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"Die neuen Unternehmen – Qualifizierung in gesellschaftlicher Verantwortung" | Presse | bpb.de

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"Die neuen Unternehmen – Qualifizierung in gesellschaftlicher Verantwortung"

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"Gemeinsam für Deutschland – mit Mut und Menschlichkeit": Mit diesem Anspruch hat die neue Bundesregierung heute vor einer Woche ihr Amt angetreten. Und sie hat sich Ziele gesetzt, auch und gerade was die Bildungschancen junger Menschen angeht.

Sehr geehrter Herr Peter,
Sehr geehrter Herr Andres,
Meine sehr verehrten Damen und Herren,

"Gemeinsam für Deutschland – mit Mut und Menschlichkeit": Mit diesem Anspruch hat die neue Bundesregierung heute vor einer Woche ihr Amt angetreten. Und sie hat sich Ziele gesetzt, auch und gerade was die Bildungschancen junger Menschen angeht. Der nationale Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs soll weiterentwickelt werden, kein junger Mensch unter 25 Jahren soll länger als drei Monate arbeitslos sein. Qualifizierung in gesellschaftlicher Verantwortung ist also eine Messlatte, die sich auch die neue Bundesregierung gelegt hat. Sie setzt dabei ganz ausdrücklich auf die gesellschaftliche Verantwortung der Wirtschaft und deren Interesse an qualifiziertem Nachwuchs.

Die bildungspolitischen Probleme in diesem Land lassen sich in der Tat nur in einer gemeinsamen Kraftanstrengung aller Beteiligten bewältigen. Die Unternehmen in Deutschland stehen bereits im dualen Ausbildungssystem mit in der politischen Verantwortung. Das Gerechtigkeitsprinzip, das einen wichtigen Pfeiler unseres sozialen Rechtsstaates ausmacht und eine wesentliche Legitimationsgrundlage des gesellschaftlichen Zusammenhalts ist, fordert ein, dass nicht nur Menschen, sondern auch Unternehmen neben ihrer Rolle als konkurrierende Marktteilnehmer die Rolle des kooperierenden Bürgers einnehmen und den Standpunkt des Eigeninteresses hinter sich lassen.

Lange Zeit war die Frage der Gerechtigkeit vor allem eine Frage der gerechten Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum der Arbeit. In einer Zeit aber, in der sich die Formen der Erwerbstätigkeit so grundlegend ändern, in der die klassische nationale Industriegesellschaft auf dem Weg zur globalen Wissensgesellschaft weiter voranschreitet, ist die Frage der Gerechtigkeit eine Frage nach der gesellschaftlichen Verantwortung für Bildung.

Immerhin: Jeder zehnte erwirtschaftete Euro wird in Deutschland für Bildung, Forschung und Wissenschaft ausgegeben. Mehr als ein Viertel der gesamten Bevölkerung ist tagtäglich mit institutionalisierter Bildung befasst. Und trotzdem: International gemessen ist das zu wenig – spürbar zu wenig. Ein knappes Fünftel der jungen Menschen hierzulande hat weder eine Berufsausbildung abgeschlossen noch Abitur; von diesen Menschen mit geringer schulischer oder beruflicher Bildung nimmt nur jeder fünfte an einer Weiterbildung teil. Und lediglich 25 Prozent der Betriebe mit weniger als zehn Beschäftigten bieten solche Bildungsmöglichkeiten überhaupt an.

Dabei liegt genau hier die besondere gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmers. Gerade unter den sich verändernden globalen Rahmenbedingungen, die vorhandene Orientierungen über den Haufen werfen und völlig neue Spielregeln aufstellen, ist es essentiell, jungen Menschen so früh wie möglich dabei zu helfen, ein Fundament zu legen. Ein Fundament, das ihnen die Partizipation an politischem und wirtschaftlichem Leben ermöglicht. Bildung und insbesondere auch politische Bildung sind untrennbar mit dem wirtschaftlichen Leben verflochten.

In Gesprächen mit Vertretern aus der Wirtschaft werden diese Schnittpunkte hier und da skeptisch gesehen; da heißt es: "Wir brauchen nicht mehr politische Bildung in der Wirtschaft, sondern mehr wirtschaftliche Bildung in der Politik." Oder: "Was soll politische Bildung in der Wirtschaft? Ich habe schon den Gemeinschaftskundeunterricht in der Schule nicht gemocht." Manch einer hat wohl auch Angst, dass hier junge Führungskräfte zu neuen Lobbyisten herangezogen werden sollen.

Aber darum soll und kann es nicht gehen: Politische Bildung, wie wir sie verstehen, muss ihren Platz ausfüllen, damit Wirtschaft und Bildung enger zusammenrücken können. Wir sehen uns als Partner der Wirtschaft und diese Art von Veranstaltung als Notwendigkeit, diese Kooperationen zu intensivieren. Denn die globale wirtschaftliche und politische Vernetzung erfordert grundlegende Kenntnisse, um die Meinungs- und Willensbildung überhaupt erst möglich zu machen. Um Entscheidungen treffen zu können, müssen junge Führungskräfte in die Lage versetzt werden, vernetzt zu denken, größere Zusammenhänge zu erkennen.

Daraus ergibt sich ein Dreiklang von

  • Nachwuchsförderung

  • Qualifizierung in gesellschaftlicher Verantwortung und

  • bürgerschaftlichem Engagement.

Nur der mündige Mitarbeiter bringt das Unternehmen in seiner Gesamtheit weiter nach vorne. Diese Mündigkeit wird nicht zuletzt durch politische Bildung gestärkt. Die Wirtschaft braucht junge Menschen, die über Kompetenzen verfügen, bei denen wir als Vermittler politischer Bildung hilfreich sein können: die Fähigkeit, sich selbstständig ein Urteil zu bilden, das Bewusstsein, Teil einer Gesellschaft zu sein und das Wissen um die Bedeutung der Nachhaltigkeit sind dafür die wesentlichen Elemente.

Das unternehmerische Ziel sollte nicht nur der schnelle Gewinn sein – dass dieses Bewusstsein bei der Mehrheit der deutschen Manager bereits vorhanden ist, zeigt eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung: 93 Prozent der befragten Spitzenkräfte deutscher Konzerne sind der Ansicht, dass für den wirtschaftlichen Erfolg soziale und ökologische Belange eine große Rolle spielen. Und mehr als die Hälfte von ihnen glaubt, dass die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen durch die Finanzkrise des Staates sogar noch gewachsen ist. Viele Unternehmen verstehen sich also bereits als soziale Organismen mit gesellschaftlicher Verantwortung. Im Rahmen dieses Postulats wird den Unternehmen ökologisches Bewusstsein, die Beachtung einer nachhaltigen Entwicklung und soziale Verantwortung für Ausbildung und Integration verschiedener gesellschaftlicher Gruppen abverlangt. Diese Anforderungen dürfen jedoch nicht nur in Leitbildern und Broschüren auftauchen, sondern müssen in die unternehmerische Praxis umgesetzt werden.

Uns ist es wichtig, dass diese Verantwortung gemeinsam wahrgenommen wird und Partnernerschaften entstehen, damit Unternehmen ihrer Rolle gerecht werden können. Wir sollten die Alarmsignale, die nicht nur die verschiedenen PISA-Studien aussenden, ernst nehmen. Und es ist ein Alarmsignal, wenn mittlerweile wie selbstverständlich von "bildungsfernen Schichten" gesprochen wird. Bildungsferne Schichten können wir uns schlichtweg nicht leisten; wir können es uns nicht leisten, die kostbaren Ressourcen unseres Nachwuchses zu vergeuden! Mehr Chancengleichheit ist deshalb das Gebot der Stunde, denn der Standort Deutschland ist auf hoch qualifizierte Spitzenkräfte und kreative Köpfe dringend angewiesen.

Damit Bildung nicht speziellen Zielgruppen vorbehalten bleibt, ist es nicht nur wichtig, die Gerechtigkeitslücken im Schulsystem zu schließen. Entscheidend ist auch, die politische Bildung innerhalb von Unternehmen neu zu definieren. Unternehmen sollten sich stärker engagieren, eigene Schwerpunkte der politische Bildung setzen, sie gestalten und voranbringen – mit uns zusammen. Unternehmen sind aus eigenem Antrieb, gewissermaßen intrinsisch, dazu motiviert und sowohl zur notwendigen Teamarbeit als auch zur Selbstorganisation in der Lage.

