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Deutscher Stiftungs Tag 2013 - Bildung für das Gemeinwesen – Was können Stiftungen bewirken? | Presse | bpb.de

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Deutscher Stiftungs Tag 2013 - Bildung für das Gemeinwesen – Was können Stiftungen bewirken?

/ 6 Minuten zu lesen

Sehr verehrte Damen und Herren,

der Deutsche Stiftungstag, auf dem wir uns hier befinden, steht unter der Überschrift „Das Gemeinwesen von morgen stärken! Stiftungen in einer sich verändernden Welt“. Veränderung und Wandel sind Topoi, die nach meinem Eindruck derzeit Hochkonjunktur haben. An vielen Orten macht man sich Gedanken, wie der Wandel bewältigt werden kann. Man muss sich aber doch fragen, warum wir heute soviel über den gesellschaftlichen Wandel sprechen. Denn eigentlich ist Wandel und Veränderung doch nichts besonderes. Gesellschaften befinden sich immer im Wandel. Sie verändern sich seit Jahrtausenden kontinuierlich, sie sind immer dynamisch, nie im Stillstand.

Der Grund dafür, dass der Wandel derzeit so in den Fokus rückt, mag daran liegen, dass wir den Eindruck von besonders schnellen und auf unterschiedlichen Ebenen ablaufenden Prozessen der Veränderung haben und dass diese Unbehagen und Verunsicherung auslösen. Globalisierung, demografischer Wandel, Digitalisierung und vor allem auch Diversifizierung von Lebensstilen und Weltanschauungen sind hier entscheidende Stichworte.

Jugendliche heute sehen sich daher größeren Unwägbarkeiten und Unsicherheiten ausgesetzt als dies vielleicht früher der Fall war. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat gemeinsam mit mehreren Partnern und dem sozialwissenschaftlichen Institut Sinus eine Studie über Lebenswelten von Jugendlichen durchgeführt und veröffentlicht. Sie heißt „Wie ticken Jugendliche“ und in dieser Studie werden eine Reihe von Rahmenbedingungen genannt, denen Jugendliche ausgesetzt sind. Dazu gehören die Erfahrungen:

dass die Schere zwischen Arm und Reich in den letzten Jahren immer weiter auseinander gegangen ist, dass sich der Leistungs- und Bildungsdruck unter immer komplexeren globalisierten Rahmenbedingungen erhöht, dass immer mehr Eigenverantwortung eingefordert wird, dass die Familienplanung unsicherer geworden ist und klassische Familienstrukturen erodieren, dass Lebensläufe und Erwerbsbiografien immer weniger planbar sind, dass der Alltag immer weiter digitalisiert wird und dass sich Deutschland zu einem Land multikultureller Vielfalt entwickelt hat.

Diese Rahmenbedingungen müssen auch von uns Akteuren in der politischen Bildung reflektiert werden. Was bedeuten sie für die politische Bildung Jugendlicher?

Mit Rücksicht auf die Kürze der Zeit, die mir hier zur Verfügung steht, möchte ich insbesondere auf drei Herausforderungen eingehen, denen ich die politische Jugendbildung ausgesetzt sehe:

1. Sie muss der zunehmenden Diversifizierung der Gesellschaft gerecht werden und sie als Referenzrahmen für sich selber begreifen. 2. Sie muss versuchen, mit der medialen Entwicklung Schritt zu halten, damit sie den Kontakt zu der Zielgruppe Jugendliche nicht verliert. Stichworte sind hier Facebook, Twitter oder auch Youtube. 3. Sie muss versuchen, dem Partizipations-Gap – ich werde später erklären, was ich damit meine - entgegen zu wirken.

1. Der Diversität gerecht werden Wir sprechen allerorten davon, dass unsere Gesellschaft vielfältiger geworden ist und dass es darum gehen muss, diese Vielfalt anzuerkennen und zu respektieren. Migration ist ein Grund für mehr Vielfalt, aber auch die zunehmende Individualisierung, die zu einer Diversifizierung von Lebensstilen führt, macht unsere Gesellschaft vielfältiger. Das heißt für die politische Bildung, dass sie den Themen Pluralität und Heterogenität als Lerngegenständen mehr Bedeutung beimessen muss, aber auch dass sie die Realität dieser Vielfalt als Referenzrahmen für sich selber reflektieren muss.

So muss sich beispielsweise die politisch-historische Bildung fragen, wo sie anknüpfen kann, wenn sie in heterogenen Lerngruppen mit Erinnerungskulturen konfrontiert ist, die nicht durch Nationalsozialismus und Holocaust geprägt sind, sondern durch das kollektive Erinnerungsgedächtnis anderer Regionen dieser Welt. Sie sieht sich herausgefordert, ihre Konzepte zu überdenken, um Geschichtsbilder integrieren oder berücksichtigen zu können, die durch unterschiedliche Herkünfte geprägt sind.

Denn wenn wir davon ausgehen, dass Geschichtswissen dazu da ist, um zu verstehen, wie es zu den Gegebenheiten des Heute gekommen ist, dann ist es natürlich eminent wichtig, an den Bildern und Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler anzuknüpfen. Dann ist es wichtig, Möglichkeiten zu bieten, dass sich alle selber irgendwie verorten können. Das heißt Migrationsgeschichte muss ein wichtiges Thema sein, denn nur dann verstehen wir, wie es zur Zusammensetzung heutiger Gesellschaften gekommen ist. Aber es geht nicht nur um Migrationsgeschichte. Auch andere Themen müssen didaktisch so aufbereitet werden, dass sie in heterogenen Gruppen gut vermittelt werden können. Also auch bei dem Thema Nationalsozialismus oder deutsche Einheit müssen vor dem Hintergrund der Migrationsgeschichte vielfältigere Konzepte her.

Politische Bildung muss sich außerdem offen dafür zeigen, dass lange bewährte Konzepte von Staatsbürgerschaft, von Deutschsein oder von Integration vor dem Hintergrund von Migration für viele nicht mehr plausibel sind und neu diskutiert werden. Multiperspektivität ist hier ein wichtiges Stichwort. Politische Bildung ist Bildung für die Demokratie. Sie muss daher Räume schaffen, an denen sich die aus der Vielfalt ergebenen Perspektiven reflektiert werden können.

2. Mit der medialen Entwicklung Schritt halten Eine zweite Herausforderung besteht für die politische Bildung darin, mit der medialen Entwicklung Schritt zu halten und sie für die politische Bildung einzusetzen. Wenn man digitale Medien nutzt, besteht ein großer Vorteil darin, dass man dadurch die Lebenswelt von Jugendlichen einbindet. Und gerade in der außerschulischen politischen Bildung sind wir ja darauf angewiesen, dass wir die Jugendlichen auf freiwilliger Basis erreichen. Dann müssen wir auch dorthin gehen, wo sie sind. Laut JIM-Studie 2012 (Basisuntersuchung zum Medienumgang 12-19-Jähriger) sind und bleiben für Jugendliche Soziale Netzwerke ein zentraler Aspekt der Internetnutzung. Online-Communities zählen neben Suchmaschinen und Videoportalen zu den drei am häufigsten ausgeübten Anwendungen im Internet und werden von insgesamt 78 Prozent der 12- bis 19-Jährigen zumindest mehrmals pro Woche genutzt. 57 Prozent besuchen die eigenen oder fremden Profile im Netzwerk sogar täglich. Online-Communities sind demnach Orte, an denen sich die Jugendliche aufhalten, weshalb auch die politische Bildung in diesen Räumen vertreten sein muss. Politische Bildung muss ins Netz und sie muss die Möglichkeiten des Web 2.0 selber nutzen. Sie muss auch den digitalen Dialog wagen. Die Bundeszentrale für politische Bildung ist z.B. bei Facebook und Twitter aktiv, um auf ihr Angebot aufmerksam zu machen und in den Dialog einzutreten.

