Sehr geehrte Bürgermeisterin Frau Dr. Münch, sehr geehrte Frau Fiedler, sehr geehrter Herr Lübbe, sehr geehrte Frau Lessel, sehr geehrter Herr Reinhardt, sehr geehrte Frau Tscholl, sehr geehrte Frau Ersing und Frau Zibulla, sehr geehrte Festivalleitung, sehr geehrte Kooperationspartner, liebe Freundinnen und Freunde des Freien Theaters,
ich begrüße Sie als ständige Vertreterin des Präsidenten der Bundeszentrale für politische Bildung zum diesjährigen Festival Politik im Freien Theater sehr herzlich.
Liebe Gäste, der Beschluss zur Gründung einer Bundeszentrale für Heimatdienst als Vorläuferin der Bundeszentrale für politische Bildung wurde bereits im August 1950 von Konrad Adenauer gefasst. 1952 nahm sie ihre Arbeit auf. Die Sorge um die – wie man es heute formulieren würde – Resilienz der Demokratie in Deutschland war ein entscheidendes Motiv. Dementsprechend findet sich „die Förderung des demokratischen Gedankens“ als zentrale Zielsetzung schon vor der Gründung. Die Mitarbeiter der ersten Stunde waren „getrieben von der Sorge, dass sich die Bevölkerung nur langsam mit der neuen deutschen Demokratie anfreunden würde.“
Wie die Bundesrepublik Deutschland ist auch die Bundeszentrale für politische Bildung eine Erfolgsgeschichte, gerade weil sie auf die Herausforderungen und die Bedrohungen der Demokratie in den vergangenen Jahrzehnten stets Antworten gefunden hat. Auch gegenwärtig sehen wir uns Herausforderungen ausgesetzt.
Die Idee der Demokratie genießt enorme Zustimmung: 90 Prozent der Bevölkerung stehen hinter ihr. Aber: Wenn wir fragen, wie zufrieden die Menschen mit der Demokratie in der Praxis sind, dann sieht das Bild anders aus. Nur noch etwa 40 Prozent äußern Zustimmung. Vor zwei Jahren waren es noch fast 60 Prozent.
Es fehlt an Grundvertrauen in die Politik. Die Mehrheit der Menschen in Deutschland ist verunsichert, beunruhigt, unzufrieden. 2024 hielten 70 Prozent den Staat für überfordert, nur noch ein Viertel glaubte, dass er seine Aufgaben erfüllen kann. Das Vertrauen in staatliche Institutionen geht zurück, das Gefühl der politischen Machtlosigkeit steigt.
Die liberale Demokratie bekommt damit ein „Legitimationsproblem“: Demokratie wird von Vielen als nicht gestaltbare Ordnung wahrgenommen – als fern der eigenen Lebensrealität.
Hier setzt die Arbeit der Bundeszentrale für politische Bildung an. Ein zentraler Auftrag der Bundeszentrale ist, den Menschen in unserem Land Wege aufzuzeigen, wie sie sich einbringen, sich engagieren und wie sie unsere Gesellschaft mitgestalten können.
Demokratie und demokratisches Bewusstsein fallen nicht vom Himmel – sondern sind gerade in Zeiten des Vertrauensverlusts in Staatlichkeit und in demokratische Systeme immer wieder neu zu erlernen und zu stärken. Denn Demokratie ist Arbeit: Sie braucht das Engagement aller; Demokratie muss lebendig sein. Die Botschaft muss sein: Das hier ist unsere Gesellschaft, für sie bin ich mitverantwortlich, in der Vielfalt sind wir stark. Rausgehen, sich einmischen, diskutieren, mitgestalten.
Wir als Bundeszentrale für politische Bildung waren dabei stets bereit, neue Wege zu gehen, Impulse aus benachbarten Professionen und von verschiedenen Akteuren aufzunehmen, neue Zugänge und Methoden zu finden, um politische Bildung für alle Menschen in Deutschland anzubieten. In den letzten Jahren hieß das etwa: Angebote auf Social-Media-Plattformen oder neue Formate aufsuchender politischer Bildung bspw. am Arbeitsplatz zu entwickeln, die unsere „klassischen“ Angebote der politischen Bildung ergänzen.
Das Festival Politik im Freien Theater, das wir seit 1988 alle drei Jahre veranstalten, ist ein gutes Beispiel dafür, dass wir diesen Weg schon länger gehen. Damals war die Freie Szene für uns und die politische Bildungsarbeit interessant, weil von ihr innovative gesellschaftspolitische Impulse ausgingen und sie kollektive, weniger hierarchische Arbeitsformen etablierte. Und dies ist bis heute so geblieben.
