Aceh nach Konflikt und Tsunami - Chancen und Herausforderungen
Von Rebellen zu Regierenden
Die insgesamt achtmonatigen, von starkem gegenseitigem Misstrauen geprägten Friedensverhandlungen unter Federführung des ehemaligen finnischen Präsidenten Martti Ahtisaari und der CMI in Helsinki standen wiederholt vor dem Aus.[6] Die indonesische Delegation hatte von vornherein deutlich gemacht, dass eine Einigung nur im Rahmen einer Autonomielösung für Aceh erzielt werden könne. Gleichzeitig hatte sie die offizielle Aufgabe des Unabhängigkeitsziels seitens der GAM zur conditio sine qua non erklärt. Aus Sicht der GAM waren die bisherigen Autonomiegesetze jedoch das Papier ihrer Ausfertigung nicht wert gewesen.[7] Dennoch gelang es Ahtisaari, die Verhandlungsparteien mittels der Formel nothing is agreed until everthing is agreed wiederholt zurück an den Verhandlungstisch zu bringen.[8] Die Pattsituation konnte schließlich durch den Konsens über eine "Selbstregierung" für Aceh aufgelöst werden.[9]Ende Juli 2006 verabschiedete das indonesische Nationalparlament schließlich das "Gesetz zur Regierung Acehs" (UUPA, Undang-Undang Pemerintahan Aceh). Durch die Zulassung parteiunabhängiger Kandidaten und lokaler Parteien in Aceh gelang es damit zwar, die Rahmenbedingungen für eine schnellstmögliche politische Partizipation der GAM zu schaffen.[10] Zugleich wurde mit dem Gesetz aber ein stark konkretisierungsbedürftiges Rahmenwerk konstruiert, das nicht alleinig die Umsetzung des MoU im Blick hat, sondern das vorherige, stark umstrittene Autonomiegesetz von 2001 in großen Teilen reproduziert und Bezug auf eine Vielzahl von nationalen Sektoralgesetzen nimmt. Dies führt zu weiten Interpretationsspielräumen und einem schier unüberschaubaren Regelungsbedarf auf nationaler und Provinzebene. Nationalistische Kräfte im indonesischen Parlament hatten befürchtet, dass die GAM bei zu weitreichender Autonomie versuchen würde, die Unabhängigkeit auf politischem Wege anzustreben. So wurde etwa die im MoU vorgesehene Zustimmungspflicht (consent) Acehs bei Entscheidungen auf nationaler Ebene, die auch die Provinz berühren, auf eine Beratungspflicht (consultation) abgeschwächt. Ein klar definierter Beratungsmechanismus zwischen Provinz- und Nationalebene fehlt im UUPA indes. Darüber hinaus wurde die im MoU angestrebte Kompetenzverteilung zwischen Aceh und der Nationalebene hinsichtlich bestimmter Politikfelder eher verwässert als klar geregelt.[11] Die GAM lehnt das Gesetz als staatsrechtlich verbindliches Regelwerk daher weitgehend ab und fordert bis heute die vollständige Umsetzung des MoU, welches von ranghohen GAM-Kadern auch als "Verfassung Acehs" bezeichnet wird.
Die zwischen Ende 2006 und 2008 abgehaltenen direkten Gouverneurs-, Landrats- und Bürgermeisterwahlen waren der erste Schritt zur politischen Integration der GAM. Sowohl der 2006 gewählte parteilose Gouverneur Irwandi Yusuf als auch zehn der insgesamt 23 Landräte und Bürgermeister Acehs entstammen der ehemaligen Unabhängigkeitsbewegung. Ein weiterer Meilenstein war die Zulassung lokaler Parteien. Dies ermöglichte neben anderen lokalen Parteigründungen auch die Formierung der sogenannten Aceh-Partei durch die GAM Anfang 2008. Sie gewann im April 2009 bei den Wahlen zu Acehs Regionalparlament 48 Prozent der Sitze und deutliche Mehrheiten in den Distriktparlamenten. Die Wahlerfolge haben ihre Ursache zum einen in der Entfremdung eines Großteils der überwiegend ländlichen Bevölkerung gegenüber den etablierten nationalen Parteien, die für Korruption und Misswirtschaft während der Konfliktjahre verantwortlich gemacht werden. Zum anderen hatte sich die Aceh-Partei in einer beispiellosen Wählermobilisierung mittels eindeutiger ethno-nationaler Symbolik als einzig legitime Vertreterin der Interessen Acehs mit dem Versprechen der vollständigen Umsetzung des MoU inszeniert. Darüber hinaus führten ihre territorial organisierten "Wahlkämpfer" der KPA eine gezielte Einschüchterungskampagne, bei der es häufig nicht bei der Androhung von Gewalt blieb. Die Aceh-Partei war aber auch Ziel gewalttätiger Aktionen: Neben vier gezielten Morden an Führungskadern kam es zu unzähligen Brandanschlägen, Bombenangriffen und anderen Übergriffen auf ihre Büros.[12]
Die weitgehend erfolgreiche Integration der GAM in die Lokalpolitik Acehs zeugt von einem hohen Institutionalisierungsgrad des Friedensprozesses. Gleichzeitig ist die ehemalige Unabhängigkeitsbewegung in der Konkurrenz um politische Ämter und den Zugang zu öffentlichen Mitteln mittlerweile tief gespalten. Dabei stehen sich prominente Vertreter der jungen GAM-Generation um Gouverneur Yusuf und die alte GAM-Exilregierung um den ehemaligen "Premierminister" Malik Mahmud unversöhnlich gegenüber. Die Aceh-Partei wird dabei eindeutig von Vertretern der ehemaligen Exilführung dominiert, die gegenüber der Nationalregierung eine unversöhnlichere Haltung einnehmen. Dieses Schisma, welches wiederholt zu Gewaltausbrüchen zwischen den Fraktionen führte, verschärft sich erneut im Vorfeld der anstehenden, schon mehrfach verschobenen Gouverneurs-, Landrats- und Bürgermeisterwahlen, die nun voraussichtlich im April 2012 abgehalten werden. Nachdem Yusuf angekündigt hatte, erneut für den Gouverneursposten kandidieren zu wollen, boykottierte die Aceh-Partei die bevorstehenden Wahlen sogar offen, um gegen die Zulassung parteiunabhängiger Kandidaten zu protestieren.[13] Anfang 2012 lenkte sie jedoch ein und kündigte an, eigene Kandidaten aufzustellen.
Das Vordringen der Aceh-Partei in die Parlamente markiert eine doppelte Zeitenwende. Mit dem Ende des offiziellen Wiederaufbaus nach dem Tsunami lief der Großteil der fast sechs Milliarden Euro umfassenden internationalen Hilfen für Aceh aus. Gleichzeitig trat der Friedensprozess mit der de-facto-Übernahme der parlamentarischen Prozesse durch die unerfahrene und kapazitätsschwache Aceh-Partei in eine kritische Phase ein. Seit der "Übernahme" der acehischen Parlamente durch die Partei ist die Umsetzung des UUPA durch sogenannte qanun (Regionalgesetze) ins Stocken geraten. Streitigkeiten um Vergaberichtlinien für öffentliche Ausschreibungen haben wiederholt die Verabschiedung des Provinzhaushaltes verzögert und die Wirtschaftskreisläufe Acehs empfindlich geschwächt. Darüber hinaus waren führende Mitglieder der Aceh-Partei wiederholt in Korruptionsskandale verstrickt. Dies und das als sehr autoritär wahrgenommene Gebaren der Partei haben zu einer politischen fatigue innerhalb der Zivilgesellschaft geführt. In der Öffentlichkeit wird zunehmend die Frage gestellt, ob die neuen politischen Führer tatsächlich eine Alternative zu den alten darstellen.[14]