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Fußball-WM 2010: Herausforderungen und Hoffnungen | Südafrika | bpb.de

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Fußball-WM 2010: Herausforderungen und Hoffnungen

Scarlett Cornelissen

/ 17 Minuten zu lesen

An die Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika knüpfen sich große Hoffnungen hinsichtlich ihrer politischen, ökonomischen und sozialen Auswirkungen. Doch ihre langfristigen Folgen sind nicht absehbar.

Einleitung

Die Bedeutung dessen, dass Südafrika im (europäischen) Sommer 2010 Gastgeber der nächsten Fußballweltmeisterschaft sein wird, geht weit über die Tatsache hinaus, dass dieses Großereignis zum ersten Mal auf dem afrikanischen Kontinent ausgetragen wird. Es ist vielmehr so, dass die WM aufgrund ihrer Größe und der für die Austragung notwendigen finanziellen Investitionen zahlreiche langfristige Auswirkungen auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung Südafrikas haben wird. Führende Politiker des Landes haben jahrelang große Hoffnungen geweckt, was die Folgen für den Arbeitsmarkt und das Wirtschaftswachstum angeht. Während dies in der südafrikanischen Gesellschaft zunächst zu hohen Erwartungen geführt hat, ist die öffentliche Meinung in den vergangenen Jahren vielschichtiger und zwiespältiger geworden.



Die WM ist in erheblichem Maße zu einem Teil von Südafrikas Politik zur Überwindung der Klassengegensätze geworden, da immer häufiger gefordert wird, dass von der Veranstaltung nicht nur große Unternehmen und die Reichen, sondern auch die Armen profitieren sollten. Dies stellt die Regierung von Präsident Jacob Zuma vor etliche Herausforderungen. Sie muss nicht nur ein gut organisiertes und sicheres Turnier garantieren, das internationalen Ansprüchen genügt, sondern außerdem auf eine immer unruhiger werdende Wählerschaft reagieren. In Hinblick auf vergangene in Südafrika ausgerichtete Sportveranstaltungen besteht die Chance, dass die WM 2010 Rassenversöhnung und Nationenbildung (nation building) fördert, selbst wenn dies nur von kurzer Dauer sein sollte. Dies hängt jedoch davon ab, ob die internationale Gemeinschaft das Ereignis rückblickend als gelungen bewerten wird und ob die Menschen in Südafrika das Gefühl haben werden, dass das Turnier ihnen echte materielle Vorteile gebracht hat.

Politik der Sport-Mega-Events in Postapartheid-Südafrika

Die Fußball-WM in Südafrika muss vor dem Hintergrund der wachsenden internationalen politischen und ökomischen Relevanz von Sportgroßveranstaltungen und der Beziehung zwischen Sport und Politik in Postapartheid-Südafrika gesehen werden. Das Eliteturnier des Weltfußballverbandes Fifa ist ein erstrangiges Mega-Event, wie es im Buche steht: Das heißt, es ist ein groß angelegter und prestigeträchtiger Sportwettbewerb mit Spitzensportlern, der regelmäßig und abwechselnd an unterschiedlichen Orten der Welt veranstaltet wird. Sportliche Großereignisse kennzeichnet, dass sie international ein hohes Maß an Interesse hervorrufen, große Publikumsmengen anziehen und über hohe Unternehmensinvestitionen und -erträge verfügen können. Hinsichtlich der Zuschauerzahlen und Einnahmen ist die Fußball-WM das größte Ereignis seiner Art, dicht gefolgt von den Olympischen Spielen. Sie unterscheiden sich darin, dass die WM in mehreren Städten ausgetragen wird. Beide sind jedoch globale Medienereignisse mit enormer wirtschaftlicher Bedeutung für Interessengruppen innerhalb und außerhalb des Sportsektors.

Allgemein ist es für viele Regierungen auf der ganzen Welt immer attraktiver geworden, Gastgeber von Sportgroßveranstaltungen zu werden. Mehrere Faktoren spielen hier - im Zusammenhang mit der wachsenden Bedeutung von Sport im Allgemeinen und Sportgroßereignissen im Besonderen - eine Rolle. Zu nennen sind hier etwa die Suche staatlicher Einrichtungen nach alternativen Entwicklungsmöglichkeiten in der zunehmend verflochtenen und konkurrenzbetonten Welt sowie neue symbolische und politische Werte, die Freizeit und Konsum zugeschrieben werden. All dies resultiert in der extremen Kommerzialisierung groß angelegter Sportveranstaltungen, was wiederum dazu beiträgt, dass die Gastgeberschaft derartiger Veranstaltungen mit wirtschaftlichem Nutzen verbunden wird.

Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, die Fußball-WM als Höhepunkt einer erweiterten Strategie der südafrikanischen Regierung zu betrachten, Sportveranstaltungen zu nutzen, um das Land auf internationaler Bühne prominenter zu positionieren. Auf diese Weise sollen ausländische Direktinvestitionen angezogen und die Attraktivität des Landes als Urlaubsziel gesteigert werden. Tatsächlich hat sich Südafrika seit dem Ende der Apartheid um eine ganze Reihe von bedeutenden Sportveranstaltungen bemüht. So richtete es 1995 die Rugby-WM aus, und 1996 war das Land Austragungsort der alle zwei Jahre stattfindenden kontinentalen Fußballmeisterschaft, des Africa Cup of Nations. 1999 fanden die Panafrikanischen Spiele sowie 2003 zwei weitere Weltmeisterschaften in Südafrika statt - die des Cricket-Weltverbandes und die Golf-WM der Damen. Die Bewerbung Kapstadts um die Austragung der Olympischen Spiele 2004 blieb zwar erfolglos, aber es wird spekuliert, dass sich mit Durban eine weitere südafrikanische Stadt für die Spiele im Jahr 2020 bewerben könnte. Der Zuschlag für die Austragung der Fußball-WM 2010 stellt jedoch einen besonderen Triumph dar und eine einzigartige Gelegenheit, das Land der Weltöffentlichkeit zu präsentieren.

Das Bestreben südafrikanischer Politiker, große internationale Sportveranstaltungen ins Land zu holen, hängt zudem mit einer historisch bedingten engen Beziehung zwischen Sport und Politik zusammen. Schon vor geraumer Zeit haben Historiker und Soziologen darauf hingewiesen, dass Sport eine wichtige Rolle bei der Entstehung gesellschaftlicher Identitäten und der Aufrechterhaltung der Rassentrennung gespielt hat. Zum Beispiel wurde Rugby während der Apartheid von einigen Angehörigen der Afrikaner community mit Werten wie Männlichkeit, Kulturstolz und Überlegenheit verbunden und von ihnen als symbolisches Schlüsselattribut des "Afrikanertums" betrachtet. Im Gegensatz dazu entwickelte sich Fußball (bzw. soccer in Südafrika) zum Sport vornehmlich der schwarzen Bevölkerung. Ab den 1950er Jahren und mit zunehmender Beliebtheit wurde Fußball zu einem Teil der sozialen Protestbewegung gegen die weiße Minderheitsregierung. Insgesamt gesehen, ist Sport ein Bereich, in dessen Rahmen viele Fragen zu Südafrikas Rassenpolitik debattiert worden sind - und das oft mit großer Tragweite. Da Sport einen derart wichtigen Teil der soziokulturellen Vorstellungswelt ausmacht, bedeuteten die internationalen Boykotts, durch die Südafrika während der Apartheid von der Teilnahme an großen Wettkämpfen ausgeschlossen war, sehr konkrete Konsequenzen für die Gesellschaft als Ganzes.

In der Zeit nach der Apartheid gewann Sport neue Bedeutung als ein Mittel zur Überwindung von Rassenunterschieden und zur Schaffung einer gemeinsamen nationalen Identität. Der ehemalige Sportminister Makhenkesi Stofile zum Beispiel stellte fest, Sport sei "ein sehr wichtiger Teil der Gesellschaft (...). Auch unser Land trägt eine Verantwortung, Sport als Hilfsmittel zu nutzen, um das Land und unser Volk in eine bestimmte Richtung zu lenken - die Richtung eines vom Rassismus befreiten Südafrikas (...). Also müssen wir den Sport für das nation building nutzen. Wir müssen ihn nutzen, um Selbstwertgefühl und Nationalstolz zu stärken. Wir dürfen nicht an Paradigmen festhalten, die Apartheidstereotype aufrechterhalten."

Bei der Rugby-WM 1995, kurz nach den ersten demokratischen Wahlen, wurde erstmals im Rahmen einer Großveranstaltung die Verbindung von Sport und nation building geknüpft. Der Turniersieg der größtenteils weißen südafrikanischen Rugbymannschaft wurde nach dem letzten Spiel vom damaligen Präsidenten Nelson Mandela gefeiert, der bei seiner Ankunft am Stadion ein springboks-Trikot trug - und somit die Farben der Rugby-Nationalmannschaft, die in der Zeit des Befreiungskampfes als ein Symbol des Apartheidrassismus galten. Mandelas offene Übernahme dieses Symbols signalisierte eine neue Ära der Versöhnung, an der alle Bevölkerungsgruppen teilhaben sollten, um ein vereintes und blühendes Südafrikas zu zeigen, das bereit ist, seinen Platz in der internationalen Gemeinschaft einzunehmen. Dieselbe Symbolik war auch während der 1996 in Südafrika ausgetragenen Fußball-Afrikameisterschaft offenkundig. Die erstmalige Teilnahme an diesem Turnier sollte die Integration des Landes in den afrikanischen Kontinent verdeutlichen.

Südafrikas Bewerbungskampagnen für die Austragung großer Sportereignisse werden seither von diesen Aspekten beflügelt. Durchaus bemerkenswert sind dabei zwei Elemente, welche die Bewerbung um die WM 2010 charakterisierten: erstens der Versuch, die Veranstaltung als Katalysator für die Einheit des Landes zu nutzen, und zweitens die Betonung darauf, wie das Ereignis dem Land innerhalb von Afrika und darüber hinaus zu einer einflussreicheren Rolle verhelfen könnte. Im Rahmen der letzten Bewerbungsrunde im Mai 2004 erklärte der damalige Präsident Thabo Mbeki gegenüber der Fifa-Führung beispielsweise, dies sei "eine afrikanische Hoffnungsfahrt - Hoffnung, dass wir in einer Zukunft ankommen werden, in der unser Kontinent frei ist von Krieg, Flüchtlingen und Vertriebenen, frei von Gewaltherrschaft, von rassischen, ethnischen und religiösen Konflikten, von Hunger und dem Gewicht unserer jahrhundertelangen Leugnung der Menschenwürde. (...) Nichts könnte unserem Volk jemals mehr Antrieb geben, sich für den eigenen und Afrikas Aufschwung einzusetzen, als (...) die erfolgreiche Austragung der Fußball-WM 2010." Der Präsentation wohnten auch Erzbischof Desmond Tutu und die ehemaligen Präsidenten Mandela und Frederik Willem de Klerk bei, die hohes moralisches und diplomatisches Ansehen in der internationalen Gemeinschaft genießen. Ihre Anwesenheit sollte zum Ausdruck bringen, dass Südafrika eine versöhnte Nation ist, die es verdient hat, die WM auszurichten, um den Wandel nach dem Ende der Apartheid zu stärken.

Wirtschaftliche Auswirkungen

Trotz alledem ist unbestritten, dass bei den Bemühungen, im eigenen Land Rückhalt für die WM-Bewerbung zu gewinnen, wirtschaftliche Argumente eine wichtige Rolle gespielt haben. Seit dem anfänglichen Bewerbungsverfahren sind grobe Schätzungen über die volkswirtschaftlichen Effekte der WM 2010 nach oben korrigiert worden: War 2004 noch von 30 Milliarden Rand die Rede, die durch die WM in das Land fließen würden, gehen heutige Schätzungen von 56 Milliarden Rand (etwa 5,1 Milliarden Euro) aus. Laut Grant Thornton, einer von der südafrikanischen Regierung beauftragten Beraterfirma, werden sich davon knapp 60 Prozent aus den Direktinvestitionen in Stadien und Infrastruktur herleiten, während sich der Rest aus Einnahmen aus dem Kartenverkauf, Zuschauerumsätzen, Tourismus und Sponsorenschaften zusammensetzt. Ferner wird prognostiziert, dass die Veranstaltung der Regierung 1,7 Milliarden Euro an Steuereinnahmen einbringen und insgesamt bis zu 415 000 neue Arbeitsplätze schaffen wird.

