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Spannungsverhältnisse - eine kritische Würdigung der ARD

Diemut Roether

/ 18 Minuten zu lesen

Die ARD ist Gegenstand zahlreicher Debatten. In ihnen geht es unter anderem um die Themen Qualitätsprogramm versus Quotendruck, Selbstkontrolle, politische Unabhängigkeit, Rundfunkgebühren und Ausbreitung ins Internet.

Einleitung

Die beißendsten Spötter über die ARD sitzen im Senderverbund selbst: "Was wäre ein Programmdirektor der ARD ohne die Fähigkeit zu leiden? An der ARD zu leiden, genauer gesagt", schrieb ARD-Programmdirektor Günter Struve, der die Geschicke des "Ersten", wie das Gemeinschaftsprogramm der ARD heißt, von 1992 bis 2008 maßgeblich bestimmt hat. Struve, der einen charmanten Zynismus pflegt, bekannte einmal, dass die programmstrategischen Klausurtagungen "zu den unbestrittenen Höhepunkten im Leben eines Programmdirektors zählen".

Auch für eine Positionsbestimmung der ARD im 60. Jahr ihres Bestehens ist es aufschlussreich, den Blick auf Struve zu richten: Von der "Zeit" wurde er als "geschickter Manager des Seichten" beschrieben, er selbst gab sich freimütig als "Lobbyist des Mainstreams" zu erkennen. Als solcher führte er einen Kampf um die Zuschauerinnen und Zuschauer, die dem Ersten angesichts der stärker werdenden Konkurrenz durch die Privaten verloren zu gehen drohten, und er erreichte, dass das Gemeinschaftsprogramm der ARD seit 1998 wieder ganz vorne im Konzert der Marktführer mitspielt.

Struves Nachfolger ist seit November 2008 Volker Herres. Dass er ganz im Geiste Struves denkt und handelt, machte er in einem Aufsatz für das ARD-Jahrbuch 2009 deutlich, in dem er sich wie sein Vorgänger auf Goethes "Faust" bezog und das Erste als "Gesamtkunstwerk" bezeichnete, das nicht zur Erbauung der Eliten geschaffen sei. "Das Erste", so Herres' Credo, "soll alle ansprechen, auch unterhalten". Das Spannungsverhältnis, dass das Erste einerseits ein großes Publikum ansprechen will, andererseits aber als öffentlich-rechtliches Programm auch aufgefordert ist, Nischensendungen für kulturinteressierte Zuschauer zu machen, stellt jeden ARD-Programmdirektor vor eine schwierige Aufgabe. Herres schreibt: "Das Erste muss Quote machen. Wir wollen ankommen - daran ist nichts verwerflich. Aber wir wollen das nicht um jeden Preis."

Zwischen Quote und Qualität

Dass das Erste nach Meinung vieler Feuilletonisten gerade die Kulturinteressierten so schlecht bedient, hat der ARD immer wieder heftige Kritik eingetragen. Im Jahr 2000 schimpfte Jens Jessen in der "Zeit" über die "Quoten-Idioten". Die Fernsehmacher bei ARD und ZDF hätten ein "schlechtes Gewissen, weil sie der privaten Marktkonkurrenz entzogen sind und eigentlich ein beliebig gutes Programm für beliebig wenige Zuschauer machen könnten", schrieb Jessen. "Sie könnten, wie es die altmodischen Rundfunkstaatsverträge auch einmal vorsahen, ausschließlich tun, was sie für journalistisch geboten und künstlerisch wertvoll halten. Sie halten diese Freiheit aber heimlich für elitär und fürchten, das Volk könnte dahinter kommen und ihnen das Gebührenprivileg wieder entziehen. Darum blicken sie so angstvoll auf die Quote: Sie ist ihnen ein tägliches Plebiszit über die Berechtigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems."

Anlass für diese Frontalattacke war ein internes ARD-Papier, das pünktlich zum 50. Geburtstag der ARD bekannt geworden war. Es hielt Kriterien und Vorgaben zur Optimierung von Fernsehfilmen und Hauptabendserien fest und forderte unter anderem eine Erzählweise, die "unkompliziert, einfach, klar, auf keinen Fall verwirrend" sein sollte. Die ARD-Verantwortlichen distanzierten sich zwar davon, aber viele Freitagabendschmonzetten atmen bis heute den Geist dieser Optimierungsvorgaben. Die ARD muss sich daher auch immer wieder gefallen lassen, dass Feuilletonisten sie der Anbiederung an den Massengeschmack zeihen. Zuletzt brach sich dieses Unbehagen an den öffentlich-rechtlichen TV-Programmen nach dem Auftritt des Großkritikers Marcel Reich-Ranicki bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises 2008 Bahn. Doch wer genau hinhört, erkennt in dieser Kritik den Nachhall einer typisch deutschen Debatte: Hier wehrt sich die "E-Kultur" (Hochkultur) gegen die amerikanisch verseuchte "U-Kultur" (seichte Unterhaltung).

