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Die Psychologie des Verschwörungsglaubens

Pia Lamberty

/ 3 Minuten zu lesen

Der Glaube an Verschwörungen kommt verschiedenen menschlichen Bedürfnissen entgegen, die mit individuellen psychischen und sozialen Dispositionen verbunden sind. Je einschneidender das auslösende Ereignis, desto stärker die Neigung, außergewöhnliche Ursachen dahinter zu vermuten.

Laut einer psychologischen Studie suchen Menschen mit Neigung zu Verschwörungsglauben verstärkt Ordnung in eine chaotische Welt zu bringen. Deshalb glauben sie auch eher als andere, Muster in abstrakten Gemälden zu erkennen. (© picture-alliance, Zoonar / Wolfgang Rieger)

Die psychologische Beschäftigung mit dem Verschwörungsglauben ist eine vergleichsweise junge Disziplin. Im Jahr 1994 veröffentlichte der US-amerikanische Soziologe Ted Goertzel eine erste Studie, in der er zeigen konnte, dass es so etwas wie eine generelle Tendenz gibt, an Verschwörungen zu glauben. Goertzel war damit ein Pionier der Forschung zum Verschwörungsdenken. Viele seiner damaligen Annahmen und Beobachtungen sind auch heute noch relevant, wenn es darum geht, den Verschwörungsglauben besser zu verstehen.

In den auf seine Publikation folgenden Jahren beschäftigte sich die Forschung zunächst kaum mit Goertzels Befunden. Das Thema wurde als Nischenthema betrachtet, das für das Verständnis der menschlichen Psyche nur bedingt relevant sei. Das änderte sich dann 2008, als die US-amerikanischen Psychologen Jennifer A. Whitson und Adam D. Galinsky in der angesehenen wissenschaftlichen Zeitschrift "Science" ihren Aufsatz "Lacking Control Increases Illusory Pattern Perception" veröffentlichten (2008, Band 322, S. 115–117) (siehe auch Abschnitt "Existentielle Bedürfnisse"). Seither beschäftigten sich immer mehr Forscherinnen und Forscher mit diesem Thema.

QuellentextWissenschaftliche Untersuchung des Verschwörungsglaubens

In den empirischen Wissenschaften gibt es unterschiedliche Methoden, um Wissen zu generieren. Oftmals wird zwischen Korrelationsstudien, Experimenten, Längsschnittstudien und Meta-Analysen unterschieden.

In den quantitativen Wissenschaften beschreibt die Korrelation die Stärke des Zusammenhanges zwischen zwei Merkmalen. Man misst dann beispielsweise die Verschwörungsmentalität einer Person und setzt sie in mathematischen Modellen in Beziehung zu anderen Merkmalen wie beispielsweise Kontrollverlust, Antisemitismus oder Gewaltaffinität. In einer Studienreihe wurden Versuchspersonen zum Beispiel danach gefragt, welche Medikamente sie nutzten. Danach wurden diese Einschätzungen mit der Verschwörungsmentalität korreliert, um zu sehen, ob es hier einen Zusammenhang gäbe. Durch Korrelationen kann allerdings keine Kausalität nachgewiesen werden. Man weiß dann zwar, dass die zwei Merkmale zusammenhängen, aber nicht, wie die Merkmale zueinander in Beziehung stehen.

Dafür benötigt man Experimente. Hier werden die Versuchspersonen zufällig in Gruppen eingeteilt, die jeweils spezifischen Bedingungen unterliegen. Auf diese Weise lässt sich zuverlässiger bestimmen, ob und wenn ja, welche kausalen Zusammenhänge bestehen.

Bei einem Experiment mussten Versuchspersonen zum Beispiel ein Spiel spielen, bei dem sie vollkommen zufällig Rückmeldung bekamen. Dadurch hatten sie das Gefühl, dass sie nicht in der Lage waren, zu beeinflussen, was im Spiel passiert, und erlebten einen Kontrollverlust. Dieser Kontrollverlust verstärkte dann wiederum den Verschwörungsglauben (siehe auch Abschnitt "Existentielle Bedürfnisse").

Eine Längsschnittstudie ist ein Forschungsdesign, das wiederholte Beobachtungen der gleichen Personen über kurze oder lange Zeiträume beinhaltet. So können Entwicklungen abgebildet werden. Dann wird beispielsweise die Verschwörungsmentalität mehrfach abgefragt, um herauszufinden, ob es sich hier um eine stabile Persönlichkeitseigenschaft handelt.

Wenn es schon viele Forschungsstudien zu einem Thema gibt, können Meta-Analysen durchgeführt werden. Bei einzelnen Studien ist immer auch ein gewisser Grad an Fehlern zu erwarten. Das Ziel der Meta-Analyse besteht darin, mit Hilfe statistischer Ansätze eine Schätzung abzuleiten, um die Stärke eines Effektes bestimmen zu können. Es gab in der Vergangenheit beispielsweise gemischte Ergebnisse in Bezug auf den Kontrollverlust. Durch eine systematische Meta-Analyse wurde dann gezeigt, dass der Kontrollverlust vor allem Auswirkungen auf den konkreten Verschwörungsglauben hat, aber nicht auf die abstrakte Verschwörungsmentalität.

Während zu Beginn der Untersuchungen dieses jahrhundertealten Phänomens Verschwörungsglauben noch besonders auf einzelne Korrelate geschaut wurde, hat sich die Forschung in den letzten Jahren immer mehr systematisiert und wurde theoretisch fundierter. Mittlerweile kann man davon ausgehen, dass der Glaube an Verschwörungen verschiedene Bedürfnisse des Menschen befriedigen kann:

Existentielle Bedürfnisse – das Streben nach Kontrolle und Sicherheit:


Wenn Menschen aufgrund privater Problemlagen oder gesellschaftlicher Krisen das Gefühl haben, keine Kontrolle zu haben und sich ohnmächtig fühlen, versuchen sie Strategien zu finden, um damit umzugehen – und Verschwörungserzählungen können so eine Strategie sein. Der Zufall spielt dann weniger eine Rolle, es gibt Muster und die Welt wird begreifbarer. Wenn Menschen in Unsicherheit leben, sind sie empfänglicher für Verschwörungsdenken. Wer beispielsweise seinen Job verliert oder unter unsicheren Bedingungen arbeitet, meint eher, dass Strippenzieher im Geheimen das Weltgeschehen lenken. Das verdeutlicht auch ein wenig die gesellschaftliche Dimension von Verschwörungsdenken. Der Glaube an eine Verschwörung kann also sinnstiftend sein und die Welt ordnen.

Soziale Bedürfnisse – das Streben nach einer positiven Selbstwahrnehmung:


Eine andere Erklärung, warum Menschen an Verschwörungen glauben, hat eher instrumentellen Charakter. "Die Wahrheit" zu sehen, kann nicht nur Kontrolle erzeugen, sondern auch das Gefühl verstärken, "Unwissenden" etwas voraus zu haben, besonders zu sein und damit den eigenen Selbstwert erhöhen.

Verschiedene Studien haben gezeigt, dass insbesondere Menschen, die ein starkes Bedürfnis danach haben, sich einzigartig zu fühlen, an Verschwörungserzählungen glauben. Man selbst ist in diesem Weltbild automatisch der Wissende und Gute, während die anderen entweder als Teil der Verschwörung gesehen oder als "Schlafschafe" diffamiert werden, die angeblich der Regierung, den Medien oder dem etablierten Gesundheitswesen blind hinterherlaufen. Menschen glauben also auch deswegen an Verschwörungen, weil sie sich dadurch besser fühlen können.

Epistemische Bedürfnisse – das Streben nach Verstehen:


Der Verschwörungsglaube ordnet die Welt. Menschen, die zu Verschwörungsglauben neigen, sehen tendenziell eher Muster dort, wo (vielleicht) keine sind. Dies belegt eine Studie der Psychologen Jan-Willem van Prooijen, Karen M. Douglas und Clara De Inocencio von August 2017, bei der Probanden abstrakte Gemälde gezeigt wurden. Diejenigen, die an Verschwörungen glaubten, entdeckten in diesen abstrakten Gemälden eher Muster und Strukturen und vermuteten Absichten dahinter, selbst wenn diese nicht existierten.

Es gibt aber auch noch andere kognitive Verzerrungen, die hier eine Rolle spielen können: Wenn einschneidende Dinge in der Welt geschehen, glauben Menschen tendenziell eher, dass bedeutsame Ursachen dahinterstecken müssen. In einer Studie konnte gezeigt werden, dass Versuchsteilnehmerinnen und -teilnehmer eher der Meinung zuneigten, dass der Tod eines fiktiven Staatsführers durch einen politisch motivierten Anschlag verursacht worden sei, wenn infolge des Todes ein Krieg ausgebrochen war. Bei einer Vergleichsgruppe, bei der der Todesfall keine dramatischen Umwälzungen zur Folge hatte, glaubten hingegen mehr Teilnehmende an eine natürliche Todesursache. Der Tod von besonders prominenten Personen des öffentlichen Lebens wie etwa Elvis oder anderen kann in der Logik der Verschwörungsgläubigen daher nicht natürlich sein, es muss eine Verschwörung dahinterstecken.

Pia Lamberty ist Doktorandin am Lehrstuhl Sozial- und Rechtspsychologie der Universität Mainz. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Verschwörungsmentalität und Verschwörungsglauben, Kognitive Verzerrungen, Psychologische Reaktionen auf Terrorismus und Repräsentationen von Geschichte und Intergruppenbeziehungen. Zum Thema Verschwörungsmythen, auch in Hinblick auf deren Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, hat sie schon verschiedene Veröffentlichungen vorgelegt. Darunter zuletzt 2020 gemeinsam mit Katharina Nocun: Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen.