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Der Deutsche OSZE-Vorsitz 2016 – eine erste Bilanz | OSZE | bpb.de

OSZE Die OSZE – ein Erfolgsmodell muss sich neu erfinden Konventionelle Rüstungskontrolle in Europa Fallbeispiel: Die OSZE und der Ukraine-Konflikt 2015 Fallbeispiel: Die Handlungsfähigkeit der OSZE in Berg-Karabach, Abchasien und Südossetien Russlands Politik gegenüber der OSZE: Erwartungen und Entwicklungen Der Deutsche OSZE-Vorsitz 2016 – eine erste Bilanz Meinung: OSZE dient Kreml als Feigenblatt Meinung: Es kommt nicht allein auf die OSZE an Redaktion

Der Deutsche OSZE-Vorsitz 2016 – eine erste Bilanz

Wolfgang Zellner

/ 6 Minuten zu lesen

Die Bilanz der OSZE im Jahre 2016, in dem Deutschland den Vorsitz innehatte, ist insgesamt als positiv zu bewerten. Dies zeigt, dass Diplomatie und Dialog bei klugem und beharrlichem Engagement auch in weltpolitisch schwierigen Zeiten Fortschritte erreichen können.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (rechts) begrüßt Petko Draganov, Repräsentant des UNO-Generalsekretärs, beim OSZE -Ministerrat in Hamburg, 08-09.12.2016. (© picture-alliance)

Unter "normalen" Bedingungen würde man den Erfolg eines OSZE-Vorsitzes nicht zuletzt an der Zahl und Qualität der Beschlüsse messen, die der Ministerrat am Ende des Vorsitzjahres annimmt. Doch derzeit herrschen keine normalen Bedingungen, sondern außerordentlich schlechte. Das Verhältnis Russlands zum Westen hat sich noch weiter eingetrübt, eine Wende zum Besseren ist nicht absehbar. Es besteht ein grundlegender Dissens über die europäische Sicherheitsordnung; die gemeinsame normative Basis ist erodiert, die kooperative Sicherheit auf einem Tiefpunkt.

In Bezug auf den Ukrainekonflikt ist es trotz vier Gipfel- und dreizehn Außenministertreffen im Normandie-Format (Ukraine, Russland, Deutschland, Frankreich) nicht gelungen, den in den Minsker Abkommen festgelegten Waffenstillstand umzusetzen und in einen politischen Konfliktlösungsprozess einzusteigen. Dass auch neue Konflikte mit hohem Eskalationspotenzial möglich sind, zeigt das Aufflammen der Kämpfe in Berg-Karabach im April 2016. Dazu kommen negative Einflüsse im Gefolge der Kriege in Syrien, Irak und Libyen und der dadurch ausgelösten Flüchtlingsströme.

Unter diesen Bedingungen geht es darum, negative Entwicklungen einzudämmen, wenn möglich zu stoppen, Konflikte zu isolieren und neue Konflikte zu verhindern. Kurz: eine weitere Verschlechterung der Lage abzuwenden und Voraussetzungen für eine längerfristige Verbesserung zu schaffen. Dieses Kriterium gilt auch für die Bewertung des deutschen OSZE-Vorsitzes. Konkret geht es dabei um folgende Fragen: Was wurde bei der Krisenbewältigung erreicht? Inwieweit wurden thematische Schwerpunkte für die nächsten Jahre gesetzt? Gelang es, die Organisation als Instrument und Gesprächsforum zu erhalten, und inwieweit konnte der Dialog zwischen den Teilnehmerstaaten entwickelt werden?

Krisenbewältigung von der Ukraine bis zum Kaukasus

Zwar ist es nicht gelungen, die Minsker Abkommen hinreichend umzusetzen, aber die Gefahr eines großen Krieges, die Eroberung der Großstadt Mariupul im Südosten der Ukraine und ein anschließender Durchbruch der von Russland unterstützten Separatisten bis nach Transnistrien, was noch Ende 2014/Anfang 2015 als reale Szenarien diskutiert worden waren, ist vom Tisch. Dazu hat die Besondere Beobachtungsmission (Special Monitoring Mission – SMM) der OSZE, die einzige zuverlässige Informationsquelle über die Lage in der Ostukraine, wesentlich beigetragen. Die SMM ist heute personell und von der technischen Ausstattung her besser aufgestellt als noch im vergangenen Jahr. Sie ist solider finanziert und liefert bessere Beiträge für die Arbeit der Trilateralen Kontaktgruppe (TCG) und des Normandie-Formats.

In der Republik Moldau gelang es nach längerer Unterbrechung, wieder Verhandlungen im offiziellen 5+2-Format (Moldau, Transnistrien, Russland, Ukraine, OSZE, EU und USA) aufzunehmen. Ferner wurde den transnistrischen De-facto-Autoritäten die Möglichkeit eröffnet, am Freihandelsabkommen (Deep and Comprehensive Free Trade Agreement – DCFTA) zwischen der EU und Moldau teilzuhaben. Erstaunlicherweise erhob Russland keine Einwände gegen diese Regelung. Auch auf der schon traditionellen Bayern-Konferenz in Bad Reichenhall im Juli 2016 wurde an praktischen Fragen weitergearbeitet. Dementsprechend konnte sich der OSZE-Ministerrat im Dezember 2016 in Hamburg auf eine Erklärung zu Transnistrien einigen.

Ebenso konnten bei den Genfer Internationalen Diskussionen zu den Konflikten in Georgien, wo Vertreter der georgischen Regierung, der abtrünnigen Gebiete Südossetien und Abchasien sowie Russlands und der USA unter dem gemeinsamen Vorsitz von UN, EU und OSZE zusammenkamen, zumindest atmosphärische Verbesserungen festgestellt werden, auch wenn man von einer Konfliktlösung oder nur der Diskussion darüber weit entfernt bleibt. Neu eingeführt wurde von den Vorsitzenden das Thema statusneutraler Rüstungskontrolle und vertrauensbildender Maßnahmen. Auf örtlicher Ebene wurde der Präventionsmechanismus zur Verhinderung von Zwischenfällen (Incident Prevention and Response Mechanism – IPRM) für Südossetien weitergeführt und für Abchasien nach vierjähriger Unterbrechung wieder in Gang gesetzt. Hier werden konkrete Probleme, wie entlaufenes Vieh, Zugang zu Feldern, aber auch die Ankündigung von Militärübungen, besprochen.

Auch im Falle von Berg-Karabach, wo Anfang April 2016 schwere Kämpfe ausgebrochen waren, konnte die OSZE zumindest dämpfend wirken. Anfang April einigte sich die Minsker Gruppe auf eine gemeinsame Erklärung. Der deutsche OSZE-Vorsitz hat 2016 Vorschläge für eine Erweiterung des Beobachtungsteams des Persönlichen Beauftragten für den Konflikt, Botschafter Kasprzyk, sowie für einen Reaktionsmechanismus bei Waffenstillstandsverletzungen ausgearbeitet, die bislang aber noch nicht angenommen wurden.

Insgesamt war 2016 zu beobachten, dass die 2014/2015 geäußerte Sorge, dass der Ukrainekonflikt zu einer durchgehenden Verschlechterung der Lage bei allen verschleppten Konflikten führen werde, so nicht zutreffend ist. Vielmehr gelang es, graduelle Erfolge zu erzielen.

Neue thematische Schwerpunkte

Der deutsche OSZE-Vorsitz 2016 war in der Lage, zwei Denk- und Arbeitsrichtungen wieder neu einzuführen bzw. auf eine höhere Relevanz-Ebene zu heben. Gemeint sind die konventionelle Rüstungskontrolle und das Konzept der wirtschaftlichen Konnektivität. Letzteres, also die Idee, die wirtschaftlichen, ökologischen und infrastrukturellen Verbindungen im OSZE-Raum und darüber hinaus stabilitätsfördernd zu stärken, stammt zwar schon vom Schweizer Vorsitz 2014. Aber mit einer großen Konferenz Mitte Mai 2016 mit mehr als 900 Teilnehmern, davon mehr als die Hälfte aus der Privatwirtschaft und eine chinesische Delegation, wurde das Thema derart in der OSZE verankert, dass niemand mehr die Berechtigung seiner Behandlung in Frage stellt. Dies und ein entsprechender Ministerratsbeschluss eröffnen die Möglichkeit, in Zukunft konkretere Themen zu besprechen.

Das andere Thema, von dem bleibende Impulse erwartet werden, ist die Initiative von Außenminister Steinmeier zur konventionellen Rüstungskontrolle vom September 2016. Das ist zwar ein altes deutsches Thema, aber erneut vorgetragen in einer Zeit, wo die Notwendigkeit von Rüstungskontrolle so groß ist wie die Chancen gering sind, diese zu erreichen. Mit dem Beschluss "Von Lissabon nach Hamburg. Erklärung zum 20. Jahrestag des OSZE-Rahmens für Rüstungskontrolle" erkannte der Ministerrat die Bedeutung konventioneller Rüstungskontrolle grundsätzlich an. Die "Steinmeier-Initiative" flankiert auch die erheblichen Anstrengungen des Vorsitzes, Fortschritte bei der Modernisierung des Wiener Dokuments über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen zu erreichen. Obwohl diese Maßnahmen kurzfristig nicht zum Erfolg führten, liegt nun doch ein wesentlich erweitertes Angebot auf dem Tisch, an dem gearbeitet werden kann.

Weitere neue Themenschwerpunkte waren Cyber-Sicherheit, wozu Anfang 2016 ein zweites Paket vertrauensbildender Maßnahmen verabschiedet wurde, sowie Migration, wo in einer neu eingerichteten Arbeitsgruppe ein Einstieg in die Thematik erarbeitet werden konnte. Zu beiden Themen nahm der Hamburger OSZE-Ministerrat Beschlüsse an. Im Bereich der menschlichen Dimension wurde eine Reihe von Angriffen auf das Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (BDIMR) abgewehrt. Wahlbeobachtungsmissionen fanden in einer Reihe von Staaten statt, darunter auch in Russland und in den USA. Im Bereich der "menschlichen Dimension" wurde allerdings eine Konsensbildung durch einzelne Teilnehmerstaaten, darunter Russland, verhindert.

Stärkung der Organisation

In Zeiten zunehmender Fragmentierung die Arbeitsfähigkeit einer internationalen Organisation zu bewahren oder gar punktuell auszubauen, stellt eine erhebliche Leistung dar, die dem deutschen Vorsitz, wenn auch mit Einschränkungen gelang. Dass der OSZE-Haushalt fristgerecht Ende 2015 verabschiedet werden konnte, ist in dieser Organisation keineswegs selbstverständlich, stellt aber eine zentrale Voraussetzung für ihr Funktionieren dar. Dabei konnten sogar noch einige zusätzliche Stellen für die Verstärkung des Konfliktverhütungszentrums des OSZE-Sekretariats geschaffen werden. Dauerhaft verbesserte Planungssicherheit konnte für das wichtigste jährliche Treffen zur "menschlichen Dimension", das Human Dimension Implementation Meeting, erzielt werden, indem die Zugangskriterien für Teilnehmer klarer vereinbart wurden. Keine Einigung wurde über eine Nachfolgerin für die Beauftragte für die Medienfreiheit erzielt, stattdessen wurde das Mandat der Amtsinhaberin Dunja Mijatović um ein Jahr verlängert. Im Fall der Hohen Kommissarin für Nationale Minderheiten, Astrid Thors, gelang es weder das Mandat zu verlängern, noch Konsens über eine/n Nachfolger/in zu erzielen.

Förderung des Dialogs

Die Förderung des Austausches, auch durch die Schaffung neuer und interaktiverer Dialogformate, stellte ein besonderes Anliegen des deutschen Vorsitzes dar. Dem diente zum einen ein breites Spektrum thematischer Konferenzen von Cyber-Sicherheit über Toleranz und Nicht-Diskriminierung bis zu Rechtsstaatlichkeit und der Bekämpfung von Antisemitismus und Antiziganismus. Was Treffen auf hoher Ebene angeht, waren insbesondere das informelle Außenministertreffen in Potsdam am 1. September und das Mittagessen der Außenminister am 8. Dezember 2016 von Bedeutung. Diese unverdrossenen Bemühungen zeitigten jedoch nicht die erhofften Ergebnisse, weil auf beiden Seiten – im Westen und in Russland – zu viele den Dialog von bestimmten Bedingungen abhängig machten.

Ausblick

Insgesamt steht die OSZE Ende 2016 besser da als ein Jahr zuvor. Dies in schwierigen Zeiten und gegen vielfältige Widerstände erreicht zu haben, stellt den Erfolg des deutschen OSZE-Vorsitzes dar. Wichtig war, dass sich Deutschland überhaupt bereit erklärte, ohne Aussicht auf strahlende Erfolge den OSZE-Vorsitz zu übernehmen. Das hat die Organisation weiter aufgewertet und anderen Staaten Mut gemacht, den Vorsitz zu übernehmen. Auf Österreich 2017 werden 2018 Italien und 2019 die Slowakei folgen.

Literatur

Links

Weitere Inhalte

Dr. Wolfgang Zellner ist Geschäftsführender Ko-Vorsitzender des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) und Leiter dessen Zentrums für OSZE-Forschung (CORE).