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Familienpolitik: Geschichte und Leitbilder

Irene Gerlach

/ 32 Minuten zu lesen

Das Elterngeld ermöglicht es den Vätern, mehr Zeit mit dem Kind zu verbringen. (© AP)

Einleitung

Familie und Staat sind aufeinander angewiesen. Die Familie versorgt den Staat mit Bürgern und Bürgerinnen und leistet zentrale Aufgaben bei der Erziehung von Kindern sowie bei der Betreuung alter, kranker und behinderter Menschen. Der Staat hat daher ein Interesse daran, dass die Familie ihre Aufgaben wahrnehmen kann. Dabei bedarf sie der gesellschaftlichen und politischen Unterstützung. Familienpolitik regelt sowohl dieses gesellschaftliche Unterstützungsverhältnis zwischen Familien und Staat, sie beeinflusst jedoch auch das Binnenverhältnis der Familienmitglieder zueinander. Letzteres kann zum Beispiel durch die Scheidungsrechtsreformen veranschaulicht werden, die sich nachhaltig auf die Stabilität von Ehen auswirkten, oder - aktuell - durch die Einführung des Elterngeldes zum 1. Januar 2007, das - wie erste Wirkungsanalysen zeigen - durch das Angebot der "Vätermonate" Bewegung in die Rollenvorstellungen von jungen Vätern und Müttern gebracht hat.

Objekt staatlicher und rechtlicher Bemühungen

Wenngleich oft zu lesen ist, dass Familienpolitik erst im 20. Jahrhundert in der Form einer systematischen und gezielten Einflussnahme auf die Lebensverhältnisse von Familien entwickelt wurde, haben sich doch bereits seit der Antike fast alle Klassiker mit dem Verhältnis von Familie und Staat beschäftigt. So setzte sich Platon schon im 4. Jahrhundert v. Chr. in der "Politeia" (Staat/Staatswesen) mit der Frage auseinander, welche Folgewirkungen der in Familien vererbte Besitz für die gesellschaftliche Gerechtigkeit mit sich bringt, und in den "Nomoi" (Gesetze) hat er sich intensiv mit der Bedeutung von Erziehung für die Gesellschaft befasst.

Erstmals im Jahr 453 v. Chr. kam es in der Römischen Republik zu einer zusammenfassenden Regelung (Kodifizierung) des Rechtsgebietes Familie. Diese "Zwölf-Tafel-Gesetzgebung" wurde 533 n. Chr. in neu strukturierter und ergänzter Form verabschiedet. Ihr viertes Buch war dem Familienrecht gewidmet. Es enthielt konkrete Vorschriften zur Regelung menschlichen Zusammenlebens, markierte den gesellschaftlichen Standort und die Bedeutung der Familie und definierte deren interne Struktur und Machtverteilung. Insbesondere die Durchsetzung des Christentums trug zur weiteren Entwicklung von verbindlichen Vorstellungen und Vorschriften über Ehe und Familie bei. Das Zusammenleben der Partner wurde durch sie zunehmend in bestimmte, rechtlich festgelegte Bahnen gelenkt. Bei der Missionierung der germanischen Stämme fand man Raubehe, Muntgewalt (das heißt, die Frau unterstand ihrem Vater, ihrem Ehemann oder dem ältesten männlichem Verwandten) sowie Mehrehen vor. Die Kirche setzte dagegen: Inzestverbote, Zölibat, Monogamie, die Unauflösbarkeit der Ehe und ihren Status als Sakrament sowie die Einführung eines einheitlichen kirchlichen Rechts.

Während der Reformation wandten sich führende Reformatoren gegen den Sakramentcharakter der Ehe, und gleichzeitig wurden Forderungen danach laut, dass Ehe- und Familienbelange außer durch die Kirche auch durch den Staat geregelt werden sollten. Beispielhaft veranschaulicht dies der von Martin Luther formulierte "contractus mixtus" (parallele staatliche und kirchliche Eheschließung). Im Anschluss an die Reformation wurde damit begonnen, neben das kirchliche auch ein weltliches Eherecht zu setzen, und im Anschluss an das Konzil von Trient (1545 bis 1563) wurde die staatliche Eheschließung vorangebracht, was in die Einführung der obligatorischen Zivilehe mündete. Gleichzeitig entwickelte sich ein breites Schrifttum, in dem in Ehepredigten, Ehezuchten und Tugendspiegeln Maßstäbe für die idealen ehelichen und familialen Verhaltensweisen beschrieben wurden.

Durch die Einflüsse der Naturphilosophie und der Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert wird der staatlich-gesellschaftliche Umgang mit Ehe und Familie noch einmal geprägt. Die juristische wie die philosophische Literatur dieser Zeit setzten sich mit Fragen des Ursprungs, des Zweckes, der Notwendigkeit und der Natur der Ehe auseinander. Die Rollen von Mann, Frau und Kindern wurden zunehmend auch losgelöst von religiös-moralischen Vorgaben beschrieben. Beispiele dafür finden sich in Jean Jacques Rousseaus "Émile" von 1762 oder im Werk von Joachim Heinrich Campe (1746-1818), der als Begründer der Kinderpsychologie gelten kann.

Diese stark von den Gedanken der Aufklärung geprägten Theoriefragmente fanden Eingang in die ersten modernen Kodifizierungen von Familienrecht im "Code Napoleon" (1804) sowie im Allgemeinen Preußischen Landrecht (1794). Letzteres nahm zwar die Erkenntnisse der Kinderpsychologie auf, regelte aber gleichzeitig im Sinne des (aufgeklärten) Absolutismus "staatsunmittelbar" und im Detail das Binnenverhältnis der Familie. So schrieb es zum Beispiel der Mutter vor, die "Kinder selbst zu säugen" (Paragraph 76 II 2), und forderte von den Eltern, sie seien "schuldig, ihre Kinder zu künftigen brauchbaren Mitgliedern des Staates" zu erziehen und in "einer nützlichen Wissenschaft, Kunst oder (einem) Gewerbe" zu unterweisen (Paragraph 108 II 2). Dies sollte ausdrücklich in Abstimmung mit den Söhnen geschehen (die Töchter waren mangels Gleichberechtigung nicht betroffen).

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts brachte für die Menschen große Herausforderungen mit sich. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die Leibeigenschaft abgeschafft worden, der Einsatz von Maschinen in der Agrarwirtschaft verbesserte die Ernährungslage und setzte landwirtschaftliche Arbeitskräfte frei, die Industrialisierung erforderte andere Formen des Arbeitens und Lebens. Die Menschen wanderten in großer Zahl in die neu entstehenden industriellen Zentren ab und lebten dort unter zum Teil sehr schlechten Bedingungen und ohne die zuvor bestehenden sozialen Netzwerke von Feudalherrschaft, Großfamilie und Dorfgemeinschaft.

Zusammen mit den neuen Formen der industriellen Produktionsweise und der politischen Liberalisierung entstand so die "Soziale Frage" des 19. Jahrhunderts, die sich aus der Massenverelendung der Arbeiterschaft ergab. Der Staat reagierte zum Ende des Jahrhunderts mit ersten Maßnahmen der sozialstaatlichen Absicherung gegen die Risiken des Lebens: Krankheit, Unfall, Invalidität und Alter. Mit dieser "Sozialisierung" von Lebensrisiken wurden die Arbeitnehmer und ihre Familien ein Stück weit entlastet.

Leitbilder und Moral im Wandel

Das Verhältnis von Staat und Familie gewann vor allem in Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs immer ein besonderes Profil. Oft versuchte der Staat, das Familienleben zu beeinflussen, um so mit den Mitteln des Rechts, mit der Änderung von Leitbildern oder durch finanzielle Anreize neue politisch-gesellschaftliche Strukturen zu sichern oder auch "alte" wieder herzustellen. Zentrale Elemente der französischen Familienpolitik - beispielsweise ihre Organisation über Familienkassen und die Dominanz von Arbeitgebern in der Finanzierung - entstanden schon im 19. Jahrhundert, nachdem die Geburtenzahl im Anschluss an die Französische Revolution zurück gegangen war und sich der französische Staat angesichts der Nationalstaatsbildungen in Europa in seinem Bevölkerungsbestand gefährdet sah. Der neue russische Staat erließ nach der Revolution schon im Dezember 1917 zwei Dekrete über die "Zivilehe, die Kinder und die Führung des Personenstandsregisters" sowie über die "Ehescheidung",die Ehe und Familie dem Verständnis des "neuen", freien, sozialistischen Menschen anpassten. So wurden Scheidungen erleichtert, der Mutterschutz ausformuliert und das Prinzip der Gleichberechtigung in der Ehe eingeführt.

Als mit der Weimarer Republik 1919 die erste deutsche Demokratie gegründet wurde, fand in den Artikeln 119 bis 121 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) die Regelung von Familienleben erstmalig in Deutschland Eingang in eine Verfassung:

  • "Art. 119 WRV: (1) Die Ehe steht als Grundlage des Familienlebens und der Erhaltung und Vermehrung der Nation unter dem besonderen Schutz der Verfassung. Sie beruht auf der Gleichberechtigung der beiden Geschlechter. (2) Die Reinerhaltung, Gesundung und soziale Förderung der Familie ist Aufgabe des Staates und der Gemeinden. Kinderreiche Familien haben Anspruch auf ausgleichende Fürsorge. (3) Die Mutterschaft hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge des Staates.

  • Art. 120 WRV: (1) Die Erziehung des Nachwuchses zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit ist oberste Pflicht und natürliches Recht der Eltern, über deren Betätigung die staatliche Gemeinschaft wacht.

  • Art. 121 WRV: (1) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche, seelische und gesellschaftliche Entwicklung zu schaffen wie den ehelichen Kindern."

In der Weimarer Republik entstand eine ganze Reihe von Spezialverwaltungen in den Bereichen des Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswesens, die teilweise auch auf die Familien Einfluss zu nehmen suchten. So unternahmen zum Beispiel Vertreterinnen der Sozialverwaltung Hausbesuche, um vor allem Frauen in der Haushaltsführung und Kinderpflege zu unterweisen.

Das nachfolgende nationalsozialistische Regime widmete der Familie gesteigerte Aufmerksamkeit: Es gewährte erstmalig eine finanzielle Familienförderung, veranlasste umfassende rechtliche Änderungen und betrieb eine extreme symbolische Aufwertung von Familie. Dennoch kann in diesem Zusammenhang noch nicht von Familienpolitik gesprochen werden, da die Familie uneingeschränkt für die bevölkerungs- und rassepolitischen Absichten des Regimes instrumentalisiert wurde und zudem große Gruppen von Familien von den Maßnahmen ausgeschlossen blieben, wie zum Beispiel Juden oder politisch zum Regime in Opposition stehende Personengruppen. Diese zentrale Funktion von Familie im Politik- und Gesellschaftsbild des Nationalsozialismus findet sich in "Mein Kampf" von Adolf Hitler. Danach hätte der völkische Staat die "Rasse" in den Mittelpunkt des allgemeinen Lebens zu stellen und für ihre "Reinerhaltung" zu sorgen. Das Kind sollte zum kostbarsten Gut eines Volkes erklärt werden, und der völkische Staat hätte dafür Sorge zu tragen, dass nur "wer gesund ist, Kinder zeugt". Umgekehrt dürften der Nation aber auch keine gesunden Kinder vorenthalten werden. Der Staat als "Wahrer einer tausendjährigen Zukunft" müsste dem Wunsch und der Eigensucht einzelner entgegentreten.

