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Rede anlässlich der Festveranstaltung "40 Jahre Israel-Studienreisen" | Presse | bpb.de

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Rede anlässlich der Festveranstaltung "40 Jahre Israel-Studienreisen"

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Seit 40 Jahren veranstaltet die Bundeszentrale für politische Bildung ihre Israel-Studienreisen. In seiner Rede bezeichnete bpb-Präsident Thomas Krüger dieses Projekt als einen der wichtigen Ausgangspunkte der zukünftigen Bildungsarbeit.

In diesen politisch so bewegten, beunruhigenden Zeiten kann ich Sie heute aus einem erfreulichen Anlass begrüßen: 40 erfolgreiche Jahre Israel-Studienreisen der Bundeszentrale für politische Bildung, kurz bpb, sind nicht nur zu bilanzieren, sondern ich möchte sie zugleich als einen der wichtigen Ausgangspunkte unserer zukünftigen Bildungsarbeit präsentieren.

Erlauben Sie mir aber, zunächst meiner Freude und meinem Dank darüber und dafür Ausdruck zu verleihen, dass wir dieses Jubiläum an einem so würdigen Ort wie dem Jüdischen Museum in Berlin begehen können. Nachdem wir uns schon mit unseren israelischen Partnern und Freunden in der Residenz des deutschen Botschafters in Tel Aviv, Rudolf Dressler, in einem festlichen Rahmen treffen konnten, möchten wir nun heute auch in Deutschland das Jubiläum unserer Studienreisen feiern. Was in diesem Haus gelernt werden kann, steht in direktem Zusammenhang zu den Lernzielen der Studienreisen. Wer etwas über jüdisches Leben in Deutschland und Europa vor der Shoah erfahren hat, wird jüdisches Leben in Israel nach der Shoa leichter verstehen können. Mit bescheidener Genugtuung kann ich heute feststellen, dass die Bundeszentrale für politische Bildung, als sie vor 40 Jahren mit der Organisation ihrer Israel-Studienreisen begann, eine politische Tradition begründet hat, die von allen politischen Kräften in der Bundesrepublik uneingeschränkt getragen und – wie wir an der zunehmenden Nachfrage ablesen können – von der deutschen Bevölkerung mit wachsendem Zuspruch bedacht wird.

Gleichwohl, der Anfang war nicht leicht – für beide Seiten. Es standen sich ja noch die Generation der Überlebenden der Shoa und die der Täter gegenüber. Es mussten Barrieren überwunden werden. Doch die von den engagierten Pionieren unserer Reisen unternommenen Anstrengungen haben tatsächlich jene – damals noch visionäre – mit Martin Hausers Worten "schmale Brücke der Verständigung" gebaut, auf der heute die Kinder und Kindeskinder der Opfer deutschen Besuchern ohne Berührungsängste, mit Unbefangenheit und Neugier begegnen. Die Broschüre, die wir aus Anlass des 40-jährigen Bestehens der Israel-Studienreisen produziert haben, geht darauf übrigens genauer ein. Es geht heute nicht mehr um Schuld und Sühne, doch stehen wir Deutschen im deutsch-israelischen wie deutsch-jüdischen Verhältnis in unverändert besonderer Verantwortung vor unserer Geschichte. Ich glaube, das ist eine tragfähige Grundlage für die Gestaltung einer Zukunft, in der nie wieder das passiert, was in deutschem Namen dem europäischen Judentum angetan wurde. Wenn heute vor allem junge Deutsche mit Menschen aus allen Schichten der israelischen Gesellschaft, mit Wissenschaftlern, Künstlerinnen, Kibbuzniks, Lehrerinnen und Handwerkern zusammentreffen und ausführlich diskutieren können, zeigt das den großen Fortschritt, den unsere Begegnungskultur in diesen 40 Jahren gemacht hat. Es zeigt nicht zuletzt auch, welche positive Resonanz unsere Studienreisen in Israel inzwischen finden. Um nur zwei Zahlen zu nennen: In den vergangenen 40 Jahren haben mehr als 6000 Multiplikatoren und Multiplikatorinnen der politischen Bildung in über 200 Studienreisen mit der bpb Israel besucht. Sie haben jüdisches Leben in Israel in seiner ganzen Vielfalt, aber auch die Probleme der israelischen Gesellschaft, und nicht zuletzt den israelisch-palästinensischen Konflikt durch persönliche Anschauung kennen gelernt. Und wieder einmal hat sich gezeigt, dass fragmentiertes oder mit Vorurteilen behaftetes Wissen, das aus guten wie schlechten Geschichtsbüchern oder einer unzulänglichen Medienberichterstattung stammt, in der politischen Bildung wirkungsvoll in der Regel nur "vor Ort" berichtigt oder ergänzt werden kann. Dieser unmittelbare Effekt unserer Reisen wird noch durch ihre multiplikatorische Wirkung vergrößert. Die Teilnehmenden berichten darüber in den regionalen und überregionalen Medien, initiieren Folgeprojekte im deutsch-jüdischen bzw. deutsch-israelischen Kontext an Schulen, Universitäten und in anderen gesellschaftlichen Institutionen und organisieren private Reisen nach Israel.

Um einmal den viel benutzten Begriff der "Nachhaltigkeit" abgewandelt zu benutzen: Die Israel-Studienreisen haben bei den Teilnehmenden in fast allen Fällen zu einer kontinuierlichen Beschäftigung nicht nur mit der Shoa und ihren Auswirkungen, sondern gerade auch mit dem heutigen jüdischen Leben in Israel in seiner ganzen Komplexität und mit dem Nahost-Konflikt geführt. Viele Schwarz-Weiß-Bilder sind durch das Kennenlernen höchst differenzierter Positionen und Meinungen in Israel und bei den Palästinensern nachhaltig verändert worden.

