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Austeritätspolitik - Sparen um jeden Preis? | Themen | bpb.de

Austeritätspolitik - Sparen um jeden Preis?

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Austerität ist in der deutschen Finanzpolitik ein recht junger Begriff; das Wort selbst leitet sich aus dem Lateinischen ab und heißt dort so viel wie "Herbheit" oder "Strenge". Kurz gefasst bedeutet Austeritätspolitik nichts anderes als dass ein Staat sich in seinen Ausgaben stark diszipliniert und in jeder Hinsicht spart.

Durch konsequentes Sparen versuchen viele Staaten einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen. Unklar bleibt, ob diese Austeritätspolitik die Krise in Europa verschärft oder der einzige Weg hinaus ist. (© picture-alliance, chromorange)

Die Konzentration auf das absolut Notwendige soll den Staatshaushalt von Defiziten befreien und zu einem ausgeglichenen Etat führen. Austeritätspolitik wird vor allem in Krisenzeiten eingefordert – etwa, wenn sich Staaten hoch verschuldet haben.

Erst sparen, dann kaufen



Als wirtschaftspolitisches Konzept ist Austerität eine Erfindung der angelsächsischen Wirtschaftsliberalen des 17. und 18. Jahrhunderts. Ökonomen betrachten Adam Smith als Vordenker: Wer spart und dadurch Reserven bildet, hat der Theorie zufolge mittelfristig Raum für Investitionen. Der britische Wirtschaftsprofessor Mark Blyth bezeichnet diese These mit dem Motto "erst sparen, dann kaufen".

Das Austeritäts-Prinzip ist – vor allem mit Blick auf eine als keynesianisch verstandene Wirtschaftspolitik – seit Anfang der 1970er Jahre in den Hintergrund getreten. John Maynard Keynes geht in seiner Theorie davon aus, dass Märkte sich in einem Kreislauf bewegen. Aus diesem Grund sei es sinnvoll, wenn Finanz- und Wirtschaftspolitik entgegengesetzt zu diesen Zyklen handelt. Will heißen: In schlechten Zeiten soll der Staat die Konjunktur ankurbeln und Schulden aufnehmen, um die Arbeitslosigkeit zu senken und den Konsum zu steigern ("deficit spending"). In guten Zeiten wiederum muss der Staat seine Schulden tilgen, die Steuern erhöhen und sparen – also Austerität im Boom betreiben.

Der halbe Keynes



Diese Kehrseite der keynesianischen Medaille haben viele Politiker jedoch nicht in der staatlichen Wirtschafts- und Finanzpolitik berücksichtigt: Die Staatsausgaben wuchsen, die Haushaltslöcher wurden größer, die Zinsen nahmen im Etat einen immer größeren Raum ein – und dies, obwohl beispielsweise in den 1980er und 1990er Jahren zahlreiche neue Sparpakete aufgelegt wurden. Aber zugleich stiegen die Kosten der sozialen Sicherungssysteme, hinzu kam, dass die Bevölkerung – etwa in Deutschland – alterte: Eine Studie des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung belegt, dass beispielsweise der Haushaltsanteil der Bundeszuschüsse an die Träger der Sozialversicherung von 13,5 Prozent im Jahr 1970 auf 34,3 Prozent im Jahr 2009 in die Höhe geschnellt war.

Der Schuldendienst, also die aufzubringenden Zinsen für Staatskredite, hat sich quer durch alle westlichen Industrienationen zu einem der größten Etatposten entwickelt. Die Folge: weniger verfügbares Geld für andere Staatsausgaben, vor allem weniger Spielraum in anderen Politikfeldern. Vor der Finanz- und Staatsschuldenkrise hätte sich womöglich kaum ein Politiker vorstellen können, dass die Finanzierung über Staatsanleihen problematisch werden könnte. In den vergangenen Jahren jedoch ist sogar die Möglichkeit von Staatspleiten im europäischen Raum in greifbare Nähe gerückt.

Schulden machen und sparen – geht das überhaupt?



Damit ist einigen Ökonomen zufolge eine Situation eingetreten, in der es wirtschaftlich schlecht läuft, aber die Staatsschulden bereits hoch sind. Im Grunde wäre also – frei nach Keynes – sowohl die richtige Zeit für Schuldenmachen als auch für Austerität. Ob beides zusammen funktioniert, ist stark umstritten. Einig sind sich alle Beteiligten grundsätzlich darüber, dass es notwendig ist, die überdimensionale Staatsverschuldung in den Griff zu bekommen. Der Weg dahin wird allerdings von den unterschiedlichen Seiten höchst unterschiedlich betrachtet. Politisch wird derzeit – nicht nur in der Großen Koalition der Bundesregierung, sondern auch europaweit – die Haushaltssanierung und damit das Austeritätsprinzip an oberste Stelle gesetzt. Sinkende Staatsausgaben vor höhere Steuern, heißt hier die Devise.

Problematisch sehen einige Ökonomen die Tatsache, dass alle Staaten auf Austeritätspolitik setzen und warnen davor, dass das Prinzip nicht funktionieren kann, wenn alle gleichzeitig sparen. Sparen schafft demnach keine Bedingungen für Wachstum, wenn es alle gleichzeitig tun. Andere Ökonomen und Politikwissenschaftler wie Paul Pierson gehen sogar noch einen Schritt weiter: Austerität sei eine institutionalisierte Dauerkrise, die der Politik keine andere Wahl lasse, als sie als Daueraufgabe zu bekämpfen. Das Ergebnis: Die Fähigkeit der Politik zu gestalten nehme stark ab, kombiniert mit der Tatsache, dass die Bevölkerung immer weniger bereit sei, ihren finanziellen Teil beizutragen.

Austeritätspolitik: das Sparparadoxon?



Unter Experten wird daher kontrovers diskutiert, ob Austeritätspolitik tatsächlich dazu geeignet ist, vor allem in Krisenzeiten einen stabilen Haushalt und politische Handlungsfähigkeit herzustellen. Die eine Seite argumentiert, dass durch geringere Kreditnachfrage die Bonität eines Staates zunehme. Damit würden auf mittlere Sicht Zinsen niedriger und der Schuldendienst eines Staates schrumpfe. Die andere Seite führt ins Feld, dass staatliches Sparen dazu führe, dass das Wirtschaftswachstum zurückgehe. Damit würden auch immer mehr private Haushalte sparen und wenig Geld ausgeben – ein Kreislauf werde in Gang gesetzt, welcher der Wirtschaft mittelfristig nicht gut tue. Die Probleme könnten sich auf diese Weise eher verschärfen. Einige Experten fordern zudem den Weg zurück zum vollständigen "Keynes". Sie bringen höhere Steuern und Abgaben, etwa auf Vermögen, ins Spiel. Eines ist bei fast allen Beteiligten jedoch unstrittig: Die Wirtschafts- und Finanzpolitik ist nicht das einzige politische Feld, in dem die Krise gelöst werden kann.