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Homosexualität und Fußball - ein Widerspruch?

Tatjana Eggeling

/ 17 Minuten zu lesen

Homophobie und Heteronormativität im Fußball werden erst seit kurzem thematisiert. Der Wandel zum fair play hat noch viele Hürden zu nehmen.

Einleitung

Bei den XXI. Olympischen Winterspielen in Vancouver/Kanada gewannen Shen Xue und Zhao Hongbo am 15. Februar 2010 die Goldmedaille im Eiskunstlauf der Paare. Beim die Eiskunstlaufwettbewerbe abschließenden Schaulaufen am 27. Februar hob der ARD-Kommentator der Live-Übertragung hervor, wie hoch der Erfolg einzuschätzen sei, weil das Paar nach den Olympischen Spielen in Turin 2006 zunächst eine Trainings- und Wettkampfpause eingelegt hatte, um dann doch wieder aufs Eis zurückzukehren. Dann fügte er hinzu: "Und sie sind verheiratet. Kann es etwas Schöneres geben?", und weiter: Sie wollten jetzt an Kinder denken. Mitgerissen von der eigenen Begeisterung für ein erfolgreiches und, wie er erfahren habe, sehr sympathisches Eislaufpaar, schien ihm der Sieg erst vollkommen durch die heterosexuelle Ehe, verbunden mit einem Kinderwunsch.

In wenigen Sätzen wurde hier reproduziert, was im Sport als "normal" angenommen wird: Heterosexuelle Beziehungen sind Standard, das Höchste dabei ist die Ehe, die durch Kinder gekrönt wird. Homosexuelle Beziehungen und homosexuelles Begehren hingegen sind kaum denkbar, sind tabuisiert. Denn: Homosexualität und Höchstleistungen scheinen im traditionellen Sport nicht zusammenzupassen. Oder doch?

Während der Olympischen Spiele bis zum Ende der Paralympics im März öffnete das Pride House in der Stadt Vancouver und auch in Whistler als Anlaufstelle und Treffpunkt für Lesben und Schwule, Fans und Medien. Es sollte einen sicheren Ort für jene bieten, die Rat suchen, weil sie Angst davor haben, sich zu ihrer Homosexualität zu bekennen, und darauf aufmerksam machen, dass Homosexualität im Sport noch immer ein großes Problem ist. Erstmals bei einer globalen Veranstaltung des traditionellen Sports gab es eine solche Einrichtung, die Informationen zu Homophobie im Sport anbietet und dazu beitragen will, die Diskriminierung lesbischer und schwuler Athletinnen und Athleten zu bekämpfen.

Die "Zeit" leitete ihren Bericht über das Pride House mit dem Beispiel des jungen amerikanischen Eishockeytorwarts Brendan Burke ein, der sich im November 2009 als schwul geoutet hatte, um "die harte Oberfläche des Spitzensports ein(zu)reißen". Es schien ein Outing gewesen zu sein, das keine negativen Folgen für den Spieler nach sich zog. Sogar sein Vater Brian Burke, Manager des Männereishockeyteams der USA und "berüchtigt als kompromissloser Macho", habe ihn unterstützt. Ob Brendan als Schwuler in seinem Sport auch weiterhin akzeptiert worden wäre und seine Karriere erfolgreich hätte weiterführen können, wird leider nicht mehr zu verfolgen sein, denn er starb kurz vor Beginn der Olympischen Spiele bei einem Autounfall.

Diese aktuellen Berichte enthalten verschiedene Aspekte, die den Umgang mit Homosexualität im (Leistungs-)Sport kennzeichnen. Es geht um die unhinterfragte Annahme, alle Sportlerinnen und Sportler seien heterosexuell, um tradierte und damit stabile Vorstellungen von der Eigenart der Geschlechter - wiederum basierend auf der Annahme, es gebe zwei eindeutig voneinander unterscheidbare - und von ihnen unzweifelhaft eingeschriebenen Eigenschaften und Fähigkeiten sowie um eine Hierarchie der Geschlechter, in der das "männliche" den Leitwert darstellt. Diese Vorstellungen und Annahmen bilden die Rahmenbedingungen, denen alle Aktiven im Sport unterliegen. Sie werden stetig reproduziert und bekräftigt. Was dies für Lesben und Schwule im Sport und insbesondere im Fußball bedeutet, wird im Folgenden beleuchtet.

Männlichkeit und Weiblichkeit im Sport

Sport bietet Frauen Möglichkeiten, Aspekte ihrer Persönlichkeit auszudrücken, die gewöhnlich als "männlich" definiert werden, ja, sie müssen diese sogar pflegen und demonstrieren, um sportlich erfolgreich zu sein. Somit müssen sie Verhaltensweisen und Haltungen in ihre Identifikation als Frau, in das Bild, das sie sich selbst und andere von einer Frau machen, integrieren, die ihnen nicht selbstverständlich zugeschrieben werden. Als Athletinnen überschreiten sie häufig die Grenzen zwischen Weiblichkeit und Männlichkeit, können Maskulinität ausdrücken und Anerkennung für ihre körperlichen Fähigkeiten suchen und finden. Frauen können dies durchaus als positiv wahrnehmen, denn der Einstieg in eine Männerwelt eröffnet auch die Freiheit, sich zwischen den Geschlechtern zu bewegen: Frauen müssen nicht klassisch "Frau" sein, um ihre Identität als Frau nicht in Frage stellen müssen.

Sie bewegen sich im Sport jedoch immer auch am Rande des Akzeptablen und nahe an dem Vorwurf, zu "vermännlichen". Deshalb müssen sie zusehen, so "weiblich" wie möglich aufzutreten: "Activities coded as male are evaluated to see whether they ,contaminate' female participants." Mit den neuen Standards für Frauenkörper, gekennzeichnet durch Stärke, Beweglichkeit, Schlankheit, Größe und kleine Brüste, werden überkommene Auffassungen des Begehrenswerten in Frage gestellt, ein Wandel, der Misstrauen auslöst: "A hermeneutics of suspicion surrounds this desirable body: Is it still female, is it still feminine, and is it drug-enhanced?" In diesem Misstrauen spielt immer auch die Sorge mit, eine Frau, die sich als männlich geltende Verhaltensweisen und Fähigkeiten angeeignet hat, könne lesbisch sein. Hier wirkt das stereotype Bild von einer Lesbe als einer Frau, die sich den gängigen Zumutungen akzeptierter Weiblichkeit widersetzt, sich gängigen Schönheitsidealen verweigert und von Männern und deren Anerkennung unabhängig auftritt - und damit für den heterosexuellen männlichen Betrachter unattraktiv ist.

Also geben sich Sportlerinnen meist eindeutig heterosexuell, damit sie nicht, gerade weil ihr Sporttreiben einen kräftigen, beweglichen und vielleicht auch besonders muskulösen Körper bewirkt, möglicherweise als lesbisch gelten. Je mehr im Sport Geschlechtergrenzen überschritten oder auch erweitert werden, desto mehr müssen sie auch aufrechterhalten werden, um die symbolische Ordnung der Geschlechtsstereotype nicht zu gefährden. Nur so bleibt eine Wahl zwischen geschlechtskonnotierten Verhaltensweisen möglich. Allerdings bringen diese Wahloptionen bislang nur wenig Offenheit auch für die Wahl einer homosexuellen Option mit sich.

Männer haben dieses Problem der Grenzüberschreitung im Sport nicht, da im Sport "männliche" Leistungsfähigkeit, Durchsetzungsfähigkeit, Kraft und Stärke sowie "männliche" Tugenden wie Kameradschaft ohnehin die Meßlatte für jegliches sportliches Handeln sind. Sport verlangt von Männern also nur, was ihnen aufgrund ihrer Sozialisation zum Mann schon vertraut ist. Für Männer ist daher das Überschreiten von Geschlechtergrenzen hin zu dem, was gemeinhin als "weiblich" gilt, weniger einfach. Denn wenn sie es tun, bedeutet dies sozialen und kulturellen Abstieg sowie Statusverlust. Ihnen wird dann häufig ihre Männlichkeit abgesprochen, und/oder sie werden für schwul gehalten. Sie brechen ein stärkeres Tabu als Frauen.

Es gibt also gute Gründe, Männlichkeit im Sport nicht in Frage zu stellen. Er ist nicht nur ein Ventil, um Kräfte wie sexuelle Regungen, Vitalität und körperliche Stärke schadlos für andere auszuagieren, "er bietet gleichzeitig ein Moratorium, in dem auch eine kulturelle Gewissheit der eigenen Männlichkeit, eine männliche Identität entwickelt wird". Doch es scheint immer schwieriger zu werden, dies aufrechtzuerhalten: "However, the capacity of sports to ideologize masculine superiority has been destabilized as women have struggled to gain greater access and commercially minded sports governors have sought women out as consumers." Dies erklärt, warum es gerade in traditionellen Männersportarten Bestrebungen gibt, sich gesellschaftlichen Veränderungen, die dazu geeignet sind, tradierte Bilder von Männlichkeit und Weiblichkeit aufzuweichen, zu widersetzen. Und es unterstützt die Haltung, Schwule hätten im Fußball keinen Platz.

Homophobie im Fußball

Das (männliche) Homosexuelle wird landläufig dem Weiblichen zugeordnet: Schwule gelten als unmännlich, ihnen wird zugeschrieben, weich, emotional, wenig durchsetzungsfähig, leicht verletzlich, zickig oder zimperlich zu sein, also als typisch weiblich geltende Eigenschaften aufzuweisen. Sie verstoßen gegen die Normen des Männlichen, das als fraglos heterosexuell angenommen wird. Schwules Begehren verletzt diese Annahme: Da das Heterosexuelle unhinterfragte Norm ist, etwas Vertrautes und für weite Teile der Bevölkerung Selbstverständliches, besteht noch kaum ein selbstverständlicher Umgang mit Homosexuellen - gerade im Fußball, der als klassische Männersportart gilt und von manchen Aktiven auch als Kampfsportart bezeichnet wird. Fußball ist ein körperbetontes Spiel, das ohne direkte Kontakte mit Gegnern und auch eigenen Teammitgliedern nicht zu spielen ist, in dem Härte, Wendigkeit, Schnelligkeit und bisweilen auch schmerzhafter Körpereinsatz gefragt sind.

Deshalb bemühen sich (Profi)Fußballer, so heterosexuell wie möglich aufzutreten - ob sie es sind oder nicht, denn die Erfahrung vieler offen lebender homosexueller Sportlerinnen und Sportler ist mehr oder weniger offene Diskriminierung. Für Profis kann ein Bekenntnis zum Schwulsein bedeuten, von ihren Verbänden, Vereinen oder Teams abgelehnt, aus dem Kader entfernt zu werden oder Sponsoren zu verlieren, was wiederum den Verlust der Existenzgrundlage bedeuten würde. Die Demonstration der eigenen Heterosexualität eines (schwulen) Fußballers kann verschiedene Elemente enthalten: betont hartes Einsteigen in Zweikämpfen; demonstratives Auftreten in weiblicher Begleitung; Mitlachen bei Schwulenwitzen in der Kabine. Solange Männer nicht in den Verdacht geraten, schwul zu sein, haben sie nichts zu befürchten.

Im Fußball, für viele "die schönste Nebensache der Welt", zeigt sich dies besonders deutlich. Er hält besonders beharrlich an überkommenen Werten und Normen, Geschlechterverhältnissen und -rollen fest und weigert sich, gesellschaftliche Wandlungsprozesse anzuerkennen. Er pflegt damit das heteronormative Denken. Dieses beruht auf zwei Grundannahmen: der von zwei distinkten Geschlechtern - dem männlichen und dem weiblichen - und der des grundsätzlichen heterosexuellen Begehrens. Die erste Annahme geht davon aus, dass Mann und Frau anhand ihrer Physis, ihrer seelischen Eigenschaften und ihrer Wesensart identifizierbar und leicht und eindeutig zu unterscheiden sind. Die zweite Annahme besagt, dass "normales" Begehren immer auf Angehörige des anderen Geschlechts gerichtet ist und dass das heterosexuelle Paar per se das Prinzip der sozialen Bindung ist. Es erscheint kaum notwendig, diese Essentialismen und Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen, jede Abweichung von der Norm dagegen sehr wohl, also auch die Homosexualität, die als das Gegenüber der Heterosexualität, das erklärungsbedürftige Andere betrachtet wird.

Dabei zeigt der Blick über unsere Gesellschaft hinaus, dass dies eine kulturelle Vereinbarung ist, die nicht überall auf der Welt zu allen Zeiten geteilt wurde oder wird: Weder ist die körperliche Lust immer auf gegengeschlechtliche Beziehungen festgelegt, noch werden enge, stabile soziale Bindungen immer gegengeschlechtlich eingegangen. Der Heteronormativität die Vorstellung eines Spektrums entgegenzustellen, in dem das Männliche und das Weibliche nur zwei Pole markieren, zwischen denen es graduelle Abstufungen gibt, also verschiedene Mischungen dessen, was als männlich oder weiblich gilt, waren bisher nicht nachhaltig erfolgreich. Vielmehr werden Darstellungen und Demonstrationen des Uneindeutigen als "nicht normal" registriert und auch meist nur in mehr oder weniger kleinen sozialen Zusammenhängen ausgelebt. Wer sich mit einer verstörend uneindeutigen Darstellung von Geschlecht in die Öffentlichkeit begibt, muss mit Anfeindungen rechnen, bis hin zu für das körperliche und geistige Wohlbefinden existentiell bedrohlichen Übergriffen.

Dass der englische Fußballstar David Beckham mit seiner Selbstbezeichnung als "metrosexuell" und dem Bekenntnis, er trage gerne die Unterwäsche seiner Frau, seinerzeit kaum negative Reaktionen, stattdessen viel interessierte Aufmerksamkeit erhielt, widerspricht nicht der Heteronormativität. Klaus Theweleit sieht in Beckhams Verhalten zwar ein Beispiel für einen neuen öffentlichen Umgang mit Sexualitätsformen, die in der Pop-Welt des Sports auch die Wahl einer schwulen Option ermöglichen könnte, doch wie weit dieser Schluss trägt, ist zu fragen. Denn die publikumswirksame Inszenierung des Spiels mit Attributen wie Kleidungsstücken, die für ein bestimmtes Gender (soziales Geschlecht) stehen, muss keinesfalls eine solche Wahl der Option vertreten und mehr sein als ein Spiel mit transvestitischem Exotismus - dies vielleicht gerade auch deshalb, weil Schwulsein meist direkt und unhinterfragt mit Sexualität assoziiert wird, ein Auftritt als Transvestit weniger.

Letztlich hat sich durch Beckhams cross dressing unter der Oberbekleidung bislang im Fußball nichts nachhaltig verändert. Zwar mag gelten, dass ein performativer Akt wie das Spiel mit Geschlechterrollen und Geschlechterbildern das Denken und Sprechen über diese verändert. Doch Beckham hat nie Zweifel an seiner heterosexuellen Orientierung und seiner weitgehend der (europäischen) Norm entsprechenden Männlichkeit gelassen. Gerade als Fußballer ist er "ganz Mann" - stark, kampferprobt, einsatzfreudig auch unter Inkaufnahme körperlicher Versehrtheit, kameradschaftlich, furchtlos. Seine sorgfältig ausgewählten Informationen über sein Privatleben, das Auftreten und die Selbstinszenierung seiner Frau Victoria und seiner Kinder stützen dieses Bild. Er hat mit seinem Bekenntnis nur an der Oberfläche der symbolischen Ordnung der Geschlechtsstereotype gekratzt und dies geschickt für die popkulturelle Selbstvermarktung genutzt.

"Männlichkeit" ist im Sport wie in anderen Alltagsbereichen eine kulturelle Vereinbarung. Sie schlägt sich auch in der Fußballkultur eines jeden Landes nieder: Die dargestellte Männlichkeit zeigt die "social actor's gender identity", was darauf verweist, dass Männlichkeit auch und vor allem eine Kategorie des Sozialen ist. Fußballidentitäten verschiedener Länder führen verschiedene Bilder von Männlichkeit vor: Der argentinische Spielertypus und sein Stil, der criolla, zeigen individuelle Ausdrucksfähigkeit, Kreativität und große fußballtechnische Fähigkeiten. Leitbild dieses Typs ist nicht der physisch große, reife Mann, sondern der Junge, bei dem technische Fähigkeiten und Kreativität mit einem kleinen Körper und mit Verletzlichkeit gepaart sind. Solche Beispiele für Fußballer, die sehr unterschiedliche Konzepte von Männlichkeit in ihrem Spiel verkörpern, weist Richard Giulianotti auch für südeuropäische Länder nach. Er zählt auch Beckham dazu, dessen Stil offensichtlich vom traditionellen englischen Fußballstil abweicht. Vor dem Hintergrund, dass in den weitaus meisten Gesellschaften und Kulturen Männlichkeit als Maßstab und Leitwert gilt, sind diese verschiedenen Männlichkeiten im gemeinsamen Fußballspiel durchaus miteinander kompatibel; es genügt, individuelle Spielweisen und regionale Stile aufeinander abzustimmen. Auch ein argentinischer Spieler wie Diego Maradona wird in Europa als genialer männlicher Fußballer verehrt. Solche Spieler und Stile stellen die heteronormative Ordnung nicht in Frage, sondern werden als akzeptable Abweichungen von vertrauten Konnotationen im Rahmen geltender Normen mit Ver- oder auch Bewunderung registriert.

Für Schwule im Fußball bedeutet dies, dass sie ihre sexuelle Orientierung (immer noch) verbergen müssen. Sie lernen schon im Jugendalter, dass Schwule minderwertig sind; Beschimpfungen wie "Weichei", "Warmduscher", "Memme" oder Bezeichnungen wie "schwuler Pass" (für einen Fehlpass) sind sinnfälliger Ausdruck der fortdauernden Homophobie. So trainieren junge Fußballer nicht nur den versierten Umgang mit dem Ball, sondern auch das Vermeiden all dessen, was als "schwul" wahrgenommen werden könnte. Als Erwachsene sind schwule Fußballer häufig geradezu Meister eines viel Energie verbrauchenden Spagats zwischen zwei Aspekten ihrer Persönlichkeit, die nicht miteinander vereinbar scheinen. Die für das Verstecken des eigenen Schwulseins aufgewendete Energie steht für den Sport nicht mehr zur Verfügung; darunter kann ihre Leistungsfähigkeit leiden. Schwule Fußballer, die diese doppelte Belastung, sportliche Höchstleistungen erbringen und zugleich ihr Schwulsein verheimlichen zu müssen, nicht durchhalten, verzichten auf eine vielversprechende Profikarriere. Dem Sport gehen damit Talente verloren.

Der Homophobie im Fußball sind auch Lesben ausgesetzt. Sie bekommen sie nur in anderer Weise zu spüren. Es ist weithin bekannt, dass im Frauenfußball im Breiten- wie im Leistungssport viele Lesben mitspielen. In den oberen Ligen können sie sich allerdings ebenso wenig zu ihrer Homosexualität bekennen wie ihre schwulen Kollegen und unterliegen Stillhalteabkommen. In den Teams und Vereinen ist bekannt, wer lesbisch ist, doch von diesen Spielerinnen wird verlangt, dies nicht in die Öffentlichkeit zu tragen. Damit sind Lesben zwar einem geringeren Druck ausgesetzt als Schwule, doch die heteronormative Ordnung wird auch hier aufrechterhalten. Das mag zum einen daran liegen, dass Lesbischsein weniger ernst genommen wird als Schwulsein, zum anderen daran, dass der Frauenfußball ohne Lesben nicht denselben Erfolg hätte, wird er doch mehr als andere Sportarten überdurchschnittlich von Lesben betrieben, die zu einem bedeutenden Teil seine Leistungsträgerinnen sind. Es liegt aber auch daran, dass Frauenfußball zur großen Fußballfamilie gehört und deshalb auch hier wie im Männerfußball über Homosexualität und Homophobie bislang wenig gesprochen wird.

Dass Lesben im Frauenfußball offenbar geduldet wurden und werden, hat weniger mit seiner verglichen mit dem Männerfußball noch immer geringeren Popularität zu tun als damit, dass er lange Zeit ohnehin nicht als "echter" Fußball ernst-, sondern als missglückte Imitation des Männerfußballs wahrgenommen wurde. Wenn Fußballerinnen ein von tradierten Männlichkeitswerten geprägtes Spiel betreiben, werden sie zudem immer noch von vielen nicht als "echte" Frauen betrachtet, dazu sind sie ihnen zu kerlig, robust, roh und damit unattraktiv - Attribute, die gemeinhin Lesben zugeschrieben werden. Ob lesbisch oder schwul, Homosexualität scheint dem Fußball zu schaden und sein Ansehen zu diskreditieren. Die Äußerungen des früheren Managers von Schalke 04, Rudi Assauer, im März 2010 belegen dies: Er empfahl Schwulen, sich einen anderen Arbeitsplatz als den Fußball zu suchen, weil es in dieser Sportart anders als vielleicht in anderen Sportarten nicht "funktioniere", offen homosexuell zu sein.

Doch zugleich ist Homosexualität im Fußball ein interessantes und reizvolles Thema. In der Fußballberichterstattung wird immer häufiger danach gefragt, wann das erste Outing eines schwulen Fußballers stattfinde. Das wäre eine Schlagzeile, die größtmögliche Aufmerksamkeit garantieren würde. Dies konterkariert eine häufig geäußerte Meinung derer, die keine Notwendigkeit sehen, gegen Homophobie im Sport vorzugehen, denn die Art des sexuellen Begehrens sei Privatsache, und deshalb solle auch nicht darüber gesprochen werden. Dabei wird jedoch übersehen, dass Heterosexualität in der Sportberichterstattung eben keine Privatsache, sondern - wenn auch nicht mit diesem Begriff bezeichnet - ein selbstverständlicher Bestandteil ist. So werden Spielerfrauen auf Stadiontribünen in der Fernsehberichterstattung eingeblendet, es wird darüber berichtet, welcher Athlet mit welcher Athletin liiert ist, welche Sportlerin ihren Trainer geheiratet oder wie ihr Freund auf einen Olympiaerfolg reagiert hat und dergleichen mehr. Fans und Zuschauende erfahren so: Athletinnen und Athleten haben ein Privatleben, sind abgesehen von ihrer sportlichen Betätigungen Menschen wie du und ich - und insoweit über Privates berichtet wird, immer heterosexuell. Alles ganz normal. Unangenehm ist demgegenüber das Andere, die Homosexualität, das lieber ignoriert wird, selbst wenn es offenkundig oder bekannt ist.

Bereits Begebenheiten, die zunächst nichts mit Homosexualität zu tun haben, werden in diesem Kontext dargestellt, so auch die im Spätwinter 2010 eskalierende Auseinandersetzung um den Vorwurf der sexuellen Belästigung, den der Bundesligaschiedsrichter Michael Kempter gegen den inzwischen zurückgetretenen Schiedsrichterfunktionär des Deutschen Fußballbundes (DFB), Manfred Amerell, vorgebracht hat. Auch Rudi Assauer führt diese Angelegenheit an, um seine Haltung zu bekräftigen: Der Fall zeige ja, was im Fußball passiere, wenn sich jemand oute. Ein Gutteil der Berichterstattung beruht auf der Annahme, dass doch zumindest einer der beiden Beteiligten schwul sein müsse. Das vermutete Schwulsein macht das Thema besonders interessant. Doch hat sexuelle Belästigung in erster Linie etwas mit Machtverhältnissen, Abhängigkeiten und Machtmissbrauch zu tun. Die Berichterstattung vermischt zwei völlig verschiedene Ebenen und trägt somit dazu bei, Homosexualität als etwas im Fußball Unbequemes und Unerwünschtes zu betrachten. Und sie zeigt, dass Homosexualität anders als Heterosexualität unwillkürlich mit ausgelebter Sexualität oder dem unaufhaltsamen Drang, dies immer und überall zu tun, assoziiert wird.

Hier schlägt sich das Stereotyp des Schwulen als grundsätzlich promisk, seinen sexuellen Trieben ausgeliefert und ausschließlich an Sex interessiert nieder: als wäre der Zivilisationsprozess an homosexuellen Menschen vorbeigegangen, als hätten sie nicht ebenso wie Heterosexuelle gelernt, ihre Affekte zu kontrollieren. Übersehen wird zudem, dass die Zurschaustellung von Erotik, Begehren und Werbung um den oder die Andere/n in manchen Sportarten wie etwa im Turniertanz reine Darstellung und Inszenierung ist. Denn Sport an sich ist eine asexuelle Angelegenheit. Für Heterosexualität wird dies fraglos als selbstverständlich an- und hingenommen, gegenüber der Homosexualität jedoch angestrengt und absichtlich immer wieder bekräftigt, indem sie totgeschwiegen, diskriminiert oder lächerlich gemacht wird. Sie bleibt das gefährliche Andere.

Umdenken

Doch immerhin scheint im Fußball allmählich ein Umdenken einzusetzen. Der DFB-Präsident Theo Zwanziger setzt sich seit gut zwei Jahren offensiv dafür ein, das Tabu Homosexualität im Fußball abzubauen. Ein bei einem Länderspiel des Männernationalteams gegen Finnland am 14. Oktober 2009 in Hamburg stadionweit verteilter Flyer gegen Diskriminierung und für die Akzeptanz von Homosexualität im Fußball belegt das Engagement des Verbandes. Auch Bundesligavereine wie Werder Bremen haben erkannt, dass die sexuelle Orientierung ebenso wenig ein Grund zur Diskriminierung sein darf wie die soziale Herkunft oder andere Merkmale. In der "Satzung und Jugendordnung des SV ,Werder' von 1899 e.V." findet sich unter §2, Zweck des Vereins, der Absatz: "5. Der Verein fördert die Funktion des Sports als verbindendes Element zwischen Nationalitäten, Kulturen, Religionen und sozialen Schichten. Er bietet Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen unabhängig von Geschlecht, Abstammung, Hautfarbe, Herkunft, Glauben, sozialer Stellung oder sexueller Identität eine sportliche Heimat."

Auch über Deutschland hinaus werden Zeichen gegen Homophobie im Fußball gesetzt, die belegen, dass eines der letzten großen Tabus im Sport abgeschafft werden soll und keinerlei Diskriminierungen mehr geduldet werden sollen. Der englische Fußballverband (Football Association) hat schon im Jahr 2002 eine Broschüre gegen Homophobie im Fußball in Kooperation mit Vereinen der Premier League aufgelegt und unterstützt die Justin Campaign, die mit Aufklärung und Schulungsangeboten der Homophobie im Fußball entgegenwirken will. Auf europäischer Ebene hat sich der europäische Fußballverband UEFA des Themas angenommen, auf seiner dritten Konferenz gegen Diskriminierung im Fußball im März 2009 Homophobie in Workshops aufgegriffen und deutlich gemacht, dass allen Diskriminierungen gleichermaßen begegnet werden müsse.

Dies sind wichtige Signale auf dem Weg des Wandels im Fußball hin zu einer Sportart, die dem Integrationsgedanken des Sports gerecht werden und fair play für alle, unabhängig von ihrem kulturellen oder sozialen Hintergrund - und von ihrer sexuellen Orientierung -, garantieren will.

Fussnoten

Fußnoten

  1. www.pridehouse.ca (28.2.2010).

  2. www.zeit.de/sport/2010-02/vancouver-homosexuelle-sportler?page=all (28.2.2010).

  3. Ebd.

  4. Vgl Steven Seidman, Beyond the Closet. The Transformation of Gay and Lesbian Life, New York-London 2002. S. 49ff.

  5. Toby Miller, Sportsex, Philadelphia 2001, S. 22.

  6. Ebd. S. 22f. Vgl. auch Lotte Rose, Das sportliche Weiblichkeitsideal - Vorbild oder Falle?, in: Hessische Blätter für Volks- und Kulturforschung, NF 31, (1996), S. 155-168.

  7. Vgl. Pat Griffin, Strong Women, Deep Closets. Lesbians and Homophobia in Sport, Champaign 1998, S. 57-63; Marnie Haig-Muir, Is That a Woman? Gender and Sexuality in Women's Golf, in: Dennis Hemphill/Caroline Symmons (eds.), Gender, Sexuality and Sport. A Dangerous Mix, Petersham 2002, S. 49-59; Laura Robinson, Black Tights. Women, Sport and Sexuality, Toronto 2002, S. 59-76.

  8. Zum Fußballstadion als Raum, der es anders als andere öffentliche Räume Fußballfans ermöglicht, Verhaltensweisen auszuagieren, die außerhalb dessen als nicht geschlechtskonform kaum gestattet sind, vgl. Almut Sülzle, Fußball als Schutzraum für Männlichkeit? Ethnographische Anmerkungen zum Spielraum für Geschlechter im Stadion, in: Antje Hagel/Nicole Selmer/Almut Sülzle (Hrsg.), Gender Kicks. Texte zu Fußball und Geschlecht. Hrsg. von der Koordinationsstelle Fanprojekte bei der Deutschen Sportjugend, Bd. 10, Frankfurt/M. 2005, S. 37-52.

  9. Vgl. hierzu Tanja Walther, Kick it out. Homophobia in Football, hrsg. von der European Gay and Lesbian Sport Federation (EGLSF), Amsterdam-Berlin 2006, S. 5.

  10. Thomas Germann, "Auf geht's, ihr Männer!" Der Bezug auf den Körper bei der Herausbildung von männlicher Identität, in: Hessische Blätter für Volks- und Kulturforschung, NF 31, (1996), S. 145-154, hier: S. 146.

  11. T. Miller (Anm. 5), S. 23.

  12. Vgl. Dieter Haller, Die Entdeckung des Selbstverständlichen: Heteronormativität im Blick, in: KEA. Zeitschrift für Kulturwissenschaften, 14 (2001), S. 1-33. Zur kulturellen Gebundenheit dessen, wie (sexuelle) Beziehungen in einer Gesellschaft gewertet werden, siehe Susanne Schröter, FeMale. Über Grenzverläufe zwischen den Geschlechtern, Frankfurt/M. 2002.

  13. Vgl. Klaus Theweleit, Tor zur Welt. Fußball als Realitätsmodell, Köln 2006, S. 198f.

  14. Richard Giulianotti, Sport. A Critical Sociology, Cambridge 2005, S. 98.

  15. Vgl. ebd, S. 98f.

  16. Ein Beispiel dafür ist der ehemalige DDR-Jugendnationalspieler Marcus Urban aus Erfurt, der seine Geschichte öffentlich machte: vgl. Ronny Blaschke, Versteckspieler. Die Geschichte des schwulen Fußballers Marcus Urban, Göttingen 2008.

  17. Vgl. www.spiegel.de/panorama/leute/0,1518,
    683002,00.html (11.3.2010).

  18. Vgl. den Live-Kommentar zum Spiel um die Goldmedaille im Männereishockey bei den Olympischen Spielen in Vancouver am 28.2.2010 im ZDF: Der Kommentator erwähnte bei der Einblendung des amerikanischen Teammanagers auf der Tribüne den tragischen Verlust seines Sohnes durch einen Autounfall. Dass Brendan Burke schwul war, erwähnte er nicht. Das hätte eine Chance sein können, in der Berichterstattung für die Selbstverständlichkeit von Homosexualität im Sport einzutreten.

  19. Vgl. www.spiegel.de (Anm. 17).

  20. www.werder.de/download/satzung.pdf (2.3.2010).

  21. Vgl. Football Association (ed.), Tackling Homophobia, London 2002.

  22. www.thejustincampaign.com (28.2.2010). Der Name der Kampagne erinnert an den englischen Profifußballer Justin Fashanu, der sich Anfang der 1990er Jahre als schwul geoutet hatte und im Jahr 1998 Selbstmord beging.

Dr. phil., geb. 1963; Historikerin und Ethnologin; freischaffende Kulturwissenschaftlerin und Beraterin für Homophobie und den Umgang mit Homosexualität im Sport, Berlin. E-Mail Link: teggeli1@googlemail.com