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Manipulation und Propaganda | Themen | bpb.de

Manipulation und Propaganda

Dr. Elmar Elling Elmar Elling

/ 13 Minuten zu lesen

Manipulation und Propaganda liegen nah beieinander. Immer wieder sorgen manipulierte Bilder für Aufsehen, so zuletzt im Libanon-Krieg, als ein Pressefotograf Beirut kurzerhand in ein Inferno verwandelte. Einblicke von Elmar Elling.

Begriffliche Erläuterung

Das Wort Manipulation meint in seiner weiten Bedeutung soviel wie "Veränderung von Etwas". In seiner engen Bedeutung meint es "Beeinflussung", in der Regel "Beeinflussung von Jemandem" oder "Beeinflussung von Jemandem durch die Veränderung von Etwas" – womit der Begriff Manipulation dem der Propaganda recht nahe kommt. Wenngleich hier und da auch in positivem Sinn gebraucht, ist Manipulation üblicherweise mit einer negativen Wertung verbunden. Dieses Merkmal hat das Wort aus dem Französischen mitbekommen, von woher es die deutsche Sprache im 18. Jh. übernahm: manipuler meint, jemanden oder etwas zum eigenen Vorteil beeinflussen.

Meistens bringt ein solch egoistisches Handeln für andere Nachteile mit sich, und weil die kaum jemand sehenden Auges hinnehmen würde, tarnt der Manipulierende seine eigentlichen Absichten oder sorgt sonst wie dafür, dass sie unerkannt bleiben. Wegen der damit gegebenen Doppelbödigkeit rückt das Manipulieren in die Nähe von "Tricksen", "Lügen", "Täuschen" und anderen Handlungen, die nur dann gelingen, wenn ihre Intention verborgen bleibt. – Eine Geschichte kann man zwar mit den Worten ankündigen "Ich will dir mal was erzählen ...". Beginnt man aber eine Manipulation mit dem Satz "Ich will dich mal manipulieren ...", wird die Sache in der Regel nicht klappen.

Veränderung ohne Manipulation

Im September 2006 rief der SPIEGEL zu einem "Bildmanipulations-Wettbewerb" auf, um all Jenen ein Forum zu bieten, die sich der elektronischen Bildbearbeitung verschrieben haben. Selbstverständlich ging es nicht um Manipulation im engeren Sinne, da ja die Absichten der Beteiligten völlig offen lagen. Auf Beispiele dessen, worum es damals ging, kann man heutzutage allenthalben treffen, insbesondere im Internet. Es zählen auch so bekannte Manipulationen hierher wie die Begegnung zwischen John F. Kennedy (1917-1963) und Forrest Gump in dem gleichnamigen Film. Kontextfrei betrachtet wäre diese Szene vielleicht geeignet, jemanden in seinen Annahmen über Kennedy zu beeinflussen. Im tatsächlich gegebenen Rahmen des Spielfilms aber wird kaum jemand diese Szene als historisches Dokument ansehen. Ähnliches gilt z.B. für eine gefälschte Szene, in der sich Schröder und Merkel umarmen. Die Beispiele machen deutlich, dass der Kontext wesentlich darüber mitentscheidet, ob manipuliert werden darf bzw. ob etwas als Manipulation angesehen wird. Grundsätzlich betrachtet dürfen Bilder manipuliert werden, in der Werbung ist dies sogar Standard. (Externer Link: homepage.mac.com) Daneben gibt es sensible Bereiche, in denen authentische Bilder verlangt werden, so etwa in der Presse.

