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Die Wahrnehmung des Widerstands nach 1945

Prof. Dr. Johannes Tuchel Julia Albert

/ 13 Minuten zu lesen

Die Breite und Vielfalt des Widerstands gegen den Nationalsozialismus in der Erinnerungskultur zu verankern, war ein mühsames Unterfangen. Mit der Erinnerung an den Widerstand sollten auch politische Ziele begründet werden. Die Erinnerungskultur ist daher nicht zu trennen von der Geschichte der beiden deutschen Staaten zwischen 1949 und 1989 und dem damit verbundenen Systemgegensatz zwischen Ost und West.

Die Breite und Vielfalt des Widerstands gegen den Nationalsozialismus in der Erinnerungskultur zu verankern, war ein mühsames Unterfangen. Vieles wurde dabei ignoriert, verdrängt, vergessen. Mit der Erinnerung an den Widerstand sollten in den beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften auch politische Ziele begründet werden. Die Erinnerungskultur ist daher nicht zu trennen von der Geschichte der beiden deutschen Staaten zwischen 1949 und 1989 und dem damit verbundenen Systemgegensatz zwischen Ost und West. Erst seit 1989/1990 hat sich ein vielfältiges, Entwicklungslinien, Brü- che und Widersprüche akzeptierendes Bild vom Widerstand gegen den Nationalsozialismus durchsetzen können.

Öffentlichkeit und politische Würdigungen

Die Wege zur Anerkennung des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus in Nachkriegsdeutschland waren lang; längst nicht alle Formen und Aktionen des Widerstandes wurden akzeptiert, viele von ihnen waren lange Zeit heftig umstritten oder blieben gar vollkommen unbekannt.

Grundsätzlich wurde der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in den westlichen Besatzungszonen in der unmittelbaren Nachkriegszeit in einer noch direkt vom NS-Regime geprägten Gesellschaft mit nur wenigen Ausnahmen negativ bewertet. Es war der üble Beigeschmack des Verrats, der den Handlungen der Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer lange Zeit anhaftete. Hierunter hatten nicht nur die unmittelbar Beteiligten selbst zu leiden, sondern auch die Familienangehörigen der Menschen, die von der nationalsozialistischen Unrechtsjustiz ermordet worden waren.

In den ersten Jahren nach 1945 fanden kaum öffentliche Gedenkfeiern statt, und in den Medien gab es nur wenige zaghafte Schilderungen. Lediglich die Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer selbst oder ihre Angehörigen versuchten, die Erinnerung an die Toten aufrechtzuerhalten. Viele von ihnen wurden auch nach der Befreiung vom Nationalsozialismus als "Verräter" angesehen und offen als solche bezeichnet. Daran änderte auch eine "Ehrenerklärung" der Bundesregierung nichts, die Jakob Kaiser, Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, im Oktober 1951 abgab, und die sich explizit gegen derartige Verratsvorwürfe richtete.

1952 legte Luise Olbricht, Witwe des am 20. Juli 1944 erschossenen Generals Friedrich Olbricht, den Grundstein für das Ehrenmal zur Erinnerung an die Opfer des Umsturzversuches im Berliner Bendlerblock. Es ist bezeichnend, dass die Anregung dafür von den Hinterbliebenen und nicht von staatlicher Seite kam. Seither finden jährlich am 20. Juli dort Gedenkfeiern statt; erst in den 1980er-Jahren jedoch sollte der 20. Juli zu einem Gedenktag für die gesamte Breite und Vielfalt der Regimegegnerschaft werden.

Die Würdigung und nachträgliche Legitimierung des Umsturzversuches vom 20. Juli 1944 durch Angehörige der politischen Eliten der Bundesrepublik Deutschland ist ohne die Einbeziehung des Volksaufstands in der DDR am 17. Juni 1953 nicht denkbar. Typisch ist dafür die Rede des Berliner Regierenden Bürgermeisters Ernst Reuter vom 19. Juli 1953: "Der Bogen vom 20. Juli 1944 spannt sich heute, ob wir wollen oder nicht, zu dem großen Tage des 17. Juni 1953, zu jenem Tag, an dem sich ein gepeinigtes und gemartertes Volk in Aufruhr gegen seine Unterdrücker und gegen seine Bedränger erhob und der Welt den festen Willen zeigte, dass wir Deutschen frei sein und als ein freies Volk unser Haupt zum Himmel erheben wollen. Wir wissen, dass dieser 17. Juni wie einst der 20. Juli nur ein Anfang war. Aber ich glaube, es ist gut, es ist richtig, wenn wir auch an diesem Tage den Bogen vom 20. Juli zu den Ereignissen schlagen, die uns heute innerlich bewegen."

Bundespräsident Theodor Heuss und Bundeskanzler Konrad Adenauer während der Gedenkfeier der Bundesregierung zum 10. Jahrestag des 20. Juli 1944 im Ehrenhof des Bendlerblocks in der Berliner Bendlerstraße am 20. Juli 1954. Ein Jahr später wurde die Bendlerstraße in Stauffenbergstraße umbenannt. (© GDW)

Bundespräsident Theodor Heuss, der sich noch 1950 der Bitte versagt hatte, im Rundfunk Worte der Würdigung und des Gedenkens an den 20. Juli 1944 zu sprechen, wies in einem 1952 veröffentlichten Schreiben an Annedore Leber, die Frau des ermordeten Widerstandskämpfers Julius Leber, alle Verratsvorwürfe deutlich zurück und äußerte sich 1954 klar und eindeutig zum Erbe des Widerstands: "Die Scham, in die Hitler uns Deutsche gezwungen hatte, wurde durch ihr Blut vom besudelten deutschen Namen wieder weggewischt. Das Vermächtnis ist noch in Wirksamkeit, die Verpflichtung ist noch nicht eingelöst."

In der westdeutschen Bevölkerung allerdings war der Widerstand gegen den Nationalsozialismus überwiegend noch nicht akzeptiert. So beurteilten 1951 nur 43 Prozent der Männer und 38 Prozent der Frauen die "Männer vom 20. Juli" positiv. Im Sommer 1956 lehnte es eine überwiegende Mehrheit der Bevölkerung (54 Prozent der Männer und 44 Prozent der Frauen) ab, eine Schule nach dem Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg oder nach dem zivilen Kopf des Umsturzversuches vom 20. Juli 1944, Carl Friedrich Goerdeler, zu benennen. Nur 18 Prozent der Befragten sprachen sich dafür aus.

Der Anteil der positiven Beurteilung des 20. Juli 1944 sollte sich auch in den folgenden Jahrzehnten nur unwesentlich ändern. Eine Umfrage vom Frühjahr 1970 machte deutlich, dass 39 Prozent die "Männer vom 20. Juli" positiv beurteilten (gegenüber 40 Prozent im Jahr 1951) und nur noch 7 Prozent sie ablehnten (gegenüber 30 Prozent im Jahr 1951). Stark angestiegen war der Kreis derer, die nichts über die Ereignisse des 20. Juli 1944 wussten (37 Prozent gegenüber 11 Prozent im Jahr 1951). 1985 veränderte das Institut für Demoskopie Allensbach zwar seine Bewertungsmethode, bezog aber in seine Ergebnisse nur noch diejenigen ein, die über die Ereignisse des 20. Juli 1944 "richtige oder ungefähr richtige Angaben" machen konnten. Gegenüber 1971 war die Bewertung fast unverändert, lediglich die negativen Bewertungen gingen geringfügig zurück. Erst im Jahr 2004 gab es in einer repräsentativen Befragung der deutschen Bevölkerung erstmals eine überwiegend positive Beurteilung des 20. Juli 1944.

1958 resümierte der Publizist und NS-Widerstandskämpfer Rudolf Pechel: "Der Einfluss der Überlebenden des Widerstandes ist heute in Deutschland gering. [...] Intellektuelle Rollkommandos mit notorischen Denunzianten und Rufmördern an der Spitze können sich heute in Verunglimpfungen der Widerstandskämpfer versuchen, ohne dass ihnen etwas geschieht."

Immer wieder kam es auch in den 1960er- und 1970er-Jahren zu politischen Auseinandersetzungen um den Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Bundespräsident Heinrich Lübke sprach sich bereits 1964 dafür aus, kommunistischen Regimegegnern eigenständige idealistische Handlungsmotive zuzugestehen und sie nicht als Handlanger Moskaus zu verstehen. Der sozialdemokratische Kanzlerkandidat Willy Brandt, der in der NS-Zeit ins Ausland geflüchtet war, wurde lange Zeit systematisch als "Emigrant" diffamiert. Bundespräsident Gustav Heinemann würdigte 1969 den Hamburger Kommunisten Fiete Schulze und stieß dabei auf scharfe Kritik. Eine rechtsradikale Zeitung titelte: "Heinemanns verbrecherische Vorbilder – Von Graf Stauffenberg zu Fiete Schulze gibt es keine Brücke". 1974 kam es zu einem Eklat, als ausgerechnet der ehemalige Marinestabsrichter Hans Karl Filbinger bei der Gedenkfeier im Reichstag sprach. Angehörige von Widerstandskämpfern verließen demonstrativ diese Feier. Filbinger war seit 1943 an mehreren kriegsgerichtlichen Todesurteilen beteiligt gewesen und rechtfertigte dies mit den Worten: "Was damals Rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein!" 1976 schließlich kam es zu heftigen Debatten, als Herbert Wehner, SPD-Fraktionschef und ehemaliger KPD-Funktionär, als Redner der jährlichen Gedenkfeier vorgesehen war. Wehner verzichtete schließlich; an seiner Stelle sprach der Berliner Regierende Bürgermeister Dietrich Stobbe. Diese Beispiele zeigen, dass von einem breiten Konsens über den Widerstand zu dieser Zeit auf keinen Fall gesprochen werden kann.

In Berlin gab es seit 1953 am Ort des Umsturzversuches vom 20. Juli 1944 eine Gedenktafel und ein Mahnmal, seit 1968 eine kleine Ausstellung. 1983 erteilte der damalige Regierende Bürgermeister von Berlin den Auftrag, hier die gesamte weltanschauliche Breite und soziale Vielfalt des Widerstands gegen den Nationalsozialismus aufzuzeigen. Erneut kam es zu heftigen Diskussionen, etwa über die Darstellung des kommunistischen Widerstands, des Exils, der Roten Kapelle und des Nationalkomitees "Freies Deutschland". Kommunisten hätten – so die Kritik – lediglich versucht, eine Diktatur durch eine andere zu ersetzen. Erneut wurde ihnen eine eigenständige Handlungsmotivation abgesprochen. Diese Diskussionen flammten 1994 und 1997 erneut auf, bevor deutlich wurde, dass ein realistisches Bild vom NS-Widerstand, von seinem politischen Scheitern und seiner moralisch-ethischen Bedeutung nicht gewonnen werden kann, ohne alle Strömungen einzubeziehen, die sich der totalitären Bedrohung durch den Nationalsozialismus entgegengesetzt hatten.

Die DDR verstand sich als der aus dem antifaschistischen Widerstand geborene deutsche Staat, in dem das Vermächtnis der Widerstandskämpfer verwirklicht werden würde und berief sich vor allem auf den Widerstand aus der Arbeiterbewegung und aus der Kommunistischen Partei. Tatsächlich wurde in der DDR nur ein sehr eingeschränktes Bild vermittelt. Gab es etwa noch 1945/46 in der Sowjetisch Besetzten Zone (SBZ) positive Bewertungen des 20. Juli 1944, wurde dieser später diffamierend oft als "Generalsputsch" bezeichnet. Dies änderte sich erst Mitte der 1980er-Jahre, als im Zuge der Debatte über die Nachrüstung die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED), die in der DDR die Führungsrolle inne hatte, eine "Koalition der Vernunft" anstrebte und sich dabei auch auf die Gemeinsamkeit der Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus berief. Im Juli 1984 brachte das SED-Zentralorgan "Neues Deutschland" einen ganzseitigen Artikel über den 20. Juli 1944 mit einem ehrenden Foto von Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Damit war eine Neubewertung eingeleitet. Trotzdem stand in der DDR weiterhin die These im Vordergrund, dass der Widerstand in Deutschland nur unter Führung der Moskauer Exil-KPD möglich gewesen sei. Mit der historischen Realität des Widerstands gegen den Nationalsozialismus hatte dies allerdings nichts zu tun.

Der Remer-Prozess – ein Wendepunkt

Einer der Männer, die am 20. Juli 1944 von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels mit der Niederschlagung des Umsturzversuchs beauftragt worden waren, Oberst Otto Ernst Remer, hatte schon im Mai 1951 erklärt: "Es wird die Zeit kommen, in der ‚man‘ oder ‚mancher‘ […] schamhaft verschweigt, dass man zum 20. Juli 1944 gehört hat. Ich bin für meine Person weitaus bescheidener und nehme nur das kleine geschichtliche Verdienst in Anspruch, den an sich schon missglückten Putsch für Berlin vereitelt zu haben. Sie können überzeugt sein, es gibt eine Reihe von sogenannten Widerstandskämpfern, die, als die Dinge schief gingen, sich gegenseitig verrieten. Diese nehmen heute große Staatspensionen in Empfang. […] Diese Verschwörer sind zum Teil in starkem Maße Landesverräter, die vom Auslande bezahlt wurden. Sie können Gift darauf nehmen, diese Landesverräter werden eines Tages vor einem deutschen Gericht sich zu verantworten haben."

Für diese Diffamierungen wurde Remer im März 1952 dann allerdings selbst wegen übler Nachrede in Tateinheit mit Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener zu einer Haftstrafe von drei Monaten, der ersten seiner vielen Strafen, verurteilt. Es wäre jedoch nicht zu dem Verfahren gegen ihn gekommen, wenn sich nicht Interner Link: Fritz Bauer, zu dieser Zeit noch als Generalstaatsanwalt in Braunschweig tätig, besonders engagiert hätte. Im Zentrum der Bemühungen Bauers stand die höhere Akzeptanz in der Gesellschaft für den Umsturzversuch vom 20. Juli 1944, nicht jedoch für die gesamte Breite der gegen den Nationalsozialismus gerichteten Aktivitäten. Dieses Vorhaben gelang, im Urteil erkannte das Gericht das Handeln der am Umsturzversuch des 20. Juli 1944 Beteiligten als rechtmäßigen Widerstand gegen das NS-Unrechtsregime an.

Um die nachträgliche Legitimierung des Widerstandsrechts zu erreichen, hatte Bauer ausdrücklich darauf verzichtet, andere Widerstandsgruppen in das Verfahren einzubeziehen, ja sogar Familienangehörige der Widerstandsgruppe Rote Kapelle aufgefordert, eigene Strafanträge gegen Remer zurückzuziehen. Die Rote Kapelle, bis weit in die 1980er-Jahre vollkommen zu Unrecht als "kommunistische Spionagegruppe" diffamiert, wurde weder im Remer-Prozess noch in der öffentlichen Meinung in der Bundesrepublik als Teil des Widerstands gegen den Nationalsozialismus akzeptiert.

Ringen um Entschädigung

Auch in Entschädigungsverfahren war immer wieder ein sehr eng gefasster Begriff des Widerstands gegen den Nationalsozialismus zu erkennen. Ausgrenzungsmechanismen, die zum Teil weit vor 1933 zurückgreifen, wurden in der jungen Demokratie der Bundesrepublik Deutschland weitergegeben und blieben wirksam. Im Osten wie im Westen wurde die Anerkennung als politisch Verfolgter vielfach nicht mit dem Verhalten vor, sondern nach 1945 verbunden. Kommunisten erhielten im Westen weder Anerkennung noch materielle Entschädigungen, ähnlich ging es im Osten Deutschlands bürgerlichen Widerstandskämpfern oder Sozialdemokraten, die sich der Vereinigung von SPD und KPD widersetzt hatten.

Jenen Menschen etwa, die wir heute wegen ihrer Hilfe für von der Deportation bedrohte Juden als "Stille Helden" ehren, wurde in der Bundesrepublik in den 1950er-Jahren die Anerkennung versagt: "Deshalb ist auch der Verkehr mit jüdischen Menschen, der Abschluss von Geschäften mit ihnen oder in ihrem Interesse wie auch die ihnen gewährte persönliche Hilfeleistung und Beratung, sei es im Rahmen des Berufs, sei es auf Grund persönlicher Freundschaft, kein Widerstand gegen den Nationalsozialismus, da solche Taten nicht geeignet sind, ein Regime zu unterhöhlen." Mit anderen Worten: Menschen, die verfolgten Juden geholfen hatten, standen weder eine Entschädigungszahlung noch eine laufende Renten- oder Beihilfenzahlung zu.

Wie die Realität der Angehörigen der Widerstandskämpfer aussah, zeigte eine kleine Zeitungsmeldung vom 21. Juli 1951: Die Oberfinanzdirektion München verfügte, dass ein Unterhaltsgeld in Höhe von 160 Deutsche Mark im Monat an die Witwe des nach dem 20. Juli 1944 vom "Volksgerichtshof" zum Tode verurteilten und hingerichteten Obersten Rudolf Graf von Marogna-Redwitz nicht mehr weitergezahlt werde, da "wegen Hoch- und Landesverrat verurteilte frühere Wehrmachtangehörige" keinerlei Anrecht auf irgendwelche Pensionen oder Renten hätten.

