Demografischer Wandel und Migration als Megatrends
Demografie und Migration
Migration auf der einen Seite und Demografie auf der anderen haben sich weltweit zu sogenannten Megatrends entwickelt, die zunehmend in das Blickfeld politischer Entscheidungsträger rücken. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) stellt regelmäßig die Bedeutung der Migration für die Entwicklung in den Industrieländern heraus.[4] Die Global Commission on International Migration[5] (GCIM) weist in ihrem Bericht von 2005 an die Vereinten Nationen (UN) darauf hin, dass weltweit etwa 190 Millionen Menschen über internationale Grenzen hinweg unterwegs seien,[6] was einer Verdoppelung dieser internationalen Wanderungen innerhalb der vergangenen drei Jahrzehnte entspricht.[7]Stellt man diese Angaben in Relation zur Weltbevölkerung (6,9 Milliarden Menschen), so beträgt die globale Migrationsquote knapp drei Prozent; sie ist über längere Frist weitgehend stabil - allerdings mit erheblichen Strukturveränderungen, was die Richtung und auch die Ursachen für die jeweiligen Wanderungen nach dem Ende des "Kalten Kriegs" angeht: Migration erfolgt heute weniger in Ost-West-, als in Süd-Nord-Richtung und sowohl innerhalb der nördlichen wie der südlichen Halbkugel. Die nationale Migrationspolitik der Zielländer versucht heute stärker als in der Vergangenheit, die Migration zu begrenzen und nach den ökonomischen, insbesondere arbeitsmarktspezifischen Erfordernissen, aber auch nach den demografischen Bedarfen des jeweiligen Landes zu steuern.
Wenn indes Mitte dieses Jahrhunderts nach den Projektionen der UN je nach den Varianten und demografischen Annahmen zwischen fast acht und mehr als elf Milliarden Menschen auf der Erde leben,[8] werden bei unveränderter Migrationsquote zwischen 240 und 330 Millionen Personen nicht in ihrem Geburtsland leben. Inwieweit es sich dabei neben Arbeits-, Familien- oder Bildungsmigranten auch um Umwelt- oder Bürgerkriegsflüchtlinge handeln wird, inwieweit sie im Rahmen der jeweiligen rechtlichen Regelungen oder irregulär zuwandern und auf welche Länder, Regionen oder Kontinente sie sich verteilen werden, ist von den genannten push- und pull-Faktoren abhängig.[9]
Während Wanderungen erst seit Ende des Ost-West-Konflikts in den 1990er Jahren (wieder) mehr ins öffentliche Bewusstsein traten, wurden demografische Entwicklungen und Implikationen, insbesondere niedrige Geburtenraten und Alterung der Bevölkerung in den Industrieländern, national wie international, schon seit Mitte der 1970er Jahre von der Wissenschaft als Megatrends erkannt, analysiert und in die politische Debatte eingebracht.[10] In Deutschland legte eine entsprechende Enquêtekommission des Deutschen Bundestages zwischen 1994 und 2002 diesbezügliche Berichte vor.[11]
Die Ergebnisse, die schon damals auf die längerfristig bevorstehende Schrumpfung und Alterung der hiesigen Bevölkerung hinwiesen, sind allerdings in Folge der Wiedervereinigung und der massiven Aussiedler- und Asylzuwanderungen zu dieser Zeit zunächst in den Hintergrund gedrängt worden. Politische Reaktionen auf nachhaltige demografische Veränderungen gab es erst Mitte des vergangenen Jahrzehnts durch Maßnahmen zur Verlängerung der Erwerbsphase.[12] Diese folgt der steigenden Lebenserwartung, die mit einer seit über drei Jahrzehnten niedrigen Geburtenhäufigkeit einhergeht.[13] Hält diese Entwicklung, wie allgemein erwartet wird, weiter an, wird die Zahl der Einwohner hierzulande nach den aktuellen Bevölkerungsvorausberechnungen von 82 Millionen am Ende des Jahres 2008 auf eine Spannbreite zwischen 62 und 77 Millionen im Jahr 2060 zurückgehen. Dieser Trend verläuft ebenso wie in anderen Ländern der Europäischen Union (EU) wie etwa in Polen, der Slowakei, Ungarn und Rumänien, aber anders jedoch als in Frankreich, Großbritannien und in ganz Skandinavien, wo die jeweiligen Bevölkerungen zunehmen werden.
Nach den aktuellen Eurostat-Projektionen auf Basis der entscheidenden demografischen Variablen (Geburtenhäufigkeit, Lebenserwartung und (Netto-)Zuwanderung) - also ohne Berücksichtigung politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Anpassungsreaktionen[14] - wird Deutschland im Jahr 2060 nicht mehr das Land mit der größten Bevölkerung in der (heutigen) EU-27 sein.[15] Damit ist eine erhebliche und politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich höchst relevante Veränderung der Altersstruktur der Bevölkerung verbunden: Während heute 100 Personen im erwerbsfähigen Alter (20 bis 65 Jahre) 33 Ruheständler (Personen über 65 Jahre) gegenüberstehen, verdoppelt sich der Anteil der über 65-Jährigen bis 2060. Das Medianalter, das genau zwischen der jüngeren und der älteren Hälfte der Bevölkerung liegt, steigt bis 2050 von 43 Jahren (2008) auf 52 Jahre.[16]