende Blockade verhängt hatten[2]), aber auch im Innern Kubas. Die schwierigen internationalen Bedingungen haben sich mit dem Zusammenbruch des Realsozialismus verschärft. Vor allem in ihrer wirtschaftlichen Dimension spitzen sich die schwierigen Bedingungen durch die internationale Finanzkrise seit 2008 weiter zu. Zugleich haben sich in Lateinamerika durch den so genannten Linksruck besonders in Venezuela, Ecuador und Bolivien die politischen Umfeldbedingungen erheblich verbessert. Der andauernde Versuch, die Ergebnisse der Revolution zu sichern, führte zur Verfestigung eines zentralistischen und autoritären Herrschaftssystems rund um die historische Figur Fidel Castro, die Castro-Brüder Fidel und Raúl sowie eine Gruppe von Sierra-Kämpfern und Anhängern. Die Frage nach der "Zukunft der Revolution" impliziert also immer auch die Frage nach der Zukunft des politischen Systems auf Kuba.[3]
Berechtigt ist die Frage nach Gegenwart und Zukunft der kubanischen Revolution, wenn sie sich auf das emanzipatorische Gesellschaftsprojekt bezieht, das vor allem die 1950er und 1960er Jahre geprägt hat. Grundideen und Verhaltensweisen dieses Projektes werden heute wieder auf globalen Sozialforen und darüber hinaus debattiert. Manche dieser Debatten stellen den Aufbruch der 1960er Jahre der heutigen Stagnation und dem Reformstau auf Kuba entgegen.
Einige der Debatten werden auch auf Kuba, zusammen mit Erinnerungen und wissenschaftlichen Analysen der Vergangenheit, publiziert. Eines dieser Bücher und die darin abgedruckte Debatte des Symposiums "El significado de la Revolucion Cubana hoy"[4] will ich zum Anlass nehmen, um erstens die Frage nach der Bedeutung der kubanischen Revolution 1956 bis 1970 und ihren Traditionen zu beantworten und zweitens die wichtigere Frage nach Revolution und Reform in Bezug auf die innere Entwicklung Kubas von 1970 bis heute zu analysieren.[5]