In Erwartung dieser positiven Effekte versprach die Regierung, zwischen 2006 und 2010 mehr als 400 Milliarden Rand (etwa 36 Milliarden Euro) als Teil eines viel größeren Investitionsprogramms zur Entwicklung der Infrastruktur aufzuwenden, insbesondere zur Sanierung von Einfuhrhäfen, Straßen, Eisenbahnlinien und der Energieversorgung. Ein positiver Aspekt daran ist, dass staatliche Investitionen zur Vorbereitung auf die WM in ohnehin dringend notwendige Infrastrukturprogramme fließen. Ein beträchtlicher Anteil der 36 Milliarden Euro ist beispielsweise für die Instandsetzung des desolaten Straßennetzes und die Erneuerung des öffentlichen Verkehrswesens vorgesehen. Diese Investitionen machen ungefähr ein Zehntel des südafrikanischen Bruttoinlandsprodukts aus - langfristig gesehen sind die Turnierkosten also erheblich höher als etwa bei der WM 2006 in Deutschland. Um ein weiteres Beispiel zu nennen: Die teuersten Olympischen Sommerspiele waren die Spiele 2008 in Peking - mit etwa 28 Milliarden Euro.

Zwar beabsichtigen Südafrikas Behörden, die Weltmeisterschaft 2010 zur Ankurbelung neuer umfangreicher Entwicklungen im Land zu nutzen; allerdings ist dies sehr kostspielig. Außerdem ist offen, ob das Turnier die prognostizierten wirtschaftlichen Vorteile tatsächlich erbringt. Die meisten Untersuchungen vergangener Sportgroßereignisse zeigen, dass die Veranstaltungen bestenfalls einen unwesentlichen Einfluss auf die Makroökonomie der Gastgeberländer hatten. Schlimmstenfalls können sie sogar Verluste und öffentliche Verschuldungen nach sich ziehen, von denen sich die ausrichtenden Städte unter Umständen erst etliche Jahre später erholen. Das bekannteste Beispiel für einen solchen Fall ist Montreal, dessen Behörden sich infolge der Olympischen Spiele 1976 erst 30 Jahre später endgültig von den Schulden befreien konnten.

Für die Fußball-WM 2010 steht die zügige Entwicklung von drei Infrastruktur-Arten im Vordergrund: die Stadien, das Verkehrswesen sowie die Unterbringung der Touristen. Von den zehn WM-Stadien werden sechs neu gebaut oder umgebaut (Kapstadt, Durban, "Soccer City" Johannesburg, Port Elizabeth, Nelspruit und Polokwane), während vier bereits vorhandene Stadien, die bislang vor allem für Rugby genutzt wurden, erweitert bzw. modernisiert werden (Bloemfontein, Ellis-Park-Stadion Johannesburg, Pretoria und Rustenburg). Die Aussicht auf die Austragung besonders wichtiger Spiele des Turniers hat viele Großstädte dazu angetrieben, viel Geld in Vorzeigestadien zu investieren. Bei einigen bedeutenderen ist der Bau jedoch von einer explosionsartigen Kostenentwicklung gekennzeichnet. "Soccer City" in Johannesburg zum Beispiel, das umgebaut wird, um die Sitzplatzkapazität auf 94 700 zu steigern und während des Turniers der Fifa und dem südafrikanischen Fußballverband als Hauptgeschäftsstelle zu dienen, hatte schon bis 2008 Mehrkosten in Höhe von 42 Millionen Euro verursacht. Schätzungen zufolge wird auch der Bau des Stadions in Kapstadt 220 Millionen Euro kosten - und somit erheblich mehr als die ursprünglich veranschlagten 160 Millionen.

Die Budgetüberschreitungen für den Stadionbau - verursacht durch diverse Faktoren wie das hohe internationale Preisniveau für Baumaterialien wie Zement - betrugen bis Ende 2008 geschätzte 212 Millionen Euro. Einige der wichtigsten Verkehrsentwicklungen wie das Gautrain-Schnellzugsystem in der Provinz Gauteng sind zudem von Terminverschiebungen und enormen Kostensteigerungen betroffen. In der international düsteren Wirtschaftssituation und angesichts der Tatsache, dass die nationalen Wachstumsaussichten unter den Energieversorgungsproblemen des Landes leiden, ist zu erwarten, dass die südafrikanische Regierung letztlich weitaus mehr für die WM 2010 ausgeben wird als ursprünglich geplant. Andererseits argumentieren einige Ökonomen, dass die Weltmeisterschaft konjunkturfördernde Effekte haben könnte, die sich ausgleichend auf die Deflation auswirken könnten, die für die nächsten Jahre erwartet wird.