Gleichzeitig müssen wir aber auch die Chancen und Grenzen des Netzes ausloten, sowohl als Lernraum wie auch als Ort politischer Öffentlichkeit und als Sphäre sozialen und wirtschaftlichen Handelns. Das heißt: Netzpolitik selbst zum Thema machen.

3. Dem Partizipations-Gap entgegen wirken Partizipation ist für eine Demokratie unverzichtbar. Eine alternde Bevölkerung, wie es bei uns in Deutschland der Fall ist, ist zudem in verstärktem Maße darauf angewiesen, das Innovationspotenzial jüngerer Menschen in Wirtschaft und Gesellschaft zu mobilisieren. Dies ist eine wichtige Zukunftsaufgabe und setzt meiner Meinung nach voraus, dass eine neue Partizipationskultur entsteht. Dies kann nur gelingen, indem Menschen bereits in frühem Alter Erfahrungen mit Teilhabe und Verantwortung machen. Dafür die nötigen Strukturen und Voraussetzungen zu schaffen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die zwar nicht von der politischen Bildung alleine bewältigt werden kann, aber sie kann einen Beitrag dazu leisten.

Allerdings wissen wir ja alle durch verschiedene empirische Untersuchungen, dass Beteiligung an zivilgesellschaftlichen Aktivitäten heute sehr stark von der sozialen Lage abhängig ist, d.h. dass Menschen mit niedrigerem Bildungsniveau und prekärer sozialer Lage unterrepräsentiert sind - sowohl was das ehrenamtliche Engagement angeht, als auch bei der Wahlbeteiligung und noch mehr bei der Mitarbeit in Bürgerinitiativen und Parteien. Das bedeutet dann aber auch, dass sie weniger Chancen haben, ihre Interessen zu artikulieren und durchzusetzen, was die Ungleichheiten verfestigt.

Dieser Entwicklung entgegen zu wirken ist eine wichtige Aufgabe von Bildung im Allgemeinen und von politischer Bildung im Besonderen. Allerdings bedeutet das, dass politische Bildung den Zugang zu Menschen finden muss, die nicht zu ihrer klassischen Klientel gehören. Aber ich weiß, dass hier bereits viele Bildungseinrichtungen auf einem guten Weg sind und Projekte entwickeln, die interdisziplinär angelegt sind. Eine Möglichkeit besteht zum Beispiel in der Verknüpfung von politischer Bildung und Sozialarbeit. Vorhandene Strukturen der sozialen Arbeit besitzen oft das Vertrauen, das politischen Institutionen nicht entgegengebracht wird. Zudem sprechen Sozialprojekte Interessen an, die die Lebenswelt unmittelbar betreffen und konkrete Lebenshilfe leisten und damit einen unmittelbaren Nutzen versprechen. Ich weiß aber auch von Projekten, die politische Bildung mit Sport oder Kultur verknüpfen. Es kommt hier also darauf an, einen interdisziplinären Weg zu gehen und politische Bildungsinhalte mit anderen Lernfeldern zu verknüpfen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, sicherlich gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Anforderungen an die politische Jugendbildung, die man hier nennen könnte, aber mit Rücksicht auf die mir noch folgenden Redner, möchte ich es hierbei bewenden lassen. Zusammenfassend empfehle ich also uns, die wir in der politischen Bildung aktiv sind, die Realität der Migrationsgesellschaft als Referenzrahmen für die politische Bildung zu begreifen, die voranschreitende Digitalisierung kritisch mit zu vollziehen, um an der Zielgruppe dran zu bleiben und etwas dafür zu tun, dass sich die bestehende Partizipationskluft verringert.

Vielen Dank.

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten