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Vor 80 Jahren: Ermordung von Hans und Sophie Scholl | Hintergrund aktuell | bpb.de

Vor 80 Jahren: Ermordung von Hans und Sophie Scholl

Redaktion

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Am 22. Februar 1943 wurden die Geschwister Hans und Sophie Scholl in München von Nationalsozialisten hingerichtet. Die beiden Mitglieder der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" hatten Flugblätter gegen den Nationalsozialismus verteilt.

Undatierte Fotoaufnahmen von Hans und Sophie Scholl. (© picture-alliance/dpa, dpa)

Am 18. Februar 1943 wurden die Studenten Hans und Sophie Scholl in der Münchner Universität festgenommen, weil sie ein Flugblatt der studentischen Widerstandsgruppe "Weiße Rose" vor den Hörsälen im Hauptgebäude ausgelegt hatten. Dabei wurden sie von einem Hausmeister beobachtet, der sie bei der geheimen Staatspolizei des NS-Regimes, der Gestapo denunzierte. Der 24-jährige Hans Scholl und seine drei Jahre jüngere Schwester Sophie gehörten zu den Gegnerinnen und Gegnern des Nationalsozialismus. "In einem Staat rücksichtsloser Knebelung jeder freien Meinungsäußerung sind wir aufgewachsen", hieß es im beschlagnahmten Flugblatt. "Es gibt für uns nur eine Parole: Kampf der Partei!"

Der Verhaftung ging eine intensive Fahndung der Gestapo nach der Widerstandsgruppe voraus. Bereits im Sommer 1942 tauchten in München Flugblätter auf, die den Namen "Weiße Rose" trugen. Darin wurde unter anderem gefordert: "Leistet passiven Widerstand – wo immer Ihr auch seid!" Im Januar 1943 folgte ein Flugblatt, das mit "Widerstandsbewegung in Deutschland" überschrieben war und in mehreren Städten Süddeutschlands sowie in Österreich auftauchte. Das in der Universität München verteilte Flugblatt trug den Titel "Kommilitoninnen! Kommilitonen!". Die Gestapo vermutete die Autoren dieser Flugblätter daher in Münchner Studierendenkreisen.

Abkehr vom Nationalsozialismus

Die beiden Geschwister Hans und Sophie Scholl gehörten nicht von Anfang an zu den Gegnern des NS-Regimes. Hans Scholl war während seiner Gymnasialzeit in Ulm ein Anhänger der NSDAP. Im März 1933 trat er in die Hitler-Jugend (HJ) ein und wurde gegen den Willen seiner liberal-protestantischen Eltern "Fähnlein-Führer". 1935 nahm er am "Reichsparteitag" in Nürnberg teil. Auch seine Schwester Sophie glaubte in ihrer Schulzeit an den Nationalsozialismus, trat 1934 dem "Bund Deutscher Mädel" (BDM) bei und stieg zur Gruppenleiterin auf.

Zu einer ersten Distanzierung der Geschwister vom NS-Regime kam es, als Hans Scholl Ende 1937 von der Gestapo für zwei Wochen inhaftiert wurde, da er in Ulm eine Gruppe gegründet hatte, die sich an der verbotenen "Bündischen Jugend" orientierte und die bedingungslose Unterordnung in der HJ ablehnte. Auch Sophie Scholl wurde wegen der bündischen Aktivitäten ihres Bruders von der Gestapo vernommen. Die beiden wendeten sich in der Folge immer weiter vom Nationalsozialismus ab. Nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen schrieb Sophie Scholl ihrem Freund, dem Berufsoffizier Fritz Hartnagel: "Sag nicht, es ist fürs Vaterland!".

Zusammenschluss zur "Weißen Rose"

Hans Scholl studierte ab dem Sommersemester 1939 in München Medizin. Im Mai 1940 wurde er als Sanitäter an der Front in Frankreich eingesetzt. Nach seiner Rückkehr konnte er sein Studium fortsetzen und lernte im Juni 1941 den ebenfalls regimekritischen Alexander Schmorell kennen. Die zwei Medizinstudenten versammelten im Frühjahr 1942 eine Gruppe gleichgesinnter Studierender um sich. Zu diesem nicht organisierten Freundeskreis christlich-humanistisch geprägter Studierender aus konservativem Elternhaus gehörten später auch Intellektuelle und Künstler.

Zwischen dem 27. Juni und dem 12. Juli 1942 verfassten Hans Scholl und Alexander Schmorell zusammen die ersten Flugblätter der "Weißen Rose" mit jeweils einer Auflage von rund 100 Exemplaren. Sie appellierten darin an die politische Verantwortung der "deutschen Intelligenz", den deutschen Angriffskrieg zu stoppen. Auch den Massenmord an Juden in Polen prangerten sie an und riefen zur Sabotage auf, um das NS-Regimes zu stürzen: "Jedes Wort, das aus Hitlers Mund kommt, ist Lüge".

Aktionen der Widerstandsgruppe

Ende Juli 1942 wurden die Widerstandstätigkeiten von Hans Scholl und Alexander Schmorell unterbrochen, da sie als Sanitäter an der Ostfront eingesetzt wurden. Ihre Erfahrungen dort, unter anderem als sie Zeugen davon wurden, wie mit der jüdischen Bevölkerung im Interner Link: Warschauer Ghetto umgegangen wurde, bestärkte sie in ihrer Haltung. Nach ihrer Rückkehr an die Münchner Universität im November 1942 setzten sie ihre Aktionen fort.

In diesem Herbst stieß auch Sophie Scholl zur Gruppe. Sie studierte seit Mai 1942 in München Biologie und Philosophie. Sie kannte die Freunde ihres Bruders bereits und wurde ab dann in ihre Aktivitäten eingeweiht. Ende des Jahres schloss sich auch der nationalkonservative Philosophie-Professor Kurt Huber der "Weißen Rose" an. Er hatte sich zuvor auf einem privaten Leseabend mit dem Kern der Gruppe getroffen und forderte dort in der Diskussion über Grundfragen einer politischen Neuordnung: "Man muss etwas tun und zwar heute noch!" Als Kern der Gruppe galten im Januar 1943 Hans und Sophie Scholl, die Medizinstudenten Alexander Schmorell, Christoph Probst und Willi Graf sowie Professor Kurt Huber.

Im Januar 1943 unterstützte Huber Hans Scholl beim Texten des fünften Flugblattes der Gruppe. Es trug den Titel "Aufruf an alle Deutsche!". Zum ersten Mal benannte die Gruppe darin ihre politischen Ziele, wie eine "gesunde föderalistische Staatenordnung" und "einen vernünftigen Sozialismus" für die Arbeiterschaft sowie "Freiheit der Rede, Freiheit des Bekenntnisses, Schutz des einzelnen Bürgers vor der Willkür verbrecherischer Gewaltstaaten". Sie produzierten davon rund 6.000 Abzüge. An Herstellung und Verbreitung war auch Sophie Scholl beteiligt.

Nach der Kapitulation der Sechsten Armee der Wehrmacht in Stalingrad schrieb Hans Scholl zusammen mit anderen Mitgliedern der "Weißen Rose" Anfang Februar 1943 nachts Parolen an Hausfassaden in München. Diese lauteten zum Beispiel "Freiheit", "Nieder mit Hitler" und "Massenmörder Hitler". Kurt Huber verfasste in dieser Zeit das sechste und letzte Flugblatt der Gruppe. Es richtete sich ausdrücklich an die Münchner Studierenden und gegen Hitler. "Der Tag der Abrechnung ist gekommen", hieß es darin.

Todesurteil und Ermordung

Nach ihrer Verhaftung am 18. Februar 1943 in der Universität wurden Sophie und Hans Scholl einzeln verhört. Zunächst stritten sie alle Vorwürfe ab. Sophie Scholl legte erst ein Geständnis ab, als sie am nächsten Morgen um vier Uhr früh erfuhr, dass ihr Bruder gestanden habe. Die Gestapo hatte inzwischen die Schreibmaschine entdeckt, auf der die Matrizen für die Flugblätter getippt worden waren.

Weil Hans Scholl bei der Verhaftung einen Flugblatt-Entwurf bei sich gehabt hatte, kam die Gestapo auch Christoph Probst auf die Spur, ein Student, der während seines Medizinstudiums Hans und Sophie Scholl kennengelernt hatte und sich im Januar 1943 der „Weißen Rose“ angeschlossen hatte. Er hatte den Text auf Bitten von Hans Scholl verfasst und wurde ebenfalls verhaftet. Die Gestapo bot Sophie Scholl im Verhör an, sie könne der Todesstrafe entgehen, wenn sie sich von ihrem Bruder distanziere. Doch sie lehnte ab: "Ich bin nach wie vor der Meinung, das Beste getan zu haben, was ich gerade jetzt für mein Volk tun konnte."

Bereits am 22. Februar 1943 wurde Hans Scholl, Sophie Scholl und Christoph Probst der Prozess vor dem Volksgerichtshof gemacht. Richter Roland Freisler verurteilte die drei Angeklagten wegen "landesverräterischer Feindbegünstigung, Vorbereitung zum Hochverrat und Wehrkraftzersetzung" zum Tode. Noch am selben Tag wurden Sophie und Hans Scholl sowie Christoph Probst im Gefängnis München-Stadelheim mit dem Fallbeil hingerichtet.

Im April 1943 fand der zweite Prozess gegen 14 weitere Mitglieder der "Weißen Rose" statt. Der Volksgerichtshof verurteilte unter anderem Alexander Schmorell, Willi Graf und Kurt Huber zum Tode. Andere Beschuldigte erhielten langjährige Freiheitsstrafen. Im Herbst 1943 entdeckte die Gestapo einen Ableger der "Weißen Rose" in Hamburg. Mehr als 20 Menschen wurden verhaftet. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges wurden zehn weitere Regimegegner aus dem Umfeld der Widerstandsgruppe von den Nationalsozialisten ermordet.