Was den Tourismus betrifft, betrachten die südafrikanischen Behörden die WM als die Gelegenheit für die internationale Vermarktung und ein (re)branding Südafrikas. Tatsächlich war die frühzeitige Bewerbung für die WM teilweise von der Aussicht motiviert, die Sportveranstaltung mit einer internationalen Erneuerung des Images verbinden und den Tourismussektor ankurbeln zu können. Seit der Apartheid hat sich der Fremdenverkehr zu einem der wichtigsten Wirtschaftssektoren in Südafrika entwickelt. Derzeit verzeichnet die Branche jährlich knapp acht Millionen Einreisende. Zur WM 2010 werden etwa 450 000 ausländische Besucher erwartet, und Prognosen zufolge könnte der WM-Tourismus dem Land 761 Millionen Euro einbringen.

Schon frühzeitig haben Südafrikas Tourismusbehörden festgestellt, dass im Land ein gravierender Mangel an Unterkünften besteht, vor allem in Städten wie Johannesburg und Durban. Die Gastgeberstädte bemühen sich, dieses Problem zu lösen, aber auch weniger als ein Jahr vor Beginn der WM äußern hochrangige Fifa-Funktionäre noch Bedenken. So erklärte zum Beispiel Jérôme Valcke, der Generalsekretär des Weltfußballverbandes, im September 2009 in einem Interview mit einem deutschen Sportmagazin, er sei "nicht besorgt wegen der Kartenverkäufe, sondern um die Unterbringung der Fans. Es ist unser Anliegen, dass jeder Fan, der eine Eintrittskarte gekauft hat, auch einen Flug und ein Zimmer bekommt. (...) Wir brauchen genügend Unterkünfte für die Gäste sowie hohe und sichere Transportkapazitäten."

Es überrascht somit nicht, dass Fragen der Infrastrukturentwicklung und -kapazität in der aktuellen Debatte um Südafrikas Stand der Vorbereitungen auf die WM 2010 am heißesten diskutiert werden. Berichte der internationalen Medien spiegeln eine tiefe Skepsis gegenüber der Fähigkeit des Landes wider, eine Veranstaltung dieser Größenordnung auszutragen. Südafrikas Organisatoren und Behörden sehen sich zusätzlichem Druck ausgesetzt, ihre Versprechen, denen zufolge die WM Arbeit schaffen und zu wirtschaftlicher Entwicklung führen wird, erfüllen zu müssen - nicht zuletzt wegen der äußerst erwartungsvollen heimischen Wählerschaft. Somit ist gutes Gelingen hinsichtlich der WM-bedingten infrastrukturellen Entwicklungen von enormer Wichtigkeit - sowohl für eventuelle langfristige sozioökonomische Auswirkungen, als auch für ein gelungenes Turnier an sich und dessen positive Beurteilung.

Politische Herausforderungen

Die Umsetzung eines angemessenen Sicherheitsplans für die WM stellt eine weitere Herausforderung dar. Das liegt daran, dass die Behörden neben den Vorkehrungen, die bei einem Turnier dieser Größenordnung zum Standard gehören - etwa gegen Hooligans oder mögliche Terroranschläge - zusätzlich Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung ergreifen müssen. Südafrika hat international traurige Berühmtheit für das Ausmaß an Kriminalität und sozialer Gewalt erlangt, was abschreckend auf potenzielle Turnierbesucher aus dem Ausland wirkt. Der Sicherheitsplan muss also auch eine gute Kommunikationsstrategie enthalten, um negativen Darstellungen entgegenzuwirken. Ein Entwurf, bei dem unter anderem Deutschland und Interpol beratend zur Seite standen, ist von der Fifa grundsätzlich gebilligt worden.

Im Juni und Juli 2009 richtete Südafrika den Confederations Cup der Fifa aus, der als Probelauf für die anstehende WM betrachtet wird. Während des Turniers stellte sich heraus, dass die Sicherheitspläne verbesserungsbedürftig waren. So hatte das Organisationskomitee (Local Organising Committee, LOC) versäumt, ein Sicherheitsunternehmen zu engagieren, was den kurzfristigen Einsatz zusätzlicher Polizeibeamter erforderlich machte. Nach vereinzelten kriminellen Zwischenfällen (zumeist Raubüberfällen) gegen Turnierbesucher wurde in internationalen Medien ausführlich darüber berichtet. Daraufhin gab das LOC bekannt, dass es für die WM den Einsatz von 41 000 zusätzlichen Sicherheitskräften plane und dass die Polizei 700 Polizisten für Streifen an den Austragungsorten bereitstellen werde. Ein durchdachter und effizienter Sicherheitsplan war auch für die gute Atmosphäre bei der WM 2006 in Deutschland eine wichtige Grundlage. Will Südafrika ähnliches erreichen, wird es eine Menge leisten müssen, um den weitverbreiteten Zynismus zu überwinden, der hinsichtlich seiner überdehnten Sicherheits- und Polizeiinfrastruktur besteht.

