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Das Ende des Kaiserreichs: Weltkrieg und Revolution | Das Deutsche Kaiserreich 1871-1918 | bpb.de

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Das Ende des Kaiserreichs: Weltkrieg und Revolution

Prof. Dr. Benjamin Ziemann Benjamin Ziemann

/ 14 Minuten zu lesen

Der "Burgfriede", den die Reichsleitung und die im Reichstag vertretenen Parteien zu Beginn des Krieges schließen, wird schnell brüchig. Das sinnlose Massensterben und die Not der Bevölkerung münden in die Revolution und besiegeln das Ende des Kaiserreichs.

Der Simplicissimus vom 25. August 1914 symbolisiert den "Burgfrieden" zwischen Reichsleitung und Sozialdemokratie durch Bismarck und Bebel. (© bpk/Thomas Heine)

1914: die Inszenierung nationaler Einheit

Mit dem Beginn des Krieges im August 1914 kämpften das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn im Bund mit der Türkei gegen Großbritannien, Frankreich und Russland sowie deren Verbündete auf dem Balkan. Der Vormarsch der deutschen Truppen in Frankreich lief sich rasch fest. Im Westen kam es so ab Oktober zu einer Erstarrung der Front im Stellungskrieg, die bis Frühjahr 1918 andauerte. Im Osten dagegen blieb die Kriegführung mobil. Hier führten die deutschen Truppen im Frühjahr und Sommer 1915 Offensiven durch, die große Geländegewinne erzielten und die russischen Armeen zum Rückzug zwangen. Doch einer politischen Lösung des Konflikts kam das Deutsche Reich damit nicht näher.

Die Politik im Weltkrieg stand im Zeichen der Inszenierung nationaler Einheit. In allen kriegführenden Ländern kam es bei Kriegsbeginn zu einer zeitweiligen Aufhebung innenpolitischer Konflikte. In Frankreich wurde sie als Union Sacrée gar mit einer religiösen Aura versehen. Angesichts der Stärke der sozialistischen Arbeiterbewegung in Deutschland war hier die entscheidende Frage, ob die SPD ihre Fundamentalopposition aufgeben und die Kriegspolitik der Reichsleitung unterstützen würde. Im Reichstag erklärte Wilhelm II. am 4. August 1914, dass er "keine Parteien mehr" kenne, sondern "nur noch Deutsche". Damit erfolgte die Kriegserklärung im Zeichen des "Burgfriedens", also des Versprechens, die Ausgrenzung der bis dahin sogenannten Reichsfeinde aufzugeben. Die Reichstagsfraktion der SPD unterstützte an diesem Tag einstimmig die Kriegskredite. Sie stimmte ebenso für ein Gesetz, das dem Bundesrat für die Dauer des Krieges die Ermächtigung zum Erlass wirtschaftlicher Notverordnungen gab und damit die Rechte des Parlaments de facto aussetzte.

Die Zustimmung der SPD zum Burgfrieden war überraschend. Immerhin hatten noch in den Tagen vor dem 31. Juli, als mit Ausrufung des Belagerungszustandes innenpolitische Rechte aufgehoben wurden und die Presse unter Vorzensur gestellt wurde, rund 750.000 SPD-Anhänger im ganzen Reich auf den Straßen gegen den Krieg demonstriert. Bereits am 2. August hatten sich allerdings die sozialdemokratischen "Freien Gewerkschaften" für eine Unterstützung der Kriegspolitik und einen Verzicht auf Streiks entschieden. Genau wie kurz darauf die Spitze der SPD rechtfertigten sich die Gewerkschaftsführer damit, dass Deutschland einen Verteidigungskrieg führe, und dass es die bis dahin erzielten Erfolge der Arbeiterbewegung gegen das diktatorische Regime des Zaren zu beschützen gelte. Damit konnte man an den tief verwurzelten Antizarismus der sozialdemokratischen Arbeiter appellieren. Das war allerdings mehr eine Schutzbehauptung als das tatsächlich handlungsleitende Motiv. Im Kern ging es der SPD-Spitze darum, nach Jahrzehnten der Ausgrenzung als "Reichsfeinde" ihre kulturell weit vorangeschrittene Integration in die Gesellschaft des Kaiserreichs nun auch in der Politik symbolisch zu beglaubigen. Damit stellten sich Parteivorstand und Reichstagsfraktion zugleich in einen Gegensatz zur Mehrheit der Mitglieder an der Parteibasis, die an der Front wie in der Heimat unmittelbar von den Entbehrungen des Krieges betroffen waren. An der Basis traten bald auch kriegskritische Stimmen hervor. Bereits 1914 zeichneten sich damit jene Konflikte ab, die bis 1917 zur Spaltung der SPD führen sollten.

Viele rasch publizierte Artikel und Pamphlete feierten die Inszenierung nationaler Einheit im Zeichen des Burgfriedens und entwickelten damit die "Ideen von 1914". Dies war die Formel für die Suche nach einer neuen politischen Ordnung, die sich auf das Gefühl nationaler Einheit bei Kriegsbeginn berief. Eines der dabei entwickelten Modelle war der "Volksstaat", eine freiheitlich-liberale Ordnung, die auf der Mitwirkung der Bürger basierte. Stärker sozial-harmonisch war die Idee einer "Volksgemeinschaft" angelegt, die abweichende Interessen durch korporative Arrangements regulierte und Konflikte neutralisierte. Das Konzept der "Volksgemeinschaft", das die Nationalsozialisten später für sich reklamierten, war so bereits ab 1914 als konservative Vision einer harmonischen Gesellschaft in Gebrauch. Sowohl im "Volksstaat" wie in der "Volksgemeinschaft" war allerdings kein Platz für den Kaiser vorgesehen. Auf der Ebene der politischen Ideen hat sich das Ende des Kaiserreichs damit bereits 1914 angekündigt. Der Kriegsbeginn 1914 stand schließlich auch im Zeichen eines religiösen Aufbruchs. Vor der Reichstagssitzung am 4. August predigte der evangelische Hofprediger Ernst Dryander. Katholische wie protestantische Geistliche rechtfertigten den Krieg aus deutscher Sicht in zahlreichen Ansprachen und Predigten. Auch der Burgfrieden hatte eine religiöse Dimension, denn der konfessionelle Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken trat im Krieg in den Hintergrund.

Staatsintervention und politische Polarisierung

Bereits unmittelbar nach Kriegsbeginn wurde die Steuerung der Kriegswirtschaft zu einem zentralen Problem, das staatliches Handeln erforderte. In den ersten Tagen nach der Mobilmachung war durch zahlreiche Fabrikschließungen die Arbeitslosigkeit stark gestiegen. Bald darauf entwickelte sich aber der Mangel an Arbeitskräften zum entscheidenden Nadelöhr der Kriegswirtschaft, da sowohl die Armee als auch die Industrie auf "kriegsverwendungsfähige" Männer im Alter von 18 bis 45 Jahren angewiesen waren. Noch im August 1914 kam es zur Gründung der Kriegsrohstoffabteilung (KRA) im preußischen Kriegsministerium. In ihr arbeiteten Angestellte aus der Industrie an der Beschaffung von Rohstoffen für den Nachschub des Heeres. Die Alliierten verhängten im August 1914 eine See­blockade. Sie schnitten Deutschland dadurch von allen Importen ab, die vor 1914 etwas mehr als 40 Prozent des Rohstoffbedarfs gedeckt hatten. Die KRA schuf bald weitere Kriegsrohstoffgesellschaften, insgesamt 200 an der Zahl. Als private Aktienge­sellschaften unter staatlicher Aufsicht regulierten sie die Be­wirtschaftung aller kriegswichtigen Rohstoffe. Damit entwickelte sich ein System der korporatistischen, Staat und Privatwirtschaft verschmelzenden Lenkung der Kriegswirtschaft.

Im August 1916 wurde nach vielen Intrigen General Erich von Falkenhayn als Chef der Obersten Heeresleitung (OHL) abgesetzt. Ihn ersetzte die dritte OHL unter Erich Ludendorff und Paul von Hindenburg. In diesem Gespann war Ludendorff die treibende Kraft einer umfassenden Mobilisierung von Wirtschaft und Gesellschaft für den Krieg. Nach 1918 prägte Ludendorff dafür die Formel vom "totalen Krieg". Bereits kurz nach ihrem Amtsantritt legte die dritte OHL ihr sogenanntes Hindenburg-Programm vor, das bis 1917 eine Verdoppelung der Rüstungsproduktion erreichen sollte. Dieses ehrgeizige, letztlich weit überzogene Ziel sollte unter anderem durch eine Ausdehnung der Wehrpflicht bis zum 50. Lebensjahr und durch die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht für Frauen erreicht werden.

Angesichts des inzwischen gewachsenen kriegskritischen Potenzials in der Arbeiterschaft war für seine Durchsetzung allerdings die Zustimmung von SPD und Gewerkschaften nötig. General Wilhelm Groener, Chef des neugeschaffenen Kriegs­amtes zur Kontrolle der Kriegswirtschaft, legte dafür den Entwurf eines Gesetzes über den "Vaterländischen Hilfsdienst" vor. Die im Dezember 1916 schließlich verabschiedete Fassung unterschied sich allerdings erheblich von seinem Entwurf. Eine informelle Koalition aus SPD, Zentrum und den Linksliberalen der FVP setzte zahlreiche arbeiterfreundliche Änderungen durch. Zu ihnen gehörte die Einführung von Arbeiterausschüssen und einer Schlichtung in jenen Fällen, in denen ein Arbeitgeber dem Arbeitsplatzwechsel nicht zustimmen wollte. Zudem musste die Schwerindustrie des Ruhrgebietes nun erstmals Gewerkschaften als Vertretung der Arbeiter in Tariffragen anerkennen.

Das Hilfsdienstgesetz war kein direkter "Triumph der Arbeiterschaft" (Gerald D. Feldman). Aber es markierte eine entscheidende Weichenstellung hin zu einer schrittweisen Aufwertung des Reichstages – und damit vor allem der SPD. Der Preis dafür war allerdings, dass der Mehrheitsflügel der SPD fortan als informeller Partner von Industrie und Reichsleitung bei der Beruhigung sozialer Konflikte in den Betrieben und an der Heimatfront fungierte. Gerade in der hochgradig polarisierten innenpolitischen Situation der Jahre ab 1916 war dies problematisch. Der 1914 proklamierte "Burgfrieden" war von Beginn an löcherig gewesen. Bereits im Herbst 1914 hatten Wirtschaftsverbände und der radikalnationalistische Alldeutsche Verband Denkschriften verfasst, die weitreichende territoriale und ökonomische Kriegsziele im Westen und Osten proklamierten. Doch die Diskussion dieser Kriegszielforderungen vollzog sich bis 1916 unter Ausschluss der Öffentlichkeit in Berliner Regierungszirkeln.

Die Freigabe der öffentlichen Kriegszieldiskussion am 15. November 1916 trug dann zu einer weiteren Radikalisierung im Lager der Rechten bei. Diese hatte sich im selben Jahr bereits in einer Zunahme antisemitischer Agitation abgezeichnet, an der sich sowohl antisemitische Vereinigungen wie der Reichshammerbund als auch zahlreiche Individuen beteiligten. Der preußische Kriegsminister Adolf Wild von Hohenborn (1860–1925) öffnete der Judenhetze dann Tür und Tor, als er am 11. Oktober eine "Judenzählung" in der gesamten Armee anordnete. Er berief sich dabei auf Eingaben und anonyme Denunziationen, nach denen jüdische Männer sich angeblich der Wehrpflicht entzogen. Diese Behauptung war falsch und diffamierend. Wilds Nachfolger, Hermann von Stein (1854–1927), erklärte die Zählung im Januar 1917 deshalb für bedeutungslos, ohne allerdings eine Entschuldigung abzugeben. Aber der Verweis auf angebliche jüdische "Drückeberger" war fortan, zusammen mit Klagen über die angebliche Bereicherung jüdischer Kaufleute und Händler in der Kriegswirtschaft, eine zentrale rhetorische Figur organisierter antisemitischer Agitation durch diverse radikalnationalistische Verbände.

Die Formierung eines rechtsradikalen Lagers verdichtete sich im September 1917 mit der Gründung der Deutschen Vaterlands­partei. Die Initiative dazu ging von führenden Mitgliedern des Alldeutschen Verbandes und der Konservativen aus. Im Kern wandte sich die Vaterlandspartei gegen eine weitere Demokratisierung des Reiches, sie sprach sich für die Zurückdrängung kriegskritischer Strömungen aus sowie dafür, einen "Siegfrieden" nur auf der Grundlage weitreichender deutscher Annexionen abzuschließen. Daneben verfolgte die neue Partei das Ziel, eine nationalistische Massenpartei unter Einschluss der Industriearbeiter aufzubauen und damit die traditionelle soziale Begrenzung der Konservativen auf die Mittel- und Oberschichten aufzuheben. Darin war die Partei aber nur teilweise erfolgreich. Bis Februar 1918 mobilisierte man zwar 300.000, bis September 1918 gar 800.000 Mitglieder. Nur die Hälfte von ihnen war allerdings individuell beigetreten. Die anderen waren der Partei durch ihre Mitgliedschaft in nationalen Agitationsverbänden wie dem Ostmarkenverein korporativ angeschlossen. Die soziale Basis der Vaterlandspartei blieb auf die protestantischen Mittelschichten begrenzt, wobei auffallend viele Frauen in den Versammlungen aktiv waren.

Ein wichtiger Anlass für die Gründung der Vaterlandspartei war die Friedensresolution des Reichstages vom 19. Juli 1917. Eine Mehrheit aus den Abgeordneten von SPD, Zentrum und FVP forderte darin einen "Frieden der Verständigung", der mit Annexionen unvereinbar sei. Das war ein wichtiges Signal dafür, dass sich der Reichstag nun aktiv in die Auseinandersetzung um die deutsche Kriegspolitik einmischte, die bis dahin fest in der Hand der OHL gelegen hatte. Am 1. Februar 1917 nahm das Deutsche Reich den uneingeschränkten – das heißt ohne Vorwarnung der Handelsschiffe erfolgenden – U-Boot-Krieg wieder auf. Die OHL hatte sich damit gegen den zunehmend isolierten Reichskanzler Bethmann Hollweg durchgesetzt. Doch mit diesem Schritt war zugleich die Aussicht auf eine diplomatische Beendigung des Krieges endgültig verbaut. Denn nur zwei Tage später brachen die USA die diplomatischen Beziehungen mit Deutschland ab, und am 6. April erklärten sie dem Deutschen Reich den Krieg. Seit dem Sommer 1917 stationierten die USA Truppen in Frankreich. Etwa 500.000 US-Soldaten kämpften im Sommer und Herbst 1918 an der Westfront gegen die deutschen Truppen und machten deren Niederlage damit praktisch unvermeidlich.

Die parlamentarische Mehrheit für die Friedensresolution hatte sich seit dem 6. Juli 1917 angebahnt. Der bis dahin annexionistisch eingestellte Zentrumsabgeordnete Matthias Erzberger (1875–1921) konnte sich nun im Hauptausschuss des Reichstages zu einer realistischen Beurteilung der Kriegslage durchringen. Dies führte zur Bildung des Interfraktionellen Ausschusses, in dem SPD, Zentrum und FVP ihre parlamentarische Politik koordinierten. Eine erhebliche Schwäche dieser informellen Koalition bestand allerdings darin, dass sie keine volle Parlamentarisierung des Reiches forderte. Sie mischte sich auch nicht in die Suche nach einem Nachfolger für Bethmann Hollweg ein, der auf Druck der OHL bereits am 13. Juli 1917 als Reichskanzler zurücktrat.

QuellentextDer innenpolitische Streit um die Kriegsziele 1917

Im Sommer und Herbst 1917 verschärfte sich der Konflikt um die Kriegsziele. Die einen forderten einen "Scheidemannfrieden" ohne Annexionen und Kontributionen für die Gegner Deutschlands, die anderen einen "Hindenburgfrieden", der Deutschland weitreichende Gebiete im Westen (Belgien) und im Osten sichern sollte. Auch die Presse griff in den Streit ein. Nachdem das Zen­trumsblatt "Kölnische Volkszeitung" Unterschriften für einen Siegfrieden gesammelt hatte, rief die sozialdemokratische Tageszeitung "Münchener Post" zu Unterschriften für einen "sofortigen Frieden" auf. Dabei erhielt sie besonders viele Zuschriften von der Front. Eine Aktennotiz des Pressereferenten im bayerischen Kriegsministerium vom 15. Juni 1917 hielt fest:

"Die Schriftleitung der ‚Münchener Post‘ stellt dem K. M. [Kriegsministerium] wahllos herausgegriffene Stichproben aus den bei ihr eingegangenen Zuschriften zur freien Verfügung. Die Zahl dieser Briefe, die so massenhaft einliefen, daß sie gar nicht mehr buchmäßig behandelt werden konnten, beläuft sich schon jetzt auf mehrere Tausend. Die einzelnen Briefe enthielten oft Bogen mit 200 Unterschriften. Kein einziger Brief ergehe sich in Drohungen bezüglich Lockerung der Disziplin oder Verweigerung der Pflichterfüllung. Auffallend sei es, daß die Landbevölkerung bei den Unterschriften ganz besonders stark vertreten sei. Die Briefe dürften Zeugnis geben von den in größeren Teilen des Feldheeres herrschenden Anschauungen."

Aus den der Aktennotiz beigefügten Briefauszügen:

"Man ist gegenseitig bestrebt, einen völligen Vernichtungskrieg fortzusetzen, bis alles dem Siechtum verfällt. Es ist völlig ausgeschlossen, daß der Sieger sich finanziell bei dem oder den Besiegten sichern kann. Es werden Ausgaben vorhanden sein, die heute noch unübersehbar sind. Was wird es kosten, wenn man nur der Krüppel und Hinterbliebenen sich einigermaßen annimmt! [...] Daß wir die Besiegten sind, will und wird uns kein Feind einreden. Schon ein Blick auf die Karte zeigt, daß wir die günstigsten Chancen in der Hand haben. Man sieht aber auch, daß gewisse Industrielle riesige Kapitalien durch den Krieg angehäuft haben, daß Wucher und Auspowerung der arbeitenden Klassen in allen Ländern in vollster Blüte stehen, während andere an körperlicher Schwäche zu Grunde gehen und die junge Generation durch fortwährende Unterernährung an Kraft soviel verliert, daß sie sich nicht mehr erholen kann. Gegen das Geschrei gewisser besoldeter Schreier des Großkapitalismus, daß Deutschland ohne Entschädigung zu Grunde ginge, müssen ‚russische Mittel‘ angewandt werden."

"Hoffentlich wird dem rheinischen Zentrumsblatt gründlich der Mund gestopft. Ich bin auch Rheinländer und einstmals Verehrer dieses Blattes. Aber die schwarze Presse und Partei hat den Arbeiter und Mittelstand in der Not schmählich verlassen. Ich bin seit Kriegsbeginn an der Front, soweit ich die Stimmung der Soldaten kenne, wünscht kein Soldat den Frieden der Köln. Volksztg., sondern den der Münchener Post."
"Enttäuscht von der Haltung eines großen Teils der ‚bürgerlichen Presse‘, wenden weite Volkskreise ihre letzte Hoffnung der Sozialdemokratie zu."
"Kann auch versichern, daß wenn eine allgemeine Abstimmung im Felde zugelassen würde, daß sich dann 99 Prozent der Feldgrauen für einen sofortigen dauerhaften Frieden im Sinne Scheidemanns aussprechen würden."

"Wir haben im Bereiche unserer Kompagnie für den Frieden ohne Annexionen 32 Unterschriften erhalten. In Folge einer Anzeige beim Kompagnieführer wurde erfolglos ein großes Verhör veranstaltet, Ansprachen folgten, in denen das Unterschriftensammeln als strafbar bezeichnet wurde. Uns verbietet man, im Interesse der Menschlichkeit, unsere Kameraden aufklären zu wollen! Haben wir nicht mehr verdient in diesen drei Jahren als eine solch' ungerechte Behandlung?"

"Ich liege gegenwärtig mit einem größeren Beobachtungskommando bei [...], als ich meine Kameraden die M. P. lesen ließ, stimmten die ohne Ausnahme für den Frieden ohne Annexionen."
"Noch wenige Monate liegen vor uns und wir haben das dritte Jahr dieses schrecklichen Menschenmordens hinter uns. Und noch scheint man verschiedentlich zu zögern, den wahren Willen aller Völker zu erfüllen, den Willen und das Verlangen nach einem sofortigen Frieden, nach einem Frieden, der keine Nation erniedrigt. Wohl der größte Prozentsatz des deutschen Volkes ist sich bewußt, daß es keiner Macht mehr gelingt, ohne den letzten Rest der Kraft des Volkes einer wahnwitzigen Eroberungspolitik zu opfern, als Sieger aus dem Kampf hervorzugehen. Auch der Sieger wäre der Besiegte. Mit den Unsern in der Heimat sind wir heraußen alle in der Erzielung eines sofortigen Friedens einig."

"Wir bedauern nur, daß die M. Post nicht eine so große Masse von Zetteln unter die Frontsoldaten bringen kann, daß eine Befragung aller möglich wäre. Wir kennen in unserem Bataillon keinen Soldaten, der nicht zustimmen würde. Wir wünschen recht lebhaft, daß die weitesten Kreise von der Stimmung der Soldaten an der Front unterrichtet werden, der tiefempfundene Wunsch nach dem Weltfrieden wird auch von jenen ausgesprochen, die vor nicht langer Zeit zu den Gegnern der Sozialdemokratie gehörten. Die Sehnsucht nach dem Frieden hat alle erfaßt ohne Unterschied der Berufsstellung. Nur Berufsmilitärs können sich für einen sog. ‚Hindenburgfrieden‘ begeistern."

Bernd Ulrich / Benjamin Ziemann (Hg.), Frontalltag im Ersten Weltkrieg. Ein Historisches Lesebuch, Klartext-Verlagsgesellschaft, Essen 2008, S. 118 f.

Revolte und Revolution: Massenbewegungen 1917-1918

Durch seine lange Dauer führte der Krieg zu einer Zuspitzung und Verschärfung der sozialen Ungleichheit in der deutschen Gesellschaft. Deren klassengesellschaftliche Dimension trat immer deutlicher hervor, ohne dass alle Klassen und Sozialgruppen davon jeweils einheitlich betroffen waren. Auf der einen Seite standen die wachsenden Kriegsgewinne indus­trieller Unternehmer, vor allem jener, die Waffen und Ausrüstungsgegenstände für das Militär herstellten. Bei der Firma Krupp etwa stiegen die jährlichen Gewinne von 1913 bis 1917 um mehr als das Doppelte. Mit der zunehmenden Knappheit an Nahrungsmitteln nahm die Bedeutung des Tauschs auf dem Schwarzmarkt zu. Ab 1916 wurde etwa ein Drittel aller Nahrungsmittel hier gekauft. Schleichhändler, die städtischen Konsumenten Lebensmittel zu überhöhten Preisen verkauften, wurden zum Symbol wachsender sozialer Ungleichheit. Besitzende Bauern profitierten davon, dass sie als Selbstversorger hinreichenden Zugang zu Nahrungsmitteln hatten und die im Krieg ansteigende Inflation zur Entschuldung ihrer Anwesen nutzen konnten. Aber nicht alle Angehörigen des Bürgertums profitierten vom Krieg. Die Realeinkommen der Beamten etwa sanken, die der höheren Besoldungsstufen real bis 1918 um nicht weniger als 53 Prozent.

Uneinheitlich ist das Bild auch bei den unteren Sozialschichten. Auf der einen Seite verschärfte der Krieg die Arbeits- und Lebensbedingungen der Industriearbeiter. Die Arbeitszeit nahm zu, und gerade in der Munitionsproduktion kam es zu vielen Arbeitsunfällen und gesundheitlichen Schädigungen. Auf der anderen Seite stiegen die Löhne nominell (d. h. nicht um die Inflation bereinigt) bis 1918 um mehr als das Doppelte. Die vermehrte Verfügung über Geldeinkommen vor allem durch jugendliche Arbeiter wurde als ein moralisches Krisensymptom der Kriegsgesellschaft aufmerksam registriert. Behörden und bürgerliche Sozialreformer wollten darauf mit einem "Sparzwang" reagieren. Angesichts des begrenzten Zugangs zu Nahrungsmitteln sanken die Reallöhne der Arbeiterschaft jedoch insgesamt leicht ab.

Während es so zu einer Zunahme der Unterschiede und auch der Spannungen zwischen den sozialen Klassen kam, trat ab 1916 noch ein anderer Konflikt in der Kriegsgesellschaft hervor: der Gegensatz zwischen Stadt und Land, städtischen Konsumenten und bäuerlichen Produzenten von Nahrungsmitteln. Die durch die alliierte Blockade sinkende Zufuhr von Kunstdünger, der Arbeitskräftemangel und die Requirierung von Pferden führten rasch zu einem massiven Rückgang der Agrarproduktion in allen Bereichen. Die Produktion von Weizen etwa sank bis 1918, verglichen mit dem letzten Vorkriegsjahr 1913, auf die Hälfte.

Hinzu kam eine verfehlte staatliche Agrarpolitik, die durch die Deckelung der bäuerlichen Verkaufspreise und Ablieferungsquoten verfehlte Anreize setzte und die Bauern so zum Verkauf auf dem Schwarzmarkt motivierte. Die 1916 einsetzende Mangel­ernährung weiter Bevölkerungskreise in den Städten war die Folge. Dabei sank nicht nur die Menge, sondern auch die Qualität der verfügbaren Nahrungsmittel, vor allem der sogenannten Ersatz-Lebensmittel. In der städtischen Arbeiterschaft wuchs der Unmut über die Bauern, die angeblich Nahrungsmittel in ihren Scheunen horteten. Diese dagegen empörten sich über die rapide wachsende Zahl von Felddiebstählen und Hamsterern.

Die zunehmende Verschärfung der sozialen Ungleichheit war neben der Dauer des Krieges der wichtigste Faktor für den tiefgreifenden Verlust an Legitimität, den der wilhelminische Staat bis 1918 erlebte. Der Legitimitätsverfall des Staates höhlte zugleich den "Burgfrieden" aus und schuf damit die Voraussetzungen für eine revolutionäre Situation, wie sie sich seit Anfang 1918 entwickelte. Das wachsende Protestpotenzial zeigte sich zuerst an einem Konflikt über Lebensmittel. Im Oktober 1915 kam es im Berliner Arbeiterviertel Lichtenberg erstmals zu Lebensmittelkrawallen. Über mehrere Tage hinweg protestierten Arbeiterfrauen lautstark über den Mangel an Butter und das aggressive Verhalten der Kaufleute. Weitere Proteste dieser Art in Hamburg, Chemnitz und Nürnberg folgten im selben Jahr. Dabei wurden Schaufenster zerstört, und vor den Rathäusern versammelte Menschenmengen forderten "Frieden und Brot". Der Legitimitätsverlust des Staates entfaltete sich 1915/16 auch unter den Soldaten an der Front. Für diese schien es zunehmend offensichtlich, dass der Krieg nicht der Verteidigung Deutschlands diente, wie es die offizielle Rhetorik behauptete. Zudem schürten Konflikte zwischen Offizieren und Mannschaften die Wahrnehmung klassengesellschaftlicher Ungleichheit auch an der Front. Eine wachsende Zahl von Frontsoldaten öffnete sich sozialdemokratischen Vorstellungen von einem vor allem im Interesse des Großkapitals geführten Krieg.

Die Politik des Burgfriedens hatte zunächst kriegskritische Verlautbarungen und Maßnahmen der SPD verhindert. Doch das führte die Partei vor eine Zerreißprobe. Schon im Dezember 1915 stimmten 18 Reichstagsabgeordnete der SPD um deren Vorsitzenden Hugo Haase gegen weitere Kriegskredite. Karl Liebknecht, Führer der radikalen Linken, hatte dies bereits im März 1915 getan. Nach ihrem Ausschluss aus der Fraktion im März 1916 gründeten die 18 Abgeordneten die "Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft". Sie entwickelte sich rasch zum Zentrum einer systematischen Kritik an der Burgfriedenspolitik der Parteimehrheit, die 1917 zur offenen Spaltung der Partei führte.

Die im April 1917 gegründete Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD) vereinte traditionelle Vertreter der Parteilinken mit eigentlich der Parteimitte angehörenden, "zentristischen" Kritikern des Burgfriedens. Vor allem in den industriellen Zentren des Reiches mit vielen jugendlichen Arbeitern wie Berlin, Nürnberg, München oder Braunschweig entwickelte sich die USPD rasch zur Massenpartei. Die mangelnde Reformbereitschaft der Reichsleitung verschärfte das Protestpotenzial. Zwar hatte Kaiser Wilhelm II. in seiner Osterbotschaft im April 1917 eine Reform des preußischen Dreiklassenwahlrechts in Aussicht gestellt. Doch das blieb leere Hinhalterhetorik, die zum Legitimitätsverlust des Staates unter der Masse der Bevölkerung den der Monarchie hinzufügte.

Bereits im April 1917 kam es in Berlin, Leipzig und einigen anderen Städten zu Massenstreiks der Industriearbeiter. Der Januarstreik 1918 war dann bereits eine Generalprobe für die Revolution. An ihm beteiligten sich rund eine Million Arbeiter, allein in Berlin etwa 400.000. Neben einem sofortigen Friedensschluss ohne Annexionen forderten sie eine umfassende Demokratisierung, die Parlamentarisierung des Reiches und die Aufhebung des Belagerungszustandes. Nur durch das beschwichtigende Eingreifen von Führern der Mehrheits-SPD, durch Verhaftungen und die Einberufung von Streikführern zum Militär konnte der Staat die Streikwelle niederschlagen. Der Beginn der deutschen Frühjahrsoffensive an der Westfront am 21. März 1918, die rasch erhebliche Geländegewinne mit sich brachte, ließ das Protestpotenzial kurzfristig abflauen. In Erwartung einer siegreichen Offensive lehnten viele Soldaten an der Front den Januarstreik ab. Doch das rasche Festlaufen der Offensive führte bald zu einem dauerhaften Stimmungsumschwung, den der Beginn der alliierten Gegenoffensive ab Juli noch verstärkte.

Seit August setzte ein "verdeckter Militärstreik" (Wilhelm ­Deist) der Frontsoldaten im Westen ein. Zu Hunderttausenden entfernten sie sich von der Truppe und bahnten sich auf eigene Faust einen Weg Richtung Heimat durch das belgische Etappengebiet. Dem Militär als dem Garanten des wilhelminischen Herrschaftssystems war damit bereits der Boden entzogen, noch bevor die Meuterei der Kieler Matrosen am 29. und 30. Oktober das Signal zur Revolution gab. Die Seekriegsleitung hatte den Befehl zum Auslaufen der Flotte gegeben, den die Matrosen als Selbstmordkommando interpretierten. Durch die Bildung von Soldatenräten organisatorisch unterstützt, griff ihre Meuterei rasch auf andere Seekriegshäfen über. Entlang der Bahnlinien breitete sich die Revolution dann rasch auf die Garnisonen des Heimat­heeres aus. Unabhängig davon hatte der bayerische USPD-Führer Kurt Eisner in München bereits am 8. November die Republik ausgerufen und damit die Monarchie der Wittelsbacher gestürzt.

Die Oberste Heeresleitung weigerte sich bis zum September 1918, die durch das Scheitern der Märzoffensive und die alliierten Erfolge geschaffene Kriegslage anzuerkennen. Dann jedoch forderte sie von den zivilen Instanzen am 29. September die Einleitung von Waffenstillstandsverhandlungen. In einem Notenwechsel mit dem US-Präsidenten Woodrow Wilson verhandelte die Reichsleitung die Bedingungen für einen Waffenstillstand. Bald forderte Wilson darin auch eine fundamentale Reform des politischen Systems in Deutschland. Neben den Mehrheitsparteien des Interfraktionellen Ausschusses befürwortete nun auch die OHL eine Parlamentarisierung des Reiches. Sie hoffte, damit die Verantwortung für die Niederlage auf die zivilen Politiker abwälzen zu können. Am 26. Oktober verabschiedete der Reichstag die sogenannten Oktoberreformen, mit denen das Reich den Übergang zu einer parlamentarischen Monarchie vollzog: Der Kanzler war nunmehr allein vom Vertrauen des Reichstages abhängig, und der Dualismus von Bundesrat und Reichstag wurde zugunsten des letzteren aufgehoben.

Doch diese Parlamentarisierung in letzter Minute konnte die Schubkraft der Ende Oktober anhebenden revolutionären Massenbewegung nicht mehr bremsen. Nach Kiel und München wurde Berlin zum dritten zentralen Schauplatz der Revolution. Der linke Flügel der USPD und die zahlenmäßig kleine "Spartakusgruppe" um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht mobilisierten hier Anfang November zahlreiche Arbeiter zu einem revolutionären Massenstreik. Die Berater des Kaisers im Großen Hauptquartier und die OHL gelangten nun rasch zur Einsicht, dass eine Verwendung des Militärs zur Niederschlagung der Revolution unmöglich sei. Der letzte Reichskanzler, Prinz Max von Baden, erklärte am 9. November öffentlich die Abdankung des Kaisers. Zugleich übertrug er das Amt des Reichskanzlers an den Führer der Mehrheitssozialdemokraten, Friedrich Ebert. Am Mittag desselben Tages rief dessen Parteigenosse Philipp Scheidemann vom Balkon des Reichstages die "deutsche Republik" aus.

Die Revolution hatte das monarchische System des Kaiserreichs beiseite gefegt. Als revolutionäre Übergangsregierung bildete sich der Rat der Volksbeauftragten, der aus je drei Vertretern von MSPD und USPD bestand. Die Volksbeauftragten proklamierten umgehend Wahlen zu einer Verfassunggebenden Nationalversammlung. Während die revolutionären Auseinandersetzungen und Kämpfe in verschiedenen Teilen Deutschlands weiter andauerten, war damit der erste Schritt zu einer parlamentarischen Republik getan.

Prof. Dr. Benjamin Ziemann lehrt als Professor für neuere deutsche Geschichte an der University of Sheffield in Großbritannien. Er war Gastwissenschaftler an der University of York, der Humboldt Universität zu Berlin sowie an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Seine Hauptarbeitsgebiete sind die deutsche Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert – vor allem das Kaiserreich und die Weimarer Republik –, die Militär- und Gewaltgeschichte der beiden Weltkriege sowie die Historische Friedensforschung. Er ist Mitglied der Redaktion des Archivs für Sozialgeschichte. Zurzeit arbeitet er an einer Biografie von Martin Niemöller.

Jüngste Buchveröffentlichungen

Veteranen der Republik. Kriegserinnerung und demokratische Politik 1918–1933, Bonn 2014;

Encounters with Modernity. The Catholic Church in West Germany, 1945–1975, New York/Oxford 2014;

Gewalt im Ersten Weltkrieg. Töten – Überleben – Verweigern, Essen 2013;

Sozialgeschichte der Religion. Von der Reformation bis zur Gegenwart, Frankfurt/M./New York 2009;

mit Bernd Ulrich (Hg.), Frontalltag im Ersten Weltkrieg. Ein Historisches Lesebuch, Essen 2008;

mit Thomas Mergel (Hg.), European Political History 1870–1913, Alders­hot 2007.