Der Bezug zur Wirklichkeit

Es gibt Bilder, die auf die äußere Wirklichkeit keinen direkten Bezug nehmen und Bilder, so genannte Abbilder, die eben das tun. Wird ein Bild vom erstgenannten Typ verändert, ein Gemälde von Jackson Pollock etwa, kann das mancherlei Konsequenz haben, aber kaum für Ansichten über Objekte der äußeren Welt. Wird hingegen ein Bild vom zweiten Typ verändert, ein Pressefoto z.B., können dadurch sehr wohl Ansichten über die betreffenden Sachverhalte beeinflusst werden. Jede Abbildung lässt uns etwas wiedererkennen, und Wiedererkennbarkeit setzt der Manipulation eine Grenze. Dali nutzte die Bekanntheit der Mona Lisa, um, weit vor morphing, warping und anderen Computertechniken, ihre Gesichtszüge so mit den seinen zu verschmelzen, dass man beide Personen wiedererkennt. Hätte er eine solche Verschmelzung mit gänzlich unbekannten Gesichtern vorgenommen, wäre der Effekt ein völlig anderer: In Unkenntnis der beiden Ausgangsbilder sähe man lediglich irgendein Gesicht. – Auf genau diese Weise nehmen all jene Betrachter Dalis o.g. Selbstporträt wahr, die weder Dalis Gesicht noch das der Mona Lisa kennen: Sie sehen nur eine merkwürdig ausschauende Frau. – Das Beispiel macht deutlich, wie sehr das Gelingen einer Manipulation auch vom Wissen des Rezipienten abhängt.

Wahrheit und Wissen

Manipuliertes Bild der Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin

Das nebenstehende Bild zeigt ein brennendes Gebäude – mehr sieht ein Unbedarfter kaum. Wer den Davidsstern auf der Kuppel bemerkt, erkennt eine brennende Synagoge. Wer das Bild einer brennenden Synagoge historisch einzuordnen weiß, wird an die Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938 denken. Und vor diesem Hintergrund zeigt das Foto nicht nur eine konkrete Synagoge; es wird zu einer Art Symbol für die vielen Synagogen, die damals in Brand gesteckt wurden. Wer außerdem Ortskenntnis hat, erkennt auf dem Foto die Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin und weiß – die erforderlichen historischen Kenntnisse unterstellt – dass diese Synagoge damals nicht gebrannt hat.

Erneut wird deutlich: Die Möglichkeit, Betrachter mit manipulierten Bildern zu beeinflussen, hängt nicht zuletzt von deren Wissen ab. Unmanipulierbar ist zumindest im gegebenen Fall der Unbedarfte. Und wer die abgebildete Synagoge und ihre Geschichte kennt, durchschaut eine mögliche Manipulationsabsicht und ist damit ebenfalls vor Manipulation geschützt. Als 1998 eine deutsche Zeitung mit diesem Foto daran erinnern wollte, dass fünfzig Jahre zuvor die Synagogen gebrannt hatten, wollte sie gewiss niemanden manipulieren. Die Frage ist, ob sie trotz des manipulierten Fotos die Wahrheit sagen konnte. Da nicht behauptet worden war, das Foto zeige die Synagoge in der Oranienburger Straße oder irgendeine andere, verstanden es die meisten vermutlich als Symbol – und in diesem Verständnis ist die Aussage des Bildes "wahr". Auch viele derer, die das Gotteshaus identifizieren konnten, dürften das Bild ähnlich verstanden haben. Allerdings wird der Wahrheit ein Bärendienst erwiesen, denkt man sich dieses Foto in Händen neonazistischer Geschichtsklitterer. Das Beispiel macht deutlich: Selbst das Verhältnis von Manipulation und Wahrheit ist nicht so einfach, wie man im ersten Moment denken mag.

Ähnlich, aber wie?

Thomas Morus (© The Yorck Project)

Hans Holbein d.J. (1497-1543) schuf 1527 ein anerkannt authentisches Porträt von Thomas Morus (1478-1535). Auch Peter Stent (ca. 1613-1665) porträtierte Thomas Morus, allerdings hat sein Bild mit dem von Holbein überhaupt keine Ähnlichkeit. Diese Tatsache allein ließe Stent lediglich als eigenwilligen Maler erscheinen; sein Morusporträt besitzt allerdings gleichzeitig große Ähnlichkeit mit Rembrandts (1606-1669) mutmaßlichem Porträt seines Vaters. Das macht Stent zum Fälscher. Zum Manipulierer wird er, indem er die Betrachter seines Bildes glauben macht, Thomas Morus sähe aus wie Harmen Gerritszoon van Rijn. Und diese Verwandlung findet, wie so oft in Fällen von Manipulation, mit Hilfe der Sprache statt, die nämlich das Abbild des einen zum Abbild eines anderen erklärt.

Nicht immer wurde Abbildtreue so nachdrücklich gefordert wie heute. Dass ein und dieselbe Stadtansicht mal Mantua, mal Siena und mal Damaskus zeigen soll, scheint im 15. Jh. nicht als störend empfunden worden zu sein.

Rembrandt: Porträt seines Vaters (© Wikimedia)

Städte wie Rom, Konstantinopel u.a. besaßen ihr individuelles Gesicht, bei den weniger bekannten war das Vorhandensein symbolischer Merkmale wie etwa dem einer Stadtmauer von größerer Bedeutung. Ähnliches galt in Antike und Mittelalter für Porträts der Potentaten: Die Insignien ihrer Macht (Krone etc.) waren entscheidender als die physiognomische Ähnlichkeit zwischen Abbild und Vorbild. Wie die Beispiele zeigen, ist die Forderung nach Abbildtreue nicht naturgegeben, sondern historisch bedingt. Für ihre Ausprägung sind die technischen Möglichkeiten, die allgegenwärtige Öffentlichkeit und ein entwickeltes Pressewesen entscheidende Faktoren. Fotografie und Film scheinen qua Technik nichts anderes zu machen als zuverlässige Abbilder zu liefern. Dabei gilt die Fotografie, ausgeprägter als der Film, als das Medium des Faktischen, Realen und Dokumentarischen. Edward Weston (1886-1956), der berühmte amerikanische Fotograf, gab einer in vordigitaler Zeit weithin geteilten Auffassung diese Formulierung: "Nur mit Mühe kann man die Kamera zum Lügen zwingen. Im Grunde ist sie ein ehrliches Medium."

Gut, böse und das Gesetz

Ist auch der Begriff "Manipulation" negativ besetzt, steckt doch nicht hinter jedem Manipulieren eine böse Absicht. Zu den Festspielen in Bayreuth erschien 2005 auch Bundeskanzlerin Merkel. Beim Gang über den roten Teppich winkte sie dem Publikum zu, wobei ein Schwitzfleck unter ihrer Achsel sichtbar wurde. Nicht so allerdings auf der Internetseite des Bayerischen Rundfunks. Dort war der Makel laut Spiegel Online wegretuschiert worden. Natürlich interessierte die Leser der Regenbogenpresse im Frühjahr 1992, dass Prinzessin Stephanie von Monaco ein Kind erwartete, und natürlich befriedigte die Regenbogenpresse diese Neugier. Dabei präsentierten ihre Titelfotos zwar immer dieselbe Prinzessin, aber nicht immer dasselbe Baby. Wundersamer noch: Fotos von Mutter samt Neugeborenem gab es zum Teil bereits vor der Niederkunft. Der Grund für derartige Bilder liegt auf der Hand: Es geht um die Auflagenhöhe und damit um Geld. Vermutlich sorgt diese Motivation neben verwandten Beweggründen wie dem Wunsch nach Aufmerksamkeit und Erfolg für die meisten Manipulationen von Pressefotos.

Auf der Titelseite der Los Angeles-Times erschien ein Foto aus dem letzten Irakkrieg, das einen Externer Link: britischen Soldaten in einer Gruppe von Zivilisten zeigt. Das Bild wurde aus zwei authentischen Fotos zusammengesetzt. Vergleicht man die beiden mit ihrer Kombination, wird eine Absicht des Fotografen erkennbar: Dramatisierung. Vom einen der Ausgangsfotos stammt die vitale Körperhaltung des Soldaten, von dem anderen der Mann mit Kind, der sich anscheinend an den Soldaten wendet. Ihre Komposition macht die Szene dynamischer, zumal die Leute den Soldaten nun auch enger umlagern. Zu den Pressefotos, die um ihres Effektes willen – und damit zum Teil auch aus finanziellem Interesse – manipuliert wurden, zählt auch die Aufnahme vom Externer Link: brennenden Beirut und viele mehr.

