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Bolivien: Wahlen in der Krise

Redaktion

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Am 17. August finden in Bolivien Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt. Das Land befindet sich in einer politischen und wirtschaftlichen Krise. Den regierenden Sozialisten droht eine Niederlage.

In La Paz stehen Menschen in einer Schlange für Brot, das aus staatlich subventioniertem Mehl hergestellt wird. Die Inflation in Bolivien befindet sich auf einem Langzeithoch. Wegen der Versorgungsknappheit können nur noch wenige Bäckereien vergünstigte Brote anbieten. (© picture-alliance/AP, Juan Karita)

Am 17. August wählt Interner Link: Bolivien einen neuen Präsidenten sowie ein neues Parlament. Bolivien hat ein Präsidialsystem, in dem das Staatsoberhaupt über große Machtbefugnisse verfügt (siehe Interner Link: Infokasten zum politischen System). Seit 2020 hat Luis Arce vom linken Bündnis Movimiento al Socialismo (MAS, dt. Bewegung zum Sozialismus) das Amt inne.

Nach knapp zwei Jahrzehnten, in denen die MAS fast ununterbrochen an der Macht war, droht der sozialistischen Partei Beobachtern zufolge diesmal eine Niederlage. Das Land steckt in einer tiefen wirtschaftlichen und politischen Krise, die nicht zuletzt im Juni 2024 nach einem gescheiterten Putschversuch von Teilen des Militärs deutlich wurde.

kurz&knappBolivien

Interner Link: Bolivien hat etwa zwölf Millionen Einwohner. Die Bevölkerung ist mit einem Altersdurchschnitt von zuletzt knapp 25 Jahren sehr jung. Der multiethnische Staat bezeichnet sich selbst als „plurinational“: Die Externer Link: Verfassung erkennt 36 indigene Bevölkerungsgruppen an, die größten sind die Quechua und die Aymara. Im Externer Link: Zensus von 2012 identifizierten sich rund 41 Prozent der Bevölkerung als (afro-)indigen – das waren deutlich weniger als noch 2001 (62 Prozent). Neuere Daten sind noch nicht verfügbar.

Nachdem die Inflation viele Jahre lang bei unter vier Prozent lag, stieg sie im vergangenen Jahr bereits deutlich an und erhöhte sich Externer Link: nach offiziellen Angaben bis Juli 2025 auf 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Während das Bruttoinlandsprodukt (BIP) bis 2014 noch jährlich um bis zu sieben Prozent wuchs, prognostiziert der Externer Link: Weltwährungsfond bis Ende 2025 nur noch 1,1 Prozent Wachstum. In den vergangenen zwei Jahren lag die Externer Link: Staatsverschuldung bei mehr als 90 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Der Gini-Koeffizient, mit dem die Einkommens- und Vermögensungleichheit zwischen Ländern verglichen werden kann, lag 2023 laut Daten der Externer Link: Weltbank bei etwa 0,42 – das ist vergleichbar mit den Vereinigten Staaten von Amerika (rund 0,42) und höher als in Deutschland (0,3).

Der Externer Link: Demokratie-Index der Bertelsmann Stiftung (BTI) stuft Bolivien als „defekte Demokratie“ ein, der Externer Link: Index der Zeitschrift „The Economist“ als „hybrides Regime“ zwischen Demokratie und Autokratie. Die Menschenrechtsorganisation Externer Link: Freedom House schätzt das Land in Bezug auf politische Rechte und bürgerliche Freiheiten nur als „teilweise frei“ ein. Auch die Medienfreiheit gilt als eingeschränkt: Beim Länder-Ranking von Externer Link: Reporter ohne Grenzen liegt das Land auf Platz 93 von 180.

Das schwierige Morales-Erbe

Das heutige Bolivien wurde stark von seinem früheren Präsidenten Evo Morales geprägt. Der frühere Bauern-Anführer vereinigte Boliviens linkes politisches Lager Ende der 1990er Jahre im Bündnis Movimiento al Socialismo (MAS). 2006 gewann er als erster indigener Kandidat die Präsidentschaftswahl. In seiner Zeit als Staatsoberhaupt gelang es, die Armut und Ungleichheit in dem Land zu verringern. Die Zahl der Analphabeten sank, der Anteil von Frauen sowie Minderheiten in Parlamenten und öffentlichen Institutionen stieg deutlich an. Der politische Einfluss und die Rechte der indigenen Bevölkerung wurden in seiner Amtszeit gestärkt. Die Wirtschaft wuchs während Morales Amtszeit bis 2019 nicht zuletzt aufgrund jahrelang steigender Erdgasverkäufe stetig.

Die Politik der MAS wurde jedoch auch massiv kritisiert: Gegner warfen Morales unter anderem ein Aufblähen der Staatswirtschaft, Korruption sowie autoritäre Tendenzen vor. Für erheblichen Unmut sorgte auch, dass Morales entgegen der bolivianischen Verfassung 2019 eine vierte Amtszeit anstrebte. Aufgrund des massiven öffentlichen Drucks trat er letztlich nach seiner umstrittenen Wiederwahl zurück und floh ins Exil.

Statt Morales kandidierte schließlich Luis Arce für die MAS bei vorgezogenen Neuwahlen. Er war unter Morales Wirtschaftsminister und gewann die Präsidentschaftswahl im Oktober 2020 im ersten Wahlgang mit 55 Prozent der Stimmen.

Das Wirtschaftsmodell der MAS – oft als „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ bezeichnet – finanzierte Sozialprogramme und Subventionen vor allem durch Einnahmen aus dem Rohstoffsektor, insbesondere durch den Export von Erdgas. Gesetze garantieren subventionierte Produkte: Der Staat kauft etwa Benzin, Diesel und Mehl zu Weltmarktpreisen ein und verkauft sie im Inland stark vergünstigt weiter. Die so steigenden Staatsausgaben mit (bereits seit 2016) gleichzeitig sinkenden Gasexporten haben das Land unter Arces Regierung in eine schwere wirtschaftliche Krise gestürzt.

Spaltung der MAS

Nach seinem kurzen Exil in Mexiko und Argentinien kehrte Morales 2020 nach Bolivien zurück. Da er Arce innerhalb der MAS durchgesetzt hatte, erwartete er, dass dieser ihm den Weg für eine erneute Kandidatur ebnen würde. Doch beide zerstritten sich, auch, weil Arce selbst zur Präsidentschaftswahl 2025 antreten wollte.

In den vergangenen Jahren kam es bei Protesten mehrfach zu gewaltsamen und teilweise tödlichen Zusammenstößen zwischen bolivianischen Sicherheitskräften, Befürwortern und Gegnern Morales. Auch in den vergangenen Monaten versuchten Morales-Anhänger mit Straßenblockaden die Wahlteilnahme des Ex-Präsidenten zu erzwingen sowie dessen Verhaftung zu verhindern – gegen Morales wird wegen mutmaßlichen sexuellen Missbrauchs einer Minderjährigen und Menschenhandels ermittelt. Weil die Morales-Anhänger Arce im Parlament die Gefolgschaft verweigern, war die MAS-Fraktion zuletzt gespalten. Arce fand daher im Parlament in der zweiten Hälfte seiner Amtszeit kaum noch Mehrheiten für Beschlüsse, was die wirtschaftliche und politische Krise des Landes weiter verschärfte.

kurz&knappDas politische System Boliviens

Die Externer Link: bolivianische Verfassung gibt dem Präsidenten große Macht. Er ist Oberbefehlshaber des Militärs und Regierungschef. Seine Amtszeit beträgt fünf Jahre, die Verfassung von 2009 erlaubt nur eine einzige Wiederwahl in Folge.

Das Parlament (Asamblea Legislativa Plurinacional) besteht aus zwei Kammern: Das Abgeordnetenhaus (Cámera de Diputados) verfügt über 130 Sitze. In der zweiten Kammer, dem Senat (Cámera de Senadores), sitzen 36 Mitglieder. Sie repräsentieren die neun mit Bundesländern vergleichbaren Departmentos des Landes.

So wird gewählt

Präsident und Parlament werden regulär alle fünf Jahre gewählt. Das Staatsoberhaupt wird direkt vom Volk bestimmt. Im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahl gewinnt der Kandidat, der mehr als 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinen kann. Es reichen auch 40 Prozent, falls es 10 Prozent oder mehr Stimmen Abstand zum zweitplatzierten Kandidaten gibt. Schafft dies keiner der Bewerber, kommt es zur Stichwahl zwischen den beiden bestplatzierten Kandidaten. Dann reicht die einfache Mehrheit der Stimmen.

Die Abgeordneten des Parlaments werden teils direkt gewählt, teils werden die Sitze nach dem Verhältniswahlrecht über Parteilisten auf der Grundlage der Stimmanteile für die Präsidentschaftskandidaten vergeben. Im internationalen Vergleich ist die Externer Link: Quote der weiblichen Abgeordneten im bolivianischen Parlament aufgrund von Paritätsgesetzen mit um die 50 Prozent sehr hoch. Sieben Sitze sind für Vertreterinnen und Vertreter der indigenen Bevölkerung reserviert.

In Bolivien herrscht eine Wahlpflicht – mit Ausnahmen für Wähler und Wählerinnen über 70 und Bürgerinnen und Bürger, die im Ausland leben. Externer Link: Wahlberechtigt sind rund 7,9 Millionen Bolivianerinnen und Bolivianer ab 18 Jahren.

Wer tritt zur Wahl an?

Da Arce und viele MAS-Funktionäre eine erneute Kandidatur von Morales nicht unterstützen, trat dieser im Februar dieses Jahres aus der MAS aus. Morales wollte zunächst für die linke Partei El Frente Para la Victoria (dt. Die Front für den Sieg, FPV) antreten. Doch nachdem sowohl die zuständige Wahlbehörde und das Wahlgericht als auch das Verfassungsgericht entschieden hatten, dass Morales nicht noch einmal als Präsidentschaftskandidat antreten darf, wurde er nicht zur Wahl zugelassen. Die Verfassung begrenzt das Amt auf eine einmalige Wiederwahl. Morales und seine Anhänger fordern deshalb dazu auf, die Stimmzettel bei den Wahlen ungültig abzugeben.

Präsident Arce verzichtete auch angesichts schlechter Umfragewerte auf eine erneute Kandidatur. Der offizielle MAS-Kandidat, der aktuelle Innenminister Eduardo del Castillo, ist laut Umfragen chancenlos – letzten Prognosen zufolge wird er nur 1,5 bis 2,0 Prozent der Stimmen erzielen. Er steht für eine Fortsetzung der sozialistisch orientierten Politik und eine starke Rolle des Staates beim Ausbau der Industrialisierung des Landes. Aussichtsreichster Kandidat der politischen Linken ist der Senatspräsident Andrónico Rodríguez. Der ehemalige MAS-Politiker tritt für die Alianza Popular (dt. Volksallianz) an. Mit prognostizierten 5,5 bis 8,5 Prozent sind seine Chancen auf einen Sieg ebenfalls gering.

Wahlumfragen sind in Bolivien mit besonders vielen Unwägbarkeiten behaftet, auch, weil die Wählerinnen und Wähler je nach Region sehr unterschiedlich wählen. Doch der Abstand, mit dem die Oppositionskandidaten außerhalb des linken politischen Lagers in aktuellen Prognosen führen, ist deutlich: In den Umfragen zuletzt vorne lag Samuel Doria Medina von der konservativ-wirtschaftsliberalen Frente de Unidad Nacional (dt. Front der nationalen Einheit). Der Unternehmer setzt auf einen Ausbau der Privatwirtschaft und den Abbau von Subventionen. Er will insbesondere die Beziehungen zu den USA verbessern. Medina tritt für das breitere Wahlbündnis Bloque de Unidad (dt. Einheitsblock / Einheit), der verschiedenen Parteien eher der politischen Mitte versammelt. Laut Umfragen kann Medina auf 21,2 bis 23,6 Prozent der Stimmen hoffen.

Neben Medina gilt Ex-Präsident Jorge „Tuto“ Quiroga von der rechts-konservativen Alianza Libre (dt. Freies Bündnis) als aussichtsreichster Kandidat. In den aktuellen Umfragen werden ihm zwischen 20,0 bis 24,5 Prozent der Stimmen prognostiziert. Auch er steht für mehr Marktwirtschaft und eine Aufarbeitung der MAS-Zeit.

Was sind Themen im Wahlkampf?

Das zentrale Wahlkampfthema ist die Wirtschaft und hierbei insbesondere die steigende Inflation sowie die Versorgungskrise in Bolivien. Neben Kraftstoffen fehlen andere zentrale Güter wie Lebensmittel und Medikamente. Die Bevölkerung sieht sich mit wachsender Armut und Korruption konfrontiert. Auch wird darüber diskutiert, wie das Land von seinen großen Rohstoffvorräten besser profitieren kann. Lithium ist ein Leichtmetall, das insbesondere für die Batterieproduktion verwendet wird – mit weltweit steigendem Bedarf. Boliviens Lithiumvorkommen zählt zu den größten der Welt, wird bisher aber nur in geringen Umfang abgebaut. Im Zentrum der Debatte um den Lithiumabbau stehen die Zulassung internationaler Investoren, die Folgen für die Umwelt und die Rechte der indigenen Bevölkerungen in den Abbaugebieten.

Prognosen deuten auf Abwahl der Regierungspartei hin

Die letzten Umfragen deuten zunächst auf eine Stichwahl am 19. Oktober 2025 hin. Das sieht die Verfassung vor, wenn kein Kandidat mehr als 50 Prozent der Stimmen gewinnt. Nach derzeitigem Umfragestand sieht es so aus, als ob die sozialistische Regierungspartei eine Niederlage erleiden und ein konservativer Oppositionskandidat Präsident werden könnte. Nach fast 20 Jahren MAS-Regierung stünde das Land vor einer politischen und wirtschaftlichen Wende.

Insbesondere durch die schwierige wirtschaftliche Lage und die anhaltenden Proteste der Morales-Unterstützer finden die Wahlen in einer fragilen innenpolitischen Situation statt. Unabhängig von ihrem konkreten Ausgang halten Externer Link: Beobachter daher für wahrscheinlich, dass soziale Unruhen und politische Spannungen auch nach den Wahlen anhalten werden.

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