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China in der Weltwirtschaft | China | bpb.de

China Editorial Einleitung Geschichte, kulturelle Tradition, Ideologie Charakteristika des politischen Systems Außen- und Sicherheitspolitik Gesellschaft im Umbruch Situation von Medien und Internet Von der "Werkbank der Welt" zur Innovationswirtschaft China in der Weltwirtschaft Literaturhinweise Karten Impressum

China in der Weltwirtschaft

Mikko Huotari

/ 10 Minuten zu lesen

Bereits seit 2009 ist die VR China "Exportweltmeister", ausländische Unternehmen sind trotz bestehender Beschränkungen aufs Engste mit ihr verflochten. Während sich Pekings Führung zur internationalen Wirtschaftsintegration bekennt, behält sie sich binnenwirtschaftlich weitreichende Eingriffsmöglichkeiten vor. Ist diese Doppelstrategie in einer globalisierten Welt auf Dauer durchzuhalten?

China hat seine schnelle Industrialisierung auch ausländischem Know-how zu verdanken: Arbeiter in einer Fabrik des Autoherstellers Ford in Chongqing (© Reuters / Shi Tou)

Das Gewicht der chinesischen Volkswirtschaft in der Welt hat seit Beginn des 21. Jahrhunderts rasant zugenommen. Für viele Staaten – auch für Deutschland seit 2016 – ist China mittlerweile der wichtigste Handelspartner. Die Art der globalen Verflechtungen und die Abhängigkeiten vom chinesischen Markt ändern sich dabei teils dramatisch. Aufschwung und Krisen in China wirken sich heute direkt auf weltweite Marktbewegungen und Wirtschaftsaussichten aus. Pekings Wirtschaftspolitik wird zur zentralen Triebkraft globaler Entwicklungen. Gleichzeitig ist die chinesische Führung mit immer größeren Herausforderungen konfrontiert, Marktentwicklungen mit politischen Steuerungsansprüchen und staatlicher Kontrolle in Einklang zu bringen.

Erfolge in der Aufholjagd 1978 bis 2001

Die größten Volkswirtschaften - ihre Wirtschaftsleistungen im realen Vergleich (2017) (© Bergmoser + Höller Verlag AG, Zahlenbild 625 117; Quelle: Weltbank)

In den knapp 40 Jahren seit Beginn der sogenannten Reform- und Öffnungspolitik im Jahre 1978 ist Chinas Volkswirtschaft von der Peripherie ins Zentrum der Weltwirtschaft gerückt. Statt weniger als zwei Prozent des globalen Bruttoinlandsproduktes (BIP, kaufkraftbereinigt) und einer randständigen Rolle im globalen Handel im Jahre 1980 entfallen heute auf die Volksrepublik mehr als 18 Prozent des globalen BIPs. China ist nach diesem Maß die weltgrößte Volkswirtschaft, obwohl es voraussichtlich noch jahrzehntelang im Entwicklungsstand hinter führenden Industriestaaten zurückbleiben wird. Im Handel ist das Land bereits seit 2009 "Exportweltmeister" und heute auch zweitgrößter Importeur. Sein Handelsbilanzüberschuss, also der Wert der Exporte gegenüber dem Wert der Importe, betrug 2016 über 500 Milliarden US-Dollar. (2017 lt. Statista 421,44 Milliarden)

Wichtige Faktoren für die forcierte nachholende Entwicklung Chinas, wie etwa die schrittweise Zulassung von Marktkräften (d. h. Angebot und Nachfrage als maßgebliche Triebkräfte von Marktentwicklungen, Freigabe von Preisen) sowie Wettbewerb, die Mobilisierung von ländlichen Arbeitskräften für die industrielle Produktion oder staatlich gesteuerte Investitionen, sind eher im "Inneren" Chinas zu verorten. Ohne eine strategisch-kontrollierte Öffnung hin zur globalen Wirtschaft hätten diese Faktoren jedoch ihre Wirkung nicht entfalten können.

Vor allem eine rapide Ausweitung der Exportwirtschaft und ausländische Direktinvestitionen seit den 1990er-Jahren verwandelten China in den heutigen Handelsstaat, der in weltweite Produktionsnetzwerke und – seit Anbruch der 2000er-Jahre – zunehmend auch in globale Finanzströme eingebunden ist. Sonderwirtschaftszonen sowie Investitionen, Technologie und Managementexpertise aus dem Ausland ermöglichten erst die beschleunigte Industrialisierung, die zunächst vor allem die Küstenregionen erfasste. Insbesondere seit dem Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation (WTO) im Jahre 2001 verfolgt die Außenwirtschaftspolitik des Landes einen schrittweisen Abbau von Handelsschranken und anderen Barrieren, um den wirtschaftlichen Austausch mit internationalen Akteuren zu erleichtern.

Karikatur (© Kai Felmy)

Von einer Übereinstimmung mit "liberalen" Vorstellungen eines offenen, von wirtschaftspolitischer Steuerung weitgehend unabhängigen Marktes kann jedoch keine Rede sein. Trotz des zunehmenden Gewichts der Privatwirtschaft und obwohl viele Branchen der chinesischen Wirtschaft heute durch einen intensiven Marktwettbewerb angetrieben werden und eng mit der Weltwirtschaft verflochten sind, bleibt Chinas Wirtschaftsprozess geprägt durch eine starke Präsenz und vielfältige Eingriffsmöglichkeiten staatlicher Stellen.

QuellentextPhasen der Öffnungspolitik 1978 bis 2001

1978–1986/87 Importsubstitution und Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen (SWZ)
Gezielte Verteuerung und Verknappung ausländischer Produkte und Erhöhung der Zahl der zum Außenhandel zugelassenen Produkte
Ansiedlung ausländischer Investoren in privilegierten Sonderwirtschaftszonen in Südchina und anderen Küstenstädten
Öffnung für ausländische Kredite, u. a. der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds

1987–1992 Vertiefte Exportorientierung, Nutzung von Wettbewerbsvorteilen in der arbeitsintensiven Produktion
Zielvereinbarungen mit zusätzlichen Anreizen für Unternehmen im Außenhandel
Transformation der gesamten Küstenregion zu einer auswärts-orientierten Wirtschaftsregion (Hainan als fünfte Sonderwirtschaftszone, Förderung der Exportwirtschaft und wachsende ausländische Direktinvestitionen v. a. aus Hongkong und Taiwan)
Schrittweise Abwertung der Währung verbilligt chinesische Waren im Ausland

1992–2001 Ausdehnung der Öffnungspolitik vor WTO-Beitritt
Ergänzung der Exportorientierung durch Importsubstitutionspolitik für ausgewählte Branchen, um Wettbewerbsschocks der Öffnung für heimische Industrien abzufedern.
Gezielte Förderung und Schutz ausgewählter Industrien durch Ausländische Direktinvestitionen und hohe Importzölle
Branchenleitlinien zur Steuerung der sprunghaft ansteigenden ausländischen Direktinvestitionen und weitere Ausdehnung der Außenhandelsrechte

Wegmarken seit 2001

Der Fokus und die Art der staatlichen Eingriffe, mit denen Chinas außenwirtschaftliche Integration gesteuert werden, haben sich seit dem Ende der wirtschaftlichen Abschottung 1978/79 ständig verschoben. Die drei prägnantesten Wegmarken für den Rollenwandel Chinas in der Weltwirtschaft des 21. Jahrhunderts sind die Auswirkungen des WTO-Beitritts 2001, der Umgang mit der globalen Finanzkrise 2008 und die Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik unter Xi Jinping seit 2013.

Beitritt zur WTO
Der WTO-Beitritt am 11. Dezember 2001 hatte tiefgreifende Auswirkungen auf Chinas Wirtschaftsentwicklung und auf die Rahmenbedingungen wirtschaftspolitischer Steuerung für die Führung in Peking. Die notwendigen Anpassungen der Binnenwirtschaft gingen weit über einen Abbau von Zollschranken für die Einfuhr ausländischer Waren hinaus, der größtenteils bereits im Vorfeld des Beitritts erfolgt war.

Zwischen 2001 und 2007 waren durch den WTO-Beitritt weitere Liberalisierungsschritte im Außenhandel und die Öffnung weiterer Branchen für ausländische Investitionen, vor allem im Dienstleistungssektor, vertraglich festgeschrieben. Trotz aller weiterbestehenden Einschränkungen wurde das WTO-Mitglied China zu einer der offensten Volkswirtschaften: Im Zeitraum von 2004 bis 2008 betrug die Außenhandelsquote – der Anteil der Ex- und Importe am BIP – mehr als 60 Prozent, aktuell immer noch über 30 Prozent. Die Reformschritte in dieser Phase gingen allerdings weit über den Handel hinaus. Sie umfassten außerdem internationale Börsengänge staatlicher Unternehmen, eine Lockerung des Kapitalverkehrs durch eine begrenzte Öffnung des Banken- und Anleihenmarkts (für ausländische Unternehmen), die Anpassung des Wechselkurs-Regimes (von einem "festen", also durch staatliche Interventionen abgesicherten zu einem zunehmend flexiblen Wechselkurs) sowie eine ehrgeizige Förderung von Investitionen chinesischer Unternehmen im Ausland.

QuellentextChinas Rolle in der WTO

Der Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) im Jahre 2001 beschleunigte Chinas Integration in die Weltwirtschaft sowie die Förderung von Wettbewerb und Deregulierung in der chinesischen Binnenwirtschaft. Neben notwendigen Liberalisierungsschritten ist der Beitritt zur WTO auch mit der Verpflichtung verbunden, bei Handelsstreitigkeiten die Autorität der Institution anzuerkennen. Im Falle Chinas betreffen Streitigkeiten typischerweise Vorwürfe des Preisdumpings und der Subventionierung chinesischer Exporteure sowie der Diskriminierung ausländischer Wettbewerber. Chinas weitgehende Anpassung an WTO-Regularien wird allgemein anerkannt. Zwar zählt die Volksrepublik weiterhin zu den am häufigsten Beklagten in WTO-Verfahren, nutzt das Instrumentarium der WTO aber verstärkt auch selbst.

Mit Ablauf einer 15-Jahresfrist sind zum 12. Dezember 2016 die letzten Übergangsregelungen aus dem WTO-Beitrittsprotokoll Chinas ausgelaufen. Peking erwartete, dass die Volksrepublik damit endgültig international als "Marktwirtschaft" anerkannt werden müsse – was zur Konsequenz hätte, dass chinesische Unternehmen nicht mehr so leicht in Anti-Dumping-Verfahren beklagt werden könnten. Im Sommer 2017 hatten jedoch mehrere große Industriestaaten diesen Schritt noch nicht vollzogen, obwohl Peking in der Zwischenzeit diesbezüglich ein Klageverfahren bei der WTO angestrengt hatte.

Reaktionen auf die globale Finanzkrise 2007/2008
Die globale Finanzkrise 2007/2008 schlug in China nicht unmittelbar auf dem Wege des Banken- und Wertpapiersektors durch, denn das chinesische Finanzsystem war durch strikte Kapitalverkehrskontrollen vor den heftigsten Turbulenzen auf globalen Finanzmärkten geschützt. Stattdessen wirkte sich die Krise auf die realwirtschaftlichen Handelskanäle aus: Der Rückgang der internationalen Nachfrage sorgte für einen Einbruch der chinesischen Export- und Wachstumszahlen.

Die Zentralregierung verkündete ein Konjunkturprogramm bestehend vor allem aus Krediten für Infrastrukturprojekte – im Umfang von rund 13 Prozent des BIP – um ihre Wachstumsziele zu erreichen und Massenentlassungen in der Exportindustrie zu verhindern. Außenwirtschaftlich wurde die chinesische Währung für zwei Jahre wieder enger an den US-Dollar gekoppelt, um für Stabilität zu sorgen. Exportfirmen wurden außerdem durch Steuererleichterungen und Kredite unterstützt und die heimische Industrie wurde bei staatlichen Ausschreibungen bevorzugt.

Die Krise 2008 hat aus Perspektive der chinesischen Führung die Schwächen "neoliberaler" Öffnungspolitik gezeigt. Peking zufolge gilt es, die gesamtwirtschaftlichen Steuerungs- und Eingriffsmöglichkeiten nicht aus der Hand zu geben. Hierzu gehören eine staatliche Unternehmens- sowie Investitionspolitik und außenwirtschaftliche Stellschrauben wie Wechselkurs- und Kapitalverkehrskontrollen. Liberalisierungsschritte müssen ausgesetzt werden können oder gar umkehrbar bleiben.
Chinas staatlicher Investitionsboom zur Krisenbewältigung seit 2008 und seine aktive, weit gefächerte Industriepolitik haben zwar die internationale Nachfrage angekurbelt und zur Stabilisierung der Weltwirtschaft beigetragen. Doch die Maßnahmen, die zur Krisenbekämpfung gewählt wurden, haben die Verschuldung verschärft und die geplanten Strukturreformen verschleppt. Diese Nachwirkungen bilden bis heute den Hintergrund für stockende Reformbemühungen und zögerliche Bestrebungen zur vertieften weltwirtschaftlichen Integration.