Der kosmetische Eingriff am Kostüm der Kanzlerin, der prophetische Vorgriff auf die Niederkunft der Prinzessin und der ungehemmte Übergriff bei der Darstellung des Kriegsgeschehens beeinträchtigen ein Verständnis der betreffenden Sachverhalte vermutlich nur marginal. Man mag daher geneigt sein, solche Manipulationen als Kavaliersdelikte einzustufen – eine Kategorie, die das Gesetz zum Glück nicht vorsieht. Vielmehr stehen sämtliche Manipulationen im Widerspruch zur Richtlinie 2.2 des Presserats: "Kann eine Illustration, insbesondere eine Fotografie, beim flüchtigen Lesen als dokumentarische Abbildung aufgefasst werden, obwohl es sich um ein Symbolfoto handelt, so ist eine entsprechende Klarstellung geboten." Dieser Richtlinie zufolge müssen Ersatz- und Behelfsillustrationen, nachgestellte Szenen, Fotomontagen und sonstige Manipulationen gekennzeichnet werden; ähnlich lauten Kodizes in vielen Ländern. Den meisten dieser Bestimmungen geht es nicht darum, Manipulationen zu unterbinden, sondern darum, die schlichte, von Arglosigkeit geprägte Wahrnehmungsweise zu schützen. Ob das gelingen kann, hängt nicht zuletzt davon ab, was als Manipulation zählt. Zwänge nämlich schon die Wahl eines bestimmten Blickwinkels dazu, ein Pressefoto mit dem "M" für "manipuliert" versehen zu müssen, wäre nichts erreicht: Würden nämlich alle als manipuliert gekennzeichnet, wäre dies so wenig aussagekräftig, wie wenn keines als manipuliert ausgewiesen wird.

Das schweizerische Boulevardblatt "Blick" hat Wasser, das auf einem Foto aus dem Tempel der Hatschepsut auf den weiten Vorplatz strömt, in seiner Ausgabe vom 17.11.1997 technisch in Blut verwandelt. Vielleicht geschah auch diese Manipulation nur um der Dramaturgie willen, wahrscheinlicher aber ist, dass sie gezielter Beeinflussung diente: Sieh, Leser, so etwas machen Islamisten! Original und Fälschung führen jedenfalls zu gänzlich anderen Interpretationen, wohingegen zwischen den Bildern des von Zivilisten umringten Soldaten nur graduelle Unterschiede bestehen.

Manipulation oder Propaganda?

Eine Trennlinie zwischen Propaganda und Manipulation ist schwierig zu ziehen. Der Begriff "Propaganda" lässt sich von dem der "Manipulation", in der Bedeutung "Beeinflussung von Meinungen‘, kaum unterscheiden. Anders aber als "Manipulation" wird "Propaganda" hauptsächlich im politischen Sinne verwendet und meint in der Regel komplexere Formen von Beeinflussung. Das Verhältnis der beiden Begriffe zueinander ist nicht klar. Man kann sagen: "Saddam Hussein setzte Propaganda ein, um das irakische Volk zu manipulieren", wobei Propaganda als Mittel und Manipulation (Beeinflussung) als Zweck gemeint sind. Häufiger aber ist das Verhältnis umgekehrt: "Propagandafilme sind stets in irgendeiner Weise manipuliert", lässt die Propaganda als Ziel und die Manipulation (Veränderung) als Mittel erscheinen. Allerdings ist Manipulation bei weitem nicht das einzige Mittel, mit dem Propaganda operiert.

In seiner Ausgabe vom 28. Januar 2005 bringt der SPIEGEL einen Artikel über Externer Link: zwei offizielle Fotos des Vorstandsvorsitzenden der Siemens AG, Klaus Kleinfeld. Die Aufnahmen unterscheidet nur ein Detail: Mal trägt der Siemens-Chef eine Rolex, mal überhaupt keine Uhr. Eine Rolex war damals unpassend: Siemens hatte soeben seine Profite gesteigert und gleichzeitig über tausend Arbeitsplätze gestrichen. Eine Rolex hätte da zu unliebsamen Schlüssen führen können. Zu einem ebenfalls unerwünschten Schluss, nämlich dem, dass geplündert worden war, hätten die Uhren eines sowjetischen Offiziers geführt, der 1945 half, auf dem Berliner Reichstag die sowjetische Flagge zu hissen. Deshalb zeigt das offizielle Foto von dieser Begebenheit den Offizier mit nur einer Uhr.