Im Mittelpunkt steht hier das Konzept des Corporate Citizenship: Der Grundgedanke ist, dass Unternehmen sich als Bürger, als Teil der Gesellschaft verstehen und sich über ihr Eigeninteresse hinaus im Wechselspiel zwischen Freiheit und Verantwortung für die Gesellschaft einsetzen, Unternehmensziele und Gemeinwohlinteresse miteinander verknüpfen. Während beispielsweise in angelsächsischen Staaten dieses Konzept – vor allem aufgrund der nur sehr rudimentär vorhandenen sozialen Sicherungssysteme – eine lange Tradition hat, zeichnen sich in Deutschland erst seit einigen Jahren Konturen eines Corporate Citizenship ab. Häufig beschränkt sich dies auf Corporate Giving – individuelle Geld- und Sachspenden für gemeinnützige Organisationen. Oder das auf Kooperation ausgelegte Thema Corporate Citizenship wird fragmentiert, eindimensional als Imagekampagne instrumentalisiert oder als Teil der Marketingstrategie interpretiert.

Für eine gemeinsame Ideen- und Projektentwicklung in einem zivilgesellschaftlichen Sinne ist das zu wenig. Für wahres Corporate Citizenship braucht es Mitspieler – partizipative Modelle, die sich an der Gemeinschaft orientieren und am Solidaritätsgedanken ausrichten. Durch die Teilnahme an der Verantwortung für das Ganze lässt sich gesellschaftlicher Gemeinschaftssinn fördern und realisieren. Alle sollen an der Gestaltung des Gemeinwesens teilhaben und zur Mitarbeit aufgefordert werden.

Für Unternehmen heißt das: die Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeiter zu ermöglichen und zu fordern – Verantwortung abzugeben, um Eigenverantwortung zuzulassen. Für uns heißt das: die Qualifikation in gesellschaftlicher Verantwortung zu stärken und unsere Funktion als Bindeglied zwischen Unternehmen und Gesellschaft wahrzunehmen. Nur so können wir den Dreiklang von Nachwuchsförderung, Qualifizierung in gesellschaftlicher Verantwortung und bürgerschaftlichem Engagement harmonisch klingen lassen.

Der Schweizer Maler Anton Graff sagte einmal: "Gebildet ist, wer Parallelen sieht, wo andere völlig Neues erblicken." Auch wir befinden uns in einer Zeit des Übergangs und der Transformation; Grenzen verschwimmen – in jeglicher Hinsicht, neue Verankerungen müssen gesetzt werden. Dabei dürfen das Lernen aus der Erfahrung, die Konsequenz eigenen Handelns und die Mitverantwortung für das Ganze nicht übersehen werden. Im nationalen Aktionsplan für die in diesem Jahr begonnene UN-Dekade "Bildung für nachhaltige Entwicklung" wird diese Gestaltungskompetenz als Leitziel genannt. Das Ziel der Bildung für nachhaltige Entwicklung ist es, dem Einzelnen Fähigkeiten mit auf den Weg zu geben, die es ihm ermöglichen, aktiv und eigenverantwortlich die Zukunft mitzugestalten. Vorausschauend zu denken, interdisziplinär zu agieren und sich und andere zu motivieren. Das sind die entscheidenden Komponenten, die diese Entwicklung ausmachen.

Wirtschaft und Gesellschaft müssen sich nicht fremd sein – und dürfen sich vor allem nicht entfremden. Deutschland ist mehr als ein Wirtschaftsstandort und der Mensch mehr als bloß Produzent und Konsument. Bildung darf nicht auf Feuerwehrfunktionen in Qualifizierung und Weiterbildung reduziert werden. Bildung ist ein Standortfaktor und die Wirtschaft in gesellschaftlicher Verantwortung. Als Scharnier zwischen diesen beiden Punkten fungiert die politische Bildung. Die Kooperation zwischen Wirtschaft und Bildung muss öffentliches Gewicht bekommen. Damit Wirtschaft und politische Bildung sich weiter vernetzen, machen wir heute den nächsten Schritt – gemeinsam in Verantwortung für unsere Gesellschaft. Für diese Veranstaltung möchte ich Ihnen noch einen Satz des amerikanischen Dichters Robert Lee Frost mit auf den Weg geben: "Bildung ist die Fähigkeit, fast alles anhören zu können, ohne die Ruhe zu verlieren oder das Selbstvertrauen." In diesem Sinne wünsche ich uns heute einen produktiven Austausch und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

Fussnoten