Balanceakt zwischen Öffnung und Kontrolle
Die Beschlüsse des dritten ZK-Plenums vom November 2013 zum Umbau des chinesischen Wirtschaftsmodells im Inneren haben weitreichende Konsequenzen für die außenwirtschaftliche Integration des Landes. So hat die seit 2015 verstärkt vorangetriebene Konsolidierung von Staatsunternehmen in strategisch wichtigen Industrien das Ziel, wettbewerbsfähige nationale Champions zu schaffen, die international expandieren sollen.

Seit 2013 sind konkrete, wenn auch zögerliche Schritte zur Vertiefung der "Öffnungspolitik" im Handel unternommen worden und in Bezug auf ausländische Direktinvestitionen ist eine vorsichtige Lockerung der Kapitalverkehrskontrollen sowie der Wechselkurspolitik zu verzeichnen. Im Rahmen neuer Experimente mit "Freihandelszonen" (FTZ) – zunächst in Shanghai, dann erweitert auf insgesamt elf FTZs in 2017 – sind schrittweise einige Investitionsbeschränkungen aufgehoben und Verwaltungsprozesse vereinfacht worden. Die Gesetzgebung zu ausländischen Investitionen wurde verlässlicher und mit der Einrichtung einer landesweiten "Negativliste" (d. h. Beschränkungen nur durch explizite Auflistung) im Juli 2018 weiter vereinfacht.

Trotz dieser punktuellen Maßnahmen verläuft die Marktöffnung nur schleichend. Sie beschränkte sich bislang vornehmlich auf eher unattraktive Wirtschaftsbereiche bzw. solche, in denen chinesische Unternehmen durch jahrelange Abschottung bereits marktbeherrschend sind. Eine umfassende Öffnung des Dienstleistungssektors ist dagegen bislang ausgeblieben. Aus Sicht der ausländischen Wirtschaftsakteure bleibt China damit hinter seinen Reformversprechen von 2013 zurück.
Im Gegenteil hat Peking an vielen Stellen – insbesondere für Hochtechnologie-Unternehmen – die Stellschrauben angezogen, frühere Privilegien für ausländische Unternehmen zurückgezogen und ihnen den Marktzugang in der Praxis erschwert. Weiterhin bestimmen informelle und formelle diskriminierende Maßnahmen das wirtschaftliche Handeln internationaler Unternehmen in China.

Unter den Vorzeichen einer Abschwächung des chinesischen Wachstums vor allem seit 2015 versucht die Führung in Peking einen schwierigen Balanceakt zwischen einer verstärkten Öffnung für den internationalen Kapitalverkehr, der Wahrung eines relativ stabilen Wechselkurses und binnenwirtschaftlicher Steuerungsfähigkeit. Auch um neue Finanzierungsquellen für heimische Unternehmen anzuziehen, experimentierte Peking mit weiteren Reformschritten im Finanzbereich unter anderem in der Shanghaier Freihandelszone, aber vor allem durch eine weitere kontrollierte Öffnung der Wertpapiermärkte für internationale Investoren ("Stock-Connect" 2014 und "Bond-Connect" 2017 mit Hongkong).

Akute Krisen haben dabei immer wieder zur Umkehrung früherer Reformschritte geführt. Zwischen 2005 und 2014 war die chinesische Währung Renminbi (RMB) gegenüber dem US-Dollar noch um real knapp 40 Prozent aufgewertet. Nach einem drastischen Absturz der chinesischen Börsen im Sommer 2015 und massiven, häufig versteckten Abflüssen von Kapital ins Ausland wurde der Renminbi jedoch deutlich abgewertet. Auch die Einführung eines flexibleren Wechselkursregimes im Winter 2015 konnte den Abwärtsdruck nicht mildern. Die Zentralbank musste sich durch den geballten Einsatz der Währungsreserven gegen andauernde Kapitalabflüsse und eine Abwertung des RMB stemmen.

Strategische Weichenstellungen für die Zukunft

Im Vorfeld des 19. Parteitags im Herbst 2017 gelang es der Führung, den Wechselkurs und das Wirtschaftswachstum zu stabilisieren, indem sie die Kreditvergabe deutlich ausweitete, teilweise erneut Kapitalverkehrskontrollen einführte sowie Wirtschaftsakteure auf informellem Weg anwies, Kapitalabflüsse einzudämmen. Für diese Interventionen bezahlt Peking jedoch einen Preis in Gestalt eines schwindenden internationalen Vertrauens in seinen wirtschaftlichen Reformwillen.

Chinas Wirtschaft bewegt sich in eine neue Entwicklungsphase mit dauerhaft niedrigeren Wachstumsraten hinein. Dies hat – auch wenn der Abschwung nicht krisenhaft verläuft – weitreichende Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Im Inneren wird Chinas Führung auf Jahre mit der Entfesselung neuer Triebkräfte chinesischen Wirtschaftswachstums und Krisenbewältigung beschäftigt sein. Im Außenverhältnis sind wichtige Wendepunkte für Chinas zukünftige Ausrichtung in der Weltwirtschaft bereits erreicht oder erkennbar. Danach wird sich das Land wohl nicht völlig von seinem früheren Modell außenwirtschaftlicher Integration abwenden. Vielmehr ist ein spannungsgeladener, dynamischer Übergang zu erwarten, in dem die bekannten Formen wirtschaftspolitischer Steuerungseingriffe und ihre Auswirkungen auf das weltwirtschaftliche Profil Chinas ergänzt bzw. mit neuen Mustern überlagert werden.

Von der "Werkbank der Welt" zum Hightechwettbewerber
Angesichts der Bevölkerungs- und Lohnentwicklung kann und will die Volksrepublik nicht dauerhaft auf eine billige, auf den Export ausgerichtete Produktion von Konsum- und Elektronikgütern am unteren Ende der Wertschöpfungskette setzen. Mittels gezielter industriepolitischer Steuerung sollen vielmehr Exporterfolge mit eigenen kapitalintensiven und hochwertigeren "Produkten" erzielt werden. Gedacht wird dabei etwa an Hochgeschwindigkeitszüge, Nuklearreaktoren, Flugzeuge und (Elektro-)Autos.

Durch "eigenständige Innovation" und den Versuch, ganze Wertschöpfungsketten zu kontrollieren ("Technologie-Nationalismus"), will China eine industrielle und technologische Führungsposition in Zukunftsindustrien erreichen. In der Digitalwirtschaft und in Industriezweigen, wie sie durch die "Made in China 2025"-Strategie gefördert werden, ist beabsichtigt, ausländische durch chinesische Technologie zu ersetzen. Hierfür wird auch international investiert, um kritische Technologien und Know-how aufzukaufen. Obwohl dies ausländischen Unternehmen kurzfristig neue Chancen bieten mag, bleibt fraglich, ob und wie sie auf Dauer von Chinas Industriepolitik profitieren können. Möglicherweise wird die Volksrepublik damit für viele Industriestaaten zum schwierigen, teilweise unfairen Konkurrenten.

Von der Nachfrage nach Rohstoffen zum Export von Überkapazitäten
In den ersten 15 Jahren des 21. Jahrhunderts war Chinas Bedarf an Energie und Rohstoffen für den Ausbau seiner Infrastruktur und Produktionsstätten zum zentralen Preisfaktor und Wachstumstreiber für Lieferstaaten weltweit geworden. Als sich seit 2013 das Wachstum und die Investitionstätigkeit in China abschwächten und die dortige Nachfrage sank, hatte dies international heftige Einbrüche zur Folge. Massive Überkapazitäten in der chinesischen Schwerindustrie, vor allem im Stahlsektor, wurden jedoch nicht nur zu einer globalen Herausforderung, sondern treiben auch Chinas neue außenwirtschaftliche Strategie an.

Das Problem der Überkapazitäten ist zum großen Teil "hausgemacht": Es ist eine direkte Folge von Steuerungseingriffen auf allen Ebenen des Staates und dem Fehlen effektiver Marktanreize. Es betrifft auch längst nicht nur die "alten Industrien", sondern sorgt weltweit für Marktverzerrungen, beispielsweise in der Solarindustrie: Der "Kampagnen-Modus" für Wirtschaftssteuerung in strategischen Industrien (z. B. Robotik) durch staatliche Subventionen und andere Anreize wird auch in Zukunft zu ähnlichen Problemen mit weitreichenden internationalen Folgewirkungen führen.

Vom Investitionsstandort zum globalen Investor
Die Öffnung für ausländische Direktinvestitionen war ein zentrales Element von Chinas Reformpolitik insbesondere seit Ende der 1980er-Jahre: Für den Zugang zu Hochtechnologie, den industriellen Strukturwandel und die Ausweitung des Außenhandels spielten ausländische Unternehmen und chinesisch-ausländische Gemeinschaftsunternehmen eine wichtige Rolle. Die chinesische Regierung versucht bis heute, durch verbindliche Investitionskataloge und andere Instrumente die Entwicklung bestimmter Branchen und Regionen zu steuern.

Die aktive Förderung und Erleichterung chinesischer Auslandsinvestitionen ist ein deutlich jüngeres Phänomen, mit globalen Auswirkungen insbesondere seit 2011. China ist mittlerweile zu einer der drei größten Quellen für weltweite Direktinvestitionen geworden. Diese haben sich von Ressourcen und dem Energiesektor hin zu moderner Fertigung, Informations- und Kommunikationstechnik und Hochtechnologie verlagert, also in Bereiche, wie sie vor allem in Industriestaaten wie den USA oder der Europäischen Union anzutreffen sind. Die Mehrzahl der Auslandsinvestitionen chinesischer Unternehmen wird getätigt, um den eigenen Gewinn zu maximieren. Sie profitieren dabei zum Teil allerdings von einer staatlich betriebenen, expansiven Industriepolitik, die gezielt auf Technologie-Akquise setzt, um im internationalen Wettbewerb weiter aufzuholen.

Von finanzieller Abschottung zur Integration in die internationale Finanzwirtschaft

Karikatur: Chinesischer Alltag (© Kai Felmy)

Im Gegensatz zur tiefgreifenden Handelsintegration und zu gesteuerten Direktinvestitionen war China bis Mitte der 2000er-Jahre von der internationalen Finanzwirtschaft abgeschottet. Auch der Wechselkurs wird von Peking bis heute stark kontrolliert und bleibt grundsätzlich an den US-Dollar angelehnt. Die weltweite Nutzung der chinesischen Währung Renminbi (RMB) war bis 2008 minimal. An allen drei Stellschrauben hat die chinesische Führung in den letzten Jahren deutlich gedreht: Das Wechselkursregime wird, wenn es nicht krisenartig zu radikalen Änderungen kommt, auf mittelfristige Sicht deutlich größere Schwankungen zulassen. China verfolgt trotz Rückschlägen langfristig eine Internationalisierung des RMB und seine Nutzung für globale Handelstransaktionen, für Finanzprodukte und als Reservewährung. Chinas Finanzmärkte werden schließlich, von Peking vorangetrieben, zunehmend international vernetzt und damit auch zu einer Quelle neuer Schwankungen und Risiken.

Zwei Entwicklungen stehen symbolisch für diese neuen Verflechtungen: Im Oktober 2016 wurde der RMB als fünfte Währung in den sogenannten Währungskorb des Internationalen Währungsfonds (IWF) aufgenommen. Der IWF erkannte damit bereits erfolgte Öffnungsschritte an und beförderte gleichzeitig die vertiefte Integration Chinas in die globale Finanzwirtschaft. Und im Juni 2017 wurden chinesische Aktien in einen weltweit gefragten Aktienindex (MSCI) aufgenommen. Internationale Investoren erhalten hierdurch neuen Zugang zum chinesischen Aktienmarkt.

QuellentextChinesische Übernahmen und ihre Folgen

[...] Chinesische Investoren sind seit Jahren auf internationaler Shopping-Tour. Eines ihrer beliebtesten Ziele: Deutschland. 4,5 Milliarden Euro legte der südchinesische Kühlschränkehersteller Midea für den Augsburger Industrieroboterhersteller Kuka hin. [...]. [...] Der chinesische Mischkonzern HNA kaufte sich bei der Deutschen Bank ein, Chinesen kauften den Betonpumpenhersteller Putzmeister, den Gabelstaplerspezialisten Kion, die traditionsreiche Frankfurter Privatbank Hauck + Aufhäuser. Zuletzt wurde bekannt, dass Li Shufu, Chef und Eigentümer des größten chinesischen Autobauers Geely, fast zehn Prozent der Daimler-Aktien gekauft hat. [...]

In Essen [...] residiert der [...] Energie- und Immobiliendienstleister Ista, eine Firma, die Menschen vor allem kennen, weil sie ihre Leute einmal im Jahr in die Wohnungen der Republik schickt, um etwa Heizungszähler abzulesen. Als der britische Finanzinvestor CVC Capital das Unternehmen im vergangenen Sommer an den Investor CKI des Hongkonger Milliardärs Li Ka-Shing verkaufte, sollen zwischen vier und fünf Milliarden Euro geflossen sein. [...]

Ein Wärmemesskonzern, der in Millionen Wohnungen den Heizungsverbrauch erfasst, war nun chinesisch [...]. [...]
Im Flur der Firmenzentrale des Autozulieferers Preh in Bad Neustadt an der Saale hängt noch ein altes Familienbild. Es zeigt den Firmenurahn Jakob Preh, der das Unternehmen vor fast 100 Jahren in einem alten Wirtshaus mit Kegelbahn gründete [...], das seit sieben Jahren zu einer neuen Familie gehört: Der Joyson-Gruppe aus Ningbo.

[...] Wie aber gerät man als Hersteller von Fahrerbediensystemen aus der nordbayerischen Provinz ins Visier von Joyson?
[...] Preh gehörte bis 2011 dem Finanzinvestor Deutsche Beteiligungs AG. Als verkauft wurde, fanden die Preh-Leute einen chinesischen Eigentümer interessant. Die Befürchtungen: Ein deutscher Investor, zumal, wenn er aus der gleichen Branche kommt, streicht meistens Stellen und legt Büros zusammen. Ein reiner Finanzinvestor will Zahlen sehen und interessiert sich nicht für Autoelektronik, und ein US-Investor filetiert und verkauft. Und außerdem wollten die Franken auf den chinesischen Markt. "Um in China Geschäfte zu machen – auch mit deutschen Autoherstellern wie Volkswagen – muss man lokal präsent sein", sagt Preh-Chef Christoph Hummel. Der chinesische Eigentümer als Türöffner für den größten Automarkt der Welt, so etwas hilft. 2010 noch machte Preh einen Umsatz von 352 Millionen Euro. Heute sind es 1,3 Milliarden. 2011 hatte das Unternehmen 2800 Mitarbeiter weltweit. Heute 6500. "Wir sind froh, dass wir diesen Eigentümer haben", sagt Hummel. [...]

In der Politik sieht man die Dinge einiges kritischer als in der Wirtschaft [...]. In der Wirtschaft [...] ist man zurückhaltend. Es gehöre zwar zu einem "freien Welthandel dazu, sich gegenseitig zu öffnen", sagt Preh-Chef Hummel. "Aber mit der Brechstange sollte man das nicht versuchen. Geben wir den Chinesen noch etwas Zeit." [...]

Thomas Fromm "China-Land", in: Süddeutsche Zeitung vom 28./29. April 2018

Von passiver Abwehr zu aktiver Umgestaltung internationaler Rahmenbedingungen
Peking unternimmt vermehrt Aktivitäten, um die Bedingungen der Integration Chinas in die Weltwirtschaft selbst zu gestalten. Mit Initiativen zur regionalen Handels- und Finanzintegration, neuen Institutionen wie der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) und Vorstößen wie der sogenannten Belt and Road Initiative versucht die Zentralregierung, strategisch eigene Erfahrungen sowie finanzielle und unternehmerische Kapazitäten beispielsweise beim Ausbau von Infrastruktur international zum Einsatz zu bringen. Von chinesischen Unternehmen erschlossene Transportkorridore sollen neue Märkte eröffnen und wirtschaftliche Integration in der erweiterten Nachbarschaft stärker auf die Volksrepublik ausrichten. In neuen Märkten, oder dort, wo China bereits heute eine wettbewerbsfähige Marktstellung hat (z. B. E-Commerce), wird Peking die Gestaltung von internationalen Regelwerken im eigenen Interesse vorantreiben.

Mikko Huotari ist stellvertretender Direktor des MERICS und leitet das Programm Internationale Beziehungen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Chinas Außenpolitik, chinesisch-europäische Beziehungen sowie die regionale Ordnung in Asien. Er hat zahlreiche Beiträge zu Chinas globaler Investitionsstrategie und Chinas Wirtschaftsbeziehungen mit Europa veröffentlicht.