Viele Fotos wurden überarbeitet, um naheliegende, aber unwillkommene Eindrücke zu verhindern. Vor allem Diktaturen bedienen sich der Manipulation; und wegen Zensur und sonstiger Kontrolle, funktioniert sie dort auch besser. So kam es beispielsweise unter Stalin zu wahren Retuscheorgien [alternativ], bei denen Trotzki und manch anderer, der in Ungnade gefallen war, im Nachhinein von Fotos verbannt wurde. Aber keine Staatsform ist gefeit vor Manipulation. Auch bei den Fotos demokratischer Politiker geht es oft darum, bestimmte Stimmungen zu erzeugen und also das, was diese Stimmung stört, zu entfernen – manchmal eben ein Plakat. Selbst Geschichte wird im Nachhinein bereinigt: Beim Richtfest auf dem Flughafen Tempelhof wehten im Dezember 1937 hinter dem Rednerpult selbstverständlich Hakenkreuzfahnen. Als das Bezirksamt Tempelhof 1998 zum Gedenken an 50 Jahre Luftbrücke Berlin einen Band herausgab, nutzte sie dieses Foto, entfernte jedoch die Hakenkreuze.

Die beiden folgenden Beispiele zeichnen sich u.a. dadurch aus, dass die Manipulationen vor der Aufnahme stattfanden. Laut Spiegel vom 03.02.2005 hatte eine Terrorgruppe das Foto eines amerikanischen Soldaten ins Internet gestellt, auf dem dieser am Boden sitzt und von einer Waffe bedroht wird; im Hintergrund eine Fahne mit arabischen Schriftzeichen. Die Gruppe drohte, den Mann umzubringen, falls nicht alle Insassen der US-Gefängnisse im Irak freikämen. Noch vor Ablauf des Ultimatums wurde jedoch entdeckt, dass es sich bei dem vermeintlichen John Adam in Wahrheit um eine Puppe handelte. Am 10.10.1990 berichtete Nijirah al-Sabah vorm US-Kongress, dass sie beobachtet habe, wie irakische Soldaten bei der Invasion Kuwaits Babys aus ihren Brutkästen geholt und getötet hätten. Tatsächlich war die 15-jährige eine Tochter des kuwaitischen Botschafters in den USA, hatte nie in dem angegebenen Krankenhaus gearbeitet, und die geschilderten Gräuel hatten nicht stattgefunden. Gewiss aber blieben diese Geschichte und ihre Bilder nicht ohne Einfluss auf die Entscheidung für den Irakkrieg.

Unter Manipulationsverdacht

Einen besonderen Fall im Themenfeld 'Manipulation' bilden die Verschwörungstheorien, also solche Ansichten über Ereignisse oder Personen, die von nachhaltigem Zweifel an deren Authentizität getragen sind. Die Reihe der gemeinten Fälle ist lang: Die US Luftwaffe soll seit 1947 im Besitz eines Ufos sein, was sie aber nicht zugibt. Uwe Barschel soll sich 1987 nicht das Leben genommen haben, sondern vom Mossad umgebracht worden sein. Prinzessin Diana soll 1997 nicht Opfer eines Unfalls, sondern eines Mordanschlags gewesen sein. Ereignisse von hohem öffentlichen Interesse, in die womöglich bekannte Personen verwickelt und deren Umstände unklar sind, beflügeln den Manipulationsverdacht. Manchmal kommt später jedoch die Wahrheit an den Tag, wie etwa im Falle der Titanic: Nachdem das Wrack des 1912 gesunkenen Schiffs 73 Jahre später gefunden worden war, gingen die Mutmaßungen über Versicherungsbetrug zurück. Solche nachträglichen Klärungen sind eher selten, meistens lassen sich rundum überzeugende Beweise weder für noch gegen die jeweiligen Positionen finden. Im Jahre 1994 tauchte erstmals die so genannte Bielefeldverschwörung auf. Gedacht als Satire, lässt sie einige Prinzipien von Verschwörungstheorien sehr deutlich werden. Die Grundannahme dieses Internetspaßes: Die Stadt Bielefeld existiert nicht, wohl aber setzen bestimmte Leute alles daran, eben diese Meinung aufrechtzuerhalten. Wer diese Leute sind, wird freilich nie gesagt – wahrscheinlich der CIA, Mossad oder ähnliche Organisationen.

Wie im Falle nicht satirisch gemeinter Verschwörungstheorien, versucht auch hier niemand, den (ohnehin nicht wirklich existierenden) Verschwörungstheoretikern entgegenzutreten. Und diese Verschwörungstheoretiker selbst nehmen von der Stadt keine Notiz, sondern stützen sich lediglich auf deren mediale und sonstige Spuren in der Welt. Äußerst willkommen war da der Fehler in einer Karte von Google Earth: Jener Ausschnitt, der Bielefeld hätte zeigen sollen, zeigte bis Oktober 2006 tatsächlich nur Wiesen und Wälder! Im Falle der Bielefeldverschwörung, nähme man deren Grundannahme denn ernst, wäre eine Überprüfung einfach. Was aber, wenn das strittige Objekt den Allerwenigsten überhaupt zugänglich ist? – Seit beinahe vierzig Jahren hält sich die Ansicht, die Mondlandungen hätten überhaupt nicht stattgefunden, in Wirklichkeit hätte man die bekannten Fotos und Filme in der Wüste produziert. Ob zwischen 1969 und 1972 zwölf Menschen den Mond betraten oder nur die Wüste von Nevada, kann, von den Astronauten selbst abgesehen, jeder Mensch im Wesentlichen nur anhand von Bildern entscheiden. Selbstverständlich wird die 'Mondlandungslüge' von der NASA nicht kommentiert, wohl aber gibt es Leute, die den Nachweis der Mondlandung führen. Pro und Kontra sind hier jedoch irrelevant, lediglich auf ein paar typische Momente im Vorgehen beider Seiten sei hingewiesen:

  • Die Zweifler stützen sich fast ausschließlich auf die Bilder selbst und gehen kaum auf den wissenschaftlichen, technischen, politischen und ökonomischen Kontext ein, in dem die Bilder stehen.

  • Die Zweifler isolieren bestimmte Details auf den Bildern und schließen von deren Fragwürdigkeit auf die Fragwürdigkeit des Ganzen.

  • Die Zweifler gehen nicht vom Faktum aus, einem Foto zum Beispiel, und schließen daraus auf mögliche Bedingungen für sein Zustandekommen, vielmehr unterstellen sie eine bestimmte Konstellation als die allein zutreffende und schließen aus der Abweichung zwischen dem tatsächlichen Bild und dem Bild, das gemäß ihren Bedingungen zu erwarten wäre, auf die Manipulation des gegebenen Bildes.

  • Die Vertrauensvollen stützen sich hauptsächlich auf den politischen und weiteren Kontext und würdigen die Bilder von diesem Rahmen aus: Würde die NASA Abermilliarden für einen Schwindel ausgeben? Und falls ja, hätte die Sowjet-Union nicht alles daran gesetzt, diesen Schwindel aufzudecken? usw.

  • Die Vertrauensvollen beachten Details im Wesentlichen nur, um die darauf basierenden Behauptungen der Zweifler zu entkräften.

  • Die Vertrauensvollen versuchen angesichts der Bilder Konstellationen zu rekonstruieren, unter denen die Bilder so und nicht anders zustande kommen konnten und ziehen dabei technische und andere Details in Betracht, um zu einem Urteil zu gelangen.

Der Fall "Titanic" legt die Vermutung nahe, dass die Zweifel an der Mondlandung erst dann verstummen, wenn Pauschalreisen zum Mond angeboten werden. Das wäre zwar auch kein wirklicher Beweis für die Mondlandungen um 1970, aber gewiss der Grund für ein rapides Absterben des öffentlichen Interesses an der Mondlandungslüge. Wie der Mond, so sind auch Phänomene aus dem Mikrokosmos zumindest der Öffentlichkeit ausschließlich via Bild bekannt: der Aufbau einer Zelle, nanotechnische Geräte u.a.m. Wenn sich daran bislang noch keine Verschwörungstheorien entzündet haben, so vermutlich deswegen, weil diese Bereiche nicht ausreichend spektakulär sind.

Fussnoten

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  • 14:00 – 15:00 Uhr
  • Frankfurt am Main

Dr. Elmar Elling, Jg. 1952, Linguist und Medienwissenschaftler, ist freiberuflich tätig als Autor und Redakteur sowie als Sprachlehrer.