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Eröffnungsrede von Thomas Krüger zur 5. Internationalen Konferenz zur Holocaustforschung am 25. Januar 2015 im dbb forum in Berlin | Presse | bpb.de

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Eröffnungsrede von Thomas Krüger zur 5. Internationalen Konferenz zur Holocaustforschung am 25. Januar 2015 im dbb forum in Berlin

/ 7 Minuten zu lesen

Lieber Herr Professor Welzer,
lieber Herr Professor Wildt,
lieber Herr Professor Diner,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

"Danach". - Dieses zeitanzeigende Fürwort ist schlicht und komplex zugleich. Im Kontext des Anlasses, für den wir uns heute versammeln, trägt es eine der grundlegenden Einsichten der historischen Reflexion über den nationalsozialistischen Völkermord an den Juden. Denn verstandene Geschichte gründet sich nicht allein auf korrekte Faktenerhebung, sondern äußert sich auch auf der konkreten Vorstellung über zeitliche Zäsuren. Zu wissen, dass es geschehen ist und dieses Wissen für die Gegenwart in angemessener Form - auch sprachlich angemessen - zu reflektieren, setzt Einsicht in Zeitzäsuren voraus.

"Danach" - das bedeutet für unsere individuellen und für unsere kollektiven Verstehens-Bemühungen als Gesellschaft nicht nur eine Unterteilung in ein ‚Früher‘ und ‚Später‘; denn einen solchen Zeit-Ort hat natürlich jedes historische Ereignis in der Chronologie inne. Die besondere Signatur des "Danach" ist im Zusammenhang mit dem Holocaust kategorialer; hier zeigt der Begriff nicht nur an, dass man im Rückblick immer anders über ein Ereignis oder ein Geschehen spricht, als es die Zeitgenossen taten; es zeigt vielmehr an, dass man nun anders über alle - im buchstäblichen Sinne - alle Ereignisse spricht, als zuvor; also auch anders über dasjenige Geschehen, das zeitlich vor "Auschwitz" liegt; und auch über solche, die mit dem Holocaust vermeintlich direkt gar nichts zu tun zu haben scheinen.

"Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben…", so hat Adorno 1949 geschrieben, um diese vermeintliche Ferne zwischen dem Ereignis und dem "Danach" in eine paradoxe Wendung zu kleiden. Mit dieser 1950 publizierten, später häufig missverstandenen Zeile wollte er ja keineswegs das Verfassen von Gedichten unter Verdacht stellen; er wollte vielmehr eine neue Erkenntnis erproben, die uns inzwischen, nach vielen Jahren, ganz geläufig geworden ist: die Umprägung eines Rau - in einen Zeit-Bezug: aus dem Namen einer Ortschaft wurde die Bezeichnung einer Epochen-Signatur.

Die Literaturwissenschaftlerin Ruth Klüger, die Auschwitz als junges Mädchen überlebte, hat in ihrer Autobiographie weiter leben in Analogie zum Begriff "Ortschaft" 1992 den Ausdruck "Zeitschaft" erfunden. Wie Adorno wollte auch sie einen Reflexionsbegriff einführen, der uns zu Bewusstsein bringt, dass ein Ereignis einen Ort nicht nur für immer verändert, sondern die Zeit davor und danach in Beschlag genommen hatte; und auch Ruth Klüger wollte damit zum Ausdruck bringen, dass damit auch die Art und Weise, wie wir Zeit messen und ordnen, sich wandelt.

So grundsätzlich betrachtet ist die Verwendung dieses "Danach" im Titel unserer Konferenz und im Zusammenhang mit dem Holocaust keine Vokabel, kein bloßes Wort, sondern eine historisch gewordene Sprachchiffre, die andeutet, dass nach 1945 alles anders war und ist, als zuvor; eine Chiffre, die immer wieder und immer wieder neu zu entziffern ist; sie zeigt an, dass wir mit einem Ereignis verbunden, zugleich aber auch von ihm getrennt sind; sie zeigt ein Ereignis an, das in der Vergangenheit liegt, aber nicht vergangen ist; ein Ereignis, dass in die Zeit davor und danach ausstrahlt und Wirkung tut. Der Historiker Dan Diner, der unsere Tagung gleich mit seinem Eröffnungsvortrag einleiten wird, hat für diesen universellen Blick auf die Mitte des 20. Jahrhunderts vom "Zivilisationsbruch" des Holocaust gesprochen.