Familie wurde in der starken Betonung des bevölkerungspolitischen Motivs zum Vehikel der "Produktion von Menschen", die das auf extreme Expansion ausgerichtete "Reich" zukünftig brauchen würde und die dabei seinen "rassehygienischen" Vorstellungen entsprechen mussten. Die nationalsozialistischen Gesetze zu Ehe und Familie erfüllten zugleich aber auch arbeitsmarktpolitische Funktionen, indem sie die Frauen vom Arbeitsmarkt drängten. Dass sich der Staat hier steuerungspolitische Vorteile sowohl im Hinblick auf sein bevölkerungspolitisches als auch sein arbeitsmarktpolitisches Motiv erhoffte, lässt sich daran ablesen, dass die entsprechenden Gesetze vergleichsweise früh verabschiedet wurden.

Die bedingungslose Instrumentalisierung des Familienlebens geschah dabei, ohne auf eine konzeptionelle Stimmigkeit der Politik zu achten: So führten die Nationalsozialisten mit dem Ehegesetz von 1938 erstmalig in Deutschland in Scheidungsverfahren den Zerrüttungstatbestand ein. Er verwehrte dem scheidungsunwilligen Partner jeglichen Einspruch bei Unfruchtbarkeit, "völkisch unerwünschter Altehe" oder dem Wunsch des Scheidungswilligen eine außereheliche Beziehung zum Zwecke der Familiengründung zu legalisieren. Gleichzeitig wurde die Familie symbolisch inszeniert und extrem aufgewertet. Der nationalsozialistische "Hausideologe" für die Familie, Horst Becker, beschwor das (idealisierte) Bild der bäuerlichen Familie aus dem 19. Jahrhundert. Kinderreiche Mütter wurden mit dem Mütterkreuz ausgezeichnet, und der Propaganda-Apparat verbreitete in der Öffentlichkeit das Bild der nationalsozialistischen Familie. Gleichzeitig wurde der Einfluss der Familie jedoch faktisch zurückgedrängt durch neu geschaffene Institutionen wie die Zweige der NS-Jugendorganisationen (Bund Deutscher Mädel und Hitlerjugend), die zu wesentlichen Sozialisationsträgern wurden. Auch der "Lebensborn" unterhöhlte die Institution Familie. Bei ihm handelte es sich um einen von der SS getragenen Verein, der es sich zum Ziel gesetzt hatte, die Geburtenzahlen von "arisch reinen" Kindern zu erhöhen. Dazu ermöglichte er es Frauen, in entsprechenden Einrichtungen anonym Kinder - oft aus nichtehelichen Verbindungen SS-Angehöriger - zu entbinden, die später zur Adoption frei gegeben wurden. Zudem war der Lebensborn für die Verschleppung "arischer" Kinder aus besetzten Gebieten zuständig.

Nationalsozialistische "Familiengesetze"

Die nationalsozialistische Funktionäre und ihre Familien folgten dem öffentlichen Bild von Familie nicht durchgängig. Das beste Beispiel dafür war Adolf Hitler selbst, der in nichtehelichen Beziehungen lebte, oder Magda Goebbels, die Frau des Propagandaministers Joseph Goebbels, die der Propagandaapparat zur Vorzeigemutter des Reiches stilisierte und deren Eheleben in keiner Weise dem öffentlich erzeugten Bild entsprach.

Familienleitbild der DDR

In der DDR versuchte die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands ein Familienleitbild nach sozialistischen Maßgaben zu schaffen. In der Zeit zwischen 1945 und der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 wurden in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) zwei Entwürfe für ein Familiengesetz vorgelegt. Der eine wurde schon im Herbst 1945 vom Justizministerium der Landesverwaltung Sachsen vorbereitet, war "aus dem allgemeinen Wunsch nach einer gesetzlichen Basis für die Schaffung einer neuen Ordnung, die von der Familie auszugehen habe", entstanden und stark am Vorbild der Sowjetunion orientiert.

Der Demokratische Frauenbund Deutschlands legte einen zweiten Entwurf für ein Familiengesetz vor, der 1948 und 1949 vom Deutschen Volksrat zwar beraten, aber nicht verabschiedet wurde. 1950 wurde das "Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau" (MKSchG) verabschiedet. Es sollte Frauen die wirtschaftliche Selbstständigkeit garantieren und ihnen ermöglichen, ihre Aufgaben als Staatsbürgerin und Mutter zu vereinbaren. Darüber hinaus regelte das Gesetz die besondere Unterstützung kinderreicher Mütter, die Einrichtung von Kinderkrippen, Kindergärten, Wochenheimen und anderen helfenden Einrichtungen.

Zwar hatte schon das MKSchG einen Gesetzgebungsauftrag für ein Familiengesetzbuch enthalten, doch dauerte es bis 1965, bis ein solches auch verwirklicht wurde. Grund war die Uneinigkeit der Verantwortlichen darüber, ob die neue Familie erst durch die sozialistische Praxis geschaffen und dann rechtlich fixiert werden sollte oder umgekehrt. Zudem gab es Differenzen, wie Frauenpolitik im Verhältnis zur Familienpolitik gewichtet werden sollte. Seit dem VI. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) 1963 fand die Vorstellung von Familienbeziehungen "neuer Art" Eingang in die Diskussionen. Deren besondere Qualität bestehe weniger in materiellen Interessen, sondern in engen menschlichen Beziehungen, die auf die Gesellschaft zurückwirken sollten. 1958 waren dazu schon "Zehn Gebote der sozialistischen Moral" verkündet und 1963 in das Parteistatut der SED aufgenommen worden. Die "Gebote", welche die Familie betrafen, lauteten: "8. Du sollst Deine Kinder im Geiste des Friedens unddes Sozialismus zu allseitig gebildeten, charakterfesten und körperlich gestählten Menschen erziehen. 9. Du sollst sauber und anständig leben und Deine Familie achten."

QuellentextErfolge und Misserfolge der DDR-Familienpolitik

[...] Aufgrund der besonderen demographischen Situation nach Kriegsende war es für das wirtschaftliche Überleben beider deutscher Staaten unabdingbar, Frauen in den Arbeits- und Produktionsprozeß einzubeziehen. Da die DDR-Wirtschaft in den fünfziger Jahren noch zusätzlich unter der Abwanderung von Arbeitskräften und später unter technischer Rückständigkeit litt, blieb diese Notwendigkeit bis zum Ende der DDR bestehen. [...]
Frauen sollten neben ihrer Arbeit im Produktionssystem auch die "Reproduktionsaufgaben" der Gesellschaft übernehmen und den Kinderreichtum der DDR mehren.[...] Die Anzahl staatlicher Betreuungsplätze für Kleinkinder, Kinder und Schüler stieg im Laufe der Jahrzehnte stetig an. Im Jahre 1989 wurde ein nahezu vollständiger Betreuungsgrad erreicht. Dies begünstigte einen raschen Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit bis zu einer Rate von über 90 Prozent im Jahre 1989.[...]
Ihre bevölkerungspolitischen Ziele erreichte die SED jedoch nie. Die einfache Reproduktion der Bevölkerung, d.h. der Ersatz der Elterngeneration durch eine entsprechende Kinderzahl (damals etwa 2,1 Kinder pro Frau), gelang letztmalig im Jahre 1971. Durch spezielle Familienfördermaßnahmen (Kindergeld, Krediterlasse nach der Geburt von Kindern, Babyjahr, Pflegeurlaub etc.) stieg zwar die Geburtenrate in den siebziger Jahren zwischenzeitlich an, sank aber seit Anfang der achtziger Jahre wieder kontinuierlich. Zum Ende der DDR lag die Kinderzahl pro Frau bei durchschnittlich 1,7.
Ein Grund für den Mißerfolg der DDR-Bevölkerungspolitik war sicher die unzureichende Arbeitsteilung im Haushalt. Der tägliche Zeitaufwand für hauswirtschaftliche Tätigkeiten betrug bei Frauen in Familien mit Kindern über vier Stunden [...], während Männer in der Regel weniger als drei Stunden im Haushalt beschäftigt waren. Auch die Instabilität vieler Ehen - im Jahre 1989 kamen auf 137 000 Eheschließungen 50 000 Scheidungen - trug zur Verringerung der durchschnittlichen Kinderzahl bei. Daneben dürften auch die beruflichen Nachteile, die Frauen trotz gesetzlicher Gegenmaßnahmen nach der Geburt von Kindern zu erwarten hatten, deren Motivation zur Geburt vieler Kinder abgeschwächt haben.[...]
Die Frauen- und Familienpolitik der SED blieb primär an ökonomischen und demographischen Rastern ausgerichtet. Sie verzichtete völlig auf emanzipatorische Impulse, stellte das Rollenverständnis der Männer nicht in Frage und mutete den Frauen eine doppelte Belastung und mangelnde Chancengleichheit in Beruf und Gesellschaft zu. Aber: [...] im Ergebnis brachte sie den meisten Frauen bzw. ihren Familien eine Verbesserung der materiellen Lage, eine höhere Qualifikation und eine gewisse ökonomische Unabhängigkeit.
Klaus Schröder, Der SED-Staat. Geschichte und Strukturen der DDR, München 1998, S.527ff.

Entwicklungen in der Bundesrepublik

Die zitierten Beispiele verdeutlichen einerseits die besondere Funktion, die dem Recht - sowohl dem Verfassungs- als auch dem Familienrecht - für die Familienpolitik zukommt, andererseits unterstreichen sie in ihrer speziellen Formulierung die besondere Bedeutung, die Moral in der Familienpolitik lange Zeit hatte.

Dies gilt - mit Einschränkungen - auch für Phasen der Familienpolitik, die der Gründung der Bundesrepublik Deutschland folgten und teilweise einhergingen mit Zielen einer Gleichstellungspolitik. Zunächst war dem westdeutschen Staat in den 1950er Jahren vor allem daran gelegen, die Situation der Nachkriegsfamilien zu verbessern, die von Unvollständigkeit, das heißt einem fehlenden Elternteil und/oder fehlenden Geschwistern, Vertreibung, mangelndem Wohnraum und fehlenden Arbeitsplätzen betroffen waren. Vielen Politikern schien dazu weiterhin das Modell der "bürgerlichen" Familie am ehesten geeignet, in der der erwerbstätige Vater dominierte, die Mutter sich auf Haushalt und Familie konzentrierte und allenfalls unter Umständen ehrenamtlich tätig war. Berufstätigen Frauen wurde "Wohlstandsfieber" und "Geltungsstreben" vorgeworfen. Dies belegt beispielsweise ein Zitat des ersten Bundesfamilienministers Franz-Josef Wuermeling (1953 bis 1962): "So ist die Mutter daheim, zumal derVater weithin nicht daheim ist, heute noch vielfach wichtiger als früher. Eine Mutter daheim ersetzt vielfach Autos, Musiktruhen und Auslandsreisen, die doch allzu oft mit ihrer Kinder gestohlenen Zeit bezahlt wurden". Auch in diesem Zusammenhang wurde Familie politisiert, wie ein weiteres Zitat von Wuermeling zeigt: "Millionen innerlich gesunder Familien mit rechtschaffend erzogenen Kindern sind als Sicherung gegen die drohende Gefahr der Völker des Ostens mindestens ebenso wichtig wie alle militärische Sicherung."

