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Eröffnungsrede zur Tagungsreihe "Sozialpolitische Reformen" | Presse | bpb.de

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Eröffnungsrede zur Tagungsreihe "Sozialpolitische Reformen" Die Tagung fand am 15.11.2006 in Zusammenarbeit mit dem Grimme-Institut in Berlin statt.

/ 4 Minuten zu lesen

Welche Rolle nehmen die Medien bei der Vermittlung von sozialpolitischen Reformen ein, welche Rolle könnten sie spielen? Wie gestaltet sich das "symbiotische Verhältnis" zwischen Medienschaffenden und Politik, in welchen Struktruren sind Medienschaffende heute tätig?

Unsere Tagungsreihe hat die zweite Etappe erreicht. Gestartet sind wir vor drei Wochen, thematisiert wurden dort die sozialpolitischen Reformen, ihr Vermittlungs- und Akzeptanzproblem, im Blick auf die "Sender", also vor allem die staatlichen Entscheidungsinstanzen: Welche Strategien politischer Kommunikation kommen zum Zuge? An welchen Relais-Stationen hakt es, wo müssten Renovierungsarbeiten ansetzen oder wäre der politische "Herstellungsprozess" selbst zu überdenken?

Denn das Resultat - siehe das Beispiel Gesundheitsreform, das bei der letzten Tagung im Vordergrund stand - kann nicht zufrieden stellen. Immer öfter heißt es ja beim Empfänger: "Return to sender!" Das hatte man nicht bestellt, und die Kundschaft des ausgeklügelten Polit-Marketings entwickelt einen Überdruss an dem, was Absender und Übermittler ins Haus liefern. Viele gehen auch dazu über, ganz abzuschalten, sehen einen politisch-publizistischen Komplex oder taktische Spielchen am Werk.

Die Dringlichkeit des Problems hat uns jüngst noch einmal die "Unterschicht-Debatte" vor Augen geführt - eine Debatte, die wie ein Brennglas die kritischen Punkte unseres Tagungsdiskurses zum Vorschein brachte. Ich will den Vorgang nicht resümieren, nur zwei Dinge ansprechen.

1. Der Skandal gesellschaftlicher Armut - gerade auch bei Kindern und Jugendlichen - muss im politischen Diskurs ernstgenommen werden. Die Aufnahme dieser Diskussion bereitet offenkundig immer noch Schwierigkeiten. Zwar hat sich in Deutschland eine Armutsforschung etabliert - ein profilierter Vertreter, Professor Butterwegge, nimmt an unserer Tagung teil - aber der von Experten ermittelte Sachstand nimmt im Problembewusstsein der Politik eigenartige Formen an. Da erscheint der Sachverhalt oft nur noch als ein semantisches Problem. Soll man nun von einer "Unterschicht" sprechen, von einem "abgehängten Prekariat" oder von Menschen "mit sozialen und Integrationsproblemen"? Kann man vielleicht einen soziologischen Terminus finden, der beruhigend wirkt? Geht es also nur noch - dieser Eindruck muss in breiten Kreisen entstehen - um die Kunst der Verpackung?

2. Doch die Beruhigungsformeln verfehlen ihre Wirkung, führen wohl eher zum Gegenteil. Wie der ARD Deutschland-Trend vom November 2006 aufzeigte, empfinden rund zwei Drittel der Bevölkerung (66 %) unsere Gesellschaft als sozial ungerecht: ein neuer Höchststand, der auf seine Art auch ein Beleg für die schon vor Jahrzehnten diagnostizierte "Zwei-Drittel-Gesellschaft" ist. Dem steht eine breite und wachsende Enttäuschung über die Reformpolitik gegenüber. In der Tat fühlen sich viele Menschen - und nicht nur eine Randgruppe - sozial "abgehängt". Verunsicherung - "Prekarisierung" ins Deutsche übersetzt - ist ein allgemeiner Tatbestand. Das hat immer öfter zur Folge, dass Politik buchstäblich abgeschrieben wird. Laut Deutschland-Trend ist erstmals mehr als die Hälfte (51 %) der Befragten mit dem Funktionieren der Demokratie unzufrieden. Und von jugendlichen Problemgruppen wissen wir, dass in ihrem Medienkonsum politische Inhalte gegen Null tendieren.

Welche Rolle nehmen hier die Medien ein, welche könnten sie spielen? Ich will nicht in das Klagelied verfallen, dass sich das breite, bunte Medienangebot einer recht einfarbigen Ablenkungsfunktion verschrieben habe. Das gibt es, aber es gibt auch unübersehbar das Gegenteil. Das ist ja das Kennzeichen der "Mediokratie" - wie Thomas Meyer unsere Gesellschaft genannt hat -, dass Politik in all ihren Varianten noch nie so hautnah präsent war.

Bei der Konzeption unserer Tagungsreihe sind wir davon ausgegangen, dass ein symbiotisches Verhältnis zwischen Medien und Politik besteht. Bei der heutigen Zusammenkunft wollen wir nun genauer bestimmen, was das heißt und was daraus folgt, und zwar mit Blick auf die Medienschaffenden und die Strukturen, in denen sie tätig sind, bevor wir dann in einem dritten Schritt die "Synopsis" der beiden Betrachtungen wagen.

"Zu komplex? Zu schwierig?" lautet die Leitfrage unserer Befassung mit dem Vermittlungsproblem. Darin schwingt Verschiedenes mit. Was ist mit der Ware, die den Experten für Nachrichtenübermittlung geliefert wird? Ist dort vielleicht schon der Wurm drin? Oder liegt das Problem in einer verbreiteten medialen Abwehrhaltung, die sich - aus diesen oder jenen Interessen gespeist - dem politischen Prozess entgegen stellt? Dass es hierbei nicht um Schuldzuweisungen gehen kann, brauche ich wohl nicht zu betonen. Betonen möchte ich aber einen Punkt, der zu Missverständnissen Anlass geben könnte.

Wenn wir vom Sender und Empfänger politischer Informationen sprechen und die Medien als die vermittelnde Instanz betrachten, dann ist kein linearer Prozess gemeint, kein technologisches Ideal einer reibungslosen Übermittlung von a über b nach c - eine Vorstellung, die im Zeitalter der interaktiven Medien ohnehin obsolet wäre. Reibung ist vielmehr erwünscht. "Hier handelt die Gesellschaft selbst", hieß es in einem Statement auf der ersten Tagung. Als Vertreter der Bundeszentrale für politische Bildung ist es mir ein besonders Anliegen, auf diese zivilgesellschaftliche Komponente hinzuweisen.

Wir sehen ja in der politischen Bildung die Notwendigkeit, gemeinsam mit den Medien an der Vermittlungsaufgabe zu arbeiten. Hier gibt es vielfältige Überschneidungen, Verbindungslinien, Möglichkeiten zu Experiment und Innovation, die wir nutzen wollen. Dabei ist es uns wichtig, gesellschaftliche Initiative zu fördern. Selbstständigkeit der Bürger und Bürgerinnen ist das Ziel, nicht Dienstleistung für ein passives Publikum. So sollten wir, meine ich, Vermittlung zum Thema unserer Beratungen machen - orientiert am Leitbild der Mündigkeit und nicht am Ideal sozialtechnologischer Effizienz. Sonst werden nachher rund um die Uhr alle mit Informationen beliefert, aber politisch kommt es zum Blackout.

Quelle zu den statistischen Angaben: ARD DeutschlandTREND November 2006, Externer Link: www.infratest-dimap.de. Vgl. FAZ, 4.11.06.

-Es gilt das gesprochene Wort-

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