Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Böhmer,
sehr geehrter Herr Professor Lange,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich begrüße Sie sehr herzlich zum 11. Bundeskongress zur politischen Bildung, der bereits zum sechsten Mal von der Bundeszentrale für politische Bildung gemeinsam mit der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung durchgeführt wird. Auch der diesjährige Bundeskongress bietet ein höchst anspruchsvolles Programm, an dem namhafte Vertreterinnen und Vertreter aus den Bereichen politische Bildung, Wissenschaft, Politik und Journalismus teilnehmen. Ich danke Ihnen allen, dass Sie hierher nach Halle gekommen sind, um miteinander zu diskutieren, sich über die Herausforderungen des weltweiten Wandels für die Gesellschaften im 21. Jahrhundert auszutauschen und nach innovativen Umgangsweisen mit den brisanten und vielschichtigen Themen zu suchen, die heute und an den kommenden beiden Tagen auf unserer Agenda stehen. Ich bin Ihnen als Teilnehmer zu Dank verpflichtet und fühle mich Ihnen verbunden, dass Sie in angespannten Zeiten inklusive der durch G8 enger werdenden Spielräume dieses Plenum und Programm nutzen möchten.
2009 jährt sich der Fall der Berliner Mauer zum 20. Mal. Dieses Ereignis hat nicht nur in Deutschland, sondern weltweit einen tiefgreifenden Wandel ausgelöst. Der Mauerfall markiert das Ende des Kalten Krieges und der Teilung Europas. Er steht als Symbol für eine Zeitenwende, deren Charakter wir mit dem Titel unseres Kongresses, dem Begriff "Entgrenzungen" zu fassen versuchen. In der Rückschau auf fünfzehn Jahre, in denen die bpb gemeinsam mit der DVPB im Zwei- bis Dreijahresrhythmus Kongresse zur politischen Bildung konzipiert und durchgeführt hat, mag das Thema des diesjährigen Kongresses verwundern, manchen sogar irritieren: Es wird deutlich, dass wir das Feld der "klassischen" Themen der politischen Bildung verlassen und uns mit einer sozialwissenschaftlichen Kategorie ohne Lehrbuchdefinition beschäftigen, die wir erst mit Inhalt füllen müssen. Was also ist mit "Entgrenzungen" gemeint, welche Phänomene sind hier angesprochen?
Wir haben uns bewusst für diesen schwierigen Begriff entschieden, weil er jenseits seiner analytischen Unschärfe sehr gut dazu geeignet ist, das Lebensgefühl der Menschen in Europa und der Welt auszudrücken, die die Wandlungsprozesse der letzten 20 Jahre erfahren haben: Grenzen von Nationalstaaten wurden verschoben oder überwunden, Europa ist politisch und wirtschaftlich zusammengewachsen. Politik organisiert sich neu, ehemals nationale Politikfelder haben sich internationalisiert. Grenzen fungieren heute nicht mehr vorwiegend als Trennlinien zwischen Staaten, sie scheiden vielmehr Märkte und – dies ist für uns bedeutsamer – "Wahrnehmungsräume". Menschen orientieren sich über Grenzen hinweg, werden "moderne Nomaden". Die Nation verliert sukzessive ihre Bedeutung als Bezugspunkt für Identität. Dies wirft für die politische Bildung eine Unzahl von Fragen auf, deren wichtigste lautet: Wie ist Demokratie in der entgrenzten Welt möglich?
Für die hier Anwesenden ergibt sich daraus die weitere Frage: Wie ist politische Bildung in der entgrenzten Gesellschaft möglich? Eines der Hauptcharakteristika der heute hier vertretenen Professionen ist die Neugierde, die sie nach den Ursachen der Wandlungen, nach dem angemessenen Umgang mit den Phänomenen der Entgrenzung sowie nach innovativen und kreativen Herangehensweisen an die Zukunftsfragen unserer Gesellschaft suchen lässt.
Es wird bei diesem Kongress daher nur nachgeordnet um eine Rückschau und um das Thema "faktisch überwundene Nationalgrenzen" gehen. Wir interessieren uns primär für die gesellschaftlichen Konsequenzen entgrenzter Politikfelder. Im Rahmen von zehn Arbeitssektionen thematisieren wir brennende Fragen, die weniger akademischen als existentiellen Charakter haben: Gefragt wird nach den Folgen einer globalisierten Arbeitswelt für die europäische Zivilgesellschaft und nach den Chancen und Risiken, die die neue Web-Kultur mit sich bringt. Modelle transnationaler Ordnungspolitik werden mit Konzepten entgrenzter wirtschaftlicher Freiheit konfrontiert. Das spannungsgeladene Verhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit steht ebenso auf der Agenda wie die internationalen Lösungsansätze in der Umwelt- und Klimapolitik. Die politischen und sozialen Implikationen der weltweiten Migrationsbewegungen müssen uns als politische Bildner genauso beschäftigen wie die Debatten um Solidarität in der Weltgesellschaft und die Frage nach einem angemessenen Umgang mit Geschichte, Tradition und Erinnerung in der Einwanderungsgesellschaft. Am letzten Tag haben die Teilnehmenden die Möglichkeit, in 25 verschiedenen Workshops praktisch-didaktische Konzepte kennen zu lernen und gemeinsam mit Experten zu diskutieren.
Allein das Aufspannen des Themenhorizontes lässt erahnen, was dem 11. Bundeskongress als implizite Hypothese zugrunde liegt: Wo Grenzen fallen, tauchen neue und in ihren sozialen Auswirkungen keineswegs zu unterschätzende Begrenzungen auf: Die Phänomene der beschleunigten Globalisierung verlangen von den Staaten und ihren Bürgerinnen und Bürgern Anpassungsleistungen, die mitunter einen hohen individuellen Preis haben und die auch die Demokratiekonzepte vor große Herausforderungen stellen. Demokratische Kontrolle und Bürgerbeteiligung, Rechtssicherheit und verbindliche Entscheidungen auf der einen Seite, Legitimität auf der anderen – beides ist noch immer von einem eingegrenzten Ordnungsrahmen abhängig.
Für die politische Bildung steht also die Frage nach den Möglichkeiten und Bedingungen von bürgerschaftlicher Partizipation in der entgrenzten Welt im Vordergrund. Wenn wir – und dies ist Thema des anschließenden Festvortrags und der Podiumsdiskussion – nach den Visionen des globalen Zusammenlebens im 21. Jahrhunderts fragen, tun wir das auch im Hinblick auf die Gestaltungsmöglichkeiten der politischen Bildung: Können uns die Perspektiven und Deutungsmuster anderer Weltregionen bereichern? Welche Themen oder Fragen werden im westlichen Diskurs ausgeblendet?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Entgrenzung der Welt impliziert die Entgrenzung unserer Disziplin. Auch die Bezüge zwischen der politischen Bildung und den anderen Wissenschaftsdisziplinen verändern sich. Gab es früher nur Austausch mit ihren klassischen Bezugswissenschaften wie der Politikwissenschaft, der Geschichtswissenschaft und der Soziologie, so werden heute die Trennlinien weicher. Geht es beispielsweise um Ethikfragen, wie bei dem Thema der 10. Sektion "Grenzen des Menschseins", treten wir in einen fruchtbaren Diskurs mit den Naturwissenschaften. Die politische Bildung muss sich – und dies verdeutlicht die Thematik des Kongresses in besonderer Weise – auch neue Bezugs- und Handlungsräume erschließen, inhaltlich – aber auch didaktisch: Stärker als je zuvor sollten wir uns um eine Diskussion unserer Ansätze und Konzeptionen mit den Partnern in Europa und um internationale Vernetzung bemühen. Auch in dieser Hinsicht werden die Ergebnisse dieses Fachkongresses mit den heute bis übermorgen folgenden Vorträgen, Workshops und Diskussionen unsere Arbeit mit wertvollen Hinweisen bereichern.
Ich bedanke mich und wünsche uns allen einen gelingenden Kongress.
- Es gilt das gesprochene Wort -
Grußwort von Thomas Krüger beim 11. Bundeskongress zur politischen Bildung "Entgrenzungen" in Halle
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Der Mauerfall markiert das Ende des Kalten Krieges und der Teilung Europas. Er steht als Symbol für eine Zeitenwende, deren Charakter wir mit dem Titel unseres Kongresses, dem Begriff "Entgrenzungen" zu fassen versuchen.
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