Dieser Grundgedanke der Konferenz wird heute und die beiden kommenden Tage sicherlich noch das eine oder andere Mal aufscheinen und zur Diskussion stehen; ich wollte ihn jedoch auch zum Auftakt unserer Veranstaltung in wenigen Worten in Erinnerung rufen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

hiermit heiße ich Sie herzlich willkommen zur inzwischen fünften Internationalen Konferenz zur Holocaustforschung in Berlin. Sie wird - wie die vier vorherigen Tagungen auch - von der Bundeszentrale für politische Bildung ausgerichtet, in diesem Jahr erneut, wie schon bei der vorangegangenen Tagung 2013, in Kooperation mit der Europa-Universität Flensburg und der Humboldt-Universität zu Berlin. Zum Konzept der Tagung selbst und zu den gewählten Schwerpunkten werden Harald Welzer und Michael Wildt nachher noch eigens sprechen; ich darf mich an dieser Stelle bei beiden Kollegen wie auch bei ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, sowie bei meinen Kolleginnen und Kollegen der Bundeszentrale für die gute Zusammenarbeit bei der Organisation und im Vorfeld der Veranstaltung herzlich bedanken.

Nach den vorangegangenen Konferenzen, in denen die Gedächtnisgeschichte des Holocaust und die mediale Dimension seiner Repräsentationen, die Täterforschung sowie die Frage nach den Helfern und Rettern in dunkler Zeit Schwerpunktthemen waren, widmet sich diese fünfte Konferenz der Erfahrungsgeschichte der unmittelbaren Nachkriegsjahre zwischen 1945 und 1949.

Die Tagung wird Ereignisse und Sichtweisen zum Thema machen; sie wird neue Forschungen zur Befreiung der Konzentrationslager 1945 vorstellen; wir werden Vorträge über die DPs, die sogenannten "Displaced Persons" und über den mühevollen Beginn der Restitutionsfrage hören; Forscherinnen und Forscher aus Amerika, Israel, Großbritannien und Deutschland werden die Ergebnisse ihrer Arbeit vorstellen, in denen es um vielerlei Formen des „Beginns“ geht: Der Beginn erster schriftlicher Berichte über das Grauen, aus dem sich Grundfragen für die Historiographie entwickelten; der Beginn der - zuerst durch die Alliierten erzwungenen - Auseinandersetzung der Deutschen mit den von ihnen begangenen Verbrechen; der Beginn der rechtlichen Verurteilung der Täter, wie es in Nürnberg seit November 1945 geschah.

