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Vor 50 Jahren: „Bloody Friday“ in Belfast

Redaktion

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Bei einer Serie von Bombenanschlägen der IRA starben am „blutigen Freitag“ neun Menschen, über 130 wurden verletzt. 1972 gilt als das blutigste Jahr im Nordirlandkonflikt.

Am 21. Juli 1972, dem "blutigen Freitag", explodierten in der nordirischen Hauptstadt Belfast mehrere Bomben der Irisch Republikanischen Armee IRA. Neun Menschen wurden getötet, mehr als 130 verletzt. (© picture-alliance/dpa, London Express)

Am frühen Nachmittag des 21. Juli 1972 wurde im nordirischen Belfast eine Serie von Bombenanschlägen ausgeübt. Innerhalb von etwas mehr als einer Stunde detonierten in der Stadt mindestens 19 Sprengsätze. Neun Menschen starben an diesem "blutigen Freitag", mehr als 130 wurden verletzt. Die Anschlagsserie führte zum Taktikwechsel der Sicherheitskräfte und prägte eine zunehmend negative Wahrnehmung der IRA in der Bevölkerung. 1972 gilt mit 480 Todesopfern als das blutigste Jahr im Nordirlandkonflikt.

Zu den Anschlägen bekannte sich die Provisional Irish Republican Army (dt. Provisorische Irisch-Republikanische Armee, PIRA). Diese ging aus der 1919 gegründeten Interner Link: Irisch-Republikanischen Armee (IRA) hervor. Die IRA war eine paramilitärische Organisation, deren Ziel die Unabhängigkeit Nordirlands von Großbritannien und die Wiedervereinigung Irlands als sozialistisch irische Republik war. Im Dezember 1969 spaltete sich die IRA in die "Officials" (OIRA) und die "Provisionals" (PIRA). Während die Officials auf parlamentarische Wege abzielten, setzte die später oft nur als IRA bezeichnete PIRA auf den Einsatz von Gewalt.

Die PIRA beziehungsweise IRA war einer der Hauptakteure im Interner Link: Nordirlandkonflikt. Im Rahmen ihres "Long War" verübte sie ab 1970 zahlreiche Bombenanschläge, Attentate und Überfälle. Zwischen 1969 und 1994 tötete die IRA etwa 1.800 Menschen, darunter etwa ein Drittel Zivilbevölkerung.

Entstehung des Konflikts

Im Nordirlandkonflikt stehen sich zum Teil bis heute zwei Bevölkerungsgruppen gegenüber, die Protestant/-innen und die Katholik/-innen. Die protestantischen Unionist/-innen haben englische und schottische Vorfahren und zielen auf den Verbleib Nordirlands im Vereinigten Königreich ab. Die als Nationalist/-innen oder Republikaner/-innen bezeichneten Vertreter/-innen des katholischen Lagers hingegen treten für die Loslösung Nordirlands vom Vereinigten Königreich und die Vereinigung mit der Republik Irland ein.

Der Streit um das heutige Nordirland ist letztlich eine Folge der Ansiedelung protestantischer Engländer/-innen und Schott/-innen seit Anfang des 17. Jahrhunderts. Die Kolonialisierung hatte damals die Enteignung der ansässigen Bevölkerung zur Folge. Mit der Teilung der Insel Anfang der 1920er Jahre verblieben sechs Grafschaften im Norden bei Großbritannien, während aus 26 Grafschaften die heutige Republik Irland entstand. Anfang der 1920er Jahre bildeten die Katholik/-innen eine Minderheit in Nordirland.

Als entscheidende Ursache für den von Interner Link: 1968 bis 1998 andauernden Bürgerkrieg gilt die politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Diskriminierung der katholischen Minderheit. Die protestantische Mehrheit kontrollierte die wichtigsten Positionen in der Region. Auf der katholischen Seite bildete sich eine Bürgerbewegung. Die bürgerkriegsähnlichen Zustände begannen mit einer Bürgerrechtsdemonstration der Northern Ireland Civil Rights Association (NICRA) 1968 im nordirischen Londonderry. Interner Link: Dabei kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Demonstrierenden und Polizei.

Bevölkerungszusammensetzung in Nordirland 2001
Interner Link: Hier finden Sie die Karte als hochauflösende pdf-Datei. (mr-kartographie) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Vergeltung für den "Bloody Sunday"

Den Nordirlandkonflikt massiv befeuert hatte der sogenannte Interner Link: "Bloody Sunday". Am 30. Januar 1972 demonstrierten bis zu 20.000 Menschen friedlich in Londonderry. Im Verlauf des Protests erschossen britische Fallschirmjäger 13 Demonstrierende. Die Bombenanschläge am "Bloody Friday" gelten als Vergeltungsaktionen der IRA. Zwar hatte die IRA, wie auch bei ihren Anschlägen zuvor, an jenem Tag telefonische Warnungen den Behörden ausgesprochen, dennoch waren die Folgen der Terrorakte verheerend.

Bürgerkrieg forderte 3.500 Tote

Während des Nordirlandkonflikts von 1968 bis 1998 waren Gewalt und Unruhen in Interner Link: Nordirland alltäglich: insgesamt wurden mehr als 3.500 Menschen getötet – ein Teil davon durch protestantische Terrorgruppen – und etwa 16.200 Bombenanschläge registriert. Von den 1,6 Millionen Bürger/-innen Nordirlands wurde etwa jeder Zwanzigste verletzt. Erst mit dem Karfreitagsabkommen vom 10. April 1998 wurde der nordirische Bürgerkrieg offiziell beendet – tatsächlich sank die Zahl der Gewalttaten in der Folge deutlich. Interner Link: Sieben Jahre später, am 28. Juli 2005, erklärte die IRA ihren bewaffneten Kampf für beendet. Anfang 2007 folgte ihre Entwaffnung.

Da die Anschlagsserie überwiegend Zivilbevölkerung traf, verlor die IRA in der Folge massiv an Sympathien in der Bevölkerung. Die Anschläge sorgten weltweit für Entsetzen. Die IRA wurde international zunehmend isoliert und als Terrororganisation betrachtet. Die britische Armee änderte nach dem „Bloody Friday“ ihre Taktik: Innerhalb von zehn Tagen rückte die Armee in von der IRA dominierte Stadtteile, wie den katholischen Teil von Derry, vor, um die Kontrolle über den Stadtteil zu übernehmen. Vielerorts errichteten die britischen Truppen in katholischen Vierteln Checkpoints und Wachtürme. Die IRA wurde zwar geschwächt, jedoch nicht besiegt.

Friedensprozess durch Karfreitagsabkommen von 1998

Der Interner Link: Friedensprozess wurde formell mit dem Karfreitagsabkommen von 1998 eingeleitet. Doch erst 2005 erklärte die IRA ihren bewaffneten Kampf für beendet. Es wurde unter Federführung der britischen und der irischen Regierungen das Abkommen ausgehandelt. Im Abkommen vereinbarten beide Seiten, dass die nordirische Regierung ihre Macht zum Vorteil aller ausüben und sich dabei auf Prinzipien wie die Gleichstellung aller Bürger/-innen stützen sollte. Katholik/-innen und Protestant/-innen sollten sich zudem künftig an der Regierung beteiligen und Konflikte durch Kompromisse lösen. Wenige Monate später bildeten die Democratic Unionist Party (DUP) und die Sinn Féin, der politische Arm der PIRA, eine gemeinsame nordirische Regionalregierung.

Unsichere Situation nach den Regionalwahlen 2022

Bei den Externer Link: Wahlen 2022 wurde Sinn Féin erstmals stärkste Kraft im nordirischen Regionalparlament. Allerdings blockiert die DUP die Regierungsbildung, indem sie sich weigert eine/n stellvertretende/n Ministerpräsidenten/-in zu nominieren.

Streit gab es zuletzt um das Nordirland-Protokoll des 2019 geschlossenen Interner Link: Brexit-Abkommens. Das Dokument sieht vor, dass Nordirland weiter den Regeln des EU-Binnenmarkts und der Europäischen Zollunion folgt. Zwar kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Gewaltakten durch Splittergruppen – ein von manchen nach dem Brexit-Referendum befürchtetes Wiederaufflammen des Bürgerkriegs blieb bislang jedoch aus.

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