Das Motto des diesjährigen Festivals lautet "Grenzen". An einer solchen befinden wir uns auch hier in der Ag(o)ra, der Schnittstelle von Leipzig und Markleeberg, Peripherie und Zentrum, Stadt und Land. Deshalb freut es mich besonders, dass das diesjährige Festival die Grenzen der Großstadt überschreitet und in die Region ausschwärmt – und etwa in Wurzen mit dem Projekt "Wurzen webt weiter" an die dortige Geschichte der Teppichproduktion anknüpft.
Eine andere Grenze, an die die meisten Menschen in Leipzig wie im Osten vermutlich zuerst denken, ist die zwischen Ost und West.
Hier ist dieses Wissen präsent, weil sich in Leipzig am 9. Oktober 1989 ein, wenn nicht der Schlüsselmoment der Friedlichen Revolution ereignete – die Montagsdemonstration mit 70.000 Menschen. Einen Monat später verschwand die Grenze zwischen DDR und Bundesrepublik scheinbar über Nacht.
Wenn man genau hinschaut, war die Überwindung der innerdeutschen Grenze aber nur möglich, weil diese Grenze schon vorher durchlässig geworden war. Weil es Kontakte zwischen den Nachbarstaaten gab, durch die etwa zwei mutige Bürgerrechtler, Aram Radomski und Siegbert Schefke, über eine Videokamera aus dem Westen verfügten, mit der sie hier am 9. Oktober filmen konnten. Die wackligen, unscharfen Aufnahmen schmuggelte ein West-Journalist dann über die Grenze. – Die abenteuerliche Geschichte können Sie auf unserer Website nachlesen, dort gibt es auch die kompletten 20 Minuten Material, die seinerzeit gedreht wurden. – Ausschnitte daraus liefen dann in den ARD-Tagesthemen, und so konnten die Menschen in der DDR am 10. Oktober sehen, was in ihrem Land vor sich ging – wie Zehntausende das Wort mit Leben füllten, das die Deutsche Demokratische Republik die ganze Zeit bedeutungslos in der Mitte ihres Namens geführt hatte.
Das ist als Erinnerung hilfreich, wenn sich heute Menschen fragen: Was kann ich als einzelner Mensch schon tun gegen die Kriege in der Welt, gegen die autoritäre Bedrohung unserer Demokratie, wie wir sie nicht nur in den USA gerade erleben, oder gegen die Klimakrise?
Sehr viel. Jeder und jede von uns ist gefragt, wenn es darum geht, unsere Demokratie zu verteidigen, so anstrengend sie manchmal scheinen mag. Sie mit Leben zu füllen in aller Widersprüchlichkeit und Verschiedenheit, die sie gestattet. Das Theater kann Ihnen das viel sinnlicher und konkreter vorführen. Wir schauen gleich das Stück "Dancing with our Neighbours" vom Performance-Kollektiv Gob Squad. Und da könnten Sie jetzt fragen, wo steckt denn, bitte schön, beim Tanzen mit Nachbarn die Politik im Freien Theater – wo sind Krise, Krieg und Klima? Aber die Produktion "Dancing with our Neighbours" ist so einfach wie komplex: Das gemeinsame Tanzen wird demoskopisch immer wieder neu organisiert. Und bei den Fragen geht es nicht wie üblich um Gruppenbildung über Herkunft, Aussehen oder Glaube, um woher kommst du oder woher kommst du eigentlich? Hier entstehen wechselnde Mehr- und Minderheiten in aller Verschiedenheit durch alltägliche Fragen: Auf diese Weise werden die Vorstellungen von den Grenzen zwischen uns durcheinandergewürfelt
Ich wünsche Ihnen einen wunderbaren Theaterabend und ein inspirierendes Festival. Vielen Dank an alle, die zu dem vielfältigen Programm, das wir in den kommenden 10 Tage erleben dürfen, beigetragen haben. Insbesondere möchte ich mich beim Team der Bundeszentrale für politische Bildung, bei den Teams der kooperierenden Theaterhäuser und bei allen Mitarbeitenden des Festivalbüros bedanken, die über Monate hinweg diese 12. Festivalausgabe mit großem Engagement und überaus viel Herzblut vorbereitet haben.