Unsere Veranstaltung steht, wie die vorangegangen auch, im Kontext des Gedenkens an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945, die sich übermorgen das 70. Mal jährt. Am Dienstag wird deshalb auch ein Moment des Innehaltens Teil der Tagung sein; wir werden die Gedenkstunde aus dem Deutschen Bundestag hier in das dbb forum übertragen, um im Rahmen unserer wissenschaftlichen Tagung der Opfer des Holocaust und des Nationalsozialismus zu gedenken. Im Anschluss daran finden die Workshops des Praxisforums statt, über dessen Konzept und Inhalte Sie sich im Programm eingehend informieren können. Mit diesen Workshops sollen Anschlüsse zwischen dem Thema der Konferenz und der politischen Bildungsarbeit erarbeitet werden. So sollen die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung an den Universitäten und die Frage nach der praktischen Vermittlungsarbeit in der allgemeinen Bildung zusammengebracht werden. Dies ist das besondere Anliegen der Bundeszentrale für politische Bildung. Wir haben in den letzten Jahren ebenfalls gute Erfahrungen damit gemacht, konkrete Konzepte und Modelle auf einer Projektbörse zur Diskussion zu stellen, einem inzwischen gut etablierten Arbeitsforum, das sich konkret mit der Übersetzung dieser Fragen in die schulische und außerschulische Praxis widmet. Wir sind eine Institution, die sich der politischen Bildung widmet; deswegen sind uns beide Seiten der Medaille gleich nahe und gleich wichtig: Die Ergebnisse der neuesten wissenschaftlichen Forschung und die Fragen einer interessierten Öffentlichkeit.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Lassen Sie mich mit einer Bemerkung schließen, die nicht auf Geschichte, sondern auf die unmittelbare Gegenwart zielt, denn diese steht derzeit auch im Zusammenhang mit dem Nachdenken über ein "Danach". Wir alle stehen noch unter dem Eindruck der brachialen Brutalität der Ereignisse von Paris. Die überwältigende Demonstration von Solidarität hat im Ausruf "Je suis Charlie" Ausdruck gefunden. In diesem Ruf kommt eine echte und spontane Verbundenheit mit den Journalisten, Redakteuren und Zeichnern von "Charlie Hebdo" zum Ausdruck; und das nicht allein in Paris oder Frankreich, sondern in ganz Europa und darüber hinaus. Dieser Ruf war für viele ein Zeichen der Ermutigung und als solches ist es natürlich auch nicht zu kritisieren. Doch es gilt, gerade in Tagen wie denen, die auf den 7. Januar folgten, auf Unterscheidungen zu achten. Es waren erst publizistische Zwischenrufe, wie sie Oliver Tolmein und David Grossmann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung machten, die mit Nachdruck darauf verwiesen, dass der islamistische Terror dieser Tage auch ein Antisemitismus ist und dass die Opfer in dem koscheren Supermarkt Hyper Cacher in Ost-Paris nur deshalb ermordet wurden, weil sie Juden waren. Für dieses Massaker hat sich kein vergleichbar ikonischer Ruf der Solidarisierung und der Identifikation herausgebildet. Und diese Beobachtung verschärft sich noch durch die Tatsache, dass sich nach der Ermordung von vier Besuchern des jüdischen Museums in Brüssel im vergangenen Sommer überhaupt keine entsprechende Reaktion zeigen wollte, weder auf der Straße noch in den Medien, weder in Belgien noch in Frankreich oder in den benachbarten Ländern. Entsprechendes gilt auch für die drei Schüler und ihren Lehrer, die vor etwa zwei Jahren im südfranzösischen Toulouse in einer jüdischen Schule von einem Attentäter erschossen wurden.

Deswegen möchte ich die Worte des israelischen Schriftstellers David Grossmann zitieren, der vor wenigen Tagen folgendes schrieb:

"Die Existenzangst, die die europäischen Juden ergriffen hat, weist eine furchtbare historische Dimension auf. Ja, es stimmt: Die Umstände sind heute völlig andere als vor 75 Jahren, die Antennen für die jüdische Befindlichkeit empfindlicher als damals. Dennoch sollte sich jeder vernünftige Mensch fragen, ob er die Vorstellung, dass Juden in Europa auf dem Weg zur Synagoge, zur Schule und zum Kindergarten von Polizisten bewacht werden müssen, für erträglich hält und was sie oder er tun kann, um die Realität zu ändern, die uns in diese Lage gebracht hat." (FAZ, 16. Januar 2015)

Bevor ich das Wort an Professor Diner übergebe danke ich im Namen der Bundeszentrale für politische Bildung allen Referentinnen und Referenten sowie auch Ihnen allen für Ihr Kommen und für Ihr Interesse an dieser Tagung.

Professor Diner muss nicht ausgreifend vorgestellt werden, denn seine Bücher und Aufsätze sind im Kontext einer Tagung, wie der unsrigen, besonders wichtig und viel gelesen. Ein Wort mag deswegen genügen: bis zum Herbst letzten Jahres war er Direktor des Leipziger Simon-Dubnow-Instituts für jüdische Geschichte und Kultur und lehrte gleichzeitig als Professor für moderne europäische Geschichte an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Letzteres tut er noch immer, zugleich ist Herr Diner auch der Leiter des Akademieprojekts der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, an der er Ordentliches Mitglied ist und durch die derzeit am Simon-Dubnow-Institut unter seiner Leitung eine siebenbändige "Enzyklopädie Jüdischer Geschichte und Kultur" entsteht. Sie wird in diesem Jahr abgeschlossen vorliegen und von ihr sagen erste Besprechungen, dass sie die Art und Weise, wie jüdische Geschichtserfahrung unter den Vorzeichen der Moderne in Zukunft erforscht und gelehrt wird, ändern wird.

Lieber Herr Diner, vielen Dank für Ihr Kommen und dafür, dass Sie heute gerade zu diesem Thema sprechen; meine Damen und Herren, vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten