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Brauchen wir eine Amtszeitbegrenzung für Bundeskanzler? | bpb.de

Brauchen wir eine Amtszeitbegrenzung für Bundeskanzler?

Frank Decker

/ 16 Minuten zu lesen

Der 19. Dezember 2021 könnte zu einem wichtigen Symboldatum der deutschen Politik werden. Ist die neue Regierung bis dahin noch nicht im Amt und Olaf Scholz als Bundeskanzler vereidigt, würde Angela Merkel den bisherigen Rekord von Helmut Kohl "knacken", der das Amt zwischen 1982 und 1998 genau 5.870 Tage lang bekleidete. Vor diesem Hintergrund stellte es keine Überraschung dar, dass die Debatte um eine mögliche Amtszeitbegrenzung für Bundeskanzler im Bundestagswahljahr von Neuem aufgelegt wurde. Neben der CSU und den Grünen machte sich auch die FDP die Forderung zu eigen und nahm sie in ihr Wahlprogramm auf. Der Regierungschef oder die Regierungschefin sollen danach künftig nur noch für zwei Wahlperioden im Amt bleiben dürfen. Im Gegenzug möchten die Liberalen die Legislaturperiode auf fünf Jahre verlängern. Daraus ergäbe sich dann eine maximale Amtszeit der Kanzler von zehn Jahren.

Dass die CSU den Vorschlag unterstützt, verwundert nicht, war sie doch selbst mit der Idee 2018 in Bayern vorgeprescht. Der nach dem Wechsel von Horst Seehofer ins Bundeskabinett frisch ins Amt gekommene neue Ministerpräsident Markus Söder wollte damit ein Zeichen der Bescheidenheit setzen, nachdem die CSU durch ihr Verhalten während der Flüchtlingskrise und des offen ausgetragenen Machtkampfs zwischen Seehofer und Söder auch in Bayern stark an Zustimmung eingebüßt hatte – schließlich standen im Oktober 2018 Landtagswahlen an. Die Oppositionsparteien begrüßten den Vorstoß zunächst, wollten Söder den Erfolg dann am Ende aber doch nicht gönnen. Mit dem Hinweis, es handele sich um ein durchsichtiges Manöver, das allein dazu dienen solle, der CSU im Wahlkampf Sympathiepunkte einzubringen, verweigerten sie der Verfassungsänderung im Landtag ihre Unterstützung.

Tatsächlich ist die Forderung nach einer Amtszeitbegrenzung populär, sie trifft in der Bevölkerung auf Zustimmung. Die Regierenden drücken damit ja ihre Bereitschaft aus, auf Macht zu verzichten: Der Kanzlerbonus entfällt. Was könnte dem Prinzip der Gewaltenteilung, das durch die Periodizität der Wahlen auch eine temporale Komponente aufweist, und dem demokratischen Prinzip der alternierenden, also wechselnden Regierung besser entsprechen? Wer nach Mechanismen sucht, Macht und Herrschaft zu begrenzen und sie einer stärkeren Kontrolle durch die Regierten zu unterwerfen, kann fast immer mit öffentlichem Beifall rechnen, scheint das Recht (und die Moral) also von vornherein auf seiner Seite zu haben.

Dies mag die Beflissenheit erklären, mit der Annalena Baerbock, kaum war sie zur Kanzlerkandidatin gekürt, auch für sich und die Grünen den Willen bekundete, ihre Macht als künftige Bundeskanzlerin zu beschränken – eine Macht, die sie erst noch erwerben musste und die, wie sich schon bald nach der Verkündung ihrer Kandidatur herausstellte, für sie dann doch in weiter Ferne blieb. Meinte sie es damit ernst? Noch wohlfeiler stellte sich die Forderung aus Sicht der FDP dar, die ja im Unterschied zu den Grünen keine Kanzlerambitionen hegte und deshalb von vornherein wusste, dass sie von der Reform selber gar nicht betroffen sein würde. Vor diesem Hintergrund wollten offenbar auch die Regierungsparteien nicht zurückstehen, als sie den Reformauftrag der im April 2021 vom Deutschen Bundestag eingesetzten Wahlrechtskommission eilfertig um das Thema "Amtszeitbegrenzung" ergänzten.

