Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Der Globale Krieg | Zeitalter der Weltkriege | bpb.de

Zeitalter der Weltkriege Editorial Prolog Wie die Weltkriege entstanden Der Globale Krieg Der Totale Krieg Völkermord Der Krieg von unten Wie die Weltkriege endeten Erinnerung Epilog Der Erste Weltkrieg Der Zweite Weltkrieg und seine Vorläuferkonflikte Karten Literaturhinweise und Internetadressen Impressum

Der Globale Krieg

Sönke Neitzel

/ 13 Minuten zu lesen

Im Ersten Weltkrieg kämpfen 36 Nationen gegeneinander, die Schlachtfelder liegen zumeist in Europa. Im Zweiten Weltkrieg ist neben Europa der pazifische Raum der zweite Hauptkriegsschauplatz. 63 Nationen sind an ihm beteiligt.

Die bei den Kämpfen Gefallenen werden zunächst nahe den Schlachtfeldern begraben (v. l. o. im Uhrzeigersinn P): Gräber deutscher Soldaten nahe Salla in Finnland 1941, alliierter Soldaten in Norwegen 1940, US-amerikanischer Soldaten in Kiribati, Zentralpazifik 1944 und japanischer Soldaten in Okinawa, Japan 1945. (© Popperfoto/ Fox Photos/ Peter Stackpole/ Time&Life Pictures / J.R. Eyerman / Time&Life Pictures / Getty Images)

Überall stößt man auf die Spuren der Weltkriege, ganz gleich wohin man reist. Schlachtfelder gab es in Spitzbergen ebenso wie in Namibia und auf Hawaii, in Alaska oder im Dschungel Papua-Neuguineas. Und nicht nur die Kämpfe an Land haben bis heute sichtbare Spuren hinterlassen. Mehr als 20 000 Schiffe sind in den beiden Kriegen versenkt worden, tausende von ihnen werden heute von Tauchern aus aller Welt besucht: vom St. Lorenz Strom in Kanada bis zu den chilenischen Juan Fernández’ Inseln, von der irischen Westküste über Ägypten, die Malediven bis zu den Küsten Australiens. Die Gräber derjenigen, die in den Kämpfen oder später in der Gefangenschaft starben, sind um den ganzen Globus verstreut. Allein der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge pflegt Friedhöfe in 64 Ländern. Die Bergtour in den Alpen, die Tauchreise zu den Philippinen, der Sprachurlaub auf Malta, die Safari in Tansania, die Kulturreise nach China – Hunderttausende Touristen stoßen auf ihren Reisen jedes Jahr auf die Spuren der Weltkriege. Nahezu überall ist das Leben der Menschen von diesen Kriegen geprägt worden. Und dies nicht nur in Europa, sondern praktisch überall auf dem Globus, ob in Grönland, den Tropen Afrikas oder der Inselwelt des Südpazifiks.

Dimensionen des Ersten Weltkrieges

Bereits 1914 war den Zeitgenossen sehr wohl bewusst, dass sie Zeugen eines Kampfes neuen Ausmaßes waren. Der Philosoph Ernst Haeckel sprach schon im September 1914 davon, dass dieser europäische Konflikt der "erste Weltkrieg im wahren Sinne des Wortes" werden würde, und der Afrikaforscher Hermann Frobenius publizierte noch 1914 ein kleines Büchlein mit dem Titel "Der erste Weltkrieg", das gleich mehrere Auflagen erlebte. Allerdings hat sich der Begriff zunächst nicht durchgesetzt. Man sprach vielmehr vom "Weltkrieg" oder dem "Großen Krieg". Erst der britische Offizier und Journalist Charles à Court Repington machte die Bezeichnung "First World War" mit seinem 1920 veröffentlichten Bestseller populär. In Großbritannien und in Frankreich ist "The Great War" oder "La Grande Guerre" bis heute aber die geläufigere Bezeichnung. Dass es sich bei den Feindseligkeiten in Asien 1937 und in Europa 1939 um den Beginn eines zweiten Weltkrieges handelte, ist den Zeitgenossen erst spät bewusst geworden. 1939 erschien zwar das Buch des britischen Politikers und Schriftstellers Alfred Duff Cooper "The Second World War", aber er fand wenig Nachahmer. Erst nach 1945 setzte sich diese Bezeichnung auch hierzulande durch.

Freilich kann man die provokante Frage stellen, ob diese Begriffe überhaupt richtig gewählt sind. War der Krieg zwischen 1914 und 1918 überhaupt der "Erste Weltkrieg"? Auch der Siebenjährige Krieg (1756-1763) wütete schließlich nicht nur in Europa, sondern auch in Kanada, Indien und auf den Philippinen. Und während der 23 Kriegsjahre zwischen 1792 und 1815 wurde nicht nur bei Austerlitz, Leipzig und Moskau gekämpft, sondern auch um Washington, D.C., New Orleans, Buenos Aires, Kapstadt und auf Mauritius. Insofern war die Ausdehnung des Ersten Weltkrieges auf den ersten Blick nichts Neues.

Beteiligung außereuropäischer Mächte


Und doch war dieser Krieg nicht mehr nur ein Kampf der Europäer untereinander. Außereuropäische Mächte spielten eine entscheidende Rolle. Die neue Großmacht Japan beteiligte sich schon früh am Krieg, um die eigene Machtposition in Ostasien weiter auszubauen. Zur Unterstützung der verbündeten Briten entsandte Tokio Kriegsschiffe ins Mittelmeer. Noch wichtiger war die Rolle der Vereinigten Staaten. Ihr Einfluss auf den Verlauf des Ersten Weltkrieges kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Schließlich hat der amerikanische Kriegseintritt am 6. April 1917 den Kampf endgültig zugunsten der Entente (Kriegskoalition Frankreichs, Russlands, Großbritanniens u. a.) entschieden (siehe a. Karte V).
Aber auch den britischen Dominions kam eine neue Rolle zu. Obwohl sie formell keine eigene Außenpolitik machen durften, entwickelten sie sich immer mehr zu eigenständigen Akteuren. Insbesondere Südafrika stieg zu einer beachtlichen Imperialmacht auf. Deutsch-Südwestafrika, das heutige Namibia, wurde von südafrikanischen Truppen 1915 rasch erobert und bis 1990 besetzt gehalten. Damit war der Expansionswille aber noch nicht gestillt. Die Regierung in Pretoria wollte langfristig ein "Greater South Africa" schaffen, das bis an den Äquator reichen sollte. Doch dies scheiterte am Widerstand deutscher Truppen in Deutsch-Ostafrika. Vier Jahre lang tobten hier die Gefechte, die sich bald in einen Busch- und Guerillakrieg verwandelten, der vor allem unter der indigenen Bevölkerung gewaltige Opfer forderte. Schätzungen zufolge starben bis zu 750 000 Menschen in Deutsch-Ostafrika durch Hungersnöte, Seuchen und Krankheiten.

Vernetzte Welt – vernetzter Krieg


1914 war die Welt vernetzter als jemals zuvor. Von Southampton aus war New York per Schiff in nur fünf Tagen zu erreichen. Es gab einen regelmäßigen zweiwöchentlichen Linienverkehr nach Melbourne, die Überfahrt dauerte 45 Tage. Das Welthandelsvolumen war von 1800 bis 1913 um den Faktor 25 angestiegen. Die vernetzte Welt führte nun auch einen vernetzten Krieg. So konnten Truppen schnell vom einen Ende der Welt ans andere verlegt werden. Die britische Kriegswirtschaft konnte sich auf die Ressourcen des Weltmarktes stützen, Salpeter aus Chile, Rindfleisch aus Australien und Maschinenteile aus den USA importieren.

QuellentextAfrikas "Beitrag" zum Zweiten Weltkrieg

Frankreich hatte bereits 1939 rund 100 000 Soldaten in den Kolonien ausgehoben, davon die meisten in Afrika, und 340 000 Mann standen 1943 in Nordafrika bereit für den alliierten Vorstoß nach Italien. Die Verluste unter den Rekruten aus den Kolonien waren hoch: 29,6 Prozent der Madagassen, die zum Einsatz kamen, fielen und 38 Prozent der sogenannten tirailleurs sénégalais.

Großbritannien holte in Ost- und Zentralafrika nahezu 200 000 Mann in die Armee, rekrutierte in der Goldküste 65 000 für die Schlachtfelder in Europa und Südostasien und forderte, ebenso wie Frankreich, Beiträge für die Kriegskasse: Die Goldküste z. B. brachte über 360 000 britische Pfund (£) für den britischen Kriegsfonds auf (von einigen Millionen £ insgesamt, die Großbritanniens afrikanische "Untertanen" in die Kriegskasse einzahlten); dazu kamen Kriegsanleihen, für die Großbritannien seinen afrikanischen Kolonien nach Ende des Krieges mehr als 200 Mio. £ schuldete. Auch in den französischen Territorien wurde gesammelt: Französisch Westafrika (AOF) etwa trug rund 1,5 Milliarden Francs zu den Kriegskosten bei.

Afrikaner und Afrikanerinnen erbrachten einen Beitrag zu einem Krieg, der nicht der ihre war. Im Belgischen Kongo hatte die männliche Bevölkerung der ländlichen Gebiete 60 Tage Zwangsarbeit pro Jahr zu leisten; der Zinnabbau in Nigeria florierte ebenso wie die Sisalproduktion in Tanganyika vor allem aufgrund der zwangsverpflichteten Arbeitskräfte. […]
Die Rohstoffe aus Afrika waren für die Alliierten von entscheidender Bedeutung: Der Kontinent lieferte während der Kriegsjahre 50 Prozent des Goldaufkommens, 19 Prozent der Manganerze, 39 Prozent bei Chrom, 24 Prozent bei Vanadium und etwa 17 Prozent des Kupfers, dazu fast 90 Prozent des verarbeiteten Kobalts, die gesamte Uraniumproduktion und 98 Prozent der Weltproduktion an Industriediamanten.

Die Produktion der Kupferminen in Katanga stieg von 122 000 Tonnen (t) (1939) auf 165 000 t (1944). Ghanas Manganproduktion verdoppelte sich in den Kriegsjahren, und Nigeria erzeugte um 41 Prozent mehr Zinn. Südafrika verdiente am meisten am Gold, wurde zum drittgrößten Lieferanten von Platin und sicherte sich eine dominierende Stellung im Handel mit Diamanten, die zu dieser Zeit vor allem aus dem Belgischen Kongo kamen.

Während Südafrika und die britischen Kolonien ihre Rohstoffe in erster Linie an Großbritannien lieferten, wurde der Belgische Kongo zu einem wichtigen Wirtschaftspartner der USA. Auch die Landwirtschaft und die industrielle Produktion waren in die Kriegswirtschaft eingebunden. Die Produktion von Baumwolle, Erdnüssen und Palmöl stieg mit Kriegsbeginn signifikant. Den europäischen Pflanzern und Farmern garantierte Großbritannien hohe Preise für ihre Produkte, zahlte im Voraus und zahlte selbst dann, wenn aus Mangel an Transport- und Lagermöglichkeiten die angekauften Produkte – wie es bei Bananen oder Kakao geschah – verbrannt oder ins Meer gekippt werden mussten.

Die Kenya Farmers Association wurde zur staatlichen Vermarktungsorganisation für Mais; sie bestimmte in dieser Funktion die Ankaufspreise und vergab auch Kredite. Während weiße Farmer für ihre Produkte über dem Marktpreis bezahlt wurden, erhielten einheimische Bauern deutlich weniger – den afrikanischen Baumwollproduzenten in Uganda bezahlte man 1943 nur noch 28 Prozent des Exportpreises.
In vielen Kolonien, die von Europa und anderen überseeischen Lieferanten nicht mehr versorgt werden konnten, entstand eine Ersatzgüterproduktion; die höheren Kosten der Produkte (wie Seife und andere Dinge des täglichen Gebrauchs) hatten nicht zuletzt die afrikanischen Verbraucherinnen und Verbraucher zu tragen. Mit wenigen Ausnahmen hielt diese Industrialisierung der Öffnung des Marktes nach 1945 nicht stand. […]

Walter Schicho, Geschichte Afrikas, Konrad Theiss Verlag Stuttgart 2010, Seite 102 f.

Massenpropaganda


Der Erste Weltkrieg war aber nicht nur ein Kampf der Fabriken, sondern auch ein Krieg der Worte. Die Entstehung der Massenpresse, das weltweite Kabelnetz und die politische Liberalisierung mit der Abschaffung der staatlichen Vorzensur hatten Ende des 19. Jahrhunderts zum ersten Mal eine echte Weltöffentlichkeit geschaffen. Im Krieg der Worte und Bilder waren insbesondere die Briten weit erfolgreicher als die Deutschen. Sie verfügten durch die Kontrolle der Unterseekabel über das globale Nachrichtenmonopol und konnten so die öffentliche Meinung in Übersee, vor allem in den USA, für sich günstig beeinflussen. Die "deutschen Barbaren und Hunnen" avancierten so in San Francisco, Santiago de Chile und Sydney gleichermaßen rasch zu einem einprägsamen Feindbild, dem die deutsche Propaganda nichts entgegensetzen konnte.

Internationale Massenheere


Im Ersten Weltkrieg kämpften zum ersten Mal regelrechte Massenheere aus Übersee auf den europäischen Schlachtfeldern. Zwei Millionen Amerikaner, 620 000 Kanadier, 331 000 Australier, 100 000 Neuseeländer und 32 000 Südafrikaner fochten in Europa gegen die Deutschen. Ein noch stärkeres Symbol, dass nun auch die Neue Welt in der Alten kämpfte, war der Einsatz nicht-weißer Soldaten. So setzten die Franzosen 485 000 Soldaten aus Algerien, Tunesien, Marokko, Westafrika, Madagaskar und Indochina ein, während die Briten 160 000 zumeist indische Soldaten aufboten.

In Deutschland sorgte der Einsatz dieser Truppen für erhebliches Aufsehen. Als "Menschenfresser" und "Wilde" diffamiert, warf man ihnen vor, besonders grausam zu kämpfen. Viele Tausend wurden von den deutschen Truppen gefangengenommen, was bemerkenswerte Folgen hatte. So wurde die erste Moschee Deutschlands 1915 südlich von Berlin für muslimische Gefangene errichtet, und Berliner Ethnologen nutzten die Gelegenheit zu umfassenden völkerkundlichen Forschungen. Noch heute befindet sich eine skurril anmutende Laut- und Sprachsammlung im Archiv der Humboldt-Universität, Berlin.

Unter den zwei Millionen US-Soldaten, die seit 1917 in Frankreich eingesetzt waren, befanden sich etwa 400 000 Afroamerikaner, von denen allerdings nur einige Zehntausend an der Front kämpften, während die anderen zu Unterstützungsdiensten eingeteilt waren. Zum australischen und neuseeländischen Kontingent zählten auch einige Tausend Aborigines und Maori, über deren Erlebnisse wir nur wenig wissen. Die Briten setzten Schwarzafrikaner in Arbeitsbataillonen ein, wo sie unter unmenschlichen Bedingungen hinter der Front schuften mussten.

Deutschland griff auf afrikanische Soldaten nur in den Kolonien selbst zurück. Eine Überführung nach Europa musste schon aus logistischen Gründen scheitern und ist aufgrund rassistischer Vorbehalte auch vor dem Krieg nie erwogen worden. Kaum ein Dutzend der sogenannten Askaris (Suaheli für "Soldat", Bezeichnung für afrikanische Soldaten und Polizisten in europäischen Kolonialtruppen) lebten nach dem Krieg in Deutschland, wo sie in der Regel negative Erfahrungen machten. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Bundesrepublik einigen hundert ehemaligen Askaris noch die einst versprochene Pension ausgezahlt – bis Ende der 1990er-Jahre die letzten schwarzafrikanischen Soldaten des Deutschen Reiches gestorben waren.

Die Vielzahl von neuen Kulturkontakten während des Ersten Weltkrieges hatte die rassistische Einstellung der Weißen kaum verändert, allerdings in den Kolonien den Wunsch nach Unabhängigkeit deutlich vorangetrieben – allen voran bei den Arabern und Indern. Trotz einzelner Aufstände, die von Briten und Franzosen mit großer Brutalität niedergeschlagen wurden, konnten die Europäer aber nach 1918 vorerst die Kontrolle über ihre Kolonialreiche bewahren.
Am Ersten Weltkrieg nahmen offiziell 36 Staaten teil. Aufgrund der ausgedehnten europäischen Kolonialreiche und der zumindest wirtschaftlichen Beteiligung der Neutralen blieb kaum ein Flecken der Erde unberührt. Die Schlachtfelder lagen aber zumeist in Europa und im Nahen Osten. Trotzdem trägt der Konflikt seinen Namen zu Recht. Es war der Krieg einer globalisierten Welt.

Dimensionen des Zweiten Weltkrieges


Der Krieg im Pazifik


Der Zweite Weltkrieg überstieg auch in seiner geografischen Ausdehnung den Ersten bei weitem. 63 Staaten nahmen nominell an ihm teil, und mit dem Pazifik gab es ein zweites Zentrum des Krieges, auf das mindestens 40 Prozent der Kriegstoten entfallen. In Deutschland ist der Krieg in Ostasien bislang nur wenig beachtet worden. Nur wenige wissen, dass China nach der Sowjetunion die höchste Zahl an Toten zu beklagen hatte. Spricht man hierzulande vom Zweiten Weltkrieg, kommen einem Auschwitz, Stalingrad oder Dresden in den Sinn, nicht aber Nanking, Midway oder Tokio. Vielfach bekannt ist, dass am 6. Juni 1944 die Alliierten in der Normandie landeten – nicht zuletzt aufgrund der Verfilmungen mit John Wayne (The Longest Day, 1964) und Tom Hanks (Saving Private Ryan, 2004). Doch wer weiß schon, dass die Amerikaner nur neun Tage später mit einer gewaltigen Streitmacht auf den Marianen landeten und damit die letzte Kriegsphase auch im Pazifik einleiteten? Das Gros der japanischen Flotte wurde dort vernichtet, und es war nicht zuletzt der erbitterte Widerstand der Japaner auf der Marianen-Insel Saipan, der die Amerikaner in der Ansicht bestätigte, nur mit der Atombombe die japanische Kapitulation erzwingen zu können. Die B-29 Bomber, die im August 1945 Hiroshima und Nagasaki in Schutt und Asche legten, waren im Übrigen auch von den Marianen aus gestartet.

Die Expansion Japans


Doch worum ging es im Krieg im Pazifik, und wie hing dieser mit dem Konflikt in Europa zusammen? Jahrhundertelang hatte sich Japan konsequent von jedem Kontakt mit der Außenwelt abgeschlossen und spielte bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts im internationalen Mächtesystem keine Rolle. Von den Amerikanern 1854 gewaltsam zur Öffnung gezwungen, erkannte man in Tokio rasch die Unterlegenheit der eigenen Gesellschaftsordnung. In Verwaltung, Wirtschaft, Justiz und Militär wurden Reformen nach europäischem Vorbild angestoßen, die das Land innerhalb weniger Jahrzehnte von einem mittelalterlichen Feudalstaat in einen modernen Industriestaat verwandelten.

Als Japan 1894/95 China in einem kurzen Krieg besiegte, wurden die europäischen Großmächte zum ersten Mal auf die neue ostasiatische Macht aufmerksam. Argwöhnisch verhinderten Russland, Frankreich und Deutschland, dass die Japaner nach ihrem Sieg auf dem chinesischen Festland Fuß fassten. Doch der Expansionsdrang des rohstoffarmen Landes war nicht zu bremsen. 1904/05 besiegten die japanischen Streitkräfte Russland. Niemand hätte in Europa mit einem solchen Erfolg gerechnet. Nun konnte Japan der Sprung auf den asiatischen Kontinent nicht mehr verwehrt werden. Es sicherte sich im Frieden von Portsmouth/USA die Mandschurei als wirtschaftliche Einflusszone, annektierte mit Port Arthur und Dairen zwei wichtige Häfen in Nordostchina und annektierte 1910 Korea. Damit hatte sich Tokio endgültig aus der Gängelung durch die europäischen Großmächte befreit und war zu einer neuen Regionalmacht aufgestiegen.

Der Erste Weltkrieg, an dem Japan an der Seite der Entente teilnahm, bot dann die günstige Gelegenheit, weiter zu expandieren. Das erste Ziel waren die abgeschnittenen deutschen Kolonien. Tsingtau fiel nach hartem zweimonatigem Kampf im November 1914. Die weit gestreckten deutschen Inselbesitzungen nördlich des Äquators von Palau im Westen bis zu den Marshallinseln im Zentralpazifik ließen sich kampflos besetzen. Daneben strebte Japan wieder danach, seinen Einfluss in China auszudehnen, was diesmal allerdings die USA zu verhindern wussten. Japan konnte sich schließlich nur wirtschaftliche Konzessionen und Eisenbahnrechte sichern.

Nach dem Ersten Weltkrieg erlebte das Land dann eine innenpolitische Radikalisierung, welche die Zivilgewalt erheblich schwächte. So wurde der Mukden-Zwischenfall im September 1931, der zur Eroberung der Mandschurei führte, von örtlichen Militärbefehlshabern inszeniert, die der politischen Kontrolle Tokios entglitten waren. Auch der Entschluss vom Juli 1937, das vom Bürgerkrieg geschwächte China anzugreifen, geht wesentlich auf den Einfluss der Armee zurück. Der zweite chinesisch-japanische Krieg verlief jedoch nicht wie erwartet. Zwar gelang es rasch, weite Teile der Küstenregion zu besetzen. Im Westen und Südwesten konnten sich die nationalchinesischen Streitkräfte unter Chiang Kai-shek jedoch behaupten, während in den japanisch besetzten Gebieten Mao Tse-tungs kommunistische Einheiten Widerstand aus dem Untergrund leisteten. Ein langer Abnutzungskrieg begann. Die weiteren Expansionspläne auf dem Kontinent erhielten auch durch die herben Niederlagen einen erheblichen Dämpfer, die die japanischen Streitkräfte 1938/39 in zwei blutigen Grenzkriegen mit der Sowjetunion hinnehmen mussten.

Als die Wehrmacht 1940 die Niederlande und Frankreich überrannte und auch Großbritannien an den Rand einer Niederlage drängte, hatte dies erhebliche Folgen für die Lage in Ostasien. Die europäischen Kolonialreiche waren durch die Niederlagen der Mutterländer kaum mehr zu verteidigen, und dies gab den Anstoß für eine strategische Umorientierung Tokios. Schließlich entschied sich die japanische Führung, fortan ihren Einflussbereich nicht kontinental, sondern maritim zu erweitern. In Südostasien sollten Rohstoffquellen erschlossen und Japan damit unabhängig von US-Importen gemacht werden. Seit Sommer 1941 liefen zwischen Tokio und Washington intensive Verhandlungen.

Die Gegenwehr der Vereinigten Staaten


Auf US-amerikanischer Seite tat man sich schwer, die komplizierten innerjapanischen Entscheidungsprozesse zu durchschauen. Spätestens als Japan im Juli 1941 in den Süden Französisch-Indochinas einrückte und damit über eine ideale Ausgangsbasis für die Besetzung Südostasiens verfügte, zweifelte Washington nicht mehr an Tokios Entschlossenheit zum Krieg. Die Wirtschaftssanktionen wurden entsprechend verschärft, was die Eskalation weiter vorantrieb. Der endgültige Entschluss Japans zum Krieg gegen die USA fiel aber erst in den letzten Novembertagen 1941.

QuellentextKriegserklärung des japanischen Kaisers

The Emperor of Japan, upon the Throne of a line of Emperors unbroken for ages eternal, blessed with Divine Grace hereby presents to you loyal and courageous subjects:
I do hereby declare war upon America and England. Officers and men of our Imperial Army and Navy exert your utmost and go forth into battle. Officials and authorities of Our Government attend to your duties honestly and conscientiously. […]

It has been primarily the glorious and traditional policy of the Imperial Family to contribute to the peace of the world by consolidating and maintaining stability in East Asia. This policy I have faithfully pursued. The constant gist of diplomatic relations of the Empire with the powers of the world has been based upon mutual sharing of prosperity and the promotion of sincere and friendly contacts. But now, unfortunately we have begun hostilities with America and England. It is indeed an unavoidable happening. But it was not my wish that China, not understanding the true motive of the Empire, should indiscriminately take up arms, disturbing the peace of East Asia, and finally forcing the Empire to retaliate with military force. Over four years have passed since then. Fortunately, the National Government has been newly set up. The Empire of Japan has taken up a friendly attitude of good-neighborliness regime in Chungking, dependent upon support from America and England, has forced brother against brother to harbor ill-will against each other from opposite sides of the fence. Hiding under the fair name of peace, America and England are aiding the remaining regime, prolonging the disorder in East Asia and making rampant their inordinate desire of controlling the Orient. Furthermore, they have inveigled the other powers into strengthening their military preparations around Japan, and have taken a challenging attitude towards us. They further placed every obstacle in the way of peaceful commercial endeavors of the Empire, and finally, boldly cut off economic relations, which seriously threatened the very existence of our country. I have strived through the Government to restore conditions back to normal while there was yet peace. I have had patience for a long time, but not having the spirit of mutual concession, they have needlessly delayed the solution to the situation. During this time they have, instead, greatly increased the economic and military threat, striving to force us into submission. The course of affairs has progressed thus far. The years of effort which the Empire has spent in endeavoring to establish stability in East Asia have come to naught, and the Empire faces a dire crisis due to the trend of incidents up to this point. For self-preservation, there is nothing left to do but to spring up in arms and smash all obstacles before us.

By the Divine Spirits of Our Imperial Ancestors Above, I have faith and trust in the loyalty and courage of my subjects, to enlarge upon the great work which the Imperial Ancestors have left us, and immediately weed out the roots of disaster, firmly establishing everlasting peace in East Asia and preserving the glory of the Empire.

IMPERIAL NAME, IMPERIAL SEAL, Dec. 8, 1941

The National Archives, London – WO208/2300 Dieses Dokument wird in englischer Übersetzung wiedergegeben, weil eine verlässliche deutsche Übersetzung nicht verfügbar war.

Der japanische Kriegsplan von 1941 ähnelte jenem von 1904/05, der zum schnellen Sieg über das Zarenreich geführt hatte. Mit einem Überraschungsangriff sollte die feindliche Flotte ausgeschaltet werden, um nach einer kurzen Phase territorialer Eroberungen in Verhandlungen einzutreten. Die japanische Führung konnte sich nicht vorstellen, dass die USA für Asiaten in den Krieg ziehen würden, denen – wie im Falle der Philippinen – ja ohnehin schon die Freiheit von der "weißen" Kolonialherrschaft versprochen war. Doch die Vereinigten Staaten waren keinesfalls bereit, zu verhandeln und ein Imperium des japanischen Kaisers, des Tenno, in Ostasien zu akzeptieren. Obgleich der Krieg mit spektakulären Erfolgen der japanischen Streitkräfte begann – am 7. Dezember 1941 wurde das Gros der US-Pazifikflotte im hawaiianischen Pearl Harbor ausgeschaltet, und binnen weniger Monate wurden die Philippinen, Burma, Malaysia und Indonesien erobert –, hatte Japan niemals eine Chance, den Kampf für sich zu entscheiden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die USA ein ausreichendes Militärpotenzial aufgebaut hatten, um ihren Gegner niederzuringen.

Japan und NS-Deutschland – ein schwieriges Bündnis


Nicht unerheblich für den Entschluss Tokios zum Angriff auf die USA war die Zusage Hitlers, den Vereinigten Staaten ebenfalls den Krieg zu erklären – was er am 11. Dezember 1941 dann auch tat. Ihm war bewusst, dass US-Präsident Franklin D. Roosevelt seit seiner Wiederwahl im November 1940 darauf drängte, auf Seiten der Briten in den Krieg einzugreifen. Die USA unterstützten Großbritannien massiv mit Waffenlieferungen, und seit Herbst 1941 eskortierten US-Kriegsschiffe britische Konvois im Atlantik. Über kurz oder lang würde es zum Kriegseintritt der Vereinigten Staaten kommen – und da war es nach Hitlers Kalkül besser, wenn Japan die USA von Europa ablenkte.

In der Tat schien sich die Lage für die Alliierten im Frühjahr 1942 erheblich verschlechtert zu haben. Die Japaner überrannten ganz Südostasien und eroberten am 15. Februar 1942 die Festung Singapur, seit 1819 das Zentrum britischer Machtentfaltung in der Region. Ceylon wurde bombardiert, und die britische Flotte floh nach Kenia. Der Indische Ozean war kaum mehr zu verteidigen (siehe a. Karte VII).
Zum gleichen Zeitpunkt plante die Wehrmacht den Vorstoß in den Kaukasus, und Erwin Rommels Truppen drängten von Libyen aus in Richtung Kairo und Nahem Osten. Selbsternannte Strategen entwarfen Pläne, wie die Wehrmacht von der Sowjetunion und Ägypten aus in Richtung Indien vorstoßen sollte, um sich dort mit den Japanern zu vereinigen und das britische Weltreich aus den Angeln zu heben. "Die Herren träumen in Kontinenten", kommentierte der Generalstabschef des Heeres Franz Halder das realitätsferne Wunschdenken. Abgesehen von der logistischen Unmöglichkeit solch weitreichender Vorstöße, gelang es noch nicht einmal, die Kriegsplanungen der beiden Bündnispartner zu koordinieren. Als Rommel im August 1942 vor den Toren Kairos stand, bayerische Gebirgsjäger auf dem 5400 Meter hohen Elbrus, dem höchsten Berg des Kaukasus, die Hakenkreuzfahne hissten und in Indien ein Aufstand gegen die britische Besatzungsmacht ausbrach, hatte sich Japan schon wieder vom Indischen Ozean abgewandt und musste sich der ersten US-Gegenoffensive auf der Salomonen-Insel Guadalcanal erwehren.

Auch später gelang es nicht, zu einer gemeinsamen Strategie zu finden, was auch daran lag, dass die Vorstellungswelt der politischen und militärischen Führung des Deutschen Reiches letztlich auf den europäischen Kontinent beschränkt blieb und sie niemals eine adäquate Strategie für einen Weltkrieg zu entwickeln vermochte. Zudem misstrauten sich die Bündnispartner. Als Singapur fiel, soll Hitler bemerkt haben, dass dies eine herbe Niederlage für die "weiße Rasse" sei, und als ab 1943 deutsche U-Boote vom japanisch besetzten Penang aus operierten, war das Misstrauen den "Weißen" gegenüber unübersehbar.

Japan und Deutschland führten ihre eigenen Kriege, und Hitler wollte auch von den japanischen Vorschlägen nichts wissen, er möge doch mit der Sowjetunion Frieden schließen, um alle Kraft auf den Kampf gegen die Westmächte zu konzentrieren. Eine Koordinierung der Kriegsanstrengungen war schon aus logistischen Gründen viel schwieriger als bei den Alliierten. Wie sollte man überhaupt von Berlin nach Tokio kommen? Eine Flugverbindung war technisch zwar möglich, und im Sommer 1942 flog ein italienisches Langstreckenflugzeug von Odessa bis nach Tokio und wieder zurück. Aber den Japanern war nicht recht, dass dabei sowjetisches Gebiet überquert wurde, denn sie hatten im April 1941 zur Absicherung des Vorstoßes nach Südostasien mit der Sowjetunion einen Neutralitätspakt geschlossen und wollten jede Provokation unbedingt vermeiden. Der Flug eines japanischen Langstreckenflugzeuges, das von Singapur aus bis nach Rhodos fliegen sollte, endete im Fiasko. Am 1. August 1943 startete die Maschine und verschwand spurlos. Die einzige stabile Verbindung zwischen Berlin und Tokio war der Funkverkehr, der aber von den Briten mitgelesen werden konnte.

Es war der Krieg im Pazifik, der die globale Dimension des Zweiten Weltkrieges unterstrich. Das politische Gefüge geriet nicht nur in Europa in Bewegung, sondern gerade auch in Asien. Der Aufstieg Chinas zur neuen kommunistischen Großmacht, die Spaltung Koreas, das Ende der europäischen Kolonialreiche, das in Asien seinen Anfang nahm, sind wichtige Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges. Vergessen werden sollten aber auch nicht die tiefgreifenden Auswirkungen auf die Menschen im pazifischen Raum. Vom Norden Chinas bis nach Ozeanien fielen Millionen Menschen den Kriegshandlungen zum Opfer. Und hier kapitulierte auch der letzte Soldat des Zweiten Weltkrieges: Am 9. März 1974 ergab sich der japanische Leutnant Onoda Hiro auf der Philippineninsel Lubang.

Sönke Neitzel ist Professor für International History an der London School of Economics and Political Science (LSE). Er studierte in Mainz Geschichte, Publizistik und Politikwissenschaft, wurde dort 1994 promoviert und 1998 habilitiert. Anschließend lehrte er an den Universitäten Mainz, Karlsruhe, Bern und Saarbrücken, bevor er 2011 auf den Lehrstuhl für Modern History an der University of Glasgow berufen wurde. Seit September 2012 lehrt und forscht er an der LSE.
Einem breiteren Publikum wurde er durch sein Buch "Abgehört. Deutsche Generäle in britischer Kriegsgefangenschaft, 1942-1945" bekannt, das 2005 erschien.
Seine Forschungsschwerpunkte sind Militärgeschichte und die Geschichte der Internationalen Beziehungen des 19. und 20. Jahrhunderts.
Kontakt: E-Mail Link: s.neitzel@lse.ac.uk