Einer anderen Witwe eines am 20. Juli 1944 Beteiligten, der danach den Freitod gewählt hatte, wurde eine Rentenzahlung mit folgender Begründung verweigert: "Ihr Mann hat überhaupt kein nationalsozialistisches Unrecht erlitten, er hat sich vielmehr selbst erschossen und ein erledigendes nationalsozialistisches Unrecht nicht abgewartet."

Renten- und Pensionszahlungen sowie Wiedergutmachungsleistungen setzten vielfach erst spät in den 1950er-Jahren ein. Ohne die – seit 1951 mit Bundesmitteln unterstützte – "Stiftung Hilfswerk 20. Juli 1944" hätten viele Familienangehörige von Widerstandskämpfern des 20. Juli 1944 in großer materieller Not gelebt. Zu einer gesetzlichen Regelung für die Ansprüche der Hinterbliebenen, deren Männer im Zusammenhang mit dem Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 hingerichtet worden waren, konnte sich die Bundesregierung aber nie entschließen. Auch das Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung von 1956 führte bei weitem nicht dazu, dass alle Widerstandsaktivitäten und Opfergruppen berücksichtigt wurden.

Fehlende juristische Aufarbeitung

Wie sah es in den ersten Jahren der Bundesrepublik mit der Strafverfolgung gegen jene Gestapo-Beamte und Richter aus, die Widerstandskämpfer nach dem 20. Juli 1944 gefoltert hatten oder an den justizförmigen Verurteilungen und Tötungen des "Volksgerichtshofs" teilgenommen hatten?

Der frühere SS-Standartenführer und Jurist Walther Huppenkothen hatte als "Anklagevertreter" im April 1945 an den "Standgerichtsverfahren" im KZ Sachsenhausen gegen Hans von Dohnanyi und im KZ Flossenbürg gegen Wilhelm Canaris, Dietrich Bonhoeffer, Hans Oster und andere teilgenommen. Das Verfahren gegen Huppenkothen, der bei den "Standgerichtsverfahren" mehrere Todesurteile empfohlen hatte, ging über mehrere Instanzen. Letztinstanzlich urteilte der Bundesgerichtshof 1956 zugunsten der Juristen des NS-Regimes.

Günter Hirsch, Präsident des Bundesgerichtshofs, analysierte dies 2003 kritisch: "Der Bundesgerichtshof […] hob 1956 diese Verurteilungen auf und sprach die Angeklagten von dem Vorwurf frei, durch die Standgerichtsverfahren Beihilfe zum Mord geleistet zu haben. In der Begründung behandelte der Bundesgerichtshof das SS-Standgericht als ordnungsgemäßes Gericht, das offenkundige Scheinverfahren als ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren und das Urteil als dem damaligen Recht entsprechend. Die Begründung ist ein Schlag ins Gesicht. Den Widerstandskämpfern wird attestiert, sie hätten ‚nach den damals geltenden und in ihrer rechtlichen Wirksamkeit an sich nicht bestreitbaren Gesetzen‘ Landes- und Hochverrat begangen. Den SS-Richtern könne nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie die Frage der Rechtfertigung des Verhaltens der Angeklagten nicht geprüft hätten."

Zu Recht stellte Hirsch fest, dass die Folgen dieses Urteils und der "ungesühnt gelassenen Justizmorde" verheerend gewesen seien. Fast alle Ermittlungsverfahren gegen Richter und Staatsanwälte wurden eingestellt, erst Jahrzehnte später begann ein neues – ebenfalls erfolgloses – Ermittlungsverfahren gegen Richter und Staatsanwälte des "Volksgerichtshofs".

Nur als Versagen von Politik und Justiz kann die Tatsache verstanden werden, dass alle Unrechtsurteile des "Volksgerichtshofs", der Sondergerichte und der Militärjustiz weiter gültig blieben. Teilweise standen sie noch bis in die 1980erJahre im Bundeszentralregister, einem zentralen amtlichen Register, in das u. a. strafrechtlich rechtskräftige Entscheidungen deutscher Gerichte eingetragen werden. Eine Aufhebung eines Urteils konnte zwar im Einzelfall beantragt werden, die Staatsanwaltschaft musste dann prüfen und gegenüber dem zuständigen Gericht ausführlich die Empfehlung zur Aufhebung des Urteils begründen.

Dies blieb bis in die 1990er-Jahre so. Erst mit dem Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege von 1998 wurden die Urteile des "Volksgerichtshofs" grundsätzlich aufgehoben, und erst 2009 erfolgte die grundsätzliche Aufhebung von Urteilen, die wegen sogenannten Kriegsverrats gesprochen worden waren. Konkret hieß dies, dass die meisten der Todesurteile, die der "Volksgerichtshof" gegen die Beteiligten am Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 gesprochen hatte, bis zum 1. September 1998 noch Rechtskraft besaßen.

Historische und mediale Aufarbeitung

Erste Bücher über den Widerstand erschienen ab 1946 nicht in Deutschland, sondern in der Schweiz. Die alliierten Besatzungsmächte hatten ebenso wie die deutsche Bevölkerung kein sonderliches Interesse am Thema. Die wissenschaftliche Aufarbeitung setzte dann vor allem mit biografischen Studien in den 1950er-Jahren ein. Lebensgeschichten sollten die historischen Persönlichkeiten vom Vorwurf des Verrats befreien. In den 1960er-Jahren kam es zur Aufarbeitung des 20. Juli 1944; Studien zum Arbeiterwiderstand folgten in den 1970er-Jahren. Im Zentrum des späteren wissenschaftlichen Interesses standen der Widerstand im Alltag, die Hilfen für Verfolgte, die Rote Kapelle, der Widerstand von Jugendlichen und die Formen des Widerstands gegen den nationalsozialistischen Rassen- und Weltanschauungskrieg, die Desertion und die Beteiligung von Widerstandskämpfern an nationalsozialistischen Gewaltverbrechen. Diese Debatten trugen ebenso wie neuere Detailstudien dazu bei, dass wir heute ein differenziertes Bild vom Widerstand gegen den Nationalsozialismus haben.

In den Medien erfuhr und erfährt der Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu den Jahrestagen des 20. Juli größere Aufmerksamkeit. Immer wieder bewegten auch Filme wie Falk Harnacks "Der 20. Juli" von 1955 ebenso wie der zeitgleich entstandene "Es geschah am 20. Juli" von Georg Wilhelm Pabst die Öffentlichkeit. Erst 1971 entstand das mehrfach ausgezeichnete zweiteilige Doku-Drama "Operation Walküre" von Franz Peter Wirth. 1982 war "Die Weiße Rose" von Michael Verhoeven der erfolgreichste deutsche Kinofilm. Zu heftigen Diskussionen führte der Abspann des Filmes, in dem auf die damals immer noch rechtsgültigen Todesurteile des "Volksgerichtshofs" hingewiesen wurde.

Internationale Aufmerksamkeit erlangte 1993 der Spielfilm "Schindlers Liste" von Steven Spielberg, der erstmals umfassend die Hilfe für verfolgte Juden thematisierte. Roman Polanski griff dieses Thema 2002 in "Der Pianist" erneut auf. 2004 legte dann Jo Baier den Fernsehfilm "Stauffenberg" vor. Heftig wurde das Spannungsverhältnis zwischen historischen Fakten und der Filmhandlung diskutiert. Bereits im Vorfeld war der 2008 veröffentlichte Film "Operation Walküre" des US-amerikanischen Regisseurs Bryan Singer umstritten. Kritik richtete sich vor allem gegen den Hauptdarsteller Tom Cruise, der ein ranghoher Angehöriger der Scientologen ist, und die Darstellung der Angehörigen des zivilen Widerstands im Film. Neuere Filmproduktionen befassen sich auch mit den letzten Tagen der Sophie Scholl und dem Schicksal von Georg Elser. Dies sind nur einige Beispiele, aus denen deutlich wird, wie sehr das Thema des Widerstands gegen den Nationalsozialismus auch heute noch Medien und Öffentlichkeit beschäftigt.

Wir haben uns heute endgültig von der Perspektive gelöst, dass es irgendeine gesellschaftliche Großgruppe gegeben hat, die in ihrer Gesamtheit gegen den Nationalsozialismus gestanden hat. Widerstand war immer die Haltung einer kleinen Minderheit, von einzelnen und oft sehr einsamen Menschen. Doch je mehr wir von ihnen wissen, desto genauer können wir immer wieder die stets aktuelle Frage nach den Handlungsspielräumen und -möglichkeiten des einzelnen Menschen in der heutigen demokratischen Gesellschaft stellen.

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Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, apl. Prof. am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin, z. Zt. Gastprofessor am Touro-College Berlin, Studiengang Master of Arts in Holocaust Communication and Tolerance.

M. A., Historikerin, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Gedenkstätte Deutscher Widerstand.
Die Verfasser danken ihren Kolleginnen und Kollegen der Gedenkstätte Deutscher Widerstand für ihre umfangreiche Unterstützung bei der Erarbeitung des Textes