Amtszeitbegrenzungen in demokratischen Regierungssystemen

Doch was ist jenseits der "populistischen" Motivation von dem Vorschlag in der Sache zu halten? Hier hilft zunächst ein Blick auf andere politische Systeme weiter. Wenn etwas im eigenen Land eingeführt werden soll, das es ansonsten nirgendwo gibt, sollte dies stutzig machen. Tatsächlich kann eine Amtszeitbegrenzung in den parlamentarischen Regierungssystemen auf keinerlei Vorbilder zurückblicken – zumindest nicht für das Amt des Regierungschefs. Verbreitet ist sie allein in den präsidentiell verfassten Regierungssystemen, wie wir sie in den USA und Lateinamerika vorfinden, und – innerhalb der parlamentarischen Systeme – bei der Wahl der Staatsoberhäupter. Was die Letztgenannten betrifft, sehen die meisten Verfassungen eine Beschränkung auf zwei (in der Regel fünfjährige) aufeinanderfolgende Amtszeiten vor – so auch das Grundgesetz. Das einzige Land, das auf eine Begrenzung lange Zeit verzichtete, war ausgerechnet Frankreich – "ausgerechnet" deshalb, weil es sich hier um das parlamentarische Regierungssystem mit dem bei weitem machtvollsten Präsidentenamt handelt. Die Begrenzung auf zwei Mal fünf Jahre wurde in die Verfassung der Fünften Republik erst 2008 eingefügt.

Bezogen auf das Amt des Regierungschefs sind Amtszeitbegrenzungen ansonsten nur in den präsidentiellen Regierungssystemen geläufig. Diese unterscheiden sich von den parlamentarischen Systemen in zwei zentralen Merkmalen: Zum einen gehen die Regierung beziehungsweise der Regierungschef nicht aus dem Parlament hervor, sondern aus einer direkten oder – wie in den USA – indirekten Volkswahl. Und zum anderen sind die Funktionen des Regierungschefs und Staatsoberhaupts in einem Amt vereint. Als Element der Gewaltenteilung bewährt hat sich die Amtszeitbegrenzung vor allem in den lateinamerikanischen Ländern, wo die Präsidenten im Verhältnis zur Legislative über größere Machtprärogativen verfügen als in den USA. Entsprechend größer war und ist die Gefahr des Machtmissbrauchs und des Rückfalls in den Autoritarismus. Die Amtszeitbegrenzungen fallen in Lateinamerika aus diesem Grund noch wesentlich strikter aus als in den USA. Während vier der 18 präsidentiell verfassten lateinamerikanischen Staaten wie dort eine unmittelbare Wiederwahl gestatten, sehen elf überhaupt keine Wiederwahl oder eine Wiederwahl nur nach Ablauf von einer oder zwei Legislaturperioden vor. In Venezuela, Nicaragua und Bolivien wurden die in der Verfassung geregelten Amtszeitbegrenzungen 2009, 2014 beziehungsweise 2017 auf Druck der autoritären Machthaber aufgehoben.

Dass mit der Präsidentschaft Donald Trumps die Gefahr eines Abgleitens in autoritäre Verhältnisse inzwischen auch zu einem Thema der US-Demokratie geworden ist, stellt vor dem Hintergrund der amerikanischen Verfassungsgeschichte eine ironische Wendung dar. Die Verfassung von 1787 hatte nämlich eine Amtszeitbegrenzung ganz bewusst nicht enthalten. Im 71. und 72. Artikel der Federalist-Papers wurde dies von Alexander Hamilton damit begründet, dass gerade der Ausschluss der Wiederwahl die Versuchung des Amtsinhabers erhöhe, seine Stellung zu missbrauchen und Macht und Eigennutz über das Wohl der Nation zu stellen. Außerdem sei es von Vorteil, wenn das Volk die Möglichkeit behalte, eine erfahrene Person im Amt zu bestätigen – zumal in Zeiten des Notstands und der politischen Instabilität.

Dass sich die Begrenzung auf zwei Amtszeiten in den USA durchsetzte, war eine Folge der von George Washington ab 1797 etablierten Verfassungspraxis. Der erste Präsident genoss ein so großes Ansehen, dass kein Nachfolger von seinem Beispiel abweichen wollte. Erst als sich Franklin D. Roosevelt 1940 erfolgreich um eine dritte und 1944 sogar um eine vierte Amtszeit bewarb, wurde der Weg für eine förmliche Verfassungsänderung frei. Der 1951 in Kraft getretene 22. Zusatzartikel legt seither fest, dass niemand mehr als zwei Mal in das Amt des Präsidenten gewählt werden darf. Das gilt auch für einen während der Wahlperiode in das Präsidentenamt aufgerückten Vizepräsidenten, wenn dessen Amtszeit bis zur nächsten Wahl weniger als zwei Jahre beträgt. Daraus ergibt sich eine maximale Amtsdauer der Präsidenten von zehn Jahren.

Wie hat sich die Amtszeitbegrenzung in den USA bewährt? Versucht man die Frage anhand der von Hamilton angeführten Argumente zu beantworten, muss bedacht werden, dass diese seinerzeit den Ausschluss jeglicher Wiederwahl im Sinn hatten, die Argumente also nur mit Blick auf die Praxis der zweiten Amtszeit gewürdigt werden können. Tatsächlich gibt es in der jüngeren Vergangenheit mit der Watergate-Affäre (unter Richard Nixon), der Iran-Contra-Affäre (unter Ronald Reagan) und der Lewinsky-Affäre (unter Bill Clinton) mehrere Fälle des Machtmissbrauchs, die sich alle während der zweiten Amtsperiode der Präsidenten ereigneten. Wären sie ausgeblieben, wenn die Amtsinhaber nochmals zur Wiederwahl hätten antreten können? Triftiger als das Missbrauchs- erscheint das Erfahrungsargument. Ronald Reagan, Bill Clinton und Barack Obama hätten gute Chancen auf eine nochmalige Wiederwahl gehabt. Und in Obamas Fall wäre dem Land damit gedient gewesen – sie hätte Donald Trumps Präsidentschaft 2016 verhindert. Ob sich dasselbe auch von einer möglichen dritten Amtszeit Reagans oder Clintons behaupten lässt, ist dagegen nicht ganz so sicher.

Einen wichtigen Aspekt der Regierungspraxis, der gegen den Ausschluss der Wiederwahl spricht, konnte Hamilton Ende des 18. Jahrhunderts nicht vorausahnen: Als "lame duck"-Phänomen ist er über die Grenzen der US-amerikanischen Politik hinaus bekannt. Ein Präsident, der nicht mehr wieder antreten darf oder – wie zum Beispiel Lyndon B. Johnson – auf eine nochmalige Kandidatur freiwillig verzichtet, büßt im Verhältnis zu seinen Mit- und Gegenspielern an Autorität ein, verfügt also nur noch über eine eingeschränkte Handlungs- und Durchsetzungsmacht. Inwieweit das tatsächlich stimmt, ist zunächst eine empirische Frage, da theoretisch auch das Gegenteil eintreten könnte: Wer von der Last der Wiederwahl befreit ist, regiert in der zweiten Periode unbefangener, muss auf mögliche Widerstände und die Stimmung in der Öffentlichkeit weniger Rücksichten nehmen. Die größeren Anreize für Wohlverhalten, die sich Hamilton im 72. Federalist-Artikel von der Wiederwahl erwartet, würden dann gerade durch eine Amtszeitbegrenzung entstehen.

Werden beide Effekte gegeneinander gestellt, findet man in der US-Politik stärkere Belege für die "lame duck"-These. Dies liegt zugleich in einer weiteren Eigenart des Präsidentialismus begründet, die diesen vom parlamentarischen System unterscheidet: der zwischen Exekutive und Legislative geteilten Regierungsmacht. Selbst mit einer Mehrheit ihrer eigenen Partei im Rücken konnten und können die US-Präsidenten nicht sicher darauf vertrauen, dass ihre Gesetzesvorhaben im Kongress Unterstützung finden. Ist eine solche Mehrheit von vornherein nicht vorhanden oder geht sie in einer oder beiden Häusern nach den Zwischenwahlen verloren, was heute fast schon die Regel ist, kann der Präsident in der Innenpolitik wenig ausrichten. Wie die Statistiken belegen, sind seine Erfolgsquoten in der zweiten Hälfte der zweiten Amtszeit am geringsten. Lediglich in der mit zweieinhalb Monaten vergleichsweise langen Übergangsperiode (von der Wahl des Nachfolgers bis zur Machtübergabe an diesen) trumpfen die Amtsinhaber nochmals auf, indem sie ihre konstitutionellen Befugnisse ausreizen – was unter Demokratiegesichtspunkten fragwürdig ist und sie am Ende der Amtszeit zum Gegenteil einer "lame duck" macht.

Ein genereller Nachteil des präsidentiellen Systems gegenüber dem parlamentarischen liegt in seiner konstitutionellen Rigidität: Die Amtszeiten von Präsident und Parlament sind fix, und beide Seiten können einander nichts anhaben. So wie der Legislative das Recht fehlt, die Exekutivspitze durch ein Misstrauensvotum abzuberufen (das impeachment greift nur bei Verbrechen oder schweren Rechtsverstößen), so hat die Exekutive keine Möglichkeit, die Legislative aufzulösen. Mangelt es dem Präsidenten an Unterstützung im Parlament, ist der Regierungsprozess blockiert. Die parlamentarische Regierungsform sorgt demgegenüber durch die Kombination von Misstrauensvotum und Parlamentsauflösung (mit der Folge vorzeitiger Neuwahlen) dafür, dass jederzeit eine neue Mehrheit erzeugt werden kann. Beide Instrumente wirken auch präventiv, das heißt, sie müssen nicht angewandt werden, um einen Wechsel herbeizuführen. Ein solcher kann auch stattfinden, wenn es aus dem Parlament heraus zur Bildung einer neuen Koalition kommt oder wenn die größte Regierungspartei sich entschließt, in der bestehenden Koalition den Mann oder die Frau an der Regierungsspitze auszutauschen. Amtszeitbegrenzungen erscheinen vor diesem Hintergrund unnötig, was sich empirisch zugleich an der geringen durchschnittlichen Verweildauer der Premierminister ablesen lässt: Diese liegt mit drei Jahren und vier Monaten weit unter der in der jetzigen Diskussion als maximale Amtszeit vorgeschlagenen Obergrenze von acht beziehungsweise zehn Jahren.

Merkels misslungener Abgang

Es verwundert deshalb nicht, dass die Diskussion um eine Amtszeitbegrenzung außerhalb der Bundesrepublik nirgendwo geführt wird. Auch hierzulande wäre sie wohl kaum aufgekommen, hätten nicht innerhalb eines historisch eher kurzen Zeitraums von weniger als 40 Jahren zwei Kanzler außerordentlich lange amtiert: Helmut Kohl und Angela Merkel. Aus der Rückschau zu konstatieren, dass beide auf ihre letzte – die vierte – Amtszeit besser verzichtet hätten, ist wohlfeil, konnten doch weder Kohl noch Merkel die Umstände vorausahnen, unter denen ihre jeweils 16 Jahre währende Kanzlerschaft enden würde. Projiziert man die vorgeschlagene Obergrenze von zwei Perioden auf ihre Amtsdauer, ergibt sich freilich ein verstörender Befund. Kohl hätte dann nämlich ausgerechnet zum Zeitpunkt seines größten innen- und außenpolitischen Erfolgs – der Herstellung der deutschen Einheit – abtreten müssen, und Merkel 2013, als sie ihr mit Abstand bestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl erreichte. Auch Konrad Adenauer, der von 1949 bis 1963 insgesamt 14 Jahre amtierte, stand 1957 nach zwei Wahlperioden im Zenit seines Ansehens.

Ob die erzwungene Erneuerung an der Regierungsspitze nach zwei Amtsperioden zu einer besseren Politik geführt hätte, ist in allen Fällen eine offene und in gewisser Weise müßige Frage. Denn wenn die Unzufriedenheit mit dem Amtsinhaber wächst, dieser als Zugpferd bei der nächsten Wahl nicht mehr taugt oder er aus anderen Gründen politisch unhaltbar wird, bestehen im parlamentarischen System genügend Möglichkeiten, ihn oder sie loszuwerden. Vergleicht man das Ende der Amtszeiten aller acht bisherigen Bundeskanzler (einschließlich Angela Merkel) miteinander, so war jeder Fall anders gelagert. Langwierige Regierungskrisen blieben dem Land erspart, erst 2017/18 kam es zu einer mit sechs Monaten ungewöhnlich langen Übergangsperiode, bis die neue Regierung stand. Dabei ging es allerdings nicht um einen Wechsel an der Regierungsspitze, sondern "nur" um die Bildung einer Koalition.

Mit dem Ausscheiden Angela Merkels beim Amtsantritt der neuen Regierung wird die Liste der Abgänge um eine weitere Variante bereichert. Es ist das erste Mal, dass eine amtierende Bundeskanzlerin bereits zu Beginn der Wahlperiode erklärte, bei der nächsten Wahl nicht mehr antreten, aber gleichwohl bis dahin im Amt bleiben zu wollen. Aus einer rationalen Sicht lässt sich das eine so wenig nachvollziehen wie das andere. Wer den Zeitpunkt seines Abschiedes ankündigt, macht sich ohne Not zur "lame duck" und lädt seine potenziellen Nachfolger ein, einen für die eigene Partei und die Regierung womöglich schädlichen Machtkampf auszutragen. Und wer sich weigert, für den Nachfolger rechtzeitig das Feld zu räumen, behindert diesen gleich doppelt: Einerseits kann der Kandidat dann nicht mit einem eigenen Amtsbonus in die Wahl ziehen, andererseits kommt er auch strategisch in die Zwickmühle, weil er politisches Profil entwickeln muss, ohne sich von der Noch-Amtsinhaberin stark zu distanzieren.

Merkels vierte Amtsperiode ist das Schulbeispiel eines gescheiterten Machtübergangs in der parlamentarischen Demokratie. Welche Faktoren zu der Entwicklung im einzelnen beigetragen haben, werden Historiker später vielleicht einmal genauer rekonstruieren. Merkels Machterosion begann im September 2018, als es ihr nicht gelang, die Wiederwahl ihres Vertrauten Volker Kauder zum Fraktionsvorsitzenden durchzusetzen. Einen Monat später verkündete sie ihren Rückzug vom Parteivorsitz, den sie bis dahin auch öffentlich – darin Helmut Kohl ähnlich – stets als eine wesentliche Stütze ihrer Kanzlerschaft betrachtet hatte. Vieles spricht dafür, dass Merkel in der neuen Parteivorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer zunächst auch ihre Wunschnachfolgerin für das Kanzleramt gesehen hatte, doch rückte sie davon bald ab. So wie Merkel nicht bereit war, Kramp-Karrenbauer im Parteiamt den nötigen Handlungsspielraum zuzugestehen, so fehlte der Vorsitzenden der Mut, die nach wie vor populäre Merkel vom Kanzlerthron zu stoßen. Dasselbe Spiel wiederholte sich unter Kramp-Karrenbauers Nachfolger Armin Laschet, dem Merkel im unionsinternen Rennen um die Kanzlerkandidatur partout nicht zur Seite springen wollte und den sie auch im anschließenden Wahlkampf nur halbherzig unterstützte. Für einen Wechsel im Kanzleramt war es bei Laschets Amtsantritt im Januar 2021 ohnehin bereits zu spät.

Zugleich muss das Verhalten des Koalitionspartners berücksichtigt werden. Die SPD hatte schon während der Koalitionsverhandlungen 2018 deutlich gemacht, dass sie nicht bereit sein würde, einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin für Merkel während der Legislaturperiode mitzuwählen, was den bis dahin geltenden Usancen der Koalitionsbildung – jeder Partner entscheidet über sein Personal selbst – widersprach. Noch größer war vermutlich der Einfluss der Coronapandemie. Dass die erfahrene Krisenmanagerin Merkel ausgerechnet in einer der schwierigsten Bewährungsproben hätte von Bord gehen sollen, in der sich die Bundesrepublik seit ihrer Gründung befand, wäre der Öffentlichkeit nur schwer zu vermitteln gewesen.

Merkels angekündigter Rückzug stürzte die beiden Unionsparteien ab 2018 in heftige Turbulenzen. Vom Beinahe-Bruch der Fraktionsgemeinschaft, die der CSU-Vorsitzende Seehofer mit dem Streit über die Flüchtlingspolitik gleich nach Amtsantritt der Regierung riskierte, über das Scheitern Kramp-Karrenbauers als CDU-Vorsitzende bis zum erbittert ausgetragenen Machtkampf um die Kanzlerkandidatur zwischen Armin Laschet und Markus Söder gingen die Zustimmungswerte der CDU/CSU – vom kurzen Zwischenhoch in der ersten Phase der Coronapandemie abgesehen – im Laufe der Wahlperiode so stark zurück, dass sie bei der Bundestagswahl zum ersten Mal seit 2005 um ihren Machterhalt fürchten musste. Bis Anfang Juli wog sich die Partei noch in einer trügerischen Sicherheit, weil sich die Zustimmungswerte im Bereich von 30 Prozent konsolidierten, während jene der Grünen rapide absackten. Die Flutkatastrophe sollte die ohnehin schlecht vorbereitete Wahlkampagne dann endgültig torpedieren und den Kandidaten ins Straucheln bringen. Lachende Dritte waren Olaf Scholz und die SPD, der es mit einer furiosen Aufholjagd in nur wenigen Wochen gelang, sich in den Umfragen und am Ende auch am Wahltag vor die Union zu setzen.

Kontraproduktive Effekte der Amtszeitbegrenzung

Sucht man nach Beispielen für gelungene Machtübergänge, wäre auf der Bundesebene wohl vor allem der Wechsel von Willy Brandt zu Helmut Schmidt (1974) zu nennen, der allerdings nicht geplant war, sondern durch den Rücktritt Brandts im Gefolge der Guillaume-Affäre politisch erzwungen wurde. Der Übergang von Konrad Adenauer zu Ludwig Erhard (1963) kann demgegenüber nur mit Blick auf den Sieg der Union bei der Bundestagswahl zwei Jahre später als Erfolg gewertet werden, nicht in Bezug auf Erhards anschließende zweite Amtszeit. Auf der Länderebene sind die Fälle zahlreicher: Geplante und geglückte Übergaben gab es hier von Harald Ringstorff zu Erwin Sellering in Mecklenburg-Vorpommern (2008), von Roland Koch zu Volker Bouffier in Hessen (2010) oder von Kurt Beck zu Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz (2013); sie alle trugen dazu bei, die Macht der jeweils führenden Regierungspartei abzusichern.

Die Herausforderung einer geregelten Übergabe besteht vor allem dort, wo eine Partei über eine hegemoniale Stellung im Parteiensystem verfügt, ihre Position als führende Regierungspartei also bei den Wahlen nicht gefährdet ist. Die Diadochenkämpfe, die innerhalb der CSU zwischen Edmund Stoiber und Theo Waigel (1993), dem Duo Günther Beckstein/Erwin Huber und Horst Seehofer (nach Stoibers Sturz 2007) und Horst Seehofer und Markus Söder (seit 2013) um das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten ausgefochten wurden, liefern dafür eindrückliche Belege. Im letztgenannten Fall trug Horst Seehofer zu seinem von Söder erzwungenen vorzeitigen Amtsverzicht selbst mit bei, indem er durch seine Ankündigung, 2018 nicht mehr für eine weitere Amtszeit kandidieren zu wollen, denselben Fehler wie Merkel beging und sich ohne Not zur "lame duck" machte. Söder, den Seehofer als seinen Nachfolger eigentlich verhindern wollte, konnte sich so gezielt für das Ministerpräsidentenamt in Stellung bringen und in Partei und Fraktion die nötige Unterstützerbasis aufbauen.

