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Herausforderungen und Ausblick | Argentinien | bpb.de

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Herausforderungen und Ausblick

Thomas Maier

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Argentinien ist ein Land mit einer langen Einwanderungsgeschichte. Bereits die Verfassung von 1853 betonte die Bedeutung von Zuwanderung für die Entwicklung des Landes. Insbesondere europäische Migranten wurden als Motor gesellschaftlicher Modernisierung betrachtet und aktiv angeworben. Erst im Zuge der Militärdiktaturen zwischen 1955 und 1983 wurde ein restriktiver migrationspolitischer Ansatz eingeführt. Eine grundlegende Reform der argentinischen Migrationspolitik erfolgte mit dem Migrationsgesetz von 2004.

Mädchen aus einer Gruppe von Einwandererfamilien, die im März 2013 in Buenos Aires in Zelten auf der Straße leben. (© picture alliance / Demotix)

Das Migrationsgesetz von 2004 markiert einen Wendepunkt in der jüngeren Geschichte Argentiniens, indem es Gesetze aufhob, die sich seit der letzten Diktatur nicht grundlegend verändert hatten. Es markiert den Übergang von einer restriktiven Politik zu einem realistischen, offenen Einwanderungskonzept, dessen Implementierung immer noch mit deutlichem Widerstand vonseiten der staatlichen Verwaltung und einiger Teile der Gesellschaft konfrontiert ist. Das Gesetz erkennt die Leistungen von Migration für das Land ausdrücklich an und drückt den Bedarf nach öffentlichen Politiken aus, um die volle Integration der Einwanderer zu realisieren. In diesem Sinne positioniert die neue argentinische Migrationsgesetzgebung das Land in einem auf Rechten basierenden Migrationsregime. Das trifft auch auf das Engagement des Landes für Flüchtlinge zu. Argentinien nahm 2012 und 2013 300 syrische Familien auf.

Vor dem Hintergrund restriktiver Zuwanderungspolitiken in den USA und Europa, in Kombination mit der großzügigen argentinischen Gesetzgebung, ist es sehr wahrscheinlich, dass Einwanderung das Land auch in den kommenden Jahren weiter prägen wird. Dies gilt insbesondere für die Einwanderung aus den Nachbarländern. Besonders diejenigen Einwanderergemeinden, die sich bereits in Argentinien etabliert haben, werden voraussichtlich weiter wachsen. Aber auch die Rückkehr von Argentiniern aus Südeuropa ist sehr wahrscheinlich, da die Hauptzielländer argentinischer Auswanderer, die sich seit 2001 herausgebildet haben, weiterhin unter großem finanzpolitischen, wirtschaftlichen und sozialen Druck stehen.

Wie Argentinien auf zukünftige Migrationsbewegungen reagieren wird, hängt von zwei grundlegenden Entwicklungen ab. Dazu zählt zum einen die politische Situation im Land. Die Regierungen Kirchner hatten mehr als zehn Jahre Zeit, den rechtebasierten Ansatz in der nationalen Politik durchzusetzen, in Abstimmung mit dem Vorhaben einer stärkeren regionalen Integration. Das Land teilt ähnliche politische Ansätze mit benachbarten Ländern, insbesondere Brasilien und Bolivien, was die Steuerung regionaler Migration und die Regularisierung des Aufenthaltsstatus von Einwanderern vereinfacht hat. Zukünftige argentinische Regierungen könnten sicherlich einen restriktiveren Kurs in Fragen der Einwanderung und Regularisierung einschlagen, um einer konservativeren und am rechten Rand orientierten Wählerschaft gerecht zu werden.

Zum anderen hat das hohe Wirtschaftswachstum seit 2003 Argentinien erneut zu einem attraktiven Zielland für Einwanderer gemacht. Seit 2012 steckt allerdings das nach der Krise 2001 etablierte post-neoliberale Wirtschaftsmodell, das auf einem starken Staat, dominanten Exportwirtschaftssektoren und einer relativen Unabhängigkeit von internationalen Kreditmärkten basiert, in ernsthaften Schwierigkeiten. Dies betrifft nicht nur Argentinien, sondern die gesamte Region. Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen, erscheint es möglich, dass der interne Druck, die Einwanderung zu reduzieren, wächst und die offene Migrationspolitik, die in den letzten zehn Jahren erfolgreich eingeführt worden ist, wieder zurückgenommen wird.

Ein optimistisches Resümee der letzten zehn Jahre erlaubt die Sichtweise, dass sich ein neues Paradigma im Hinblick auf die Konzeptualisierung nationaler Identität herausbildet: Weg vom Prinzip der nationalen Souveränität und Selbstbestimmung hin zu einem Konzept, das die Verantwortung des Staates gegenüber seinen Bürgern im Rahmen von internationalen und regionalen Menschenrechtskonventionen betont und die Vorstellungen von Zugehörigkeit und Staatsbürgerschaft ausweitet, indem es sich von assimilationistischen Diskursen (siehe Kasten 4) abwendet und stattdessen den Ansatz kultureller Pluralität beim Entwurf öffentlicher Politik verfolgt. Dennoch ist es zu früh, um abwägen zu können, ob diese Entwicklung auch Auswirkungen auf die Kultur der Fremdenfeindlichkeit und Gefühle von Überlegenheit gegenüber lateinamerikanischen Einwanderern hat, die von vielen Argentiniern in ihrer Selbstauffassung als "weiße Gesellschaft" geteilt werden. Dies erscheint angesichts der aktuellen schwerwiegenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme im Land, die das nationale Projekt der Kirchner Regierung unter großen Druck setzen, noch schwieriger zu sein.

Dieser Text ist Teil des Interner Link: Länderprofils Argentinien.

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Thomas Maier ist Doktorand am Institut für Amerikastudien (Institute of the Americas), das Teil des University College London und damit der Universität London ist. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte von Arbeit und Wohlfahrtsstaat in den Amerikas, insbesondere in Argentinien und auf dem Südkegel Lateinamerikas. E-Mail: E-Mail Link: thomas.maier.12@ucl.ac.uk