Das Unbehagen am Fernsehen ist so alt wie das Medium selbst. Im Februar 1953 schrieb Bundestagspräsident Hermann Ehlers (CDU) an den Direktor des Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR), Werner Pleister: "Sah eben Fernsehprogramm. Bedauere, dass Technik uns kein Mittel gibt, darauf zu schießen." Das vom NWDR veranstaltete Programm war der Vorläufer des seit dem 1. November 1954 von der ARD veranstalteten Deutschen Fernsehprogramms, das heute "Das Erste" genannt wird. Damals gab es nur dieses eine Programm, und es wurde nur an wenigen Stunden am Tag gesendet. Dennoch gelang es dem Medium offenbar, heftige Reaktionen auszulösen. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) steht also in einer alten Tradition, wenn er, wie er es nach seiner Wiederwahl im Oktober 2009 tat, die öffentlich-rechtlichen Sender schilt, weil sie es nicht für nötig befunden hätten, die konstituierende Sitzung des Bundestags im Ersten oder Zweiten zu übertragen. Dabei gibt es für diese Zwecke doch Phoenix, den gemeinsamen Ereigniskanal von ARD und ZDF, der mit der Übertragung der Sitzung gerade einmal drei Prozent Marktanteil erreichte.

Doch es ist viel zu einfach, die ARD der Quotenfixiertheit und der hemmungslosen Anbiederung an den Mainstream zu bezichtigen. Wer das Erste aufmerksam verfolgt, findet auch zur besten Sendezeit beeindruckende Fernsehspiele und, allerdings meist zu späteren Sendezeiten, mutige, gut recherchierte politische Dokumentarfilme zu aktuellen und historischen Themen. Aber nicht immer gelingt es der ARD, das Gute populär und das Populäre gut zu machen, wie es Volker Herres im ARD-Jahrbuch fordert. Ausgerechnet der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann, forderte die öffentlich-rechtlichen Sender kürzlich auf, mehr in die Unterhaltung zu investieren. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei "nicht, wie vielfach beklagt wird, schwach auf der Brust, wenn es um ,Hochkultur' geht, sondern vor allem im Genre Unterhaltung, also der eher leichten Kultur". Hochkulturliebhaber fänden auf Arte, 3sat oder auch in den Dritten Programmen durchaus Sendungen für ihren Geschmack. Doch "will der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht in die Rolle des Nischenanbieters gedrängt werden, muss er für die breite Masse der Zuschauer gute Unterhaltung anbieten", mahnte er.

Die ARD-Tradition, den Shownachwuchs zunächst in den Dritten Programmen zu testen und dann im Erfolgsfall auch im Hauptabendprogramm im Ersten auf das Publikum loszulassen, hat sich jahrelang bewährt (z.B. Harald Schmidt, Jürgen von der Lippe, Hape Kerkeling, Olli Dittrich alias "Dittsche", Ina Müller, Kurt Krömer). Doch in den vergangenen Jahren scheint es mit den Transfers von den Dritten ins Erste nicht mehr so gut zu funktionieren. Das mag zum einen daran liegen, dass Talente wie Anke Engelke oder Bastian Pastewka schon seit Jahren bei den Privatsendern viel bessere Bedingungen finden als bei der ARD. Zum anderen scheint sich auch in den Dritten zunehmend Mutlosigkeit breitzumachen. Es könnte den ARD-Verantwortlichen eines Tages noch leidtun, wenn sie ihre Experimentierfelder veröden lassen und sich auch in den Dritten zunehmend an die "bürgerliche Mitte" anbiedern. Wie tragisch das enden kann, zeigt sich derzeit vor allem am Hessischen Rundfunk (HR), der früher durch aufsehenerregende Dokumentationsreihen wie "Das rote Quadrat" (im Ersten) von sich reden machte. Inzwischen ist sein Drittes durch Sendungen wie "Die unglaublichsten Fahrzeuge der Hessen", "Hessens schönste Weihnachtsmärkte" oder "Hessens beliebteste Ausflugziele" zur Karikatur eines Regionalprogramms verkommen.

Allzu oft zeigen die ARD-Verantwortlichen Angst vor der eigenen Courage, wie im September 2006, als die Intendanten den später vielfach ausgezeichneten Fernsehfilm "Wut" kurzfristig von einem Sendetermin um 20:15 Uhr auf 22 Uhr verschoben. Mag sein, dass hier auch die Angst vor den berüchtigten "Gremien-Gremlins" (wie Moderator Günther Jauch die Rundfunkräte nannte) eine Rolle spielte, die sich bei politisch unkorrektem Inhalten allzu leicht provozieren lassen. Doch gerade bei solchen Sendungen ist Mut gefordert. Es sind nicht die musterschülerhaften "Themenwochen", mit denen die ARD public value liefert, es sind vor allem provozierende, unbequeme Inhalte, die bei den Privatsendern schon lange keine Sendefläche mehr finden. Wer, wenn nicht die ARD (und das ZDF) soll den Diskussionsstoff für die Selbstverständigung der Gesellschaft liefern? Dass dabei Reibungen entstehen, ist nicht nur unvermeidbar, es ist wünschenswert.

Dass die Spannungen zwischen Qualität und Quote manchmal durchaus produktiv sein können, beweisen erfolgreiche Produktionen wie etwa "Contergan" von Adolf Winkelmann. Der im November 2007 nach einem langen juristischen Streit mit dem früheren Contergan-Vertreiber Grünenthal gesendete Zweiteiler erhielt nicht nur Fernsehpreise, er bescherte der ARD mit mehr als sieben Millionen Zuschauern auch eine traumhafte Quote. Es sind Filme wie dieser, mit denen die ARD zeigt, dass sie nicht nur groß und mächtig ist, sondern dass sie auch mutig sein und Themen setzen kann.

Gemeinsam einsam?

Spannungsreich ist auch die föderale Struktur der ARD, die so häufig verwünscht wird, wenn es darum geht, rasch Entscheidungen zu fällen. Intern wird das Kürzel ARD gern mit "alle reden durcheinander" aufgelöst. Doch zugleich ist die Binnenkonkurrenz und die Vielfalt der Sender ein Pfund, das der Senderverbund nicht leichtfertig verspielen sollte. Wie gut die föderale Struktur der ARD funktionieren kann, zeigt sich an der Krimireihe "Tatort", die in diesem Jahr ihr 40-jähriges Bestehen feiert. Die Kommissarinnen und Kommissare, die zwischen Kiel und Bodensee ermitteln, bringen sonntagabends ein sehr unterschiedliches, jeweils regional gefärbtes Deutschlandbild in die Wohnzimmer. Der "Tatort" wird von Autoren wie Regisseuren genutzt, um gesellschaftlich brisante Themen in populärer Form aufzubereiten.

Auch wenn es in den kommenden Jahren noch einige schmerzhafte Sparrunden geben wird, weil die Rundfunkgebühren eher weniger denn mehr werden, so sollte die ARD doch darauf achten, sich Labore zu erhalten, Experimentierfelder, auf denen Neues gewagt und gewonnen werden kann. Früher waren häufig die kleinen Landesrundfunkanstalten wie Radio Bremen die kreativen Labore, in denen interessante neue Formate entstanden. Doch heute fehlt den kleinen Sendern häufig das Geld für das Nötigste. So war es ein Armutszeugnis im Wortsinn, als der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) Ende 2008 ausgerechnet seinen Integrationssender Radio Multikulti einstellte. Obwohl sich die ARD ein Jahr zuvor in ihrer Integrationsstrategie zu einer "Kultur der Anerkennung" bekannt und darauf hingewiesen hatte, wie wichtig es sei, "Menschen mit Zuwanderungsbiografie hinter dem Mikrofon und auf dem Bildschirm" in die Produktionen einzubeziehen, reichte das Geld offenbar nicht, um eine Welle zu finanzieren, deren jährliche Kosten senderintern auf gerade mal zwei bis drei Millionen Euro beziffert wurden.

Die Einstellung von Radio Multikulti offenbarte eine große Schwäche des ARD-Systems: Die Egoismen der einzelnen Sender blockieren häufig die Versuche, eine gemeinsame Programmstrategie zu entwickeln. Zwar konnte man mit Recht fragen, warum eine so kleine Anstalt wie der RBB sieben Radioprogramme brauchte, doch andererseits arbeitet der RBB bereits so kostengünstig, dass freie Mitarbeiter den Sender scherzhaft "Bangladesch" nennen, weil die Honorare im Vergleich zu denen anderer ARD-Sender so niedrig ausfallen. Vergeblich hatte sich RBB-Intendantin Dagmar Reim darum bemüht, den ARD-internen Lastenausgleich anders zu regeln. Zwar wurde der Anteil des RBB an der Programmzulieferung für das Erste um 0,25 Prozentpunkte auf 6,6 Prozent gesenkt, doch die Intendantin sprach auch danach noch von "eklatanten Ungerechtigkeiten" im System. Diese Ungerechtigkeiten betreffen vor allem den RBB und den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR), in deren Einzugsbereich überproportional viele B

Die ARD rechnet in den kommenden zehn Jahren mit Einnahmeverlusten von bis zu 15 Prozent. Die Rundfunkanstalten wollen daher vor allem in Technik und Verwaltung enger zusammenarbeiten. Aber auch im Programm finden bereits Kooperationen statt. So senden seit 2009 die ARD-Kulturwellen im Sommer zwei Monate lang abends von 20 bis 24 Uhr ein gemeinsames Radioprogramm. Kritiker warnten, dies sei ein weiterer Schritt in Richtung der Zentralisierung der Kulturwellen. Befürchtungen, es werde ein nationales Kulturprogramm vorbereitet, wurden von der ARD zwar zurückgewiesen, aber in den Häusern gilt es als ausgemacht, dass die teuren Kulturwellen von Sparanstrengungen auch in Zukunft nicht verschont bleiben. Wie viel der Senderverbund durch dieses "ARD-Radiofestival" einspart, wollte die ARD-Pressestelle nicht mitteilen. Man wolle, hieß es im Mai 2009, "nicht von einem Spar-, sondern von einem Bündelungseffekt reden".

Mangelnde Selbstkontrolle

In den Sendern wird bemängelt, dass die Diskussionen über solche Einsparungen nicht offen geführt würden. In der Tat tut sich die ARD häufig schwer mit der Transparenz, zu der sie auch gegenüber den Gebührenzahlern verpflichtet ist. Dass einzelne Personen im ARD-System eine große Machtfülle auf sich vereinen, ohne ausreichend kontrolliert zu werden, zeigte sich nicht zuletzt an handfesten Skandalen wie dem um die einstige Fernsehfilmchefin des Norddeutschen Rundfunks (NDR), Doris Heinze, die im August 2009 fristlos entlassen wurde. Zunächst hatte die "Süddeutsche Zeitung" aufgedeckt, dass Heinze jahrelang Drehbücher ihres eigenen Mannes redaktionell betreut hatte, die dieser unter Pseudonym geschrieben hatte. Im Laufe der internen Ermittlungen stellte sich später heraus, dass Heinze sogar selbst unter Pseudonym ein Drehbuch für ihren Arbeitgeber verfasst hatte. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun wegen Betrugsverdachts, der Imageschaden für die ARD ist nicht bezifferbar.

Auch die Fälle der Sportchefs von HR und MDR, Jürgen Emig und Wilfried Mohren, zeigen, dass es verantwortlichen Redakteuren im System ARD offenbar jahrelang möglich war, in die eigene Tasche zu wirtschaften. Emig und Mohren hatten Geld von Sportveranstaltern angenommen, über die sie in ihren jeweiligen Programmen berichteten. Während Emig vom Landgericht Frankfurt am Main wegen Untreue und Bestechlichkeit zu zwei Jahren und acht Monaten Haft verurteilt wurde, sorgte ein gerichtlicher "Deal" im Fall Mohren dafür, dass die Öffentlichkeit nicht darüber aufgeklärt wurde, wieso Mohren seine Geschäfte jahrelang unbehelligt tätigen konnte, weshalb also jahrelang sämtliche Kontrollen im MDR versagten. Die Frage, ob es nicht ein Verrat an der Rundfunkfreiheit ist, wenn ein öffentlich-rechtlicher Sender eine Sportübertragung davon abhängig macht, ob der Veranstalter zahlt, wurde von den Gerichten gar nicht problematisiert.

Gerade im Sport zeigte die ARD gelegentlich eine ungute Nähe zu den Akteuren, die einer kritischen Berichterstattung im Weg stand. So schloss der Senderverbund, der seit Jahren die Rechte für die Übertragung der Tour de France hält, 1998 auch noch einen Partnerschaftsvertrag mit der Deutschen Telekom, der ihm das Recht gab, das Logo des Ersten und den Schriftzug "Radio & TV" auf der Kleidung der Fahrer des Teams Telekom zu platzieren. Im Gegenzug durfte die Deutsche Telekom bei der ARD Werbespots im Wert von jährlich vier Millionen DM schalten. Als Ende der 1990er Jahre erste Dopingvorwürfe gegen die Radsportler laut wurden, hielten sich die ARD-Reporter in der Berichterstattung darüber auffallend zurück. 2006 wurde obendrein bekannt, dass die ARD den Radrennfahrer Jan Ullrich seit 1999 dafür bezahlt hatte, dass er ihr für "besondere Berichterstattungsmöglichkeiten" exklusiv zur Verfügung stand.

Fritz Pleitgen, der damalige Intendant des Westdeutschen Rundfunks (WDR), räumte anschließend in einem Interview ein, dass die ARD zu viel Nähe zur Tour de France gehabt habe und gelobte, dies werde nicht wieder vorkommen. In der ARD wurde eine Clearingstelle Sport eingerichtet, und seit Anfang 2007 gibt es im Senderverbund auch eine Fachredaktion für Doping-Berichterstattung. Doch weder dem verantwortlichen ARD-Programmdirektor noch dem damals amtierenden ARD-Sportkoordinator schadeten die Einzelheiten, die über den Vertrag mit Ullrich bekannt wurden. Ihre Verträge wurden wenig später verlängert. Einmal mehr konnte man den Eindruck gewinnen, dass in der ARD ein System der organisierten Verantwortungslosigkeit dazu führt, dass letztlich keiner für Fehler den Kopf hinhalten muss.

Ähnlich glimpflich war für Programmdirektor Günter Struve schon der "Marienhof"-Skandal ausgegangen. Nachdem "epd medien" 2005 berichtet hatte, dass in der gleichnamigen Vorabendserie im Ersten jahrelang Schleichwerbung platziert worden war, gab der ARD-Programmdirektor den unschuldig Betrogenen. Vorwürfe des Bavaria-Produzenten Thilo Kleine, Struve selbst habe die "Ko-Finanzierung" der Serie angeregt, wies er unter juristischen Drohungen zurück. Markig kündigte Struve damals ein "Regime des Schreckens" gegen Schleichwerbung an und versicherte, die ARD werde in den kommenden Jahren "das sicherste Gebiet der Welt in Sachen Schleichwerbung sein".

Insgesamt, so wurde bekannt, hatten Kunden zwischen 1998 und 2004 3,5 Millionen Euro bezahlt, um ihre Werbebotschaften in Serien unterzubringen, die von der ARD-Produktionstochter Bavaria produziert wurden. Unter anderem gehörten auch Pharmaproduzenten zu den Kunden der vermittelnden Agentur. Sie bezahlten zum Beispiel dafür, dass in der ARD-Erfolgsserie "In aller Freundschaft" Dialogzeilen wie diese untergebracht wurden: "Sie leiden an Epilepsie. Ihr altes Medikament wird in Zukunft nicht mehr reichen, derartige Anfälle zu vermeiden. (...) Es gibt ein neues, hochwirksames Antiepileptikum. Diesen neuen Wirkstoff werde ich Ihnen verschreiben." Das Erschreckende an der "Bavaria-Connection" war genau dies: Dass es Werbetreibenden gelungen war, bis in die Dramaturgie und die Dialoge von Serien vorzudringen und diese so zu gestalten, dass für sie ein möglichst großer Effekt entstand. Der Glaubwürdigkeit der ARD hat das sehr geschadet.

Ob die ARD aus den Skandalen der vergangenen zehn Jahre gelernt hat? Die Sender haben in jüngerer Zeit zahlreiche Leitlinien und Selbstverpflichtungen verabschiedet, aber ob diese mehr wert sind als das Papier, auf dem sie stehen, kann nur die Praxis zeigen. Immerhin ist der NDR im Fall Heinze entschlossen vorgegangen und hat jüngst auch schnell reagiert, als Vorwürfe gegen einen NDR-Redakteur laut wurden, er habe von einer Firmengruppe Geld dafür erhalten, dass er ihr Sendezeiten im Fernsehen verschafft habe. In all diesen Fällen jedoch scheint vor allem die kollegiale Kontrolle versagt zu haben. Es sind doch die betreuenden Redakteurinnen und Redakteure, denen auffallen müsste, wenn Beiträge oder Dialogzeilen zu werblich daherkommen, oder wenn Drehbuchautoren angeblich nie erreichbar sind.

Der Verband der Drehbuchautoren schrieb nach Bekanntwerden des Drehbuchskandals von einem "Geschmacksdiktat", mit dem beim NDR die "Fantasie der Kreativen unterdrückt" worden sei. Er kritisierte, in den Sendern werde oft willkürlich darüber entschieden, "wer inszeniert, wer spielt und wer produziert". Dieses System habe "Unterwerfung, Einverständnis und Fantasielosigkeit produziert". Hier müssen sich die Sender nach ihrer Kultur der Kritik und Selbstkritik fragen lassen, denn nur in einem offenen Klima kann auch die größtmögliche Kreativität entstehen. Es ist ja nicht so, dass die ARD ihre Ressourcen, die sie den Gebühren aller verdankt, mutwillig verschwenden könnte.

Einfluss der politischen Parteien

Das Thema Gebühren führt zum nächsten Spannungsfeld, in dem sich die ARD bewegt. Denn für regelmäßige Gebührenerhöhungen und auch den Schutz gegen allzu dreiste Lobbyistenforderungen von Privatsendern und Verlagen braucht sie den Rückhalt aus der Politik. Wie selbstverständlich die Symbiose zwischen Politik und öffentlich-rechtlichen Sendern noch immer ist, zeigten jüngst die Auseinandersetzungen um ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender, dessen Vertragsverlängerung von der Unionsmehrheit im ZDF-Verwaltungsrat verhindert wurde. Aber auch die ARD ist seit ihren Anfängen nicht frei von der politischen Farbenlehre, nach der verantwortliche Posten in den Anstalten auch vom Parteiticket abhängen.

Bereits vom britischen Gründer und ersten Chef des NWDR, Hugh Carlton Greene, ist eine Anekdote überliefert, in der er schildert, wie er vergeblich gegen den Einfluss der Parteien in den deutschen Rundfunkanstalten kämpfte. Nachdem er den Sender an den Generaldirektor Adolf Grimme übergeben hatte, setzte sich Greene in seiner Abschiedsrede 1948 noch einmal dafür ein, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk staatlichen und parteipolitischen Einflüssen "so weit wie möglich entzogen" sein müsse. Anschließend habe ihm der Hamburger Bürgermeister Max Brauer ins Ohr geflüstert: "Sie werden Ihr Ziel nicht erreichen, Mister Greene, sie werden es nicht erreichen." Greene selbst beobachtete, wie die Parteien später ihren Einfluss auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland weiter ausbauten: "Immer öfter wurden Intendantenposten und andere leitende Stellungen nach parteipolitischen Rücksichten besetzt. In den Funkhäusern trat der Proporz die Herrschaft an."

Der frühere ARD-Programmdirektor Dietrich Schwarzkopf schrieb kürzlich optimistisch, bei der ARD sei der "Proporzstern inzwischen stark verblasst. Es gab Intendantenberufungen ohne die Frage nach der Parteiorientierung und solche gegen den erklärten Willen von Landesregierungen des Sendgebiets". Doch die Parteien scheinen den Anspruch, die Spitzenposten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nach Gutsherrenart besetzen zu können noch nicht aufgegeben zu haben. Dass der Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunks (BR) den Regierungssprecher Ulrich Wilhelm (CSU) zum BR-Intendanten gewählt hat, zeugt in dieser Beziehung nicht gerade von politischer Sensibilität. Befördert wird die Gutsherrenmentalität der Politiker in den Gremien von ARD-Vertretern, die fürchten, ihre Sender könnten in der Bedeutungslosigkeit verschwinden, wenn sie sich aus der Umklammerung durch die Politik befreien. Nicht wenige in den Anstalten haben sich daher beizeiten auf das Links-Rechts-Strickmuster eingestellt und ein entsprechendes "Parteiticket" gebucht, um leichter in der Hierarchie aufsteigen zu können.

Streitpunkt Internet

Die ARD braucht zwar starke Befürworter, doch man würde sich wünschen, dass diese weniger eigennützig agierten, da die Angriffe von Seiten der Lobbyisten der Verleger und Privatsender nicht nachlassen. Zurzeit sind es vor allem die Aktivitäten der öffentlich-rechtlichen Sender im Internet, die ihre Gegner auf die Barrikaden bringen, allen voran das Angebot "tagesschau.de". Nachdem im Februar bekannt geworden war, dass der NDR-Rundfunkrat das Telemedienkonzept für "tagesschau.de" in einer Beratungsvorlage für die ARD-Gremien im Großen und Ganzen befürwortet, sprach der Geschäftsführer des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger, Wolfgang Fürstner, von einer "Kampfansage an alle frei finanzierten Medien". Von einem "Kalten Medienkrieg" war die Rede und vom "größtmöglichen Super-Gau in der deutschen Medienpolitik der vergangenen 20 Jahre".