Der von Markus Söder noch vor der Landtagswahl unternommene Vorstoß für eine Amtszeitbegrenzung der Ministerpräsidenten ist deshalb bemerkenswert, weil er die Konstellation, die ihn selbst ins Amt gebracht hat, gleichsam institutionalisieren würde. Kann ein Ministerpräsident zur Wahl nicht mehr antreten, wird seine zweite Amtszeit unweigerlich von der Frage der Nachfolge überschattet. Ob ihm eine geregelte und einvernehmliche Machtübergabe noch während der Wahlperiode gelingt, ist keineswegs sicher. Die Amtszeitbegrenzung könnte den Druck, bis zum Ablauf der Periode im Amt zu bleiben, sogar vergrößern. Situationen wie die der Bundestagswahl 2021, in der ein neuer Kandidat seinen Wahlkampf neben einer noch amtierenden Kanzlerin bestreiten muss, wären damit die Regel.

Fazit

Unter dem Strich spricht folglich kaum etwas für eine Amtszeitbegrenzung. Sie ist in einem parlamentarischen System fehl am Platze und würde mehr Probleme verursachen als lösen. Diskutabel – wenn auch nicht unbedingt empfehlenswert – wäre sie allenfalls auf der Länderebene, zum einen, weil die möglichen Probleme hier aufgrund der geringeren Bedeutung der Länderpolitik weniger ins Gewicht fallen als auf der Bundesebene, zum anderen, weil das parlamentarische System der Länder durch die Ämterverbindung – der Ministerpräsident ist Regierungschef und Staatsoberhaupt in einer Person – und die Dauer der Legislaturperiode (fünf Jahre) von dem des Bundes in wichtigen Punkten abweicht. Würde man bei der Ausgestaltung der Verfassungsänderung dem US-amerikanischen Beispiel folgen und einem nach der Hälfte der Wahlperiode nachrückenden Ministerpräsidenten die zweimalige Wahl gestatten, läge die maximale Amtsdauer bei immerhin zwölfeinhalb Jahren.

Für den Bund sollte man die Idee dagegen rasch ad acta legen. Hier liegt der Verdacht nahe, dass sie ohnehin nicht ernst gemeint ist oder nur zur Bemäntelung eines anderen, aus der Interessensicht der Parteien näher liegenden Vorschlags dienen soll, nämlich der Verlängerung der Wahlperiode. Weil diese auf der Inputseite ein Weniger an Demokratie und Gewaltenteilung bedeutet, dürfte die Forderung laut werden, das Defizit durch ein Mehr an Demokratie an anderer Stelle zu kompensieren. In den Ländern hat man den Ausgleich durch die zeitgleiche Einführung und Ausweitung direktdemokratischer Beteiligungsformen herbeigeführt, was sich für den Bund heute aber selbst die Grünen und die SPD, die das lange Zeit gefordert haben, nicht mehr vorstellen können.

Doch welche Alternativen gibt es? Im oben erwähnten Einsetzungsbeschluss der Reformkommission wurden als Beratungsgegenstände neben einer Amtszeitbegrenzung und der Verlängerung der Legislaturperiode unter anderem genannt: die Novellierung des Wahlrechts, um die Vergrößerung des Bundestages wirksam einzudämmen, die Förderung der gleichberechtigten Repräsentanz von Frauen und Männern im Bundestag, die Modernisierung der Parlamentsarbeit, das Absenken des Wahlalters auf 16 Jahre und die Bündelung von Wahlterminen. Es bedarf keiner besonderen hellseherischen Fähigkeiten, um vorauszuahnen, dass die Amtszeitbegrenzung unter allen Vorschlägen die geringste Chance haben dürfte, die Beratungen zu überleben.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Bayerischer Landtag, Drucksache 17/21858, 24.4.2018.