Rein rechtlich gesehen brauchte es von der Gründung der Bundesrepublik Deutschland, 1949, an immerhin 28 Jahre, bis mit der Reform des Ehe- und Scheidungsrechts im Jahr 1977 die Grundlagen für die endgültige Übertragung des Gleichbehandlungsgebotes nach Art. 3 GG auf das Ehe- und Familienrecht geschaffen wurden und damit die Freiheitsrechte der Moderne vor allem auch für Frauen verwirklicht werden konnten. Bis dahin gab es einen Widerspruch zwischen dem in Art. 3 und 6 GG vermittelten, am Maßstab der gleichen Rechte orientierten Bild der Geschlechter und demjenigen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), das ungleiche Rechte zementierte, indem es die Rollenteilung zwischen Mann und Frau vorschrieb. Mit dem Fortgang der Bundesrepublik Deutschland verlor insbesondere das "moralisierende" Recht stark an Bedeutung. So wurde 1976 das Schuldprinzip bei der Scheidung abgeschafft, in Stufen 1969, 1979 und 1997 wurden eheliche und nichteheliche Kinder in ihren Rechten gleichgestellt, und schließlichbrachte auch die formale Akzeptanz von gleichgeschlechtlichen Beziehungen Berührungspunkte zur Familienpolitik mit sich: Schon mit Verabschiedung des Lebenspartnerschaftsgesetzes 2001 wurde das "Kleine Sorgerecht" für Partner bzw. Partnerinnen in Fällen eingeführt, in denen leibliche Kinder mit in die Lebenspartnerschaft gebracht wurden. 2005 folgte das Recht zur Stiefkindadoption in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften.

Unterschwellig sind aber sowohl der parteipolitische als auch der öffentliche Diskurs in der Familienpolitik bis heute nicht frei von moralischen Urteilen und Vorurteilen. Dies wurde beispielsweise deutlich, als Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (ab 2005) im Frühjahr 2007 das Ziel formulierte, zumindest für 35 Prozent aller Kinder unter drei Jahren in Deutschland mittelfristig Betreuungsangebote zu schaffen. Das bedeutete, Deutschland im europäischen Vergleich der U3(Unter drei-)-Betreuung von einem der letzten auf einen Platz im vorderen Drittel zu bewegen und entspricht im Übrigen Zielsetzungen, die in europäischen Verträgen niedergelegt wurden. Zwischen den Parteien und in der Öffentlichkeit brach daraufhin eine stark emotional geführte Diskussion über das Wohl der Kinder aus.

In einer Position wurde die Ansicht vertreten, dass Kinder unter drei Jahren grundsätzlich zuhause (von der Mutter) am besten betreut würden und in Einrichtungen Schaden nähmen. Dem ließe sich entkräftend entgegenhalten, dass es sich bei dem Vorhaben nur um ein Angebot an gut ein Drittel der Kinder handeln sollte, zwei Drittel also weiterhin von den Eltern betreut würden. Auch könnte man Fragen nach der realen Betreuungssituation zuhause zulassen: Werden alle Kinder dort wirklich gefördert? Kann eine professionelle Betreuung nicht für manche Kinder auch vorteilhafter sein als die elterliche? Wie kann eine stundenweise professionelle Betreuung mit "intelligent" gelegten Arbeitszeiten von Mutter und Vater verbunden werden? Interessanterweise kommen in familienpolitischen Diskussionen dieser Art bis heute häufig Klischees zum Tragen: Eine "gute Mutter" kann demnach nur eine sein, die nicht erwerbstätig ist, Elternkompetenzen werden Lebenspartnern automatisch mit dem Erreichen desElternstatus' per Geburt von Kindern zuteil.

QuellentextKontroverse um die Kinderbetreuung

[...] Eben weil sich [in Deutschland] jeder als Experte fühlt [...], tobt der Kulturkampf ums Kleinkindwohl so aufgeregt und hektisch wie kaum eine politische Debatte der vergangenen Jahre.
Es ist ein Glaubenskrieg.
Drei völlig verschiedene Aspekte des Umgangs mit den Kleinen werden dabei munter durcheinandergeworfen. Erstens: Wie möchte ich als Elternteil leben? Möchte ich ganztags ins Büro oder daheim sein bei meinem Kind? Diese Frage muss jeder für sich beantworten.
Zweitens: In welcher Gesellschaft möchten wir leben? Sollen Frauen und Männer gleichberechtigt am Berufsleben teilnehmen? Müsste der Staat mehr Mittel in die Kinderbetreuung investieren? Wenn ja: Wie viel ist ihm die wert? Diese Fragen müssen politisch entschieden werden.
Schließlich drittens: Was eigentlich ist gut fürs Kind? Schadet ihm die stundenlange Trennung von der Mutter? Fördert gar umgekehrt die Krippe seine soziale Entwicklung? Hier ist die Wissenschaft gefragt. [...]
Die Ratlosen sind die Eltern. Mütter, die ihr Kind eben noch ganz unbesorgt betreuen ließen, beginnen plötzlich zu zweifeln: Ist mein Kind wirklich bestmöglich versorgt? Sollte ich doch den Job hinschmeißen? Was, wenn die Krippengegner recht haben?
Bin ich eine Rabenmutter?
Frauen wiederum, die ihre Berufstätigkeit um des Kindes willen aufgegeben haben, fragen sich: Wird es mir mein Kind am Ende überhaupt danken? Wird es mir nicht später vorwerfen, dass ich mich nicht um mich selbst gekümmert habe?
Bin ich eine Glucke? [...]
Kleinkinder, so die Erkenntnis aller Bindungsforschung, brauchen ihre Mutter. "Aber deshalb muss die Krippe noch nicht des Teufels sein, wenn man sich dort fürsorglich kümmert", schränkt die Kölner Entwicklungspsychologin Lieselotte Ahnert von der Uni Köln ein.
Bemerkenswert differenziert scheinen selbst kleinste Kinder zwischen Mama und anderen zu unterscheiden. Dies gilt auch und gerade für ihre Betreuerin in der Krippe. "Die sind ja keine Waisen, die bei einem Erzieherwechsel eine Ersatzmutter verlieren", erklärt Ahnert. Die Kleinen erwarteten gar keinen Mutterklon. "Sie sehen die Erzieherin eher als Spielpartner."
Nimmt man diesen feinen Unterschied zur Kenntnis, entweicht der ideologischen Krippendebatte die ganze Luft. Keine Erzieherin soll und wird jemals eine Mutter ersetzen, keine Krippe an die Stelle der Familie rücken. In der Hauptsache geht es darum, Kinder werktags einige Stunden lang bestmöglich zu betreuen, zu fördern und die Eltern zu entlasten, indem sie qualifizierte Unterstützer an die Hand bekommen.
Es geht nicht um "entweder oder", sondern um "sowohl als auch". [...]
Tatsächlich ist das mütterliche Betreuungsmonopol, wie es in Deutschland praktiziert wird, weltweit die Ausnahme. "Wenn sich nur Kinder gut entwickeln würden, die in den ersten Jahren an ihrer Mutter kleben, dann wären die Kinder der Hausfrauen in den reichen Industrienationen die ersten und einzigen normalen Menschen auf der Erde", spottet der amerikanische Gelehrte Jared Diamond.
In der gesamten Menschheitsgeschichte sei die Erziehung ganz anders gelaufen: "Die meisten Kinder wurden in einem Netz von Tanten, Onkeln und Freunden erzogen, das hat unsere Spezies geprägt." Bis heute werden Kinder in jedem Volk anders großgezogen. "Und all die verschiedenen Betreuungsmodelle in der Welt generieren glückliche Menschen", sagt Heidi Keller (Kleinkindforscherin in Osnabrück - Anm. d. Red.). Das kann nur heißen: Es ist die Kultur, die darüber bestimmt, wie der Mensch umgeht mit seinen Babys. [...]
Nirgends wird beispielsweise die kognitive Entwicklung als so wichtig erachtet wie in den westlichen Industrienationen. Deshalb, so Keller, sei es nicht erstaunlich, dass hier die sprachliche Entwicklung besonders flott vonstatten geht: "Niemand labert seine Kinder so zu wie wir."
Andererseits verstauen westliche Eltern ihre Säuglinge in Kinderwagen und Babyschalen, anstatt sie auf dem Leib zu tragen. Ohne sich dessen bewusst zu sein, bereiten sie ihren Nachwuchs damit vor auf eine Welt, in der Individualität und Autonomie mehr zählen als das Verschmelzen mit der Gemeinschaft.
Das heißt, die Eltern packen es automatisch richtig an - richtig im Sinne von: angepasst an die Kultur, in der das Kind aufwachsen wird. So wird es fit für die spezielle Ökologie seiner direkten Umgebung - eine beruhigende These in der deutschen Krippendebatte. [...]

Andrea Brandt / Rafaela von Bredow / Merlind Theile, "Glaubenskrieg ums Kind", in: Der Spiegel Nr. 9 vom 25. Februar 2008, S. 40ff.

Beruf - Familie

Der "gute Vater" hingegen geistert als eher unspezifische Figur durch die familienpolitische Diskussion. Immerhin ist es mit dem Elterngeld, das ab 2007 für zwei Monate länger gezahlt wird, wenn der im ersten Lebensjahr nicht betreuende Elternteil (das ist in den meisten Fällen der Vater) diese Betreuung zwei Monate lang übernimmt, schon im ersten Jahr des Bestehens der neuen Regelung gelungen, die formale Betreuungsquote der Väter von zuvor 3,5 auf fast zwölf Prozent zu steigern, und im Folgejahr auf 16 Prozent. Ein großer Teil der beantragenden Väter betreut tatsächlich nur in diesen zwei Monaten, aber immerhin fast ein Fünftel auch in Zeiträumen bis zu einem Jahr.

Arbeitszeiten 2006

Auch in einem demokratischen und dem Ziel der Rechtgleichheit verpflichteten freiheitlichen Staat muss sich Familienpolitik mit Vorurteilen und moralisch begründeten Rolleninhalten auseinandersetzen. Sie ist gleichzeitig vor die Aufgabe gestellt, Familiengründungen und Familienleben in Formen zu ermöglichen, die Menschen sich wünschen und in denen zugleich die Leistungen erbracht werden, die für die Gesellschaft unverzichtbar sind.

Motive, Instrumente und Akteure

Lange Zeit wurde im öffentlichen Diskurs suggeriert, dass Familie Teil des Privatlebens sei und daher nicht Inhalt und Ziel von Politik sein könne. Schon ein flüchtiger Blick auf die eingangs beschriebenen Versuche staatlicher Einflussnahme auf Familien seit der griechischen Antike zeigt aber, dass dies sehr wohl der Fall war. Dass Familie bis heute oft eher dem Privatbereich zugeordnet wird, ist begründbar durch:

  • historische Eingriffserfahrungen in die Familien, wie zum Beispiel durch das Allgemeine Preußische Landrecht;

  • mögliche Befürchtungen staatlicher oder anderer, nicht primär familieninteressierter Akteure, dass die Anerkennung des auch gesellschaftlichen, auch politischen Charakters von Familie Begehren auf Finanzierung und Ausgleich in unermesslichem Rahmen mit sich bringen könne.

