Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

10 Thesen zur Zukunft der politischen Bildung | Presse | bpb.de

Presse Pressemitteilungen Pressetexte 2024 Archiv Reden Archiv Pressekits Fotos | Logos | Banner Logos Virtuelle Hintergründe Thomas Krüger Jahresrückblicke Jahresberichte Auszeichnungen Pressekontakt

10 Thesen zur Zukunft der politischen Bildung

/ 4 Minuten zu lesen

Politische Bildung muss sich ihres Kontinuums vergewissern. In fünf Jahrzehnten politischer Bildung sind seriöse, überparteiliche und unabhängige Informationsmaterialien bereitgestellt worden, die die politische Meinungs- und Willensbildung aktiv unterstützt haben. Einrichtungen wie die bpb oder die Landeszentralen für politische Bildung genießen einen hohen Ruf, der in dem Bemühen um Neuerungen nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden darf.

(Es gilt das gesprochene Wort)

1. Politische Bildung muss sich ihres Kontinuums vergewissern. In fünf Jahrzehnten politischer Bildung sind seriöse, überparteiliche und unabhängige Informationsmaterialien bereitgestellt worden, die die politische Meinungs- und Willensbildung aktiv unterstützt haben. Einrichtungen wie die bpb oder die Landeszentralen für politische Bildung genießen einen hohen Ruf, der in dem Bemühen um Neuerungen nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden darf. Ohne Erneuerung kann jedoch keine Tradition bestehen.

2. Die bisherige Konzentration auf bestimmte Multiplikatorenzielgruppen muss einer Erweiterung der Zielgruppen weichen. Dabei sind verschiedene Multiplikator(inn)en wie Lehrer(innen) nach wie vor erstrangige Ansprechpartner. Dazu müssen jedoch neue Multiplikator(inn)en z.B. aus dem Berufsschulkontext, der Jugend- und Popkultur oder dem Sport treten. Für junge Erwachsene gibt es zudem eine vorrangige Multiplikatorengruppe: sie selbst. Leider sind bislang bestimmte Zielgruppen kaum angesprochen oder erreicht worden. Dazu zählen z.B. Migrant(inn)en und Aussiedler(innen). Aus nachvollziehbaren Gründen hat politische Bildung auch in den neuen Bundesländern bislang noch nicht das angemessene Gewicht gefunden.

3. Bislang ist politische Bildung davon ausgegangen, mittelfristig wirkende Lernprozesse zu initiieren. Die umfangreichen Qualitätskriterien und die andauernde Vorbereitungszeit hat dazu geführt, dass es der politischen Bildung kaum gelungen ist, aktuelle politische Themen aufzugreifen und mit adäquaten Lernprozessen zu vertiefen. In der Informations- und Wissensgesellschaft ist aber Aktualität ein unverzichtbares Qualitätskriterium, um durch gebildete Communities eine gesellschaftliche Aktivierung zu erreichen.

4. Bei der Frage, wie das Wissen zum Verbraucher und zur Verbraucherin politischer Bil-dung kommt, ist bisher vor allem auf zwei Produktgruppen gesetzt worden: Das sind zum einen Printprodukte – übrigens hinsichtlich der Qualität und auch der Erneuerungsfähigkeit eine Domäne der bpb – und zum anderen Veranstaltungen. Setzen Printprodukte auf Informati-onsvermittlung, so betonen Veranstaltungen eher das interaktive Lernen. Als dritte Produktgruppe treten nun Onlineprodukte hinzu, die Informationsvermittlung auf originäre Weise mit Interaktion verkoppeln können. Mit Onlineprodukten sowie audiovisuellen Medien werden neue Zugänge zu Lernprozessen und bereitgestelltem Wissen ermög-licht und neue Vertriebsformen aufgetan.

5. Diese drei Produktgruppen fächern sich jedoch weit auf. In allen Produktgruppen wird man permanent auf der Suche nach qualitativ hochwertigen und zugleich zielgrup-penadäquaten Formaten sein müssen. Nur einige Beispiele für neue Formate: Wenn die Leseforschung wie erst kürzlich geschehen, die wachsende Bedeutung des Überblicklesens hervorhebt, müssen Printprodukte darauf reagieren (Zeitbilder). Wenn in der Internetwelt alles auf Portale setzt und Versprechen abgibt, die kaum eingelöst werden können, müssen themenspezifische Angebote inszeniert werden (Aktivierung von Archiven). Wenn Seminare und Veranstaltungen sich zu sehr selbst genügen und jährliche Begegnungen perpetuieren, müssen sie methodisch aufgebrochen und communitybildend erweitert und verlängert werden.

6. Politische Bildung muss stärker auf Nachhaltigkeit setzen. Es kommt bei den verschie-denen Angeboten mehr denn je darauf an, dass sie sich nicht selbst genügen, sondern aktivierenden Charakter haben und Gestaltungskompetenzen auf-bauen. Bei der Menge verfügbaren Wissens und den Beschleunigungen, dem es ausgesetzt ist, kommt es immer mehr darauf an, dass man nützliches von unnützlichem Wissen unterscheiden kann. Die Kritikfähigkeit der Wissensnutzer und -nutzerinnen muss geschult werden (das griechische "kritein" wird mit "unterscheiden" übersetzt).

7. Politische Bildung hat über die Jahrzehnte ganze Generationen geprägt. Sie muss, um öffentlich dauerhaft anerkannt zu werden, und um nicht auf "Feuerwehrfunktionen" reduziert zu werden, ein öffentliches Gewicht bekommen. Deshalb wird es bedeutsam sein, nicht nur auf politische Herausforderungen zu reagieren, sondern selbst Themen zu setzen. Hierzu wird es immer notwendiger, politische Bildung zu einer unverwechselbaren Marke zu entwickeln. Vorhandene Ansätze müssen u.a. auch mit professionellem Marketing-Sachverstand weiterentwickelt werden. Der Öffentlichkeitsarbeit ist ein großes Gewicht beizumessen. Um die Marke populär in allen relevanten Zielgruppen zu positionieren, kann es sinnvoll sein, sie durch funktionstüchtige Submarken zu substituieren (z.B. Jugendmarken/ Gütesiegel "Gender Mainstreaming").

8. In der Informations- und Wissensgesellschaft wird man nicht mehr mit herkömmlichen Kategorisierungen auskommen. In der globalen und vernetzten Welt gilt es, Dilemmata und Komplexität auszuhalten. Insbesondere Orientierungen und Meinungsbildungen werden vor diesem Hintergrund immer stärker disziplinübergreifend generiert. Von ihrem Anspruch her muss Politische Bildung darum stärker auf Interdiziplinarität setzen, Themenbouquets für unterschiedliche Zielgruppen und Nutzer bereitstellen und produktübergreifende Angebote (cross over) be-reithalten.

9. Politische Bildung muss risikobereit bleiben. Die Experimentierfreude muss ein permanentes Gebot bleiben. Es kann nicht hingenommen werden, dass bestimmte Zielgruppen preisgegeben werden und man sich auf die Bearbeitung der Klientel konzentriert, die man kennt und die einem treu ist. Dieses notwendige Maß an Selbstüberschreitung gehört jedoch zum Wesen politischer Bildung, wenn sie ihrem Auftrag, Demokratie in der ganzen Gesellschaft zu stärken, gerecht werden will. Selbstüberschreitung heißt dabei nicht mehr, aber auch nicht weniger, als an die Alltagserfahrungen und Lebenswelten der Menschen anzuknüpfen und Lernprozesse hier ansetzen zu lassen. Junge Erwachsene erreicht man heute z.B. durch Verknüpfung politischen Lernens mit der Pop- und Ju-gendkultur.

10. Ziel politischer Bildung muss eine lebendige, demokratische Gesellschaft bleiben. Das heißt jedoch heute nicht, politische Entscheidungsprozesse anderen, im Regelfall der politischen Klasse zu überlassen. Politische Bildung will aktivieren und ermutigen, indem sie im Sinne eines "empowerment" zur politischen Einmischung und Beteiligung qualifiziert. Eine partizipative Demokratie, eine Demokratie der wirklichen Teilhabe wirft jedoch auch ein Licht auf das politische Lernen selbst. Auch politische Bildung muss partizipativ gestaltet werden und sich durch ein neues Verhältnis von Lehrendem/Informierendem zu dem oder der Lernenden/Partizipierenden auszeichnen. Vielleicht kann sich politische Bildung so in den allgemeinen Anspruch der Pädagogik einreihen, eine aktive Veränderung der Gesellschaft durch die Methodik selbst zu beabsichtigen, zu ermöglichen und praktisch zu realisieren.

bpb meets v.f.h. – 10 Thesen zur Zukunft der politischen Bildung (01. Juni 2002, CJD; v.f.h.: Verein für die Förderung pol. Handelns, Bonn)

Fussnoten