  2. Vgl. Bundestagsdrucksache 19/28787, 20.4.2021.

  3. Vgl. Michael Krennerich, Freie und faire Wahlen? Standards, Kurioses, Manipulationen, Frankfurt/M. 20212, S. 92ff.

  4. Vgl. Winfried Steffani, Zur Unterscheidung parlamentarischer und präsidentieller Regierungssysteme, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 3/1983, S. 390–401.

  5. Vgl. Detlef Nolte, Lateinamerika. Flexible Verfassungen und starre Machtstrukturen, German Institute of Global and Area Studies, GIGA Focus 8/2015.

  6. Vgl. Patrick Horst/Philipp Adorf/Frank Decker (Hrsg.), Die USA – eine scheiternde Demokratie?, Bonn 2019.

  7. Vgl. Angela Adams/Willi Paul Adams (Hrsg.), Hamilton/Madison/Jay: Die Federalist-Artikel. Politische Theorie und Verfassungskommentar der amerikanischen Gründerväter, Paderborn 1994, S. 433–443.

  8. Das Argument, dass ein nicht wiederwählbarer Amtsinhaber von den Wählern nicht politisch haftbar gemacht und zur Verantwortung gezogen werden könne, ist in der jüngeren Parlamentarismus-Präsidentialismus-Debatte vor allem von Juan Linz ins Feld geführt worden. Vgl. Juan J. Linz, Presidential or Parliamentary Democracy. Does It Make a Difference?, in: ders./Arturo Valenzuela (Hrsg.), The Failure of Presidential Democracy. Volume 1: Comparative Perspectives, Baltimore–London 1994, S. 3–87, hier S. 12ff.

  9. Vgl. Daniel P. Franklin, Pitful Giants. Presidents in Their Final Terms, New York 2014.

  10. Vgl. Linz (Anm. 8).

  11. Betrachtet wurden die Länder der Europäischen Union mit Ausnahme Zyperns, das als einziger Mitgliedsstaat ein präsidentielles System aufweist, im Zeitraum seit 1990. Deutliche Unterschiede bestehen zwischen den west- und südeuropäischen Ländern der alten EU und den seit 2004 beigetretenen nord- und mittelosteuropäischen Ländern. In den erstgenannten lag die durchschnittliche Amtsdauer mit vier Jahren und zehn Monaten mehr als doppelt so hoch wie in den letztgenannten (zwei Jahre und vier Monate).

  12. Für eine journalistische Darstellung vgl. Robin Alexander, Machtverfall. Merkels Ende und das Drama der deutschen Politik: Ein Report, München 2021.

  13. Vgl. Frank Decker, Wer gewinnt die Bundestagswahl? Ausgangslage und Szenarien der Regierungsbildung 2021, in: Gesellschaft – Wirtschaft – Politik 2/2021, S. 145–154.

  14. Auf der nationalen Ebene gibt es mit Südafrika und Botswana nur zwei parlamentarische Systeme, die eine "geschlossene" Exekutive aufweisen. In beiden Fällen sehen die Verfassungen eine Amtszeitbegrenzung vor.

  15. Die einzige Ausnahme bildet Bremen. Hier lehnten die Wähler die vom Parlament geplante Verlängerung von vier auf fünf Jahre 2017 in einer Volksabstimmung mit knapper Mehrheit ab.

  16. Vgl. Frank Decker, Das parlamentarische System in den Ländern. Adäquate Regierungsform oder Auslaufmodell?, in: APuZ 51–52/2004, S. 3–9.

  17. Die Befürworter der Verlängerung suggerieren, dass es dafür im Gegenzug ein Mehr an Output-Legitimation gebe, weil infolge des gestreckten Wahlzyklus störungsfreier und mithin besser regiert werden könne. Empirisch gibt es dafür allerdings keine Belege.

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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Frank Decker für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

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ist Professor für Politikwissenschaft an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.
E-Mail Link: frank.decker@uni-bonn.de