Eine weitere Herausforderung bildet der im Vorfeld der WM 2010 politisierte Vertrieb und Verkauf von Eintrittskarten im Inland. Damit verknüpft sind weiterreichende Fragen nach der möglicherweise elitären Art der Veranstaltung und der Ausschlusswirkung auf die im Allgemeinen arme inländische fußballbegeisterte Öffentlichkeit. Dies ist teilweise auf den weiterhin rassistisch aufgeladenen Charakter von Sportbeteiligung, -verbandswesen und -anhängerschaft in Südafrika zurückzuführen, wobei Fußball noch immer hauptsächlich von der schwarzen Bevölkerung getragen wird. Die starke Betonung der WM als afrikanisches Ereignis - und die Tatsache, dass als ein Hauptgrund für die WM-Bewerbung angeführt wurde, dass das Turnier die Afrikaner zusammenwachsen lassen würde - verpflichtet das LOC in besonderem Maße. Dieser Schwerpunkt steht aber auch in Zusammenhang mit dem Bestreben der Organisatoren, dafür zu sorgen, dass die WM in ihrem Windschatten eine loyale Fangemeinde hinterlässt und die Austragungsorte nach dem Ereignis nicht brachliegen.

Um die Verfügbarkeit von Tickets im Inland zu verbessern, hatte das LOC mit der Fifa und der Match AG ausgehandelt, dass "billigere" Karten ausschließlich südafrikanischen Fans vorbehalten sind. Diese als "Kategorie 4" bezeichneten Tickets sind zu einem Festpreis von 20 US-Dollar (etwa 13 Euro) für Spiele der Gruppenphase zu haben - ungefähr ein Zehntel von Karten in der höchsten Preiskategorie ("Kategorie 1"). Das LOC hat sich außerdem verpflichtet, durch Kursschwankungen ausgelöste Preiserhöhungen aufzufangen; durch "Einfrieren" des Wechselkurses von 7 Rand zu einem US-Dollar bei Tickets der Kategorie 4 wurden deren Preise schon frühzeitig auf 140 Rand festgelegt. Allerdings gehören nur etwa vier Prozent aller zum Verkauf durch die Match AG stehenden WM-Tickets zur Kategorie 4 (120 000 einer vorläufigen Gesamtkartenmenge von 3 037 468). Das heißt, dass nur ein kleiner Teil des einheimischen WM-Publikums Zugang zu den erschwinglicheren Karten haben wird. Aus Sorge, im internationalen Kartenverkauf könnten andere afrikanische Länder zu kurz kommen, deutete das LOC außerdem an, dass es gewährleisten wolle, dass auch im Rest des Kontinents genügend Tickets erhältlich seien.

Trotz dieser Zugeständnisse befürchten die WM-Organisatoren noch immer, dass nur wenige Südafrikaner Karten für die Spiele kaufen werden. Beim Confederations Cup 2009 zum Beispiel blieben viele Sitze in den Stadien leer. Um mehr Begeisterung und Rückhalt für die WM in der eigenen Bevölkerung zu wecken, richteten die Fifa und das LOC im August 2009 einen Kartenfonds ein, der 120 000 Freikarten an bestimmte Zielgruppen wie Jugendliche aus den Townships und am Stadionbau beteiligte Bauarbeiter verteilt.

Angesichts der Ungewissheit über die wirtschaftlichen Folgen der WM 2010 darf man vermuten, dass die wichtigste Langzeitwirkung für Südafrika in der Steigerung des Bürgerstolzes und in der Imageförderung des Landes liegt. Wie bereits erwähnt, gehören in der Postapartheid-Ära sportliche Leistungen zu den Hauptbestandteilen des jungen südafrikanischen nation building-Prozesses. Die neue Erfahrung, sportliche Großveranstaltungen auszutragen und an ihnen teilzunehmen, ist jedoch getrübt durch die im Allgemeinen hinter den Erwartungen weit zurückbleibenden Leistungen der Nationalmannschaften, was sich nicht nur negativ auf den Rückhalt der Teams im eigenen Land auswirkt, sondern in vielen Fällen auch auf die öffentliche Beachtung von Sportereignissen. So schnitt beispielsweise die Cricket-Mannschaft bei der WM 2003 in Südafrika unterdurchschnittlich ab, und ihr vorzeitiges Ausscheiden dämpfte die Begeisterung für die Veranstaltung als Ganzes. Auch die nach Peking zu den Olympischen Spielen 2008 entsandte Mannschaft vermochte es nicht, eine einzige Medaille zu gewinnen; in den Medien und in der öffentlichen Diskussion wurde die glanzlose Leistung der Olympioniken auf Faktoren wie mangelhafte Verbandsarbeit und die ständige Einmischung der Politik in Sportangelegenheiten zurückgeführt. Hierbei handelt es sich um allgemeine Kritikpunkte gegenüber allen größeren Sportarten in Südafrika. Während die Elite des Landes Sportveranstaltungen also immer noch für wichtige Instrumente hält, um politische Dividenden zu erzielen, haben die allgemeine Leistungsschwäche in internationalen Vergleichen und die offensichtlichen Defizite der südafrikanischen Sportverwaltung in der breiteren Bevölkerung zu viel Zynismus hinsichtlich fast aller Hauptsportarten geführt.

In Bezug auf den Fußball hat sich dies in den vergangenen Jahren noch verschärft, weil die südafrikanische Nationalmannschaft, gemeinhin bekannt als Bafana Bafana, konstant versagt hat: Bei nahezu allen größeren internationalen Turnieren spielte sie schwach und schaffte es nie, über die erste Runde hinauszukommen. Seit den anfänglichen, von leidenschaftlicher Unterstützung durch die Fans begleiteten Erfolgen (z.B. Gewinn der Afrikameisterschaft 1996) hat es einen deutlichen Leistungseinbruch gegeben. Da den Funktionären des südafrikanischen Fußballverbandes nur zu bewusst ist, welche Bedeutung eine gute Leistung der Nationalmannschaft bei der WM im eigenen Land hat, investierten sie beträchtliche Mittel in die Ernennung eines renommierten Trainers und verpflichteten Carlos Alberto Parreira, der mit der brasilianischen Nationalmannschaft 1994 die WM gewonnen hatte. Nach seinem plötzlichen Rücktritt im April 2008 wurde der weniger bekannte, aber ebenso teure Brasilianer Joel Santana engagiert, der aber im Oktober 2009 nach einer Niederlagenserie wieder entlassen und erneut durch Parreira ersetzt wurde. Diese Entwicklungen trugen nicht gerade dazu bei, die tief verankerte Skepsis in Bezug auf die Erfolgsaussichten der Bafana Bafana bei der WM 2010 zu verringern. Eher haben die hohen Trainergehälter und die Tatsache, dass die Vorstellungen der Nationalmannschaft nicht besser wurden, die landesweite Geringschätzung des eigenen Teams noch verstärkt. Für die Fifa könnte sich eine schwache Leistung von Bafana Bafana als schädlich für die WM als Ganzes erweisen. Die Verbesserung des Gastgeberteams ist deshalb auch in ihren Augen eine der wichtigsten Aufgaben bei der Vorbereitung der WM.

In der Zwischenzeit hat die unlängst konstituierte Regierung von Jacob Zuma mit wachsenden sozialen Unruhen, Streiks städtischer Angestellter sowie Forderungen nach einer Verbesserung des Dienstleistungssektors zu kämpfen. Ausmaß und Gewalttätigkeit sozialer Proteste haben im Laufe des Jahres 2009 kontinuierlich zugenommen. Wenngleich nicht in direktem Zusammenhang mit der WM stehend, soll dennoch darauf hingewiesen werden, dass eine wachsende Bürgerbewegung entstanden ist, die fragt, worin der wahre Nutzen der gesamten Veranstaltung liegen wird. Ein deutliches Beispiel dafür war eine gewalttätige Demonstration Ende Oktober 2009 in einem Township, das direkt an das Johannesburger Stadion "Soccer City" angrenzt. Dabei schworen die Demonstranten, dass es "keine WM geben wird, weil wir keine Häuser und keine Arbeit haben", bemängelten, dass die Regierung "Geld in die WM steckt", und fragten "warum steckt sie kein Geld in Wohnungsbau?" Dies verdeutlicht einmal mehr: Südafrikas politische Führer haben zahlreiche Aufgaben zu bewältigen, die weit über die WM hinaus gehen. Ob sie dazu in der Lage sind, ist ungewiss.


Übersetzung aus dem Englischen: Jaiken Struck, South Petherton, England/UK.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Maurice Roche, Mega-Events and Modernity. Olympics and Expos in the Growth of Global Culture, London 2000; John Horne/Wolfram Manzenreiter (eds.), Sport Mega-Events. Social Scientific Analyses of a Global Phenomenon, Oxford 2006.

  2. Vgl. Chris Gratton/Ian Henry (eds.), Sport in the City. The Role of Sport in Economic and Social Regeneration, London 2001; Alan Tomlinson/Christopher Young (eds.), National Identity and Global Sports Events. Culture, Politics and Spectacle in the Olympics and Football World Cup, Albany 2006.

  3. Dies kommt in zahlreichen Dokumenten staatlicher Stellen über das Potenzial der Weltmeisterschaft zum Ausdruck. Vgl. z.B. Department of Environmental Affairs and Tourism/South African Tourism, 2010 Soccer World Cup Tourism Organising Plan, Pretoria 2005.

  4. Vgl. Robert Archer/Antoine Bouillon, The South African Game. Sport and Racism, London 1982; Albert Grundlingh/Andre Odendaal/Burridge Spies, Beyond the Tryline. Rugby and South African Society, Johannesburg 1995.

  5. Vgl. David Black/John Nauright, Rugby and the South African Nation. Sport, Cultures, Politics and Power in the Old and New South Africas, Manchester 1998.

  6. Vgl. Ben Couzens, An Introduction to the History of Football in South Africa, in: Belinda Bozzoli (ed.), Town and Countryside in the Transvaal, Johannesburg 1983, S. 198 - 214.

  7. Makhenkesi Stofile, Budget Vote speech, National Assembly, Cape Town, 22 May 2007.

  8. Vgl. z.B. Albert Grundlingh, From Redemption to Recidivism? Rugby and Change in South Africa During the 1995 Rugby World Cup and its Aftermath, in: Sporting Traditions, 14 (1998), S. 67 - 86; D. Black/J. Nauright (Anm. 5).

  9. Thabo Mbeki, Presentation to the FIFA Executive Committee on South Africa's Bid for the 2010 Soccer World Cup, Zurich, 14 May 2004, online: www.anc. org.za/ancdocs/history/mbeki/2004/tm0514.html (17. 6. 2004).

  10. Vgl. 2010 tourism to grow despite financial crisis, in: Business Report vom 24. 11. 2008.

  11. Vgl. Trevor Manuel (Finanzminister Südafrikas), Budget speech 2007, 21 February 2007, online: www.info.gov.za/speeches/2007/07022115261001.htm 1 (23. 2. 2007).

  12. Vgl. z.B. Victor Matheson, Mega-Events. The Effect of the World's Biggest Sporting Events on Local, Regional and National Economies, in: Dennis Howard/Brad Humphreys (eds.), The Business of Sports, Westport, Connecticut 2008, S. 81 - 99; John Horne, The Four "Knowns" of Sport Mega-Events, in: Leisure Studies, 26 (2007), S. 81 - 96.

  13. Vgl. 2010 stadiums R 3.2 bn over budget, in: Business Day vom 2. 12. 2008.

  14. Vgl. What crisis means for SA's mini-budget, in: The Witness vom 16. 10. 2008.

  15. Vgl. Soccer will save SA - economist, in: Financial Times vom 8. 10. 2008.

  16. Vgl. Business Report (Anm. 10).

  17. Vgl. Department of Environmental Affairs/South African Tourism (Anm. 3).

  18. South African Press Association/Deutsche Presse Agentur, World Cup accommodation a "challenge", in: www.ioltravel.co.za/article/view/5164469 (22. 10. 2009).

  19. Vgl. Crime fears grow as South Africa readies for football World Cup, in: The Guardian vom 22. 9. 2009.

  20. Diese Zahlen wurden Ende 2007 beim offiziellen Start des 2010 Tour Operator and Hospitality Programme der Match AG genannt.

  21. Riverlea residents demand 2010 employment, in: The Times vom 22. 10. 2009.

Ph. D., geb. 1974; Associate Professor am Department of Political Science, University of Stellenbosch, Private Bag X1, Stellenbosch 7602, Südafrika.
E-Mail: E-Mail Link: sc3@sun.ac.za