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40 Jahre Direktwahlen zum Europäischen Parlament | Wahlen zum Europäischen Parlament | bpb.de

Wahlen zum Europäischen Parlament Editorial 40 Jahre Direktwahlen zum Europäischen Parlament Funktionsweisen des EP Kompetenzen im Praxistest: die Wahlperiode von 2014 bis 2019 Die EP-Wahlen 2019 als Richtungswahlen Terminplan Europawahl Literaturhinweise Impressum

40 Jahre Direktwahlen zum Europäischen Parlament

Nicolai von Ondarza Felix Schenuit

/ 4 Minuten zu lesen

Der Einfluss des Europäischen Parlaments auf die Politik der Europäischen Union ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen. Dies allein erklärt jedoch noch nicht die besondere Bedeutung der bevorstehenden Wahlen im Mai 2019 – sie werden auch über die Zukunft des europäischen Integrationsprojektes entscheiden.

Herzlich willkommen! Dieses Gebäude im elsässischen Straßburg wurde nach der aus Frankreich stammenden, europäischen Vordenkerin Louise Weiss benannt und ist seit seiner Eröffnung im Jahr 1999 Sitz des Europäischen Parlaments. Die Abgeordneten pendeln jeden Monat zwischen hier und dem Parlamentssitz in Brüssel. (© euroluftbild.de / Robert Grahn / Süddeutsche Zeitung Photo)

Seit 1979 haben die Bürgerinnen und Bürger der EU-Mitgliedstaaten alle fünf Jahre das Recht, ihre Repräsentantinnen und Repräsentanten im Europäischen Parlament (EP) direkt zu wählen. Über die letzten 40 Jahre hinweg hat es sich in seiner Zusammensetzung und seinen Kompetenzen dabei stark verändert. Während 1979 noch 410 Abgeordnete aus neun Mitgliedstaaten im Parlament zusammenkamen, hat sich die EU auf (noch) 28 Mitgliedstaaten erweitert, die in der Wahlperiode 2014 bis 2019 751 Abgeordnete in das EP wählten. Damit gehört das Europaparlament zu den weltweit größten Parlamenten.

In der Zeit seit den ersten Direktwahlen wurden auch die Mitentscheidungsrechte des Europäischen Parlaments Schritt für Schritt erweitert. Während es bei der ersten Direktwahl 1979 zu vielen wichtigen Themen höchstens befragt wurde, spielt das Parlament bei der EU-Gesetzgebung heute vielfach eine entscheidende Rolle. Insbesondere der im Jahr 2009 in Kraft getretene Lissabon-Vertrag trug dazu bei, dass das Parlament in vielen Bereichen auf Augenhöhe mit den nationalen Regierungen im Ministerrat der EU Rechtsakte verabschiedet, den EU-Haushalt beschließt oder internationale Abkommen absegnet.

Das bekannteste Beispiel für die neue Bedeutung des EP zeigt sich in dem sogenannten Spitzenkandidaten-Verfahren. Im Jahr 2014 kandidierten erstmals Vertreterinnen und Vertreter aus den europäischen Parteien um das Amt des Kommissionspräsidenten – das Parlament beanspruchte, dass der "Gewinner" der Europawahlen Präsident der Kommission werden sollte. In den Jahren zuvor wurde der Kommissionspräsident durch den Europäischen Rat bestimmt, dessen Vorgehen dabei häufig für seine Intransparenz kritisiert wurde. Bei den Europawahlen 2019 können die Bürgerinnen und Bürger der EU also sowohl die Besetzung der Führungspositionen, als auch die politische Ausrichtung der EU maßgeblich mitbestimmen.

Die Stärkung des EP im Rahmen des Lissabon-Vertrags galt auch als eine Reaktion auf das Demokratiedefizit der Europäischen Union. Als einzige direkt demokratische Institution im politischen System der EU kommt dem Parlament hier eine wichtige Rolle zu. Dass die demokratische Repräsentation der EU-Bürgerinnen und Bürger auf EU-Ebene jedoch weiterhin kein vollständig gelöstes Problem ist, zeigt der Blick auf die formalen und tatsächlichen Kompetenzen des EP. Jenseits der Gesetzgebung, insbesondere bei der Bewältigung der großen Krisen der EU, hat das Parlament weiterhin nur begrenzte Einflussmöglichkeiten.

Bedeutung der bevorstehenden Wahlen

Europawahlen gelten traditionell als sogenannte Wahlen zweiter Ordnung, die eher einer Aneinanderreihung von 28 nationalen Wahlen denn einer gemeinsamen europäischen Wahl gleichen. Diese untergeordnete Bedeutung äußerte sich bei den bisherigen Europawahlen vielfach: Für nationale Parteien, insbesondere Parteien der politischen Mitte, war der Europawahlkampf nur zweitrangig. Jenseits einzelner Versuche gab es bisher kaum EU-weite Wahlkämpfe oder aussagekräftige Wahlprogramme der Parteien. Bei den Europawahlkämpfen dominierten daher in vielen Mitgliedstaaten auch nationale statt europapolitische Themen. Ebenso nutzten Wählerinnen und Wähler die Europawahl häufig eher als Abstimmung, um ihrer nationalen Regierung einen Denkzettel zu verpassen, und weniger, um europapolitische Akzente zu setzen. Nicht zuletzt ist die Wahlbeteiligung bei den Wahlen zum Europaparlament seit der ersten Wahl 1979 durchgängig gesunken und liegt in allen Mitgliedstaaten deutlich unter dem Niveau von nationalen Wahlen.

Externer Link: http://www.europarl.eu/elections2014-results/de/turnout.html (© TNS/Scytl in Zusammenarbeit mit dem Europaparlament)

Doch die Europawahlen 2019 könnten zu einer Richtungswahl über die Zukunft der Europäischen Union werden: Nicht nur weil das Parlament an Bedeutung gewonnen hat, sondern vor allem auch, weil sich das europäische Parteiensystem gerade fundamental wandelt. Während die etablierten Parteien an Unterstützung verlieren, haben rechtspopulistische und EU-skeptische Parteien europaweit zugelegt. Gleichzeitig gibt es verstärkte Bemühungen, die traditionell zersplitterten EU-skeptischen Kräfte in einer Sammelbewegung zu vereinen. Die Versuche, diese Kräfte zu einen, reichen bis in die christdemokratisch-konservative Europäische Volkspartei (EVP), in der der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán zunehmend in die Kritik gerät. Parteipolitisch wurde die Europäische Union bisher von der EVP und den europäischen Sozialdemokraten dominiert. Da beide Parteifamilien jedoch in vielen Mitgliedstaaten an Zustimmung verloren haben, drohen sie 2019 erstmals ihre absolute Mehrheit im EP zu verlieren.

Europäische Bürgerschaft (© Standard-Eurobarometer 90 – Herbst 2018, S. 35)

Diese Veränderungen finden in einer Zeit statt, in der das europäische Integrationsprojekt durch den Brexit ohnehin schon ernsthaft in Frage gestellt worden ist. Obwohl die Zustimmungswerte für die EU seit dem britischen Referendum steigen und EU-skeptische Parteien in anderen Mitgliedstaaten von der Forderung, die EU ganz verlassen zu wollen, abrücken, könnte mit der bevorstehenden Wahl nach einem Krisenjahrzehnt die grundlegende Ausrichtung der EU verändert werden. Europapolitische Themen sind polarisierend wie nie zuvor. Der Umgang mit Migration und die Zukunft der europäischen Asylpolitik, die Reform der Eurozone und die europäische Wirtschafts- und Sozialpolitik, die Handelspolitik sowie der Umgang mit den USA unter Präsident Donald Trump, Russland oder China, die Regulierung der nächsten technologischen Fortschritte wie künstlicher Intelligenz oder selbstfahrenden Autos, die europäische Klimapolitik – all dies sind europäische Themen von politisch sehr hoher Bedeutung, welche die Europawahlen zu einer Richtungswahl machen.

Was interessiert mich Europa? (© Thomas Plaßmann)

Darüber hinaus haben die Europawahlen auch an Bedeutung für die Besetzung der Spitzenpositionen in der EU gewonnen. Nicht erst seit der vergangenen Wahlperiode gilt das Jahr der Europawahlen in Brüssel als "Jahr des institutionellen Übergangs". Denn sowohl der Präsident der EU-Kommission als auch die Hohe Vertreterin der EU, welche die Union nach außen vertritt, sind an das Europäische Parlament und dessen Mehrheit gebunden. Auch der Präsident des Europäischen Rates, aktuell Donald Tusk, wird 2019 von den Staats- und Regierungschefs der EU neu gewählt, worauf das Wahlergebnis zumindest implizit einwirkt.

QuellentextWas halten die Deutschen von der Europäischen Einigung?

[…] [Z]u keinem Zeitpunkt war die Annahme richtig, dass sich die Bevölkerung von der Europäischen Union abgewandt habe. Die Allensbacher Umfragen […] zeigen deutlich, dass die Deutschen auch auf dem Höhepunkt der Sorgen um den Euro, um die finanzielle Stabilisierung Griechenlands und um den Zustrom der Flüchtlinge von ihrer grundsätzlich europa-freundlichen Haltung nicht abgewichen sind. Die Begeisterung, die der Gedanke an die Europäische Einigung in früheren Jahrzehnten entfacht hatte, war allerdings schon lange verflogen.

Mit dem Entschluss des Vereinigten Königreichs, die EU zu verlassen, und mit der Wahl Emmanuel Macrons zum französischen Staatspräsidenten schien sich das Meinungsklima zu wandeln. Erstmals nach längerer Zeit wuchs das Ansehen der Europäischen Union wieder. Es war, als würde den Bürgern der Wert des vereinten Europas erst bewusst, als es in Gefahr geriet. Heute wird nach Jahren der Forderungen, Kompetenzen an die Nationalstaaten zurückzuverlagern, wieder von einer Vertiefung der Integration gesprochen. […] Wie steht die Bevölkerung heute [Anfang 2018] […] zur europäischen Integration? Ist etwas von der in der Politik beschworenen Aufbruchsstimmung zu spüren, oder überwiegt die Skepsis? […]

Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, dass das Europabild der Deutschen weitaus weniger stark schwankt, als man annehmen könnte. Ein Beispiel ist die Frage "Was bedeutet die EU für Sie?" Dazu wurde eine Liste mit 13 Punkten zur Auswahl überreicht. 78 Prozent der Befragten sagten, die EU sei für sie eine Wirtschaftsgemeinschaft, die dazu diene, den Handel zwischen den europäischen Ländern zu erleichtern und zu fördern. 72 Prozent wählten den Punkt "ein Europa ohne Grenzen, in dem man ungehindert reisen und seinen Beruf ausüben kann". 60 Prozent dachten an Vorteile für die Verbraucher durch den gemeinsamen Wirtschaftsraum und eine gemeinsame Währung, 57 Prozent an eine wuchernde Bürokratie und einen großen, schwer durchschaubaren Beamtenapparat.

Bei den meisten Punkten unterscheiden sich die Antworten kaum von denen, welche die Befragten 2013 und 2014 gegeben hatten, als die Frage zuletzt gestellt worden war. Einen deutlichen Rückgang gab es indes bei der Aussage, die EU sei ein Risiko für den Wohlstand in Deutschland. Diesen Punkt hatten 2013 41 Prozent ausgewählt, in der aktuellen Umfrage waren es noch 18 Prozent.

Aufschlussreich ist, wie sich bei dieser Frage im vergangenen Jahrzehnt die Antworten verändert haben. Als sie 2010, kurz vor Ausbruch der Finanzkrise in Griechenland, gestellt wurde, erhielten die zur Auswahl gestellten positiven Aussagen im Durchschnitt eine Zustimmung von 51 Prozent der Befragten. Bei den negativen Aussagen lag der Durchschnittswert bei 42 Prozent. 2014, nach der Griechenland-Krise, hatte bei denselben Punkten die Zahl der negativen Aussagen deutlich auf durchschnittlich 56 Prozent zugenommen, aber auch bei den positiven war eine Zunahme auf 59 Prozent zu verzeichnen.

Die Krise hatte die Bürger dazu gebracht, sich intensiver als zuvor mit dem Thema Europa zu beschäftigen. Damit waren ihre Vorstellungen von der EU klarer und vielfältiger geworden – positive wie negative. Die aktuellen Ergebnisse unterscheiden sich mit durchschnittlich 56 Prozent für die positiven und 54 Prozent für die negativen Aussagen nicht wesentlich von denen des Jahres 2014.

Angesichts der Vorwürfe, die gelegentlich zu hören waren, bei der Europäischen Union handele es sich um einen "Superstaat", der die europäischen Völker unterdrücke, wurde zum ersten Mal auch die Antwortmöglichkeit, die EU sei "eine überflüssige Institution, die die einzelnen Länder bevormundet", in die Liste aufgenommen. Diese Haltung wird nur von einer kleinen Minderheit von 14 Prozent geteilt. Lediglich die Wähler der AfD stimmen der Aussage zu 50 Prozent zu.

Insgesamt betrachten die Deutschen die Bemühungen der Politik, der europäischen Einigung neuen Schwung zu geben, mit Sympathie. Das erkennt man an den Antworten auf eine Frage, bei der zwei Argumente zur Auswahl vorgelegt wurden. Das erste lautete: "Ich bin dafür, dass die europäische Einigung weiter vorangetrieben wird und rasch Fortschritte macht. Die europäischen Länder sollten gemeinsam auftreten und mit einer Stimme sprechen. Nur so kann sich Europa in der Welt durchsetzen." Die Gegenposition lautete: "Mir geht die Europäische Einigung jetzt schon zu weit. Den einzelnen Ländern muss wieder mehr Macht übertragen werden, damit jedes Land seine eigenen Entscheidungen treffen kann." 49 Prozent der Befragten stimmten der ersten Aussage zu, 34 Prozent der zweiten, ein bemerkenswertes Ergebnis nach Jahren, in denen sich bei anderen Fragen zumindest relative Mehrheiten dafür ausgesprochen hatten, Kompetenzen von der EU zu den Nationalstaaten zurückzuverlagern. […]

Ob die Bemühungen um eine Intensivierung der europäischen Einigung auch in der Praxis von der Bevölkerung unterstützt werden, wird nicht zuletzt davon abhängen, ob es gelingt, einen charismatischen Wortführer hierfür zu finden. […]

Wie bei vielen komplexen politischen Themen ist die Haltung der Bürger zur europäischen Einigung nicht frei von Widersprüchen. Einerseits gibt es, wie in früheren Umfragen wiederholt gezeigt wurde, durchaus pauschale Klagen über eine angeblich zu große Einmischung der EU in die Angelegenheiten der Mitgliedsländer. Andererseits findet man bei der Frage, welche konkreten Politikfelder auf europäischer und welche auf nationaler Ebene geregelt werden sollten, nur wenige Punkte, bei denen sich die Bürger für eine Regelung auf nationaler Ebene aussprechen. So sagten in der vorliegenden Umfrage 72 Prozent der Befragten, die Außen- und Sicherheitspolitik solle einheitlich europäisch geregelt werden, 71 Prozent sagten dasselbe über die Flüchtlingspolitik. 67 Prozent meinten, die EU müsse festlegen, wie viele Schulden ein Mitgliedsland machen darf. Auch die Schul- und Hochschulabschlüsse sollten nach Meinung einer Mehrheit EU-einheitlich geregelt werden. Lediglich die Festlegung der Steuern und Abgaben sowie die Festlegung, wer welche Sozialleistungen erhält, möchte die Bevölkerung mehrheitlich in den Händen der Nationalstaaten wissen. […]

Thomas Petersen, "Ein neuer Aufbruch für Europa? Deutsche Frage – Deutsche Antworten", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23. Februar 2018
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Was sind Ihrer Meinung nach die beiden wichtigsten Probleme, denen die EU derzeit gegenübersteht? (© Standard-Eurobarometer 90 – Herbst 2018, S. 15)

ist promovierter Politikwissenschaftler und Leiter der Forschungsgruppe EU/Europa bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. E-Mail Link: nicolai.vonondarza@swp-berlin.org

ist Politikwissenschaftler und promoviert am Centre for Globalisation and Governance der Universität Hamburg. Bis Ende 2018 war er Forschungsassistent in der Forschungsgruppe EU/Europa bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. E-Mail Link: felix.schenuit@uni-hamburg.de