So war Familie - obwohl 1919 erstmalig in der Weimarer Reichsverfassung mit Verfassungsrang verankert - noch kein Thema auf dem Herrenchiemseer Konvent, der vom 10. bis 23. August 1948 das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vorbereitete. In den ersten Beratungen des späteren Art. 6 GG im Grundsatzausschuss des Parlamentarischen Rates wurden die Fragen gestellt, ob und - wenn ja, in welcher Form - Ehe und Familie verfassungsrechtlich geschützt werden sollten. Die Gegner einer Aufnahme von Familie in die Verfassung, SPD, FDP und DKP, argumentierten, ein biologisch-moralischer Komplex wie Familie gehöre nicht in eine Verfassung und lehnten 1953 auch die Gründung eines Bundesfamilienministeriums noch mit denselben Argumenten ab. Dennoch ist Familie auch eine Angelegenheit des öffentlichen Gemeinwesens, da sie - wie bereits beschrieben - zentrale und für die Gesellschaft unverzichtbare Funktionen erfüllt. Entsprechend besteht das Ziel von Familienpolitik darin, Familien in der Erfüllung ihrer Funktionen zu unterstützen oder diese überhaupt erst möglich zu machen.

Motive für staatliches Handeln

Überspitzt formuliert, kann davon ausgegangen werden, dass zunächst die Bestandssicherung von Gesellschaften das Hauptmotiv entsprechenden staatlichen Handelns war und ist. Quantitativ sollen nachfolgende Generationen in ausreichendem Umfang garantiert werden. Qualitativ gilt es, gesellschaftliche Kenntnisse, Fertigkeiten und Werte in der Generationenfolge zu erhalten bzw. weiter zu entwickeln und darauf aufbauende Strukturen im Rahmen von Sozialisationsleistungen zu gewährleisten.

Auf der Basis konzeptioneller Vorarbeiten des Soziologen Franz X. Kaufmann unterscheidet die Familienforschung gemeinhin vier familienpolitische Motivgruppen. Danach betreiben Staaten Familienpolitik mit einem bevölkerungspolitischen, einem sozialpolitischen, einem familieninstitutionellen sowie einem emanzipatorischen Motiv. Diese Motive erfahren je nach aktueller Problemlage der Familien bzw. der Gesellschaften eine unterschiedliche Gewichtung, in einer konzeptionell ausgewogenen Familienpolitik sollten sie jedoch alle ihren Stellenwert haben.

Das bevölkerungspolitische Motiv hat schon vor der Entstehung offizieller Familienpolitik zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine herausragende Rolle im Rahmen staatlicher Ordnungspolitik gespielt. Bereits früh wurden Zusammenhänge hergestellt zwischen der wirtschaftlichen, politischen, militärischen (und sogar moralischen) Stärke eines Volkes und seinen Familien. Bevölkerungspolitik hat der Familienwissenschaftler Max Wingen als "das bewusste, zielgerichtete und möglichst explizite Einwirken auf Entwicklung und Struktur der Bevölkerung" definiert. Je nach gesellschaftlicher Situation können politische Maßnahmen die Reduzierung der Bevölkerung anstreben. Oder sie zielen auf die so genannte Nettoreproduktionsrate (Ersatz der Müttergeneration) von 1,0 mit der Konsequenz einer stabilen Bevölkerungszahl ab, wozu - statistisch -2,1 Kinder pro Frau geboren werden müssten. Die zusammengefasste Geburtenziffer bewegte sich jedoch in Deutschland insgesamt in den 1990er Jahren zwischen 1,3 und 1,4 Kindern pro Frau, was für das Jahr 2007 eine Nettoreproduktionsrate von 66 Prozent ergibt. Von einer Bestand erhaltenden Höhe der Geburtenzahlen ist die bundesdeutsche Gesellschaft also weit entfernt. Dabei ist nicht nur die Zahl der geborenen Kinder von Bedeutung, sondern vor allem die Struktur des Bevölkerungsaufbaus, insbesondere das Verhältnis von junger, erwerbstätiger und nicht mehr erwerbstätiger Generation. Dieses Verhältnis entscheidet nicht nur über die Leistungsfähigkeit sozialer Sicherungssysteme, sondern auch über Waren-, Güter- und Finanzmärkte. Selbst das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist zu seinem wesentlichsten Teil abhängig von Bevölkerungsumfang, Bevölkerungsstruktur und in der Bevölkerung vorhandenem "Humanvermögen".

Deutsche Lebensbäume

Bedingt durch den hohen Stellenwert, den die Bevölkerungspolitik während des Nationalsozialismus in Deutschland genossen hatte, war in Westdeutschland eine bevölkerungspolitische Diskussion für lange Zeit tabuisiert. In europäischen Nachbarstaaten wie zum Beispiel Frankreich, aber auch in der DDR (trotz derselben Vorgeschichte) war dies ganz anders. Dieser selbst auferlegte Artikulations- und Steuerungsverzicht über lange Phasen der deutschen Familienpolitik stellt sich in seinen Resultaten heute als eines der zentralen Zukunftsprobleme der Gesellschaft dar. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass Bevölkerungspolitik als Teil der Familienpolitik auf ein hoch sensibles steuerungspolitisches Handlungsfeld trifft. Einer aktiv gestaltenden Beeinflussung des generativen Verhaltens sind unmissverständlich Grenzen gesetzt. So verbieten sich sowohl jegliche Zwangsmaßnahmen als auch Verhaltensmanipulationen, die in der Folge eines nicht transparent gemachten Beeinflussungsprozesses geschehen.

"Wir brauchen mehr Kinder!"

Den äußeren Rahmen für eine ethisch akzeptable Steuerung des generativen Verhaltens setzen die Erklärung der Menschenrechte, die 1968 in Teheran um einen entsprechenden Passus ergänzt wurde, und grundsätzliche Erklärungen auf den regelmäßig stattfindenden Bevölkerungskonferenzen der Vereinten Nationen, zuletzt in New York (1999) und Kairo (2005), wonach die einzelnen Paare das Recht haben, frei, verantwortlich und informiert über die Zahl ihrer Kinder und den zeitlichen Abstand der Geburten zu entscheiden.

Unter dem sozialpolitischen Motiv von Familienpolitik wird das Bemühen des Staates und anderer gesellschaftlicher Träger verstanden, soziale Ungleichheiten zu mindern, die ihre Ursache im Familienstand bzw. in der Zahl der Kinder haben, die zu einer Familie gehören, oder die in der Schichtzugehörigkeit der Familie begründet sind. Die Lebenslage einer Familie bestimmt in wesentlichem Maße sowohl deren Möglichkeiten zur Daseinssicherung mit ihren Konsequenzen für die einzelnen Familienmitglieder als auch die sozialen Chancen der Kinder. Umgekehrt kann sich mit wachsender Kinderzahl die Lebenslage bzw. ökonomische Situation einer Familie in einem Ausmaß verschlechtern, das es rechtfertigt, Elternschaft - unter bestimmten Voraussetzungen - zu einem wesentlichen Armutsrisiko zu erklären. Alle bisher vorgelegten Armuts- und Reichtumsberichte (2001, 2004, 2008) sowie zum Beispiel der 11. Kinder- und Jugendbericht aus dem Jahr 2002 belegen eindrücklich, dass zu den potenziellen Voraussetzungen für Armut insbesondere eine größere Kinderzahl sowie der Status des Alleinerziehens gehören.

QuellentextLeben als Alleinerziehende

"Zicke zacke, Hühnerkacke, hoi, hoi, hoi": Mit ihrem täglichen Marschlied, im Gepäck Schaufel, Eimer und Rühreibrötchen, ziehen Silke Anna [...], 42, und ihr Sohn Joan, 3, an den Strand von Sellin. Egal, wie dick und dunkel die Wolken sind, die über dem Rügener Ostseebad hängen - die beiden genießen ihre ersten gemeinsamen Ferien. [...]
"Diese Urlaubswoche ist das, was ich mir an Luxus gegönnt habe", sagt Silke [...]. Die selbständige Architektin muss penibel rechnen: Vor eineinhalb Jahren hat sie sich von ihrem Mann getrennt. Der war mit seinen Geschäften in Konkurs gegangen und damit "psychisch nicht fertig geworden", wie sie sagt. [...]
Für Mutter und Kind bleibt allerdings auch jetzt nichts übrig, und so bald wird sich daran auch nichts ändern. Deshalb hat Silke [...] zu Hause, im westfälischen Ahlen, einen strikten Finanzplan für den Haushalt aufgestellt und ein ebenso knapp kalkuliertes Budget für ihr Büro, das sie in ihrer Mietwohnung untergebracht hat.
Ohne die finanzielle Unterstützung ihrer Eltern wäre sie nie "rumgekommen", sagt sie. Im vergangenen Jahr habe sie vom Geld ihrer Eltern gelebt. Seit ihre Auftragslage etwas besser ist, versucht sie, ihre Schulden langsam wieder abzutragen. [...]
Tatsächlich ist die Architektin Meisterin im Organisieren und Planen - und muss es als alleinerziehende Mutter auch sein. Akribisch, auf fünf Minuten genau, hat sie zu Hause in Ahlen ihren Tagesablauf eingeteilt: Zeit für den Beruf, Zeit für Joan und Zeit für Charly, den seelenruhigen alten Pudel:
5.00-5.45 Uhr Aufstehen, Zeitung lesen, das Kindergartenfrühstück mit Brötchen und Obst für Joan vorbereiten
5.45-8.15 Den Tag vorbereiten, Telefongespräche mit Handwerkern erledigen, Charly kurz vor die Tür lassen
8.15-8.40 Joan für den Kindergarten fertigmachen
8.40-9.45 Joan zum Kindergarten bringen, Spaziergang mit Charly
9.45-13.15 Baustellenbesuche, Besprechungen, Büroarbeit
13.15-14.00 Spaziergang mit Charly, Imbiss, zehn Minuten Kurzschlaf
14.00-16.00 Besprechungen, Büroarbeit
16.00-16.45 Joan vom Kindergarten abholen
16.45-18.30 Mit Joan und Charly einkaufen gehen, Besorgungen machen, Hausarbeit
18.30-19.45 Abendessen, Joan ins Bett bringen
19.45-22.00 Büroarbeit, Aufräumen, Charly kurz vor die Tür lassen, todmüde ins Bett.
Kleine Abweichungen sind nicht ausgeschlossen, sagt die perfekte Planerin: Manchmal steht sie schon um vier Uhr auf - etwa um zusätzliche Zeit für Entwürfe zu haben. [...]
An manchen Tagen allerdings nützt auch der schönste Zeitplan nichts: Das Kind ist krank, und das Protokoll gerät aus den Fugen. "Dann muss ich vieles umschmeißen und einen Teil der Büroarbeit streichen." [...]
Dass sie als Alleinerziehende ganz gut über die Runden kommt, verdankt sie auch dem Leben in der kleinen Stadt. Ahlen ist übersichtlich, die Wege sind kurz, so spart sie Zeit. Beim Bauamt ist sie in zehn Minuten, zur Baustelle kommt sie mit dem Auto ebenso schnell. Auch die besten Freunde wohnen nicht weit weg, Britta und Sins [...] mit Töchtern und Großmutter, eine richtige Großfamilie, bei der sie sich in Krisenzeiten immer schnell Rat holen kann. Und als Babysitter springt, wenn die Not ganz groß ist, auch schon mal eine Tochter ihres Vermieters ein. [...]
Von dem, was ihr früher Spaß machte, hat sie viel aus ihrem Leben gestrichen. [...] Die Einschränkungen versucht sie locker zu nehmen. "Ich habe mir vorgenommen, diese Abstinenz jetzt einfach durchzuhalten", sagt sie. [...]

