Historisches Erinnern an Schulen im Zeichen von Migration und Globalisierung
Nach Bemerkungen zur Komplexität historischen Erinnerns in Einwanderungsgesellschaften werden Heterogenität als schulischer Normalfall sowie empirische Befunde und pädagogische Möglichkeiten diskutiert.Einleitung
Historisches Erinnern erfolgt in Auseinandersetzung mit der kollektiv bedeutsamen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.[1] Das geschieht vorzugsweise im Modus des Erzählens.[2] Dabei sind die drei Zeitbezüge alles andere als isolierte, abgeschottete Einheiten. Vielmehr vermögen neue Erfahrungen sowohl unser Verständnis von dem, was einst geschah, nachhaltig zu verändern als auch folgenreiche Spuren in unseren Erwartungshorizonten zu hinterlassen.[3] Einsichten in die Semantik geschichtlicher Zeiten sind nicht auf geschichtswissenschaftliche Zirkel beschränkt, sondern werden zum Teil bereits von Jugendlichen geäußert, die etwa von der Gegenwart als einem Produkt der Vergangenheit, der Gegenwart als zukünftiger Vergangenheit oder der Gegenwärtigkeit von Vergangenheit wissen.[4]Besonders schöne Äußerungen zur Verflochtenheit der Zeitbezüge finden sich bei Karl Valentin: Die Zukunft war früher auch besser gewesen, und heute ist die gute alte Zeit von morgen. Es ist deutlich: Historisches Erinnern ist eine verwickelte Angelegenheit.[5] Eine weitere Drehung in der Komplexitätsschraube ergibt sich dadurch, dass keineswegs unstrittig ist, was genau zu "der" kollektiv bedeutsamen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gehören soll, wer sie wie erzählen oder wer sich in welchen Hinsichten zum Kollektiv zugehörig fühlen darf, von dem die Rede ist. In Einwanderungsgesellschaften wie Deutschland werden solche und verwandte Fraglichkeiten besonders virulent, und es kann davon ausgegangen werden, dass neben harmonierenden oder sich ergänzenden auch konfligierende sowie einander widerstreitende historische Narrative kursieren und das Denken, Fühlen, Wollen und Handeln ihrer Mitglieder mitbestimmen. Prozesse der Bildung, Aktualisierung, Aushandlung und Präsentation von Identität bleiben hiervon nicht unberührt.
Migration ist ein wichtiger Grund für die Vervielfältigung von Geschichtsbezügen, sicher aber nicht der einzige. Darüber hinaus stellen die Phänomene, die mit der Chiffre "Globalisierung" in Verbindung gebracht werden, ebenfalls starke Herausforderungen für die historischen Sinnbildungsprozesse in modernen Gesellschaften dar. Das betrifft die Gesellschaft als Ganzes und die Schule als einen der zentralen Orte, in dem ausgewählte Formen historischen Erinnerns artikuliert, eingeübt, kultiviert und reflektiert werden, in spezifischer Art und Weise.