Dass sich in den vergangenen 40 Jahren die Informationsbedürfnisse, auch im Hinblick auf Israel und den Nahost-Konflikt, geändert haben, ist evident. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat dem mit einer Umstrukturierung der Studienreisen, mit neuen Programmen und Zielgruppenangeboten Rechnung getragen. Dass wir uns neuen Anforderungen stellen, scheint mir gerade in dieser Zeit besonders wichtig. Leider werden wir wieder – oder noch immer – auch mit verdeckten, jedoch nicht minder gefährlichen Formen von Antisemitismus konfrontiert. Wir müssen erleben, dass heute sogar Abgeordnete des obersten deutschen Parlaments eine von historischen und antisemitischen Klischees bestimmte Debatte anstoßen können.

Israel steht heute bei einer Mehrheit der europäischen Bevölkerung – angeblich bei 65 Prozent der Deutschen – , unter dem kollektiven Verdacht, den Weltfrieden zu bedrohen, glauben wir jener jüngsten europäischen Umfrage zum Thema "Irak und europäische Bedrohungsgefühle". Wie auch immer von Brüssel aus gefragt worden ist, für Deutschland jedenfalls wäre es falsch, aus dieser Umfrage auf einen allgemein wachsenden Antisemitismus zu schließen. Kritik an einer israelischen Regierung oder an Teilaspekten der israelischen Politik, kann weder als Antiisraelismus noch als Antisemitismus, schon gar nicht als "kollektiver Antisemitismus" der Europäer, so Ariel Sharon, verdächtigt werden. Um aber sachliche Kritik üben zu können, ist gerade bei dem gegenwärtig eher verwirrenden und nicht immer adäquaten Medienangebot die vermehrte Vermittlung von Informationen, also Aufklärung und immer wieder Aufklärung, notwendiger denn je. Das betrifft israelisches Alltagsleben, die israelische Kulturlandschaft, die israelischen Wirtschaftsprobleme, die Einwanderung und ihre psychologischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen und alles das, was Judentum im heutigen Israel heißt. Nicht zuletzt betrifft es die israelische Sicherheitspolitik, die anderen Voraussetzungen folgt wie die europäische.

Diese Aufklärung sind wir nicht in erster Linie den Israelis, sondern zuerst uns selbst schuldig. So gesehen sind die Studienreisen der Bundeszentrale für politische Bildung nicht nur Teil unserer Erinnerungskultur und damit unverzichtbar für die Fortentwicklung der deutsch-israelischen Beziehungen, sondern auch ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung von Antisemitismus, Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit und – ganz allgemein – von Unwissen, Engstirnigkeit und Vorurteilen in Deutschland selbst. Angesichts des verabscheuungswürdigen Terrors gegen Juden und jüdische Einrichtungen auch außerhalb Israels verstehen wir unsere Studienreisen auch als ein Stück geübter Solidarität mit Israel und seinen Menschen.

Wie geht es nun weiter ? Niemand kann der Bundeszentrale für politische Bildung ihre große Verantwortung für die Sicherheit und Unversehrtheit der Teilnehmenden an den Studienreisen abnehmen. Mit Ausbruch der sogenannten zweiten Intifada im Herbst 2000 hat sich naturgemäß dieses Problem noch vergrößert, die aktuelle Sicherheitslage ist zweifellos gefährlicher geworden. Auf manches gewohnte und aufschlussreiche Reiseziel in Israel musste daher auch schon mal verzichtet werden, einzelne Programmpunkte und Reisen mussten verschoben werden. Die bpb hat mit einem zusätzlichen Bildungsangebot in Deutschland zum Thema "Israel und der Nahe Osten" die hoffentlich vorübergehende Begegnungslücke zu schließen versucht und zu diesen Seminarveranstaltungen vermehrt israelische Referenten und Referentinnen eingeladen.

Wir haben also den so wichtigen Dialog zwischen den Menschen unserer Länder auch auf diese Weise fortgeführt. Und – ich weise auch darauf ausdrücklich hin – wir haben in diesem Herbst immerhin fünf Reisen durchgeführt, wenn auch mit verändertem Reiseprogramm in Israel. Ich versichere Ihnen, wir machen so weiter, wann immer die Umstände dies zulassen.

Ich bitte Sie, wo immer Sie auch politische Verantwortung tragen, uns auch weiter und wie bisher schon politisch zu unterstützen, damit wir unsere Arbeit im Rahmen des deutsch-jüdischen bzw. deutsch-israelischen Dialogs erfolgreich fortsetzen und – so hoffe ich – sogar noch verstärken können. Ich danke Ihnen. Shalom.

Ich freue mich, Ihnen nun einen der brillantesten Percussion-und Marimba-Künstler Israels vorstellen zu können. Chen Zimbalista ist ein wahrer Virtuose seines Fachs. Auftritte mit allen führenden Orchestern Israels sowie Konzertreisen nach China, in die USA, Kanada, Brasilien und Deutschland sind nur einige Stationen seines bisherigen künstlerischen Schaffens. Lassen Sie sich in dem nun folgenden 15-minütigen Intermezzo in die faszinierende musikalische Welt von Chen Zimbalista entführen. Betrachten Sie dies als eine Art "Appetitanreger". Die ganze Bandbreite seines Könnens werden Sie heute abend um 20.00 Uhr in einem etwa einstündigen Konzert genießen können.

Die Rede wurde gehalten anlässlich der Festveranstaltung "40 Jahre Israel-Studienreisen" am 5. Dezember 2003 im Jüdischen Museum Berlin.

Fussnoten