Renate Nimtz-Köster, "Stillen auf der Baustelle", in: SPIEGEL Special Nr. 4 vom 7. August 2007, S. 42 ff.

Das Bundesverfassungsgericht hat sich in einer Reihe von Urteilen seit Mitte der 1980er Jahre verstärkt vor allem mit Fragen der Familienbesteuerung befasst. Aus der Systematik seiner Rechtsprechung lässt sich heute ableiten, dass die finanziellen Maßnahmen staatlicherseits in zwei Gruppen zu unterteilen sind. Zunächst gilt es, mit dem Ziel eine horizontale Gerechtigkeit im Rahmen der Besteuerung sicher zu stellen, dass Steuerpflichtige mit gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit auch gleich behandelt werden. Dies bedeutet, dass die (unvermeidbaren) Kosten für Kinder als Gründe einer geminderten Leistungsfähigkeit anerkannt und durch entsprechende Freibeträge von der Besteuerung ausgenommen werden müssen. In Stufen hat so die Urteilssprechung des Bundesverfassungsgerichtes dazu geführt, dass das physische Existenzminimum sowie der Erziehungs- und Betreuungsbedarf für Kinder von der Besteuerung freigestellt wurden. Bei diesen Maßnahmen handelt es sich allerdings nochnicht um familienpolitische Transferzahlungen des Staates, sondern lediglich um die Erstattung zuvor im Vergleich mit kinderlosen Bevölkerungsgruppen gleicher Einkommenshöhe zu viel gezahlter Steuern.

QuellentextExistenzminimum

Das Existenzminimum umfasst die Mittel, die zur Befriedigung der materiellen Bedürfnisse für das physische Überleben notwendig sind.
Alle zwei Jahre muss die Bundesregierung einen Bericht über das "sächliche Existenzminimum" vorlegen. Es darf nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht geringer sein als das vom Staat bedürftigen Bürgern gewährte "soziokulturelle Existenzminimum" (Sozialhilfesatz, Heizkosten, Kosten für Unterkunft).
2008 beträgt dieses sogenannte sächliche Existenzminimum:
7140 Euro für Alleinstehende, 12 276 für Ehepaare und 3648 für Kinder. Der daraus abgeleitete Steuerfreibetrag beträgt 7664 Euro für Alleinstehende, 15 329 Euro für Ehepaare und 3648 für Kinder. Eltern können für ihre Kinder außerdem noch einen Freibetrag von 2160 Euro für Betreuung, Erziehung und Ausbildung geltend machen.
Kindergeld erhalten die meisten Eltern. Sie zahlen so wenig Steuern, dass sie mit dem Freibetrag unter die derzeit 154 Euro Kindergeld kämen. [...]

Katharina Sperber / Vera Gaserow, "Existenzminimum", in: Frankfurter Rundschau vom 20. November 2007

Familienorientierte sozialpolitische Transfers auch im Sinne einer vertikalen Gerechtigkeit gibt es dort, wo nach der Herstellung steuerlicher Gleichbehandlung Umverteilungen stattfinden. Diese können sich auf Umverteilungen zwischen Eltern und Kinderlosen beschränken oder aber auch solche mit einbeziehen, die zu einer stärkeren Förderung einkommensschwacher Familien gegenüber einkommensstärkeren Familien führen. Hierunter fallen zum Beispiel ein einkommensabhängiges Kindergeld oder der in Deutschland seit 2005 gezahlte Kinderzuschlag. Eine sozialpolitisch ausgerichtete Familienpolitik beschränkt sich aber nicht nur auf eine reine Einkommensumverteilung, sondern bemüht sich sowohl um verbesserte Infrastruktureinrichtungen und Dienstleistungen speziell für Familien als auch um die normative Unterstützung von Familienfunktionen, indem sie den sozialen Wert der Familienarbeit, das soziale Ansehen von Familien mit Kindern stärkt - also Maßnahmen ergreift, die eine in jeder Hinsicht familienfreundliche Gestaltung unserer Gesellschaft anstreben.

Das familieninstitutionelle Motiv kommt zur Geltung, wenn der Staat vor allem mit dem Mittel des Rechts und oft unterstützt durch gesellschaftliche Moralvorstellungen versucht, Familie in einer bestimmten Form vorzugeben und durchzusetzen. So hatte dieses Motiv bis weit in die 1970er Jahre primär die Stabilisierung der "bürgerlichen Klein- oder Kernfamilie" unter patriarchalischer Leitung und geschlechtsorientierter Arbeitsteilung zum Ziel. Diese fand als "Normfamilie" rechtlich Eingang in das Bürgerliche Gesetzbuch von 1900, ihr galt die spezielle Verankerung von Familienschutzrechten in der Weimarer Verfassung und schließlich auch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Diese institutionelle Absicherung von Familie geschah nach dem Ersten wie nach dem Zweiten Weltkrieg unter anderem deshalb, weil die Familie durch reale Nachkriegsentwicklungen wie Armut, Entwurzelung, Vertreibung, Verlust von Familienmitgliedern und - speziell nach 1945 - durch ideologische Gegenkulturen wie den Kommunismus bedroht schien.

Gegenwärtig und künftig muss die Familienpolitik dagegen eine Vielfalt von neuen oder wiederentdeckten Lebensformen, in deren Zusammenhang Kinder geboren und erzogen werden, beachten und unterstützen. Dazu gehören zum Beispiel nichteheliche Lebensgemeinschaften, Wohngemeinschaften zwischen älteren Menschen und jungen Familien, die nicht durch Verwandtschaft begründet sind, sowie gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften.

QuellentextNeue Gemeinschaft im Mehrgenerationenhaus

[...] Im Mehrgenerationenwohnhaus in der Kleinstadt im Bergischen Land [...] leben Jung und Alt unter einem Dach, vereint durch ein nachbarschaftliches Konzept; das Haus von Wipperfürth war bei der Eröffnung 2003 das erste seiner Art und ist auch deshalb zu einem der 365 Orte aus dem Projekt "Deutschland - Land der Ideen" geworden.
Von außen sieht der Block an der Alten Kölner Straße mit seinen bunten Balkongittern wie ein normales Mietshaus aus. Und für das, was sich hinter den Eingangstüren abspielt, sind "Großfamilie" oder "Wohngemeinschaft" auch die falschen Begriffe. Angesichts bröselnder Familienstrukturen und hoher Vereinzelung macht die Caritas - sie trägt das Projekt in Wipperfürth - den Versuch, gemeinschaftliches Leben zu fördern. Das klingt schlicht, ist aber gar nicht so einfach. [...]
Die Mieter müssen sich schon selber kümmern, das ist eine der Grundforderungen des Projekts. Und dieser Prozess, das hat auch Alice W. (Erzieherin, 48, die 2003 mit ihren Kindern in das Mehrgenerationenhaus zog - Anm. d. Red.) beobachtet, "braucht Zeit". [...]
Ein paar institutionalisierte Formen der Gemeinschaft gibt es schon. Da ist das zweiköpfige Einzugsteam, dessen Votum sich Claudia Lamsfuß (Sozialarbeiterin, 41, und seit der Planungsphase hauptberuflich für das Mehrgenerationenwohnhaus zuständig - Anm. d. Red.) im Zweifel gar beugen würde; noch kam es jedoch bei der Mieterauswahl zu keinem Dissens. Ferner das Gemeinschaftsraumteam, das selbstständig den kleinen Saal verwaltet, der auch Mietern kostenlos für private Feiern zur Verfügung steht. Alle zwei Monate ruft Claudia Lamsfuß zur Hausversammlung - Teilnahme ist für alle Mieter Pflicht. Da reden sie dann über die Müllbeseitigung - ein Dauerthema - oder über die Gestaltung von Garten und Spielplatz hinterm Haus.
Freiwillig hingegen ist der Besuch des 14-tägigen Austauschtreffens, auf dem persönliche Dinge besprochen werden. Auf Eigeninitiative hin haben sich überdies eine Kochgruppe, eine Turngruppe und kürzlich eine Video- und Spielegruppe für gemeinsame Abende gebildet. Das Sommerfest der Mieter im vergangenen Jahr war für Alice W. "der Knackpunkt". Danach bewegte sich mehr. [...]
Ein enger nachbarschaftlicher Kontakt erstreckt sich dabei nicht übers ganze Haus, sagt Alice W., aber über die Menschen neben und über ihr weiß sie Bescheid. "Ein Wohnprojekt wie dieses schützt nicht vor Einsamkeit", sagt Claudia Lamsfuß, "aber die Chance, nicht einsam zu sein, ist größer."

Christoph Albrecht-Heider, "Eine Chance gegen die Einsamkeit", in: Frankfurter Rundschau vom 12. September 2007

Seit Mitte der 1970er Jahre lässt sich in der vor allem mit dem Instrument des Rechts realisierten Familienpolitik eine eindeutige Tendenz zur Öffnung des Familienbegriffes nachzeichnen. Dieser Öffnungsprozess wurde mit der Reform des Ehe- und Scheidungsrechts 1977 eingeleitet, mit der sich der Staat im Gegensatz zum Eltern-Kind-Verhältnis aus der Gestaltung des ehelichen Binnenraumes (Arbeitsteilung, Abschaffung des Schuldprinzips bei der Scheidung) zurückzog. In den 1990er Jahren "mischte" er sich dagegen unter der Wirkung gleichstellungspolitischer Interessen wieder ein, wie an der Schaffung des Straftatbestandes "Vergewaltigung in der Ehe" sowie dem "Gewaltschutzgesetz" zu sehen ist, das gewalttätige Familienmitglieder aus der Familienwohnung weist. Vorangegangen war 1969 schon das "Nichtehelichen-Gesetz", das nichteheliche weitgehend mit ehelichen Kindern gleichstellte. Öffnungen im Hinblick auf Alleinerziehende ergaben sich in der Folge des "Halbfamilienurteils" des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfGE 61, 319), als der steuerliche Haushaltsfreibetrag für Alleinerziehende eingeführt wurde.

Die Reform des Kindschaftsrechts mit Geltung ab 1. Juli 1998, die den Umgang geschiedener und nicht verheirateter Eltern mit ihren Kindern neu regelte und die Rechte ehelicher und nichtehelicher Kinder endgültig gleichstellte, markierte einen weiteren wichtigen Schritt hin zur rechtlichen Akzeptanz pluraler familialer Lebensformen, die schließlich auch mit dem Lebenspartnerschaftsgesetz ab 1. Juli 2001 anerkannt wurden. Mit der politisch-rechtlichen Öffnung des Familienbegriffes reagierte der Staat auf kollektiv wirksam werdende Verhaltensänderungen, deren wichtigstes Kennzeichen die Aufgabe eines Standardlebensentwurfes ist, in dem Elternschaft eine selbstverständliche Station auf dem Lebensweg fast aller Menschen ist.

Das emanzipatorische Motiv der Familienpolitik stellt neben dem bevölkerungspolitischen die größte Herausforderung für die gegenwärtige und zukünftige Familienpolitik dar. Ihm liegt die Erkenntnis zu Grunde, dass sich Familien in existierenden Herrschafts- und Machtstrukturen bilden und dass die wesentlichsten Machtgefälle diejenigen zwischen Männern und Frauen auf der einen und Eltern und Kindern auf der anderen Seite sind.

