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Jugendmedienschutz im Spannungsverhältnis von gesellschaftlichen Werten, politischer Verantwortung und wirtschaftlichen Interessen | Presse | bpb.de

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Jugendmedienschutz im Spannungsverhältnis von gesellschaftlichen Werten, politischer Verantwortung und wirtschaftlichen Interessen Festrede von Thomas Krüger anlässlich der Konferenz "Quo vadis Jugendmedienschutz? Grundlagen und Impulse für einen wirksamen Jugendmedienschutz" am 1. Dezember 2011 beim ZDF in Mainz

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Die Frage nach der zukünftigen Entwicklung des Jugendmedienschutzes ist im Grunde die Frage nach den Herausforderungen, die wir mit den deutlichen und dynamischen Veränderungen des Internets zu bewältigen haben. Festrede von Thomas Krüger anlässlich der Konferenz "Quo vadis Jugendmedienschutz? Grundlagen und Impulse für einen wirksamen Jugendmedienschutz" am 1. Dezember 2011 beim ZDF in Mainz.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

der Jugendmedienschutz in unserem Land steht vor enormen Herausforderungen und vor gravierenden Weichenstellungen. Das Scheitern der Jugendmedienschutzstaatsvertragsnovelle macht brennglasartig deutlich, wo wir derzeit stehen: Mitten zwischen egoistischen Partikularinteressen! Da stehen massive wirtschaftliche Interessen von Inhalteverwertern neben den Freiheitsinteressen der Netzcommunity, ordnungspolitische Interessen zwischen Bund und Ländern, die Interessen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die der privaten Rundfunkanbieter, die Interessen der einen Selbstkontrolle neben der anderen, Standortinteressen der Landesmedienanstalten und so weiter und so fort. Man hatte im letzten Gesetzgebungsverfahren zuweilen den Eindruck, dass die Gesetzesnovelle ein großer Abenteuerspielplatz für Einzelinteressen ist, die kleine Feldvorteile zu erringen versuchen, das große Ganze, die zu schützenden und zu fordernden Kinder und Jugendlichen aber aus dem Blick geraten.

Gleichzeitig beobachten wir eine Aufrüstung politischer Rhetorik, einen kollektiven Alarmismus, der - fast scheint es so - die Bedeutung des Jugendmedienschutzes umso wichtiger in der politischen Arena erscheinen lassen will, je unwichtiger diese Bedeutung im Tagesgeschäft des Gesetzgebungsverfahrens tatsächlich ist. Die Folge ist Symbolpolitik: Die Alterskennzeichnungen auf den DVDs werden größer, sichtbarer und auf der Vorderseite angebracht. Oder um es zugespitzter zu formulieren: Der Offline-Bereich wird immer weiter verregelt, während der Online-Bereich eine politische Gestaltungsbrache bleibt. Die Botschaft an die Schutzbefohlenen wird verstanden: Kinderchen, ab mit Euch in die Onlinewelten, da lassen wir Euch in Ruhe konsumieren, was ihr wollt. Die Begleitmusik wird dann von Kriminologen geliefert, die – die letzte Schmauchspur aus den Waffenarsenalen der Amokläufer ist noch nicht verraucht – auf den einschlägigen Nachrichtenkanälen die Killerspiele der "verblödeten Gamer-Kids" brandmarken und der heilen Welt medienfreier Bürgerlichkeit nachbeten. Da sind wir dann wieder bei der verkommenen Jugend angekommen. So kommen wir nicht weiter, meine Damen und Herren.

Die Frage nach der zukünftigen Entwicklung des Jugendmedienschutzes ist im Grunde die Frage nach den Herausforderungen, die wir mit den deutlichen und dynamischen Veränderungen des Internets zu bewältigen haben. Diese Veränderungen werden von manchen als "Neustart" bezeichnet: "Das Netz besitzt eine fast radioaktive Kraft, die alles verändert ― politische Institutionen, demokratische Prozesse. Die Welt, wie wir sie uns eingerichtet haben." so formulierte Heinrich Wefing unlängst in der ZEIT.

Wefing wie auch andere fragen, ob sich das Recht noch durchsetzen lasse im jenseits nationalstaatlicher Grenzen organisierten Netz. Und sie stellen Funktion und Bedeutung des Staates in Frage: "Was bleibt dann, sehr zugespitzt gefragt, vom Staat überhaupt?"

Wir erleben zur Zeit die Diskussion um die Nutzung und Regulierung des Netzes als den Streit zweier konkurrierender Philosophien oder Richtungen: die erste traut der menschlichen Urteilskraft nicht; sie fordert einen starken, die Menschen behütenden Staat und warnt vor der Selbstregulierung der Akteure, der Anbieter und Nutzerinnen und Nutzer. Die notwendigen Instrumente sind in der Diskussion benannt und bekannt: Kennzeichnungspflichten, Filterprogramme und zeitliche Zugangsbeschränkungen. Und besonders umtriebige Kritiker ergänzen meistens noch: Klarnamenpflicht, Vorratsdatenspeicherung, Netzsperren. Als Bürger, der über ausreichend Erfahrungen mit einem alle Lebensbereiche dominierenden Staatswesen, der repressiven Planwirtschaft und der hypertrophen Kontrollneurose der DDR nämlich, verfügt, bin ich von einem hinreichenden Maß an Skepsis gegenüber jeglichen staatlichen Eingriffen in die Souveränität des Einzelnen geprägt. Zweifelsohne zu Recht bestimmt das Grundgesetz in Artikel sechs nicht nur das Erziehungsprivileg der Eltern, sondern auch deren Pflicht und direkt daran anschließend die Rolle des Staates: "Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft." "Berechtigte Wachsamkeit" sagen die einen, "übertriebenes Misstrauen" die anderen. Angelehnt an Joachim Gauck gesprochen: dieser Perspektive auf die Gesellschaft und die Menschen fehlt vielleicht das notwendige Zutrauen in die Freiheit des Menschen; der Grundkonflikt aber bleibt: Eltern müssen die Freiheit einer von ihnen selbst gewählten Erziehung nach den von ihnen selbst für richtig erachteten Werten haben. Soll diese Freiheit überhaupt und vor allem wie weit soll diese Freiheit eingeschränkt werden, weil das Kindeswohl durch bestimmte Medienprodukte Schaden zu nehmen droht?

Die zweite Richtung sieht das menschliche Urteilsvermögen im Mittelpunkt aller Diskussionen um die Regulierung des Netzes. Sie stellt die Weisheit der Massen (wisdom of the crowds), die Vergemeinschaftung, die Sozialität des Netzes, den produzierenden User, die produzierende Userin, in den Mittelpunkt ihres Wertesystems. Sie nennt das Netz "Meine Heimat Internet" und setzt es mit Social Media gleich. Sascha Lobo schrieb beispielsweise in seiner Spiegel Online-Kolumne: "Social Media ist so groß, dass man es als gegenwärtigen Entwicklungsstand des gesamten Internet betrachten muss."

John Perry Barlow, Gründer der Electronic Frontier Foundation, stufte die Bedeutung bereits 1996 sogar noch eine Stufe höher ein: "Wir schließen unseren eigenen Gesellschaftsvertrag" formulierte er, frei nach Rousseau, in seiner "Declaration of the Independence of Cyberspace".

Gleichwohl sollten wir uns nicht darüber hinweg täuschen, dass der allgemeine Wille, wie ihn sich Rousseau vorstellte, in der Blogosphäre vielleicht ebenso von einigen wenigen bestimmt wird wie in den klassischen Medien: Dort mittels Agendasetting und Gatekeeper-Möglichkeiten. Mit der Netzcommunity sieht zumindest die Politik sich mit einer Gruppe von Menschen konfrontiert, die hervorragend die Klaviatur der öffentlichen Kommunikation 2.0 bespielen kann. Fraglich ist aber, ob die Nutzung des avanciertesten technischen Mediums, der neueste App, des schnellsten Re-tweets schon ausreichen, um Avantgarde für die gesamte Gesellschaft zu sein. Erste Stimmen malen schon das Menetekel einer Diktatur der Gut-Vernetzten an die Wand. Aber bleiben wir auf dem Teppich! Schaut man sich einmal an, welche Themen bei Twitter am liebsten diskutiert und verlinkt werden, so sind das merkwürdigerweise die Werke traditioneller Medienmacher: Das deutsche Fernsehen von Talkshow bis Tatort, die Texte von Heise, Spiegel oder dem Zentralorgan der deutschen Nerds, der FAZ.

In der Diskussion der Netzgemeinde wird die Vermittlung von Medienkompetenz häufig als der bessere Jugendmedienschutz dargestellt. "Entweder weil" ― ich zitiere hier aus dem zweiten Zwischenbericht der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" zum Themenfeld "Medienkompetenz" ― "Entweder weil gesetzlich-regulatorischer Jugendmedienschutz als praxisuntauglich beziehungsweise unzureichend, als zensurverdächtig oder als wirtschaftsfeindlich bezeichnet wird – oder weil man der Vorstellung aufsitzt, dass medienkompetente Kinder und Jugendliche keinen Jugendmedienschutz brauchen."

Der digital getriebene Wandel greift also in alle Bereiche des beruflichen, des privaten und des öffentlichen Lebens ein und erfasst dabei auch den Kinder- und Jugendmedienschutz. Oder wie es Gunter Dueck, offiziell bestellter Querdenker bei IBM, dieses Jahr auf der re:publica beschrieb: "Das Internet wird zum Betriebssystem der Gesellschaft, auf dem alle Anwendungen aufsetzen müssen." In der Tat erleben wir die Neuverhandlung bisher selbstverständlich geglaubter gesellschaftlicher Werte und Rechtsgüter. Hierzu gehören Rechtsgüter wie Eigentum und Urheberrecht, das Verhältnis zwischen Öffentlichkeit und Privatheit, zwischen Staat und Individuum, zwischen Beteiligung und Ausschluss, um nur einige Stichworte zu nennen. Und mittendrin der Jugendmedienschutz, wie kein anderes Handlungsfeld durchkreuzt von gleich einer ganzen Reihe miteinander konkurrierender Grundrechte und Werte. Hierzu zählen:

  • der Schutz der Menschenwürde, Artikel 1 des Grundgesetzes

  • das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, Artikel 2 GG

  • die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Kunst, Artikel 5 GG, und

  • das Erziehungsprivileg der Eltern, Artikel 6 GG.

Es ließen sich wohl einige Stunden Politikunterricht mit der Diskussion füllen: Verbieten oder empfehlen? Schützen oder fördern? Die Menschenwürde des Kindes achten und jugendgefährdende Inhalte abwehren oder dem Kind, dem Jugendlichen seine freiheitlichen Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten zugestehen? Die Dilemmata des Jugendmedienschutzes springen geradezu ins Auge.

Woran aber liegt das? Sind diese Konfliktzonen dem Handlungs- und Politikfeld inhärent oder dem von uns Jugendmedienschützern und -schützerinnen gestalteten System als eingebaute Schwäche, wenn nicht gar Fehler zuzurechnen?

Es ist meine feste Überzeugung, dass wir mit dem Prinzip der regulierten Selbstregulierung den richtigen konzeptionellen Ansatz für einen zeitgemäßen und den Bedingungen unseres demokratischen Zusammenlebens angepassten Jugendmedienschutz gefunden haben. Nur: wir sollten uns auch daran halten!