In dieser Diskussion wird so getan, als wolle die ARD das Angebot "tagesschau.de" ins Uferlose ausbauen. Das Gegenteil ist der Fall: Nach dem 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag (RÄStV) sind die öffentlich-rechtlichen Sender dazu verpflichtet, ihre Onlineangebote einem "Dreistufentest" zu unterziehen, bei dem geprüft wird, ob der publizistische Mehrwert des (gebührenfinanzierten) Angebots den finanziellen Mehraufwand rechtfertigt. Nach dem Dreistufentest für "tagesschau.de" müssen dessen Redakteure wohl gut die Hälfte des bisherigen Angebots aus dem Netz nehmen (intern benutzt man dafür das Wort "depublizieren").

Unstrittig ist, dass ARD und ZDF im Internet vertreten sein müssen, wenn sie den Kontakt zu den jungen Mediennutzern nicht völlig verlieren wollen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Rundfunkurteil von 1991 sehr weitsichtig ausgeführt, dass sich die "Bestands- und Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk" auch "auf neue Dienste mittels neuer Techniken" erstreckt, "die künftig Funktionen des herkömmlichen Rundfunks übernehmen können". Diese Entwicklungsgarantie versuchen die Lobbyisten der Verleger und Privatsender den öffentlich-rechtlichen Sendern in der hitzigen Debatte um "tagesschau.de" und die sogenannte App (kurz für application) für das Smartphone offenbar streitig zu machen.

An den Auseinandersetzungen um den im 12. RÄStV vorgeschriebenen Dreistufentest für die Telemedien von ARD und ZDF zeigt sich auch, dass das Gesetz nicht ausgereift ist. Der Medienrechtler Wolfgang Schulz vom Hans-Bredow-Institut beklagte kürzlich "hypertrophe Auswüchse" des Verfahrens: "Im Einzelfall können die Gutachten mehr kosten als der begutachtete Dienst selbst."

Mehr Souveränität ist gefragt

Das politische Spannungsverhältnis in dem sich die ARD angesichts dieser Gemengelage befindet, ist in der Tat nicht einfach. Soll sie lieber die freundliche Umarmung durch die Politik hinnehmen, um so gegen rundfunkpolitische Angriffe gefeit zu sein? Es fällt auf, dass sich die ARD-Sender angesichts der zahlreichen Angriffe von außen zunehmend mit einer Art Bunkermentalität verschanzen. Olaf Zimmermann und Gabriele Schulz, die Autoren der vom Deutschen Kulturrat herausgegebenen Studie "Der WDR als Kulturakteur", schreiben in ihrer Bewertung der für den WDR im Großen und Ganzen sehr positiven Studie, dass auffallend sei, dass der große, starke WDR auf Kritik "teilweise scharf" reagiere. Sie empfehlen dem Sender, sich "seiner strukturellen Macht" bewusst zu werden, diese kritisch zu hinterfragen, "da es eine geliehene Macht ist", und sehr sorgsam mit ihr umzugehen. "Wenn der WDR den Kontakt zu den Menschen verliert, die Kultur machen und Kultur genießen, wenn seine Glaubwürdigkeit dort leidet, dann helfen ihm auch alle Statistiken nicht. Der WDR muss ein normales Verhältnis zu seiner Stärke entwickeln, dann braucht er keine Überheblichkeit und kann als Sender der Superlative selbstbewusst seine kulturellen Leistungen zeigen."

Auch für die ARD gilt, dass sie ebenso selbstbewusst und selbstverständlich mit Kritik umgehen sollte wie sie sich den Spannungen stellen muss, denen sie aufgrund ihrer Struktur permanent ausgesetzt ist. "Die ARD macht uns keiner nach", seufzen ARD-Verantwortliche gern resigniert, wenn die Vielstimmigkeit wieder einmal überhandnimmt. Doch diese Einzigartigkeit ist ein Grund stolz zu sein und sich darauf zu besinnen, dass es vor allem das ist, was die ARD ausmacht: Dass sie anders ist. Und das sollte sich auch in ihren Programmen spiegeln.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Beide Zitate nach: Diemut Roether, Der Quotenmacher, in: epd medien, (2008) 87, S. 3ff.

  2. Bernd Gäbler, Was bewegt ... Günter Struve?, in: Die Zeit, Nr. 31 vom 28.7.2005.

  3. Vgl. D. Roether (Anm. 1).

  4. Volker Herres, Qualität trotz Quotendruck, in: ARD-Jahrbuch 2009, S. 33.

  5. Ebd., S. 29.

  6. Jens Jessen, Die Quoten-Idioten, in: Die Zeit, Nr. 36 vom 31.8.2000, online: www.zeit.de/2000/36/200036_fernsehen.xml (7.4.2010).

  7. Zit. nach: Uwe Kammann, Strengere Vorgaben für ARD-Fernsehfilme, in: epd medien, (2000) 43-44, S. 12f.

  8. Diemut Roether, L'Eklat c'est moi, in: epd medien, (2008) 82, S. 3 ff.

  9. Zit. nach: Fritz Pleitgen, Gedankenspiele. Die Rolle des Fernsehens in der deutsch-deutschen Geschichte, in: epd medien, (2002) 97, S. 3.

  10. Vgl. V. Herres (Anm. 4).

  11. Olaf Zimmermann, Kulturelle Königsdisziplin, in: epd medien, (2009) 67, S. 8f.

  12. Zum "Tatort" siehe auch den Beitrag von Knut Hickethier in diesem Heft.

  13. Zit. nach: Diemut Roether, Armutszeugnis, in: epd medien, (2008) 42, S. 3-6.

  14. Vgl. ebd.

  15. Vgl. Ellen Großhans/Diemut Roether, ARD-Rundfunkanstalten wollen enger zusammenarbeiten, in: epd medien, (2009) 96, S. 6.

  16. Zit. nach: Diemut Roether, Gemeinsam schwach?, in: epd medien, (2009) 42-43, S. 3 ff.

  17. Vgl. Michael Ridder, Systemsünden, in: epd medien, (2009) 95, S. 6.

  18. Vgl. Claus Morhart, Telekom kündigt Radsportvertrag mit der ARD, in: epd medien, (2000) 60, S. 8f.

  19. Vgl. Michael Ridder, Struve will wegen umstrittener Ullrich-Verträge nicht zurücktreten, in: epd medien, (2006) 71, S. 10.

  20. Vgl. Daniel Bouhs, WDR geht Selbstverpflichtung für Sportberichterstattung ein, in: epd medien, (2008) 16, S. 8f.

  21. Vgl. Michael Ridder, ARD verlängert Verträge mit Struve und Boßdorf, in: epd medien, (2006) 73, S. 9.

  22. Vgl. Volker Lilienthal, Die Bavaria-Connection, in: epd medien, (2005) 42, S. 3-15.

  23. Zit. nach: D. Roether (Anm. 1), S. 5.

  24. Zit. nach: Volker Lilienthal, Lektion für Pillendreher, in: epd medien, (2008) 43, S. 3.

  25. Vgl. Ellen Reglitz, Staatsanwaltschaft Kiel ermittelt gegen NDR-Mitarbeiter, in: epd medien (2010) 21, S. 7.

  26. Verband Deutscher Drehbuchautoren, Supergau des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, Presseerklärung vom 1.9.2009, dokumentiert in: epd medien, (2009) 70, S. 24.

  27. Zit. nach: Dietrich Schwarzkopf, Machtausübung. Wie der Parteienproporz in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk kam, in: Funkkorrespondenz, (2010) 2, S. 5.

  28. Ebd., S. 7.

  29. Zit. nach: Diemut Roether, Kalter Medienkrieg, in: epd medien, (2010) 13, S. 3 ff.

  30. BVerfGE 83, 238 - 6. Rundfunkentscheidung (Nordrhein-Westfalen-Urteil) vom 5.2.1991, online: www.servat.unibe.ch/law/dfr/bv083238.html (8.4.2010).

  31. Wolfgang Schulz, Thesen zur rechtlichen Funktion des Drei-Stufen-Tests, dokumentiert in: epd medien, (2009) 84, S. 28.

  32. Deutscher Kulturrat (Hrsg), Der WDR als Kulturakteur. Anspruch - Erwartung - Wirklichkeit, Berlin 2009, S. 369f.

Geb. 1964; verantwortliche Redakteurin epd medien, Emil-von-Behring-Straße 3, 60439 Frankfurt am Main. E-Mail Link: roether@epd.de