Erinnerung und Gedenken

Während des Nationalsozialismus wurden die Mitglieder der "Weißen Rose" in deutschen Zeitungen als "Verräter" diffamiert. Die ausländische Presse hingegen würdigte sie. Nach Kriegsende fand die erste Gedenkfeier für die "Weiße Rose" am 4. November 1945 im Münchner Schauspielhaus statt. Die deutschen Medien erinnerten in der Nachkriegszeit immer wieder an deren Wirken. Dennoch fokussierte die bundesdeutsche Öffentlichkeit ihre Aufmerksamkeit auf den militärischen Widerstand um Claus Graf Stauffenberg und das Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944. In der DDR wurde die "Weiße Rose" politisch als rein antifaschistisch dargestellt, ihre humanistischen und religiösen Motive wurden unterschlagen.

In der Folge der studentischen Proteste von 1968 wurde die "Weiße Rose" in der Bundesrepublik in einer christlich-bürgerlichen Tradition verortet. Die zunehmende Forschung in den 1980er-Jahren brachte eine Wende in der Betrachtung. Die Beweggründe der Gruppenmitglieder rückten in ihrer Gesamtheit in den Fokus. Es zeichnete sich jedoch auch eine Glorifizierung ab, die sich auf die Geschwister Scholl konzentriert und besonders Sophie Scholl hervorhebt.

Aus Anlass des 100. Geburtstages von Sophie Scholl forderte Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, 2021 eine differenzierte Betrachtung der Widerstandskämpfer der NS-Zeit. Es sei nicht klug, sie als perfekte Menschen darzustellen: "Wenn sie auf einen Sockel gestellt werden, taugen sie nicht mehr als Vorbild. Denn dann sind sie unerreichbar."

Sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik wurden die Mitglieder der "Weißen Rose" zu Namensgebern von Straßen, Plätzen und Schulen. Auch verschiedene Gedenkstätten entstanden. Dazu gehören unter anderem der Erinnerungsort am Lichthof der Universität München, die Gedenkstätte in Sophie Scholls Geburtsort Forchtenberg, das Mahnmal in einer Hamburger Fußgängerzone und die Dauerausstellung in der Ulmer Volkshochschule.

Auch in der Berliner "Gedenkstätte Deutscher Widerstand" wird die "Weiße Rose" gewürdigt. Sie wird dabei als ziviler Widerstandskreis außerhalb der Interner Link: zivil-militärischen Verschwörung vom 20. Juli 1944 verortet. Im Bereich der Jugendopposition wiederum unterschied sich ihr Widerstand von anderen eher unpolitischen Jugendgruppen wie den Interner Link: "Edelweißpiraten" und der "Swingjugend".

Im Zeitverlauf wurde der Widerstand der "Weißen Rose" immer wieder unterschiedlich und teils auch umstritten auf die Gegenwart bezogen. Zum Beispiel präsentierten sich AfD-Funktionäre 2018 auf einer Demonstration in Chemnitz mit weißen Rosen am Revers. Darauf reagierten die Abgeordneten von CDU, SPD und Linke im Saarländischen Landtag mit dem Tragen einer weißen Rose in einer Plenarsitzung. Sie wollten damit ein demokratisches Zeichen "gegen den Missbrauch der 'Weißen Rose'" setzen.

Bei einer "Querdenken"-Kundgebung im November 2020 in Hannover sagt eine Rednerin: "Ich fühle mich wie Sophie Scholl, da ich seit Monaten hier aktiv im Widerstand bin." Die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen mit der NS-Zeit zu vergleichen, wurde von vielen Seiten kritisiert, insbesondere in Hinblick auf eine Relativierung des Holocaust und eine Verhöhnung der Opfer des Nationalsozialismus.

Für eine Kontroverse sorgte zudem das Instagram-Projekt "Ich bin Sophie Scholl" der Rundfunkanstalten SWR und BR. Dabei wurden die letzten zehn Monate von Sophie Scholls Leben von einer Schauspielerin dargestellt. Die Reaktionen darauf waren gespalten: Das Projekt wurde einerseits mit Preisen ausgezeichnet und hatte über 700.000 Follower. Andererseits wurde die Realisierung der Idee auch kritisiert. So gab die Bildungsstätte Anne Frank zu bedenken: "Durch einen starken Fokus auf weißen, christlichen, deutschen Widerstand, rücken die eigentlichen Opfer nationalsozialistischer Vernichtungs- und Eroberungspolitik zwangsläufig in den Hintergrund".

Die "Weiße Rose" und die Geschwister Scholl gelten vielen bis heute als Vorbilder und starke Symbole. Die Gefahr der Instrumentalisierung der studentischen Widerstandsgruppe besteht weiterhin.

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