Mein Eindruck aber ist, dass wir in Deutschland die Entscheidung wie staatlicher Jugendmedienschutz und freiwilliger Jugendmedienschutz, für den der Staat nur eine Leitplankenfunktion übernimmt, zusammenspielen sollen, nie wirklich getroffen und politisch umgesetzt haben. Gleichwohl wird dieses Prinzip schon in den freiwilligen Selbstkontrolleinrichtungen durch völlig unterschiedliche Formen der Zusammenarbeit mit dem Staat realisiert. Bei der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft, der FSK, sind die Bundesländer direkt an den Entscheidungen beteiligt, die Freie Selbstkontrolle Multimedia, kurz FSM, versteht sich dagegen als vollständig private Selbstkontrollorganisation. Man kann sich ja streiten, was man für den sinnvolleren Weg hält, aber die Pluralisierung des Sinnvollen wird sinnlos, wenn die Lobbyarbeit der Selbstkontrollen im Gesetzgebungsverfahren in Konkurrenz um ein Stückwerk der Sinnhaftigkeit treten, das dann keinem Normalverbraucher mehr verständlich ist.

Im Bereich des Rundfunks kommt noch die Teilung in die öffentlich-rechtlichen Anstalten und die privaten Fernsehsender hinzu, mit entsprechend unterschiedlichen Verfahren, weiteren Richtlinien und Kontrollgremien. Ich will die Bemühungen von ARD und ZDF inhaltlich gar nicht in Frage stellen, das Jugendschutzniveau ist zweifelsohne hoch und sicher insgesamt höher als bei der privaten Konkurrenz. Ordnungspolitisch halte ich es aber nur für schwer vertretbar, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht unter einheitliche Verfahren beim Jugendmedienschutz-Staatsvertrag gestellt wird. Das ist nicht vom Schutzsubjekt her gedacht, sondern von der Anbieterperspektive, nach der aber – wie wir wissen – die zu Schützenden zu allerletzt fragen. Die interessieren sich nämlich zuerst für das Gesendete.

Man wird sich bei den Öffentlich-Rechtlichen auch nicht darauf herausreden können, dass das Durchschnittsalter mit weit über 50 nun nicht gerade die Kernzielgruppe des Jugendmedienschutzes tangiert und sich deshalb ein Sonderweg geradezu nahelegt. Die daraus resultierenden Unterschiede in Bewertung und Ausstrahlung von Angeboten sind nämlich gesellschaftlich überhaupt nicht vermittelbar. Wenn beispielsweise ein und derselbe Werbeclip einer Baumarktkette im privaten Fernsehprogramm erst nach 20 Uhr ausgestrahlt werden darf, weil die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) diesen nicht für das Tagesprogramm freigegeben hatte, er bei der ARD aber schon während der samstäglichen Sportschau dreimal hinter einander in den Werbeunterbrechungen läuft, ist das ein Hinweis darauf, dass wir an der Legitimität des Jugendmedienschutzes noch arbeiten sollten.

Das gilt übrigens auch im Hinblick auf die Förderung von qualitativ hochwertigen Angeboten für Kinder und Jugendliche. Wenn dann aber ― wie gerade geschehen ― ein mit dem renommierten "Goldenen Spatz" ausgezeichneter und von der Jury als "berührend und faszinierend" beurteilter Film, FSK-Alterskennzeichnung "ab 6 Jahre", zu nachtschlafener Zeit im öffentlich-rechtlichen Fernsehen seine Erstaustrahlung erfährt, dann ist die Welt des Jugendmedienschutzes vielleicht noch in Ordnung, aber doch in absurdester Weise vollends auf den Kopf gestellt. Ich rede hier von Martin Buskers hervorragendem Kurzfilm "Halbe Portionen", der vor kurzem im Bayrischen Rundfunk um 23:55 Uhr ausgestrahlt wurde. Also liebe Kolleginnen und Kollegen vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk: Es gibt noch viel zu tun: Packts an!

Eine Auseinandersetzung der unterschiedlichen Akteure mit ihren unterschiedlichen Zielsetzungen in einem einheitlichen und standardisierten Verfahren des Jugendmedienschutzes ist hier übrigens in keiner Weise als nachteilig zu sehen. Im Gegenteil: Erst durch die Diskussion und die Verständigung über unterschiedliche Wertevorstellungen entsteht der notwendige gesellschaftliche Diskurs über den Schutzgegenstand, verorten sich die Akteure immer wieder im sich permanent verändernden gesellschaftlichen Normen- und Wertegefüge, kommt der Jugendmedienschutz gewissermaßen zu sich selbst. Demokratie ist eben neben ihrer Repräsentativität zu allererst eine diskursive Veranstaltung, davon sollten wir gerade den Jugendmedienschutz nicht ausnehmen!

Die weitere Diskussion zum Jugendmedienschutzsystem sollte sich deshalb meines Erachtens von folgenden Gesichtspunkten leiten lassen:

  1. Die Entwicklung des Internets, seine politische Verfasstheit und Regelung hat sich zuerst am Menschen zu orientieren, nicht an wirtschaftlichen oder technischen sogenannten Erfordernissen oder Sachzwängen. Das gilt ebenso für den damit einhergehenden Kinder- und Jugendmedienschutz. Der Schutz von Heranwachsenden vor Gefährdungen ― unabhängig davon, wie dieser Schutz im Einzelnen zu gestalten sein kann ― muss wieder Priorität genießen.

  2. Das Web 2.0 ermöglicht eine neue Praxis der demokratischen Öffentlichkeit, die gekennzeichnet ist durch eine prinzipielle Unbeschränktheit des Zugangs, Ebenbürtigkeit der Mitglieder, Offenheit der Themen und Unabgeschlossenheit der Teilnehmer - so hat Stefan Münker diese neue digitale Öffentlichkeit beschrieben. Alle Regulierungsbemühungen müssen in Einklang mit dieser demokratischen und partizipativen Praxis gebracht werden oder sie werden vermutlich scheitern

  3. Die gesetzlichen Jugendmedienschutzregelungen dürfen keine Verlässlichkeit, keine Kontrollmöglichkeit suggerieren, die de facto durch die Regelung bzw. deren Umsetzung gar nicht gewährleistet werden kann. Wir brauchen keinen Placebo-Jugendmedienschutz. Erziehungsberechtigte etc. dürfen nicht in falscher Sicherheit gewogen werden.

  4. Die im derzeitigen System der regulierten Selbstregulierung aufgebaute grundsätzliche und verfahrenstechnische Expertise bei der KJM, den Landesmedienanstalten und den Fachleuten des Bundes und der Länder darf nicht leichtfertig durch sachfremde Interessen und Politiken konterkariert werden, sondern muss schlüssig weiterentwickelt werden.

Notwendig ist aus meiner Sicht eine konzeptionelle und in sich kohärente Neuaufstellung des Jugendmedienschutzes. Wir sollten uns erstens durchgängig auf allen Ebenen dem Prinzip der regulierten Selbstregulierung verschreiben. Die Vorteile dieses Ansatzes hatte das Hans-Bredow-Institut kürzlich noch einmal sehr prägnant zusammengefasst: Es würden dadurch nämlich "in besonderer Weise staatliche Aufsicht und gesellschaftliche Selbstregulierung in einen Austausch über Jugendschutzfragen treten, der eine effiziente und effektive Durchsetzung ermöglicht, ohne dabei staatliche Akteure zu überlasten, verfassungsrechtlich determinierte Schutzpflichten des Staates aufzugeben und dem Staat zurechenbare Vorabkontrollen zu etablieren, welche dem Zensurverbot widersprächen."

Zweitens müssen wir Wege finden, Jugendmedienschutz mit den Nutzerinnen und Nutzern zusammen und nicht gegen sie umzusetzen und zu gewährleisten. Das gilt für die Politik: Dort hat die Mobilisierung der Netzgemeinde im Zusammenhang mit der JMStV (Jugendmedienschutzstaatsvertrags)-Novellierung bereits zu einer ganz neuen und durchaus wertvollen partizipativen Einbindung in die weitere Diskussion geführt.

Das gilt aber auch bezogen auf die ganz praktische Umsetzung. In einer so sehr von Medien durchdrungenen Lebenswelt wie der unseren ist es kaum noch möglich, Kinder und Jugendliche von Medien fernzuhalten und damit auch von schädlichen und beeinträchtigenden Medieninhalten. Sichere Surfräume, Filterlösungen und ähnliches sind sinnvoll, werden aber mit zunehmenden Alter keine Wirkung mehr entfalten bzw. aktiv umgangen werden. Notwendig ist ein nach Alter differenzierendes Konzept mit den beiden Strategien "Risikovermeidung" und "Risikoreduzierung". Die Vorschläge, die im Rahmen von "Dialog Internet" in der Arbeitsgruppe "Schädigende Inhalte" beim BMFSFJ entwickelt wurden, halte ich hier durchaus für diskussionswürdig und für wegweisend. In einem solchen Gesamtkonzept des Jugendmedienschutzes würden Kinder vor allem durch technische Lösungen und sichere Surfräume zur Risikovermeidung befähigt werden. Mit zunehmenden Alter der Jugendlichen sollte dann aber die Fähigkeit zum Risikomanagement in den Vordergrund rücken – entsprechend ihrer Entwicklung zu eigenverantwortlich handelnden erwachsenen Menschen.

In ein solches Konzept müsste drittens die Vermittlung von Medienkompetenz ― hier konkret als medienpädagogische Befähigung, überfordernde Risiken zu bewältigen oder eigenverantwortlich zu reduzieren bzw. zu vermeiden ― zwingend substanziell integriert werden. Restriktiver oder repressiver Kinder- und Jugendmedienschutz sollte in der Zukunft zusammen mit dem präventiven Kinder- und Jugendmedienschutz gesetzlich und jeweils institutionell verankert werden.

Ich stelle mir hier, anknüpfend an die Erfahrungen mit "Frag Finn.de" für den geschützten Surfraum im Internetbereich eine umfassend und angemessen ausgestattete Bund-Länder-Stiftung für Medienkompetenz und Kinder- und Jugendmedienschutz vor, die unabhängig und neutral diese Aufgabe übernehmen könnte. Das wäre nicht zuletzt hilfreich für die zahlreichen kleinen, meist prekär ausgestatteten und arbeitenden Kinder- und Jugendmedienschutzprojekte in freier Trägerschaft. Eine solche Einrichtung wäre ein sinnvoller Schritt zur breiten gesellschaftlichen Legitimierung des Medienschutzes für Heranwachsende. Sie wäre in der Lage zwischen den beiden Polen oder Elementen ihres Aufgabenfeldes zu vermitteln sowie deren genaue Funktionen und Rollen weiter zu bestimmen und zu operationalisieren. Sie könnte Forum des notwendigen gesellschaftlichen Diskurses über die mit dem Jugendmedienschutz einhergehenden oder ihm zugrundeliegenden Werte sein. Und, wenn es gelingen könnte, die zumindest in der Aufsicht unsinnige Trennung zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Anbietern aufzugeben und sozusagen nach gutem Vorbild einen Eurovision Song Contest des Kinder- und Jugendmedienschutzes zu erschaffen, wäre "die Welt, wie wir sie uns eingerichtet haben", um noch einmal Wefing zu zitieren, zum Besseren veränderbar geworden!

Wir können den Blick nach vorne, den Blick für einen effizienteren und nachvollziehbaren Kinder- und Jugendmedienschutz gut gebrauchen. Wir sind angewiesen darauf, dass eine breite Koalition in Politik, Gesellschaft, in Medien und Wirtschaft an die Stelle des gepflegten Steinbruchs ein durchschaubares und legitimes System des Jugendmedienschutzes stellt, das die regulierte Selbstregulierung mit Leben und Sinn füllt. In diesem Sinne: Kopf hoch und nicht die Hände!


- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten