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Bilder als historische Quellen

Prof. Dr. Michael Sauer Michael Sauer

/ 13 Minuten zu lesen

Als historische Quellen führten Bilder lange Zeit ein Schattendasein – zu Unrecht, denn sie bieten eine Fülle von Erkenntnismöglichkeiten. Für welche Themenfelder sind sie besonders geeignet? Welche methodischen Probleme gibt es beim Umgang mit Bildern?

In populären historischen Büchern und Zeitschriften werden Bilder meistens als Illustrationen verwendet, um Geschichte anschaulich und unterhaltsam zu präsentieren. Dahinter steht oft ein zu einfaches Verständnis vom Charakter historischer Bilder. Sie werden aufgefasst als unmittelbare und wirklichkeitsgetreue Wiedergabe von Realität, gleichsam als ein Fenster zur Vergangenheit. Gewiss zeigen historische Bilder Vergangenheit, aber sie tun dies auf vermittelte und gebrochene Art und Weise. Für die Historiker gehören Bilder – wie Texte oder Sachzeugnisse – zu den so genannten Quellen. Das sind jene Hinterlassenschaften der Vergangenheit, aus denen wir unsere Kenntnisse über sie beziehen.

Die unterschiedlichsten Bildgattungen kommen als historische Quellen in Frage. Sie lassen sich einerseits nach Bildtechniken, Präsentations- und Verbreitungsformen unterscheiden: die Malerei mit Gemälde, Wandbild oder Buchmalerei; der Holzschnitt als Buchillustration oder als Flugblatt; der Kupferstich und die Lithografie, genutzt zum Beispiel für Plakate, Bilderbögen oder Ansichtskarten; die Fotografie und – nimmt man dreidimensionale Bildwerke hinzu – die Plastik. Andererseits lassen sich Gattungen über ihre Themen oder spezifische Wirkungsabsichten definieren: Personenbilder, Landschaftsbilder, Plakate oder Karikaturen. Solche Unterscheidungen sind keine Glasperlenspiele, denn es ist wichtig zu wissen, welche Erkenntnisse man von einer Bildgattung erwarten kann, was ggf. ihre spezifischen Darstellungsmittel oder -konventionen waren und wie es um ihre zeitgenössische Verbreitung und Wirkung stand.

Bilder historischer Ereignisse

Bilder können immer nur Quellen für ihre Entstehungszeit sein. Ein Historienbild aus dem 19. Jahrhundert kann uns keine historischen Aufschlüsse über die Rituale eines Vertragsschlusses in der Karolingerzeit vermitteln, sondern allenfalls Auskunft über die historischen Kenntnisse, Vorstellungen und Projektionen des Künstlers und seiner Zeitgenossen geben.

Bilder können dokumentieren, dass bestimmte historische Ereignisse stattgefunden haben, unter welchen Umständen dies geschah, wer daran beteiligt war etc. Diesem Zweck dienten häufig die Holzschnitte, mit denen die Flugblätter und Flugschriften der Frühen Neuzeit versehen waren, ebenso die Holz- oder Stahlstiche in den Interner Link: frühen illustrierten Blättern des 19. Jahrhunderts, und natürlich hat auch der Großteil der heutigen Pressefotos diese Aufgabe. Schlachten, Belagerungen, Kapitulationen, Friedensverträge, Streiks, Revolutionen, Konzile, Krönungen, Morde und Exekutionen – vor allem Haupt- und Staatsaktionen also – sind in Bildern festgehalten und überliefert worden. Allerdings muss man mit solchen Quellen vorsichtig sein.

Der Prager Fenstersturz, Kupferstich von Mathäus Merian d. Ä. 1635 (© wikipedia.de )

Nehmen wir zum Beispiel den bekannten Kupferstich von Mathäus Merian d. Ä., der den "Prager Fenstersturz" von 1618 zeigt, den Auslöser des Dreißigjährigen Krieges also. Merians Darstellung ist erst Jahre später, nämlich 1635, erschienen. Und natürlich hat er das Geschehen nicht mit eigenen Augen gesehen, sondern die Szene nach Informationen aus zweiter Hand so gestaltet, wie es ihm passend und wirksam zu sein schien. Es handelt sich also um eine mehr oder weniger zeitgenössische Annäherung an das Ereignis, nicht aber um eine authentische Widergabe.

Das Historienbild

Ähnliches gilt für das – schon angesprochene – Genre des Historienbildes. Historienbilder sind per definitionem Bilder, die Vergangenes zeigen. Viele Historienmaler haben aber auch ihre eigene Gegenwart zum Thema genommen. Der Begriff "Historienbild" ist dennoch berechtigt, denn die Gegenwart wird hier nicht eigentlich als Gegenwart, sondern als künftige Vergangenheit gezeigt. Der Maler ist der Überzeugung, das aktuelle Ereignis sei bedeutsam und werde Geschichte machen. Diesen Prozess der Historisierung nimmt er gleichsam vorweg. Selbst wenn Künstler unmittelbar Augenzeugen eines Ereignisses waren, haben sie deshalb nicht einfach ein Abbild des Geschehens gemalt, sondern es in ihrem Sinne gedeutet und überhöht.

Zwar sind solche Bilder wegen ihrer "fotografischen Genauigkeit" gerühmt worden, aber es waren eben keine Fotos. Als Beispiel ein Gemälde von Anton von Werner, dem im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts angesehensten und einflussreichsten deutschen Historienmaler.

Kronprinz Friedrich Wilhelm an der Leiche des Generals Abel Douay, 4.8.1870 Hechingen, Burg Hohenzollern

Es trägt den langen Titel "Kronprinz Friedrich Wilhelm an der Leiche des Generals Abel Douay (Weißenburg, 4. August 1870)" und zeigt eine Szene aus dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71. Schon dass Ort und Datum in den Bildtitel mit aufgenommen sind, suggeriert äußerste Authentizität. Allerdings war der Maler selbst nicht Augenzeuge, und entstanden ist das Bild erst zwanzig Jahre nach dem Ereignis. Von Werner hat dafür genaue Erkundigungen bei den damals Anwesenden eingezogen. Die Familie des Toten stellte sogar ein Porträt zur Verfügung. Trotz allen Realismus' im Detail ist die Bildkomposition künstlerisch ausgestaltet. Der Kronprinz beherrscht die Szenerie, die Mitglieder seines Stabs halten gebührenden Abstand. Als ritterlicher Sieger erweist er dem gegnerischen Toten die letzte Ehre. Von Werner stilisiert also bis hin zu dem "Heiligenschein" über dem Kopf des Kronprinzen die Situation im Sinne preußischer Dynastiengeschichte.

Fotos als Geschichtsquellen

Fotografien nehmen als Bildquellen einen besonderen Rang ein. Sie ermöglichen – jedenfalls in ihrer äußeren Erscheinungsform – eine stärkere Annäherung an vergangene Wirklichkeit als andere Bildarten. Das technisch erzeugte Bild kann nur zeigen, was sich tatsächlich vor der Linse befindet; der Fotograf kann, anders als der Maler, nichts hinzufügen, aber natürlich das Objekt oder die Szene präparieren.

Fotografien sind jedenfalls für die Ereignisgeschichte die besten Quellen. Nehmen wir das Beispiel einer Demonstration: Wir können sehen, dass sie überhaupt stattgefunden hat, welche Ziele sie hatte (wenn Plakate oder Spruchbänder erkennbar sind), welche (vielleicht anderweitig schon bekannten) Personen dabei waren, wo sie sich aufhielten, wie zahlreich die Menge, wie ihre Stimmung war. Vorsichtig müssen wir freilich sein, wenn wir Deutungen und Verallgemeinerungen vornehmen wollen. Denn ein einzelnes Bild zeigt immer nur einen Einzelfall. Um beurteilen zu können, ob er repräsentativ ist, müssen wir entweder über mehrere ähnliche bildliche Darstellungen oder über zusätzliche Informationen verfügen. Wenn Fotos aus dem Jahre 1914 kriegsbegeisterte Freiwillige zeigen, folgt daraus nicht zwangsläufig, dass alle begeistert waren; die Forschung hat in jüngerer Zeit entsprechende Relativierungen vorgenommen. Wer nicht begeistert war, blieb zu Hause – davon gibt es keine Bilder. Bildquellen können also in diesem Fall kein vollständiges Bild der historischen Situation vermitteln.

Beispiel: Wehrmachtsausstellung

Auch als Beweismittel für punktuelle Ereignisse sind Fotos nur bedingt geeignet. Darum ging es beim Streit um die so genannte Wehrmachtsausstellung. Einzelne Fotos zeigen keine Abläufe, sondern nur Momente. Ob der Soldat, der einen Gefangenen mit angelegtem Gewehr bedroht, tatsächlich geschossen hat, wissen wir nicht. Ob der Tote am Boden tatsächlich von dem Mann, der ihn betrachtet, ermordet worden ist, können wir lediglich vermuten. Das folgende Foto gehörte zu den in der Wehrmachtsausstellung umstrittenen. Es zeigt Wehrmachtssoldaten, möglicherweise auch einen Angehörigen der Sicherheitspolizei und des SD (der SS zugeordneter Sicherheitsdienst) vor Leichen im Hof des Gerichtsgebäudes in Tarnopol; aufgenommen wurde es vermutlich am 4./5. Juli 1941, der Fotograf ist unbekannt. Die alte Wehrmachtsausstellung (1995-1999 in 33 Städten Deutschlands) sah in den Betrachtern auch die Täter. Das Bild bietet dafür freilich keinen Beleg, sogar eher im Gegenteil: Dass sich der Soldat links und der zweite von rechts Taschentücher vor den Mund halten, weist darauf hin, dass die Leichen schon Verwesungsgeruch ausstrahlen. Eine genaue Überprüfung der Ereignisse (Hesse 2000) lässt vermuten, dass es sich bei den auf mehreren Fotografien zu sehenden Toten einerseits um Opfer eines NKWD-Massakers (das sowjetische Volkskommissariat für innere Angelegenheiten), andererseits um Opfer eines antijüdischen Pogroms handelt, an dem nach dem Abzug der Roten Armee ukrainische Aktivisten und Angehörige der Waffen-SS, nicht aber der Wehrmacht beteiligt waren.

Für den Quellenwert von Bildern im Bereich Ereignisgeschichte lässt sich also festhalten: Alle Bilder außer der Fotografie ermöglichen nur eine vage Annährung; selbst diese muss mit Vorsicht behandelt werden.

Bilder historischer Personen

Oft wollen wir wissen, wie Personen aussahen, die früher gelebt haben. Das können Persönlichkeiten aus der allgemeinen Geschichte sein oder Personen, die regional oder lokal oder für bestimmte Institutionen von Interesse sind, oder Vorfahren aus der eigenen Familie. Dass es im Mittelalter keine Porträtähnlichkeit gegeben hat, ist eine Binsenweisheit. Aber auch ein Renaissanceporträt muss den Dargestellten nicht unbedingt realistisch zeigen; wie nah es dem kommt, lässt sich nur schwer überprüfen.

Fotografenfoto eines kleinen Jungen, 1903

In der Regel gibt es nur die Möglichkeit, verschiedene Bilder miteinander zu vergleichen: Bei Kolumbus etwa klaffen dann die Ergebnisse ziemlich auseinander. Anlässlich der Weltausstellung 1893 sind 71 Kolumbus-Porträts zusammengetragen worden, die den Entdecker allesamt unterschiedlich darstellen – wir wissen nicht, wie Kolumbus wirklich aussah. Die Künstler pflegten zu verschönern und zu stilisieren; schließlich musste das Bild auch dem Auftraggeber gefallen. Gerade in der Überhöhung der Person, in der Darstellung von Individualität und Charakter, lag ja der Wert des Porträts. Immerhin ermöglichen uns solche Bildquellen aber doch eine Annäherung an eine Person, von der wir uns anhand von Textquellen überhaupt kein Bild zu machen imstande sind.

Auch hier bedeutet die Fotografie einen Sprung hin zu mehr Wirklichkeitsnähe. Allerdings zeigt auch sie eine Person oder ihr Gesicht nicht unbedingt unverstellt. Im 19. und bis ins 20. Jahrhundert waren beim Porträtfoto im Studio Inszenierungen mit Hintergrundleinwand, Stühlen, Tischchen, Säulen, künstlichen Pflanzen üblich, in denen die Personen arrangiert wurden. Dieses Foto eines kleinen Jungen im Kleid aus dem Jahre 1903 zeigt entsprechende Accessoirs – bis hin zum hier ganz unpassenden Buch.

Hinzu kommen die technischen Rahmenbedingungen: Bei minutenlangen Belichtungszeiten ließ sich kein Lächeln einfangen. Dennoch: Nicht zuletzt das spezielle Genre der erkennungsdienstlichen Fotografie belegt, dass mit dieser Technik ein neuer Stand erreicht wurde, das Aussehen von Personen festzuhalten. Und die sinkenden Kosten für die Fotografie demokratisierten gleichsam das Personenbild im Laufe der Zeit.

Geschichte: gemalter Alltag

Der Sänger Chenard in Sansculottenkleidung mit Pantalons, Carmagnole, Kokarde und Fahne. Gemälde aus der Schule von Louis Leopold Bailly, 1792.

Bildquellen sind hervorragende Zeugnisse für die materielle Kultur vergangener Zeiten. Wie sahen Häuser, Städte und Wohnungen aus, wie kleideten sich die Menschen, welche Werkzeuge und Geräte benutzten sie? Soweit uns nicht einschlägige Sachquellen vorliegen, stützen sich unsere historischen Kenntnisse zu solchen Fragen im Wesentlichen auf Bildquellen. Nehmen wir das Beispiel Kleidung: Wie in einem Modekatalog führt uns das Gemälde des Sängers Chenard die typische Kleidung eines Sansculotten in der französischen Revolution vor.

Informationen über Realien geben uns die Maler und ihre Bilder – anders als in diesem Gemälde – zumeist unabsichtlich. Das eigentliche Sujet des Bildes spielt dabei keine Rolle: Eine biblische Szene in einer mittelalterlichen Darstellung ist natürlich mit mittelalterlichen Ausstattungsstücken versehen, denn andere waren dem Künstler gar nicht bekannt. Es gibt aber auch die Möglichkeit, dass Realien ausdrücklich zum Gegenstand von Darstellungen gemacht wurden: Wir haben z. B. – von den mittelalterlichen Monatsbildern angefangen – über landwirtschaftliche Arbeit

Eine bäuerliche Familie bei der Arbeit. Buchmalerei um 1023.

einen großen Fundus an Bildern, aus denen wir viel über die jeweiligen Tätigkeiten, Verfahren und Geräte ablesen können. An dieser um 1023 entstandenen Buchmalerei ist beispielsweise die Technik des so genannten hohen Sichelschnitts sehr gut zu erkennen. Obwohl dies viel weniger anstrengend gewesen wäre, wurde das Getreide nicht mit der Sense, sondern mit der Sichel geschnitten. Man fasste mit der einen Hand die Ähren oder den oberen Teil des Halmes und schnitt mit der anderen den Halm direkt darunter ab. Dadurch konnte man ein Umknicken der Halme oder eine zu große Erschütterung, durch die die Körner leicht verstreut worden wären, vermeiden – schließlich gab es damals noch keine mähdreschergeeigneten Züchtungen.

Geschichte: fotografierter Alltag

3,5-Tonnen-Dampfhammer im Essener Hammerwerk II, Foto von vor 1906. (© Krupp Archiv)

Visuelles zum Zwecke der Dokumentation festzuhalten, ist schon lange eine der Aufgaben der Fotografie. Die sozialdokumentarische Fotografie soll soziale Missstände belegen; die Architekturfotografie dient unmittelbar der Aufbewahrung und Erinnerung. Realienkundliche Erkenntnisse aus solchen Bildern haben in vielen Fällen auch als Hilfe bei der Restauration nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs gedient. Freilich muss man selbst Dokumentarfotografien, jedenfalls wenn es nicht nur um tote und stehende Objekte geht, mit Zurückhaltung und Sorgfalt betrachten. Die Abbildung eines Dampfhammers im Krupp-Werk Essen scheint zunächst den historischen Arbeitsprozess getreu wiederzugeben. Der Technikhistoriker Ulrich Wengenroth belehrt uns eines Besseren: "Diese Szene wurde wieder vollkommen gestellt. Sowohl der Rohling auf dem Wagen als auch jener unter dem Hammer sind ganz offensichtlich alte, weißgetünchte Stücke. Die Arbeiter drängen sich in möglichst großer Zahl ins Bild und nehmen als 'typisch' empfundene Posen ein. Das Fallgewicht des Hammers ist in einer mittleren Stellung arretiert" (Wengenroth 1994, S. 99).

Kultur- und Mentalitätsgeschichte

Hier liegt das wohl weiteste Feld historischer Möglichkeiten aus Bildern Erkenntnisse zu gewinnen. Bilder können Antworten auf unterschiedlichste Fragen der Sozial-, Alltags-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte geben. Das gilt zunächst einmal für solche, die von vorneherein gewissermaßen "propagandistische" Zielsetzungen hatten. Bilder sollen Ansichten von Herrschern verbreiten oder bestimmte Herrschaftsvorstellungen legitimieren; sie sollen das Selbstverständnis des eigenen Standes demonstrieren und andere herabsetzen; sie sollen den Gegner in politischen oder religiösen Auseinandersetzungen diffamieren, umgekehrt die eigene Sache propagieren und ihre Anhänger mobilisieren. Jenseits solcher Instrumentalisierung zeugen Bilder indirekt auch von gesellschaftlichen Wertvorstellungen, sozialen Beziehungen, den Wahrnehmungen, Gefühlen und Ängsten der Menschen, ihren alltäglichen Haltungen und Verhaltensweisen. Eben weil sie Quellen für (kollektive) Vorstellungen, (Selbst-)Deutungen und Bewusstseinshaltungen sind, erhalten Bildquellen für die neueren kulturwissenschaftlichen Fragestellungen der Geschichtswissenschaft eine besondere Bedeutung.

Die Herrscherpose

Ludwig XIV., König von Frankreich. Gemälde von Hyacinthe Rigaud, Öl auf Leinwand (277x194 cm), um 1700

Die "Propaganda-Funktion" von Bildern lässt sich vorzüglich an dem bekannten Bildnis Ludwig XIV. demonstrieren, das in kaum einem modernen Schulbuch fehlt. Es ist das Herrscherporträt par excellence: Der Maler Hyacinthe Rigaud hat den umfassenden absolutistischen, durch göttlichen Auftrag und Tradition legitimierten Herrschaftsanspruch ins Bild gesetzt. [int. Link auf Werner] Das Bild ist überlebensgroß, fast 3m hoch und 2m breit. Es ist sorgfältig komponiert; wie ausgestellt steht der König in der Bildmitte. Sein Krönungsmantel, der

Kaiser Wilhelm II., Gemälde von Max Koner, Öl auf Leinwand, 1890

Thronsessel rechts und das Tischchen mit der Krone links sind durch das Lilienmuster – die Lilie als Symbol der Bourbonen – miteinander verbunden. Man sieht keinen realistischen Raum, sondern gewissermaßen eine bühnenhafte Hintergrunddekoration. Nichts an diesem Bild ist zufällig, jedes Detail hat Bedeutung.

Rigauds Gemälde war offenbar so beeindruckend, dass es Schule machte. Ludwig XV., XVI. und Karl X. ließen sich in ähnlicher Weise porträtieren und stellten sich damit bewusst in die Tradition des großen Vorgängers. Aber auch in Max Koners Gemälde von Wilhelm II. sind die Anleihen bei Rigaud nicht zu übersehen; allerdings wirkt der damit verbundene Anspruch im Jahre 1890 nicht mehr zeitgemäß, die Darstellung plakativ und geradezu operettenhaft.

Das Familienporträt

Kaiser Wilhelm II. mit seiner Familie. Ansichtskarte, 1906.

Bilder können auch Quellen für Wertvorstellungen und soziale Beziehungen sein. Dafür ist das Familienbild ein gutes Beispiel. Erkennbar wird, wer überhaupt zur Familie zählt, welche Haltung die Familienmitglieder zueinander einnehmen, welcher sozialen Schicht die Familie angehört. Mit der notwendigen Vorsicht lassen sich daraus Aussagen über Zeittypisches ableiten. Dazu drei Beispielbilder. Das erste zeigt Kaiser Wilhelm II. mit seiner Familie auf einer Ansichtskarte von 1906. Die Personen sind nach einem klaren Muster arrangiert,

Familienfoto, um 1880.

das die klassische Rollenverteilung widerspiegelt. Der Vater überragt stehend die Familie, die Mutter sitzt im Kreis der zahlreichen Kinder. Die drei älteren Jungen tragen wie der Kaiser selbst Uniform und nehmen eine entsprechend disziplinierte Haltung ein. Der Vierte hat einen Matrosenanzug an – weit verbreiteter Ausdruck der Flottenbegeisterung in dieser Zeit. Dass das Bild als Ansichtskarte verbreitet wurde, belegt einen modellhaften oder repräsentativen Anspruch.

Zum Vergleich ein kleinbürgerliches Familienfoto von 1880. Die Komposition ist fast dieselbe. Natürlich hat man sich für die Aufnahme in Schale geworfen, dennoch bleibt die soziale Differenz unverkennbar. Aber auch hier fehlt das militärische Moment nicht; dem Jüngsten haben die Eltern eine Militärmütze aufgesetzt.

Familienfoto aus den späten Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts

Der Hintergrund ist deutlich als Vorhang eines Fotostudios erkennbar. Dass sich die Ausstattung auf ein Minimum, nämlich einen schlichten Vorhang und einen Teppich beschränkt, weist daraufhin, dass die Aufnahme von einem billigen Fotografen oder sogar einem Wanderfotografen gemacht worden ist.

