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Vor zehn Jahren: Finanzkrise erreicht Europa

Markus Sievers

/ 4 Minuten zu lesen

Am 9. August 2007 erreichen die Probleme auf dem US-Immobilienmarkt Europa. Die Krise wird in der Folge zu einer flächendeckenden Finanz-und Wirtschaftskrise. Eine Chronik der Ereignisse.

Großbritannien am 18. September 2007. Kunden bilden eine Warteschlange vor einer Northern Rock-Filiale im Zentrum von London. (© picture-alliance)

Den 9. August 2007 werden die meisten Menschen längst vergessen haben. Und doch hat dieser Tag die Welt verändert. Dieses Datum markiert den Zeitpunkt, an dem die Immobilien- und Finanzkrise Europa erreichte. Aus einem regionalen Problem, dem Zusammenbruch des Hypothekenmarktes in den Vereinigten Staaten, wurde eine globale Finanzkrise mit den schwersten Erschütterungen für die Weltwirtschaft seit den 1930er Jahren.

Am Morgen dieses 9. August 2007 kündigte die französische Großbank BNP Paribas das Aus für drei Investmentfonds an, die in den USA in Hypothekenkredite investiert hatten. Am Geldmarkt, an dem sich Banken gegenseitig mit Liquidität versorgen, brach Chaos aus. Die Banken verloren das Vertrauen ineinander und liehen sich kein Geld mehr aus. Dies veranlasste die Europäische Zentralbank (EZB) in bisher unbekanntem Ausmaß Maßnahmen gegen eine weitere Zuspitzung der Finanzkrise zu ergreifen. Gegen 16 Uhr verkündete die Notenbank der Eurozone, dass sie Geschäftsbanken 95 Milliarden Euro zur kurzfristigen Abdeckung des Geldbedarfs zur Verfügung stellen werde. Andere Notenbanken, allen voran das Zentralbank-System Federal Reserve (Fed) in Washington, schlossen sich an.

Kettenreaktion kann abgewendet werden

Das entschlossene Handeln weckte Hoffnungen auf einen glimpflichen Verlauf in Europa. So auch im gerade wirtschaftlich wieder erstarkten Deutschland. Doch bereits am 10. August 2007 muss die Landesbank Sachsen (Sachsen LB) Zweifeln an ihrer Zahlungsfähigkeit entgegentreten. Die Sachsen LB ist auf dem Subprime-Markt, dem Geschäft mit zweitklassigen Hypotheken, viel zu große Risiken eingegangen und steht kurz vor der Pleite. Die Sparkassen-Organisationen müssen sie mit Milliarden stützen. Später bewahren die Sparkassen auch die Landesbank Baden-Württemberg durch eine Übernahme vor der Pleite. Ebenfalls ein Sanierungsfall ist die Düsseldorfer IKB Industriebank, an der die Staatsbank Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) mit über einem Drittel beteiligt ist. Auch die IKB hat sich am US-Hypothekenmarkt verspekuliert. Die KfW und zum kleineren Teil private Banken springen ein und wenden so eine gefährliche Kettenreaktion in Deutschland ab.

Am 14. September 2007, einem Freitag, werden düstere Erinnerungen an die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre wach. Lange Schlangen bilden sich vor den Filialen des britischen Baufinanzierers Northern Rock, weil besorgte Kunden ihr Geld in Sicherheit bringen wollen. Für das Unternehmen ist es durch die Finanzkrise zunehmend schwieriger geworden, sich zu refinanzieren. Als sich der "Bankensturm" (bank run) am folgenden Montag fortsetzt, gibt der damalige britische Finanzminister Alistair Darling eine Garantie für die Einlagen bei Northern Rock ab. Im Februar 2008 verstaatlicht Großbritannien mit Northern Rock zum ersten Mal seit den 1970er Jahren wieder ein Unternehmen.

Forderungsausfälle und Verluste

In den Wochen danach zeichnet sich immer deutlicher ab, dass die Banken weltweit um ihr Überleben kämpfen müssen. Am 6. Dezember 2007 gibt die Schweizer Großbank UBS wegen Forderungsausfällen in den USA einen Verlust über zehn Milliarden Dollar bekannt. Auch andere Finanzkonzerne kämpfen mit enormen Belastungen. Von der Deutschen Bank über Credit Suisse bis hin zu Morgan Stanley und Bank of America melden alle führenden Institute in den Industriestaaten hohe Verluste

Doch noch läuft die Realwirtschaft rund – jedenfalls in Deutschland. Am 15. Januar 2008 veröffentlicht das Statistische Bundesamt eine Erfolgsmeldung, die viel besser zur damaligen Stimmung in Deutschland passt als die negativen Nachrichten aus der Finanzwelt. "Die deutsche Wirtschaft ist 2007 wieder kräftig gewachsen", teilt die Behörde mit. Der damalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) peilt für 2008 die Schwarze Null im Bundeshaushalt an und hält auch nach dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers an seinem Optimismus für die Konjunktur fest: "Die Finanzmarktkrise ist vor allem ein amerikanisches Problem", erklärt Steinbrück am 25. September 2008 im Bundestag.

Erholung durch Zinssenkung der Fed

Am 21. Januar 2008 brechen die Kurse an den Aktienbörsen ein, nachdem sie 2007 ungeachtet aller Warnzeichen deutlich zugelegt hatten. Dieser erste Crash des Jahres zeugt von wachsenden Ängsten vor einem Einbruch der Wirtschaft. Für den Deutschen Aktienindex (DAX) bringt dieser Tag den größten Kursverlust seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Die US-Notenbank Fed senkt kurz darauf die Zinsen deutlich, und die Börsen erholen sich spürbar.

Am 17. März 2008 fordert die Kreditkrise in den USA das erste prominente Opfer. Die Investmentbank Bear Stearns verliert ihre Selbständigkeit und geht für einen sehr niedrigen Preis in die Hände des Konkurrenten JP Morgan. Die US-Notenbank Fed sichert den Verkauf ab, indem sie einen Großteil der Risiken übernimmt.

Größter Verlust der Nachkriegszeit

Am 13. Juli 2008 muss die US-Regierung die staatlich geförderten Immobilienfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac stützen, um sie vor dem Bankrott zu bewahren.

Am 9. September 2008 spitzt sich die Hypotheken-, Finanz-, Banken- und Wirtschaftskrise zu. Der Aktienkurs von Lehman Brothers bricht ein. Die Anleger fürchten die Zahlungsunfähigkeit der Großbank. Die Börsenwoche bringt den größten Verlust der Nachkriegszeit. Niemand kann mehr den Ernst der Lage ignorieren. Die Bürgerinnen und Bürger heben aus Angst vor einem großen Crash extrem hohe Summen von den Banken ab. Wenige Tage später meldet Lehman Brothers Konkurs an. Die moderne Finanzkrise erschüttert die Weltwirtschaft, zieht rund um den Erdball die reale Wirtschaft nach unten und treibt Millionen Menschen in Arbeitslosigkeit und soziales Elend.

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Markus Sievers wurde 1965 in Bonn geboren. In Köln und Dublin studierte er Volkwirtschaft und Politik und besuchte die Kölner Journalistenschule. Nach einigen Jahren als freier Autor arbeitete er als Redakteur beim Weserkurier in Bremen und dann bei der Frankfurter Rundschau. Seit 2003 ist er Hauptstadtkorrespondent für mehrere Tageszeitungen in Berlin.