Zwar kann heute davon ausgegangen werden, dass sich die rechtliche Situation von Frauen, aber auch von Kindern, erheblich gebessert hat, für ihre Lebenssituationen gilt dies allerdings nicht durchgängig. Wichtig ist darüber hinaus, dass unter Aufrechterhaltung dieser Machtgefälle in den Familien insbesondere von Frauen alltäglich Leistungen erbracht werden, die für andere gesellschaftliche Teilsysteme wie das Wirtschaftssystem, das schulische Sozialisationssystem sowie das soziale Sicherungssystem von Bedeutung sind. Diese Leistungen werden weder im Einzelfall angemessen honoriert, noch gehen sie in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ein. Da sich inzwischen für Frauen mehr Optionen zur individuellen Gestaltung ihrer Lebenswege eröffnen, darf es nicht verwundern, wenn sie rational ihre Chancen und Kosten gegeneinander abwägen und deshalb in den letzten Jahren in stark zunehmendem Maße auf Kinder verzichten.

Emanzipation bedeutet neben der Befreiung aus machtgeladenen sozialen Rollenmustern auch eine selbstbewusste und der realen Lebenssituation entsprechende Neugestaltung sozialer Rollen. Für die weibliche(n) Rolle(n) haben in diesem Zusammenhang mittlerweile Lebensentwürfe an Bedeutung gewonnen, die im Regelfall neben der Familien- auch die Berufsarbeit vorsehen und in denen Lebensgemeinschaften (Ehe, Familie, nichteheliche Gemeinschaften) bewusst und mehrheitlich aufgrund von Gefühlen und nicht mehr in dem Ausmaße wie noch vor einigen Generationen aus Gründen der sozialen Sicherheit eingegangen werden. Selbstverständlich hat eine solche Rollenneudefinition auch Auswirkungen auf die Rolleninhalte von Männern und Kindern und tritt in Wechselwirkung zu den strukturellen Voraussetzungen im Wirtschaftssystem oder in der sozialen Sicherung. Mit der zunehmenden Gültigkeit des "doppelten weiblichen Lebensentwurfs" stellen sich zwei Fragen:

  • In welcher Weise können die bisher "weiblichen" Funktionen kompensiert werden?

  • Durch welche infrastrukturellen, finanziellen, sozial- und arbeitsrechtlichen Mittel können Erwerbs- und Familienarbeit leichter miteinander vereinbart werden?

Beruf und Familie

Vermittler für beides kann und muss Familienpolitik sein. Das "emanzipatorische Motiv" von Familienpolitik kollidiert dabei - zumindest teilweise - mit den strukturellen Bedingungen, unter denen Gleichstellungspolitik entsteht und sich entwickelt. Rhetorisch geboren aus dem Dualismus von Männlichkeit und Weiblichkeit, von Öffentlichkeit und Privatheit, von Konservativität und Progressivität, war Gleichstellungspolitik schwerpunktmäßig auf die Verwirklichung von Gleichheit zwischen den Geschlechtern - und das hieß männlichen und weiblichen Individuen - ausgerichtet. Die Einbindung in Familienverantwortung und Familienarbeit wurde dabei - oberflächlich betrachtet zutreffend - dem konservativen und Frauen benachteiligenden Modell von Lebensplanung zugeordnet, so dass sich Konturen einer Konfrontation von Frauen- und Familieninteressen zu ergeben schienen. Seit der rechtlichen Gleichstellung der Geschlechter steht aber im Zentrum der Realisierung von Gleichheit insbesondere die Frage, wie die Benachteiligung von Menschen, die Familienarbeit leisten, ausgeglichen oder besser: durch die Garantie der Vereinbarkeit erst gar nicht entstehen kann.

Instrumente

Um die geschilderten Motive im Rahmen von Familienpolitik zu verwirklichen, greift der Staat in Bezug auf Familien und deren Leben ein. Dies geschieht mit den Instrumenten Recht, Geld und Kommunikation.

Das älteste dieser Interventionsinstrumente ist das des Rechts, mit dessen Hilfe Regeln des Ehe- und Familienlebens sowie des Jugend- und Mutterschutzes, der steuerlichen Behandlung, aber auch des Arbeitsschutzes und der Arbeitsförderung festgelegt werden. Entsprechende Regelungen mit rechtlichem Familienbezug finden sich im Grundgesetz ebenso wie in den Länderverfassungen, im BGB, im Sozialgesetzbuch, im Einkommensteuerrecht, im Arbeitsrecht, aber zunehmend zum Beispiel auch in Tarifverträgen.

Bei der Einstufung von Recht als familienpolitischem Instrument muss nach den generellen Funktionen von Recht gefragt werden. Es hat nach der Rechtssoziologie Niklas Luhmanns zunächst einmal zwei Grundfunktionen: Verhaltenserwartungen zu stabilisieren und zu sichern sowie Verhalten zu steuern. Über Recht lassen sich die Erwartungen festlegen, die wir als Folge des eigenen Verhaltens oder desjenigen Dritter kalkulieren können bzw. müssen. Dies gilt im Bereich der Grundrechte und der gesamten Verfassung auch im Hinblick auf das Handeln des Staates und seiner Institutionen gegenüber den Bürgern und Bürgerinnen, gegenüber Eltern und Kindern.

Recht kann jedoch auch dazu dienen, sozial erwünschtes Verhalten zu erzeugen. Dies ist in der Regel aber nur möglich, wenn Verstöße entsprechend sanktioniert bzw. positive Anreize für regelgerechtes Verhalten angeboten werden. Familienrecht, das sozial erwünschtes Verhalten zu erzeugen versuchte, gab es insbesondere im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Umbrüchen revolutionärer oder totalitärer Art, wie das nationalsozialistische Familienrecht ebenso wie das Familiengesetzbuch der DDR zeigen. Aber auch das bis 1977 gültige Eheverständnis des BGB, die Besteuerung von Eheleuten im Rahmen des Ehegattensplittings sowie schließlich das Kinder- und Jugendhilfegesetz (Sozialgesetzbuch VIII) in seiner Form seit 1990, in der stark auf vorbeugendes Handeln und neue Akteurskonstellationen gesetzt wird, können als Versuche gewertet werden, sozial erwünschtes Verhalten zu erzeugen oder zu verstärken. Die deutschen Familienrechtsreformen seit den 1970er Jahren passten sich dagegen den geänderten Verhaltensformen in der Bevölkerung an. Im Familienrecht der letzten Jahrzehnte fällt insbesondere die zunehmende Ausweitung des Familienbegriffes bzw. die Ergänzung durch andere ganz oder teilweise gleichgestellte Lebensformen auf. Damit bietet das Recht keine eindeutige normative Vorgabe mehr, die Rückschlüsse auf ein favorisiertes Lebensmodell erlauben würde.

Zum ökonomischen Instrumentarium der Familienpolitik gehören finanzielle Leistungen sowie Sachleistungen, die das marktbezogene Familieneinkommen ergänzen. Paragraph 6 Sozialgesetzbuch I formuliert entsprechend: "Wer Kindern Unterhalt zu leisten hat oder leistet, hat ein Recht auf Minderung der dadurch entstehenden wirtschaftlichen Belastungen." Zu nennen sind hier zum Beispiel finanzielle Zuwendungen und steuerliche Entlastungen durch den Familienlastenausgleich, die kostenlose Mitversicherung von Familienangehörigen in der Gesetzlichen Krankenversicherung sowie die Hinterbliebenenrenten der Renten-, der Unfall-, der Beamten- und der Kriegsopferversorgung. Das Ehegattensplitting, das umstritten ist, weil allein schon die Ehe zur Gewährung vorausgesetzt wird und keine Kinder vorhanden sein müssen, gehört jedoch nicht zu den Leistungen des Familienlastenausgleichs, obwohl seine Abschaffung in der familienpolitischen Diskussion oft gefordert wird. Immerhin betrug 2005 der Anteil des Ehegattensplittings am Gesamtentlastungsvolumen für Ehepaare ohne steuerlich zu berücksichtigende Kinder 45,6 Prozent (Bundestags-Drucksache 16/2231, S. 3). Wenn auch die Forderung, die Nutzung des Ehegattensplittings auf alle Formen von Familie zu übertragen, verständlich erscheint, so muss doch berücksichtigt werden, dass ihm das Prinzip der gegenseitigen ehelichen Sorgeverpflichtung zugrunde liegt und dass es darum wohl verändert, aber nicht abgeschafft werden kann.

QuellentextEhegattensplitting: pro und contra

Das Prinzip: Das Splitting mildert für Ehepaare die Belastungen durch die Steuerprogression, durch die der Tarif mit dem Einkommen steigt. Wenn ein alleinverdienender Ehemann 60 000 Euro im Jahr verdient, wird er dank Splitting mit den Tarifen belastet, die ein Single mit 30 000 Euro zahlt. Der Vorteil ist umso größer, je weiter die Einkommen der Ehepartner auseinander liegen.
Begründung: Den Vergleich mit Singles halten die Befürworter des Ehegattensplittings für falsch. Für sie geht es darum, Nachteile für bestimmte Ehepaare zu vermeiden. Ohne Splitting käme - bei gleichem Gesamteinkommen - das Doppelverdiener-Paar mit zwei gleichen Einkommen von 30 000 Euro besser davon als die traditionelle Familie, bei der die Steuerprogression die 60 000 Euro des Alleinverdieners voll trifft. Auf diesen Punkt stellt auch das Bundesverfassungsgericht ab, das wiederholt das Ehegattensplitting gestützt hat. Die Richter sehen darin eine geeignete Grundlage, um im Steuerrecht Ehe und Familie entsprechend Artikel sechs des Grundgesetzes zu schützen.
Kritik: Die Gegner halten das Splitting für ein Steuerprivileg, das die traditionelle Familie fördere. Der Staat begünstige den Trauschein und nicht die Kindererziehung, da auch kinderlose Paare die Vergünstigung in Anspruch nehmen können. Unverheiratete Eltern und Alleinerziehende gehen leer aus. Am stärksten profitieren Ehen, in denen ein Partner einen Spitzenverdienst hat und der andere zu Hause bleibt. In diesen Fällen lohnt es sich für die Frau (oder für den Mann) kaum, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Selbst für einen Teilzeitjob müsste sie wegen des hohen Einkommens des Gatten einen hohen Steuertarif zahlen. Viele verzichten dann darauf, sich eine Stelle zu suchen. Für den Berliner Wissenschaftler Kai Konrad ist das Splitting daher "frauenfeindlich". [...]
Laut dem Forschungsinstitut DIW sind [...] 43 Prozent aller Ehen, die vom Splitting profitieren, kinderlos. Die Einnahmeverluste für den Staat beziffert es auf knapp 22 Milliarden Euro. Das maximale Einsparvolumen liegt aber auf Grund der verfassungsrechtlichen Vorgaben nach Berechnungen des Instituts deutlich niedriger - bei etwa neun Milliarden Euro.

Markus Sievers, "Beim Ehegattensplitting sind die Meinungen gespalten", in: Frankfurter Rundschau vom 16. Juni 2006

Verhältnis der Einkommen

Weitere Leistungen neben den direkten Geldleistungen sind die Infrastruktur der Kinderbetreuung, der Jugend- und Familienberatung, im Freizeitbereich oder im öffentlichen Verkehrswesen. Leistungen durch die Länder und die Kommunen ergänzen die bundespolitisch verantworteten Aufwendungen. Aktuelle Analysen gehen von Summen zwischen 56 Milliarden und 240 Milliarden Euro jährlicher Zahlungen an Familien aus. Bei den Reformüberlegungen zum Familienlastenausgleich ab 2006 schätzte das Bundesfamilienministerium die Leistungen auf 189 Milliarden Euro. Allerdings wurden hier viele Ausgaben - wie zum Beispiel Witwer- und Witwenrenten - ohne direkten Bezug zur Familie einbezogen oder solche, die nicht vom Staat, sondern von den Sozialversicherungsträgern erbracht werden. Die Summen unterscheiden sich deshalb so stark, weil kein Einverständnis darüber besteht, ob nur Transfers oder auch Steuerrückerstattungen berücksichtigt werden müssen, ob zum Beispiel das Ehegattensplitting als familienpolitische Aufwendung hinzugezählt werden muss oder ob bildungspolitische Leistungen einzurechnen sind. In jedem Fall steht eine solche "Bruttoaddition" von Leistungen "auf einem Bein", solange die Selbstfinanzierungsanteile von Familien und vor allem der monetäre Wert von Familienarbeit nicht gegengerechnet werden. So können die Steuer- und Sozialversicherungsleistungen, die von den Familien selbst finanziert werden, leicht mehr als zwei Drittel betragen. Familien erwirtschaften im Durchschnitt durch Kindererziehung mehr als ihnen gezahlt wird. Erst, wenn die Leistungen von Familien tatsächlich gegengerechnet und monetär ausgeglichen werden, kann von einem Familienleistungsausgleich gesprochen werden und nicht mehr wie bisher von einem Familienlastenausgleich.

Gliederung der Maßnahmen im Familienleistungausgleich 2006

Familienleitbilder durch Kommunikation oder pädagogische Maßnahmen zu beeinflussen, ist sicher die komplexeste und umstrittenste Eingriffsmöglichkeit. Sie besteht aus einer Kombination der Instrumente Recht, Geld und Kommunikation. Die Bewusstseinslage von bzw. in Bezug auf Familien soll beeinflusst und ihnen damit Wertorientierungen, Wissensbestände und Rollenmuster vermittelt oder bereits bestehende korrigiert werden. Die weiter oben dargestellte Instrumentalisierung der Mutterrolle im NS-Regime geschah beispielsweise mit einem vergleichbar großen kommunikativen Aufwand. Die bis heute im öffentlichen Diskurs Deutschlands vorhandene Polarisierung von "guter Mutter" und "Rabenmutter" dürfte sich nicht zuletzt immer noch aus den damals vermittelten Rollenbildern speisen. Andererseits hat Politik auch versucht, das seit 1977 zwischen den Geschlechtern rechtlich egalitär gestaltete Elternbild durch Kampagnen zu beeinflussen. Ein gutes Beispiel dafür ist die "Väterkampagne", mit der2003 das Väterbild geändert und mehr Väter veranlasst werden sollten, in die Erziehungszeit zu gehen. Die Auswertung ergab, dass die Kampagne vergleichsweise wirkungslos geblieben ist, da Vätern eine Erziehungszeit erst möglich ist, wenn ihr Einkommen, das auch heute noch in vielen Familien das Haupteinkommen ist, nicht ausfällt.

Akteure

Familienpolitische Akteure

Familienpolitik kann am besten als ein politisch-gesellschaftlicher Querschnittsbereich charakterisiert werden: Es gibt kaum einen Lebens- und ebenso Politikbereich, von dem Familien nicht betroffen sind, oder der umgekehrt nicht dadurch mitgeprägt wird, dass Menschen in Familien leben und dort Verpflichtungen übernehmen. Diesem Querschnittscharakter entspricht auch, dass in der Familienpolitik viele Akteure tätig sind, alle Ebenen des Staates und vielfältige gesellschaftliche Bereiche. Die Zahl der Akteure hat sich seit Beginn des neuen Jahrtausends deutlich verstärkt, bedingt auch durch die demographische Entwicklung, die zu diesem Zeitpunkt stärker in der Öffentlichkeit debattiert wurde. Unter den Akteuren finden sich Bund, Länder und Kommunen als öffentliche Träger und das Bundesverfassungsgericht als bedeutsamer Akteur, Verbände der Wohlfahrtspflege sowie Familienverbände, Unternehmen und Tarifpartner als freie und private Träger, Kirchen, Parteien sowie nicht zuletzt Familien in der Selbst- und Gemeinschaftshilfe. Darüber hinaus ist im Rahmen des europäischen Mehrebenensystems die EU zu nennen. Mit dem Instrument der Richtlinie übt sie auch sozialpolitisch Einfluss auf die Lebenssituation von Familien aus und hat spätestens mit der Verabschiedung der Charta der Grundrechte der EU im Rahmen der Regierungskonferenz von Nizza im Jahr 2000 in Art. 33 ausdrückliche Familienrechte und damit verbundene politische Aufgaben formuliert. (Inner-)Staatlich ist die deutsche Familienpolitik durch ihren Grundrechtsbezug, hier vor allem durch Art. 3 und 6 GG, sowie ihre Verknüpfung mit dem Sozialstaatsprinzip in starkem Maße durch den Bund geprägt, wenngleich es im deutschen Föderalismus auch für die Länder und Gemeinden Gestaltungskompetenzen gibt.

Die Bedeutung der Bundesländer und der Kommunen als familienpolitische Akteure zeigt sich unter zwei Perspektiven:

Sie vollziehen bundesstaatliches Recht durch entsprechende Maßnahmen, sie halten zum Beispiel Betreuungsplätze vor oder prüfen (durch die Familienkassen) die Zahlung von Kindergeld oder Kinderzuschlag.

Die Länder gestalten Familienpolitik aber auch selbst im Rahmen ihrer legislativen und exekutiven Aufgabenwahrnehmung im Zusammenhang der konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 72 und 74 GG) und im Rahmen der freiwilligen Aufgaben der Gemeinden (Art. 28 Abs. 2 GG). Beispielhaft ist hier die Zahlung des Ländererziehungs- bzw. -elterngeldes zu nennen, das es in fünf Bundesländern gibt.

Auf der Ebene der Kommunen haben sich in den vergangenen Jahren vielfältige Aktionsnetzwerke unter dem Banner der "Lokalen Bündnisse für Familie" entwickelt. Die Initiative entstand 2004. Partner aus Politik, Verwaltung, Unternehmen, Kammern, Gewerkschaften, freien Trägern, sozialen Einrichtungen, Kirchengemeinden sowie Initiativen auf kommunaler oder regionaler Ebene wollen durch Projekte in verschiedenen Handlungsfeldern die Situation für Familien vor Ort konkret verbessern. Die Gemeinden werden aber auch über Maßnahmen zur Jugendhilfe, zum Nahverkehr oder in Freizeiteinrichtungen tätig. Da die Konsequenzen der demographischen Strukturveränderungen immer deutlicher spürbar werden, denn die Finanzierungssituation der Kommunen hängt nicht zuletzt von der Kopfzahl ihrer Bürgerinnen und Bürger ab, wobei sie gleichzeitig eine qualitativ möglichst gleichbleibende Grundversorgung gewährleisten sollen, müssen sie sich zudem immer stärker mit familienpolitischen Standortfragen auseinandersetzen. Eine wachsende Zahl von Kommunen schafft Anreize zur Familienbildung oder zum Zuzug von Familien. So bieten zum Beispiel in den letzten Jahren immer mehr Gemeinden Gutscheine für Teilkosten der Kinderbetreuung an.

QuellentextLokale Bündnisse

[...] Bundesweit haben sich bisher 437 dieser Zusammenschlüsse gegründet, um diejenigen, die familienpolitisch handeln, wenigstens gelegentlich an einen Tisch zu bringen: also kommunale Stellen, soziale Träger, Unternehmen, Kirchen, Vereine. Ihre Arbeit profitiere sehr von der verbesserten Kommunikation, sagt zum Beispiel Andrea Kiefer von der Metropolregion Rhein-Neckar GmbH, die sich an einem solchen Bündnis beteiligt: Zunächst hatte sich die örtliche Industrie- und Handelskammer mit den Anliegen von Unternehmen und Beschäftigten befasst. Dabei kam heraus, dass die meisten berufstätigen Eltern den Alltag einigermaßen organisiert bekamen - Probleme traten auf, wenn lange Schulferien und viel kürzerer Arbeitnehmerurlaub unversöhnlich aufeinandertrafen. Also organisierte Kiefers Projektteam Feriencamps für Grundschulkinder. Zusammen mit Sportvereinen wird inzwischen eine ganztägige Ferienbetreuung für 900 Kinder angeboten. Zum Programm gehört Fußball ebenso wie Hockey, Klettern oder Rudern.
Auch Thomas Ziegler vom Frankfurter Kinderbüro sieht seine Arbeit durch die Vernetzung erleichtert: Mit Vertretern einer Schule, einer Kindertagesstätte und eines Sportvereins gelang es seiner Projektgruppe, einen Schulhof mit altem Baumbestand für die Bewohner des Stadtteils zu öffnen - wegen Vandalismus, Lärm und Vermüllungsgefahr normalerweise ein Ding der Unmöglichkeit. Jetzt aber stellt der Verein Vollzeitbetreuer, die Kinder zur Bewegung anregen, nach dem Rechten sehen und auch Erwachsene zum Sport verlocken.
Das Billenetz in Hamburg hat es mit dem zusätzlichen Etikett des Lokalen Bündnisses auf inzwischen 70 öffentliche und private Partner gebracht, die sich für die Verbesserung der schulischen und der Ausbildungssituation in sozial schwierigen Hamburger Stadtbezirken einsetzen. In Zusammenarbeit mit dem Rauhen Haus bietet die Organisation unter anderem sozialpädagogisches "Übergangsmanagement" für den Wechsel vom Kindergarten in die Grundschule an - gerade Eltern mit Migrationshintergrund können auf diesem Weg für die Wichtigkeit des Schulbesuchs sensibilisiert werden. [...]

Susanne Gaschke, "Wo leben wir eigentlich?", in: Die Zeit Nr. 41 vom 4. Oktober 2007

Die Verbände der Wohlfahrtspflege als Träger der nichtstaatlichen Familienpolitik bzw. als anwaltliche Akteure von Familienpolitik sind durch ihre Handlungsfelder und -inhalte quasi "organisch" mit Familieninteressen befasst. Sie richten ihre öffentlichen Verlautbarungen und konkreten Hilfsangebote insbesondere an Menschen in prekären Lagen, zum Beispiel an unvollständige Familien, arme oder von Arbeitslosigkeit und /oder Krankheit betroffene Menschen. So sind sie unter anderem in der Erziehungs-, der Partnerschafts-, der Schwangeren- und Konfliktberatung tätig, in der sozialpädagogischen Familienhilfe, in der Pflege und Durchführung von Mutter-Kind-Kuren und schließlich in der Familienpflege. Im März 2002 haben sich die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege und das Bundesfamilienministerium auf gemeinsame "Prioritäten einer zukunftsorientierten Familienpolitik" verständigt. Im Zentrum des Konzepts stehen der gemeinsame Ausbau der Kinderbetreuung, die Vermeidung von Armut bei Familien, die Stärkung der familien- und haushaltsbezogenen Kompetenzen insbesondere mit dem Ziel der Armutsprävention sowie der Ausbau der Familienförderung durch eine maßvolle Begrenzung des Ehegattensplittings.

Neben den Wohlfahrtsverbänden sind die Familienverbände zu nennen. Sie sind beratend tätig, vertreten Familieninteressen in der Öffentlichkeit sowie gegenüber der Politik und haben sich in der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisationen (AGF) zusammengeschlossen. Dazu zählen der Deutsche Familienverband (DFV), die Evangelische Aktionsgemeinschaft für Familienfragen (eaf), der Familienbund der Katholiken (FDK), der Verband allein erziehender Mütter und Väter (VAMV) sowie - seit April 2008 - der Verband binationaler Familien und Partnerschaften (iaf). Zur bundesweiten Durchführung und Bündelung von familienverbandlichen Aktivitäten im Jahr der Familie 1994 wurde die "Ständige Familienkonferenz in der Bundesrepublik Deutschland" gegründet. Im September 2000 ist das "Bundesforum Familie" ins Leben gerufen worden, in dem sich über 100 (Stand 2008) familienpolitische Organisationen und Spitzenverbände zusammenschlossen.

Unter den nichtstaatlichen Trägern von Familienpolitik gewinnen die Unternehmen zunehmend an Bedeutung. Angesichts der wachsenden Zahl erwerbstätiger Frauen und dem absehbaren demographisch bedingten massiven Fachkräftemangel entwickelte sich eine familienorientierte Unternehmens- und Personalpolitik. Zum einen geht es den Unternehmen zunehmend darum, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, in deren Aus- und Fortbildung unter Umständen kosten- und zeitintensiv investiert wurde, nicht durch ein familienbedingtes Ausscheiden oder eine längerfristige und damit das berufliche "Humanvermögen" entwertende Unterbrechung zu verlieren. Außerdem zeigen betriebswirtschaftliche Untersuchungen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter motivierter und effizienter arbeiten, wenn ihre Interessen berücksichtigt werden. Vorreiterfunktion hat hier das Prüfungsverfahren (Audit) "berufundfamilie" der Hertie-Stiftung übernommen, das Familienorientierung in Unternehmen, Institutionen und an Hochschulen nicht nur konzeptionell mitentwickelt hat, sondern durch die rasante Zunahme von Audits großen Anteil daran hatte, dass die Idee von betrieblicher Familienpolitik in der Gesellschaft Verbreitung fand.

Auch in Tarifverträgen haben familienpolitische Aktionsfelder in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. Insgesamt lässt sich im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends durchaus ein für Familienpolitik zunehmend sensibilisiertes Selbstverständnis der Tarifpartner nachweisen. In ihrer "Gemeinsamen Erklärung der Verbände anlässlich des Münchner Spitzengesprächs der deutschen Wirtschaft" im März 2001 ("Deutschland zukunftsfähig machen") erklärten der Bundesverband der Deutschen Industrie, die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, der Deutsche Industrie- und Handelstag sowie der Zentralverband des Deutschen Handwerks die soziale Sicherung und eine solidarische Familienpolitik zu einem von sechs Handlungsfeldern der Zukunftssicherung.

QuellentextAnspruch und Wirklichkeit

[...] Der aktuelle Unternehmensmonitor Familienfreundlichkeit, eine vom Familienministerium und den vier Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft (BDA, BDI, DIHK, ZDH) in Auftrag gegebene Studie kommt zu dem Ergebnis, dass fast drei Viertel aller Unternehmen in Deutschland die Bedeutung von Familienfreundlichkeit für die eigene Firma als sehr wichtig oder wichtig einschätzen. Lediglich jede Zwanzigste der befragten Gesellschaften bot keine der abgefragten familienfreundlichen Programme an. Drei Jahre zuvor musste fast jedes fünfte Unternehmen bei diesem Punkt passen.
Dass Familienpolitik ohne das Thema Chancengleichheit ins Leere läuft, ist ebenfalls ein Ergebnis der Befragung: Denn Unternehmen, in denen der Anteil weiblicher Führungskräfte hoch ist, unterstützen viel eher ihre Beschäftigten bei der Betreuung von Kindern und Angehörigen.
In Skandinavien ist das schon länger bekannt. "Chancengleichheit" heißt das in Nordeuropa so erfolgreich praktizierte Zauberwort. Vollzeitberufstätige Väter und Mütter sind dort die Regel, Familien mit zwei, drei und mehr Kindern an der Tagesordnung. Betreuungsangebote für Kinder jeden Alters gelten als Selbstverständlichkeit. Eltern, Staat und Unternehmen engagieren sich gemeinsam für eine Balance von Familien- und Erwerbsarbeit. Nebenbei bemerkt: Das Wort "Familienpolitik" ist in Nordeuropa kaum bekannt.
In Deutschland bleibt der große Wurf, den Politik und Wirtschaftsverbände in puncto Chancengleichheit versprachen, bislang aus. Lediglich in jedem dritten Unternehmen existieren laut einer Führungskräftestudie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) Vereinbarungen oder freiwillige Initiativen für die Förderung von Chancengleichheit. Noch immer sind es zu 95 Prozent die Mütter, die für die Kinderbetreuung ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen und berufliche Einschränkungen riskieren.
Auch betriebliche Angebote, wie zum Beispiel Teilzeit während der Elternzeit, Gleitzeit oder Arbeitszeitkonten, nehmen überwiegend Frauen in Anspruch.
Daran werden auch die neu eingeführten Vätermonate wenig ändern. So lange eine intakte Betreuungsinfrastruktur fehlt und so lange Frauen noch immer in der Spitze 20 Prozent weniger verdienen als Männer, sind es eher die Frauen, die zu Hause bleiben. Selbst Väter, die aus der alten Rolle aussteigen wollen, scheitern in ihren Unternehmen oft an einer "männerbündischen" Arbeitskultur, heißt es im aktuellen Familienbericht der Bundesregierung.
Frauen, die sich auf den Weg nach oben machen, erleben immer wieder, "dass eine authentische und gelebte Vereinbarkeitskultur nur in Ansätzen existiert. Oftmals klaffen, besonders in großen Konzernen, die in Leitbildern formulierten Ansprüche und die Wirklichkeit noch weit auseinander". Das fanden die Wissenschaftlerinnen Helga Lukoschat und Kathrin Walther in einer Studie für die Bertelsmann-Stiftung heraus.
Alle Befragten waren mit Widerständen und Vorurteilen konfrontiert und mussten immer wieder deutlich signalisieren, dass sich ihre beruflichen Ambitionen trotz Mutterschaft nicht verringert hatten. Fazit: Es fehlt ein professionelles Personalmanagement, um das Thema systematisch in den Unternehmensalltag einzubinden. [...]

Nicola Schuldt-Baumgart, " Zweierlei Maß" in: Frankfurter Rundschau vom 2. März 2007

Für die Gewerkschaften hat sich mit der Orientierung auf Frauen- und Familienpolitik ebenfalls in den letzten Jahren ein neues Betätigungsfeld ergeben. Mit einer vom DGB-Bundesvorstand finanzierten Vergleichsstudie zu Elementen der Gleichstellung in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen wurde dazu eine erste Datenbasis geschaffen. Der DGB ist zum Beispiel an mehreren regionalen Familienbündnissen beteiligt. Die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hat eine Kampagne gestartet, damit Erwerbstätige Arbeit, Familienaufgaben und private Interessen besser vereinbaren können. In diesem Zusammenhang wurde auch die sehr weitgehende Verpflichtung von Wirtschaft, Verbänden und Arbeitgebern gefordert, bedarfsgerechte Arbeitsbedingungen zu schaffen, was im Einzelnen die Beteiligung an den Kinderbetreuungsbeiträgen, Arbeitszeitverkürzungen und variable Arbeitszeitmodelle sowie die Gewährleistung von Betreuungsangeboten für Kinder jeden Alters durch den Staat einschließen soll. 2003 wurde die "Allianz für Familie" gegründet, ein Zusammenschluss der Spitzenverbände der deutschen Industrie und der Gewerkschaften mit dem Ziel, eine umfassende und nachhaltige Familienpolitik in allen gesellschaftlichen Bereichen zu verankern.

Die Parteien als Akteure in der Familienpolitik haben ihr Auftreten und ihre Forderungen in den letzten Jahren erheblich geändert. Sie artikulieren sich nicht mehr in dem Maße polarisierend wie früher, und die Parteien, die sich zuvor gar nicht familienpolitisch engagiert haben, wie zum Beispiel die Grünen, haben das Thema neu für sich entdeckt. Gründe dafür mögen vor allem in der massiv die Familie unterstützenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes liegen, das zunehmend die Bedeutung der Familie als Leistungsträgerin herausgearbeitet hat. Andererseits machen aber auch die demographische Situation ebenso wie die großen Anteile von Armut betroffener Familien, insbesondere Alleinerziehender, den wachsenden Regelungsdruck für die Politik deutlich. Die traditionelle Zuordnung von Familienpolitik zu konservativ beeinflussten Politikfeldern (policies) ist damit endgültig überwunden. Ohne Ausnahme haben seit 2001 alle Bundestagsparteien familienpolitische bzw. kinderpolitische (Bündnis 90/Die Grünen) Grundsatzprogramme verfasst, die sich in ihren Zielen nicht mehr annähernd so stark unterscheiden wie noch vor zehn Jahren.

Begrifflich definieren alle Parteien Familie als das Zusammenleben mit Kindern, Bündnis 90/ Die Grünen erweitern dies ausdrücklich auf gleichgeschlechtliche Paare, Die Linke auf das Zusammenleben mit Pflegebedürftigen.

Betreuung für die Kleinsten

Im Hinblick auf den Familienlastenausgleich tendieren CDU/CSU sowie FDP zu erweiterten steuerlichen Freistellungen von Familien- bzw. Kinderkosten, während SPD, Bündnis 90/Die Grünen eher zu erhöhten Transferzahlungen an Familien neigen, dies teilweise einkommensabhängig. Bündnis 90/Die Grünen sowie Die Linke fordern dabei Formen einer Kindergrundsicherung, das heißt der Zahlung eines Betrages, der den gesamten existenzsichernden Rahmen für Kinder sichert. Eine Sonderstellung nahm das von der CDU/CSU im Wahlkampf 2002 vorgeschlagene Familiengeld ein. Danach sollte Eltern ein Betrag von 600 Euro in den ersten drei Lebensjahren eines Kindes gezahlt werden, später 300 Euro und ab dem 18. Lebensjahr 150 Euro. Diese Forderung ist mittlerweile aufgegeben worden, nicht zuletzt, weil eine stärkere Unterstützung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf Familien und insbesondere Frauen eher vor Armut etwa im Falle von Trennung und Scheidung schützen kann. So ist das Thema der Vereinbarkeit durch entsprechende Kinderbetreuungsangebote und Ganztagsschulen spätestens im Wahlkampf 2005 von allen Parteien angesprochen worden, wobei Die Linke sogar einen Rechtsanspruch für alle Kinder bis 14 Jahren auf ein institutionelles öffentlich finanziertes ganztägiges Betreuungs- und Freizeitangebot fordert.

ist Professorin für Politikwissenschaft an der Evangelischen Fachhochschule Bochum und Co-Leiterin des Forschungszentrums für Familienbewusste Personalpolitik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Ihre Ar-beits- und Forschungsschwerpunkte sind: Politisches System der Bundesrepublik Deutschland, deutsche und international vergleichende Familienpolitik, Jugendpolitik, Wertewandel, Methoden der empirischen Sozialforschung, Neuere Staats- und Demokratietheorie.

Kontakt: gerlach@uni-muenster.de