Ein anderes Bild als Kontrast. Dieses Foto aus den späten Sechzigerjahren zeigt, wie die Familien kleiner werden und die Geschlechterrollen aufweichen: Der Vater kümmert sich um das Baby, die Mutter liest die Zeitung. Die Situation ist informell; einen solchen Schnappschuss hätte die Fototechnik um 1900 nicht zugelassen. Wer das Bild aufgenommen hat, wissen wir nicht. Steht es für eine veränderte Normalität? Oder zeigt es (für diese Zeit oder auch für diese Familie) eine Ausnahmesituation? Solche Fragen lassen sich nur dann und nur näherungsweise klären, wenn man einen größeren Quellenfundus in den Blick nimmt.

Bilder des Imaginierten

Der Teufel weist dem heiligen Augustinus das Buch der Laster vor. Ausschnitt aus dem sog. "Kirchenväteraltar" von Michael Pacher, Neustift bei Brixen, um 1480.

Bilder zeigen häufig Imaginäres, Dinge, die nur in den Köpfen der Menschen existierten, aber in ihrem Alltag eine höchst bedeutsame Rolle spielten, z. B. Götter, Teufel, Fabelwesen, Ansichten von Himmel und Hölle. Als Beispiel hier ein Ausschnitt aus einem Altarbild von Michael Pacher (ca. 1482), auf dem der Teufel in sehr vermenschlichter Form dargestellt ist. Er muss dem heiligen Wolfgang (einem deutschen Bischof aus ottonischer Zeit) das Messbuch halten. Bilder als Quellen erlauben also eine Annährung an die religiösen Vorstellungen, die sich Menschen zu verschiedenen Zeiten machten. Beispielsweise haben der französische Historiker Michel Vovelle und seine Frau Altarblätter aus der Provence mit Darstellungen von Seelen im Fegefeuer zwischen 1610 und 1850 untersucht. Sie stellten fest, dass auf den Bildern im 17. Jahrhundert das Leiden der Seelen, im 18. Jahrhundert ihre Erlösung dominiert. Jean Delumeau hat sich in seiner Geschichte der "Angst im Abendland" ebenfalls stark auf Bildquellen gestützt, dasselbe gilt für Philippe Ariés "Geschichte des Todes" oder die Erforschung des Alters in der Geschichte (Biegel 1993).

Bild und Kontext

Oft reicht es nicht aus, ein einzelnes Bild zu betrachten; man muss ganze Gruppen und Reihen untersuchen – Bilder also als serielle Quelle. Einschlägige historische Vorkenntnisse sind erforderlich, damit man überhaupt sinnvolle Fragen stellen und Einordnungen vornehmen kann; das ist bei Textquellen nicht anders. Vieles, was für die Menschen damals auf Bildern selbstverständlich war, muss heute erst entschlüsselt werden. Wer auf der Straße einer mittelalterlichen Stadt einem Menschen in blauem oder rotem Gewand begegnete, wusste, dass er es mit einer höhergestellten Person zu tun hatte; die Historiker müssen dieses Wissen erst den zeitgenössischen Kleiderordnungen entnehmen (Roeck 2004, S. 254).

Ebenso wie bei Textquellen muss bei der Interpretation von Bildern der historische Kontext der Quelle in den Blick genommen werden: Wer waren der Künstler und der Auftraggeber, was ihre Intentionen, an wen sollte sich das Bild richten, wie wurde es verbreitet oder präsentiert, wie wurde es rezipiert? Aber auch bei der enger gefassten Analyse beispielsweise eines Gemäldes, das sich auf Komposition, Motivik und Darstellungstechnik richtet, ist Kontextwissen notwendig, nämlich über die Bildkonventionen der Zeit, ihre visuelle Handschrift gleichsam. Der Umgang mit Bildern als historischen Quellen ist also nicht einfach – aber lohnend.

Fussnoten

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Prof. Dr. Michael Sauer ist Professor für Didaktik der Geschichte an der Georg-August-Universität Göttingen. Er hat Bücher und zahlreiche Aufsätze zur Geschichtsdidaktik, Literaturdidaktik und Bildungsgeschichte veröffentlicht und ist Mitherausgeber der Zeitschriften "Geschichte in Wissenschaft und Unterricht" sowie "Geschichte lernen".