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Bolivien: Wahlen in der Krise

Redaktion

/ 6 Minuten zu lesen

Bei den Präsidentschaftswahlen in Bolivien kommt es zur Stichwahl. Am 19. Oktober treten zwei konservative Oppositionskandidaten gegeneinander an. Die bisher regierenden Sozialisten verloren im ersten Wahlgang deutlich.

In La Paz stehen Menschen in einer Schlange für Brot, das aus staatlich subventioniertem Mehl hergestellt wird. Die Inflation in Bolivien befindet sich auf einem Langzeithoch. Wegen der Versorgungsknappheit können nur noch wenige Bäckereien vergünstigte Brote anbieten. (© picture-alliance/AP, Juan Karita)

Am 17. August fand in Interner Link: Bolivien die erste Runde der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt. Bolivien hat ein Präsidialsystem, in dem das Staatsoberhaupt über große Machtbefugnisse verfügt (siehe Interner Link: Infokasten zum politischen System). Bisher hatte seit 2020 Luis Arce vom linken Bündnis Movimiento al Socialismo (MAS, dt. Bewegung zum Sozialismus) das Amt inne.

Im ersten Wahlgang erreichte keiner der Kandidaten für das Präsidentschaftsamt den notwendigen Stimmenanteil von mehr als 50 Prozent. Nach Angaben der Externer Link: bolivianischen Wahlorganisation OEP (Órgano Electoral Plurinacional) gingen 32,06 Prozent der Stimmen an die christdemokratische PDC (Partido Demócrata Cristiano) mit ihrem Kandidaten Rodrigo Paz. In der Stichwahl am 19. Oktober wird er gegen Jorge „Tuto“ Quiroga antreten. Der rechts-konservative Politiker trat für die Alianza Libre (dt. Freies Bündnis) an, die 26,7 Prozent der Stimmen erhielt. Die Wahlbeteiligung lag mit rund 87 Prozent leicht unter der Beteiligung der vorherigen Wahl. Fast 20 Prozent der abgegebenen Wahlzettel waren ungültig abgegeben worden.

Nach knapp zwei Jahrzehnten, in denen die MAS fast ununterbrochen an der Macht war, erlebte die sozialistische Partei eine deutliche Niederlage. Sie und ihr Kandidat Andrónico Rodriguez erhielten nur 3,17 Prozent der Stimmen. Damit steht das Land vor einer politischen und wirtschaftlichen Wende.

kurz&knappBolivien

Interner Link: Bolivien hat etwa zwölf Millionen Einwohner. Die Bevölkerung ist mit einem Altersdurchschnitt von zuletzt knapp 25 Jahren sehr jung. Der multiethnische Staat bezeichnet sich selbst als „plurinational“: Die Externer Link: Verfassung erkennt 36 indigene Bevölkerungsgruppen an, die größten sind die Quechua und die Aymara. Im Externer Link: Zensus von 2012 identifizierten sich rund 41 Prozent der Bevölkerung als (afro-)indigen – das waren deutlich weniger als noch 2001 (62 Prozent). Neuere Daten sind noch nicht verfügbar.

Nachdem die Inflation viele Jahre lang bei unter vier Prozent lag, stieg sie im vergangenen Jahr bereits deutlich an und erhöhte sich Externer Link: nach offiziellen Angaben bis Juli 2025 auf 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Während das Bruttoinlandsprodukt (BIP) bis 2014 noch jährlich um bis zu sieben Prozent wuchs, prognostiziert der Externer Link: Weltwährungsfond bis Ende 2025 nur noch 1,1 Prozent Wachstum. In den vergangenen zwei Jahren lag die Externer Link: Staatsverschuldung bei mehr als 90 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Der Gini-Koeffizient, mit dem die Einkommens- und Vermögensungleichheit zwischen Ländern verglichen werden kann, lag 2023 laut Daten der Externer Link: Weltbank bei etwa 0,42 – das ist vergleichbar mit den Vereinigten Staaten von Amerika (rund 0,42) und höher als in Deutschland (0,3).

Der Externer Link: Demokratie-Index der Bertelsmann Stiftung (BTI) stuft Bolivien als „defekte Demokratie“ ein, der Externer Link: Index der Zeitschrift „The Economist“ als „hybrides Regime“ zwischen Demokratie und Autokratie. Die Menschenrechtsorganisation Externer Link: Freedom House schätzt das Land in Bezug auf politische Rechte und bürgerliche Freiheiten nur als „teilweise frei“ ein. Auch die Medienfreiheit gilt als eingeschränkt: Beim Länder-Ranking von Externer Link: Reporter ohne Grenzen liegt das Land auf Platz 93 von 180.

Das schwierige Morales-Erbe

Das heutige Bolivien wurde stark von seinem früheren Präsidenten Evo Morales geprägt. Der frühere Bauern-Anführer vereinigte Boliviens linkes politisches Lager Ende der 1990er Jahre im Bündnis Movimiento al Socialismo (MAS). 2006 gewann er als erster indigener Kandidat die Präsidentschaftswahl. In seiner Zeit als Staatsoberhaupt gelang es, die Armut und Ungleichheit in dem Land zu verringern. Die Zahl der Analphabeten sank, der Anteil von Frauen sowie Minderheiten in Parlamenten und öffentlichen Institutionen stieg deutlich an. Der politische Einfluss und die Rechte der indigenen Bevölkerung wurden in seiner Amtszeit gestärkt. Die Wirtschaft wuchs während Morales Amtszeit bis 2019 nicht zuletzt aufgrund jahrelang steigender Erdgasverkäufe stetig.

Die Politik der MAS wurde jedoch auch massiv kritisiert: Gegner warfen Morales unter anderem ein Aufblähen der Staatswirtschaft, Korruption sowie autoritäre Tendenzen vor. Für erheblichen Unmut sorgte auch, dass Morales entgegen der bolivianischen Verfassung 2019 eine vierte Amtszeit anstrebte. Aufgrund des massiven öffentlichen Drucks trat er letztlich nach seiner umstrittenen Wiederwahl zurück und floh ins Exil.

Statt Morales kandidierte schließlich Luis Arce für die MAS bei vorgezogenen Neuwahlen. Er war unter Morales Wirtschaftsminister und gewann die Präsidentschaftswahl im Oktober 2020 im ersten Wahlgang mit 55 Prozent der Stimmen.

Das Wirtschaftsmodell der MAS – oft als „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ bezeichnet – finanzierte Sozialprogramme und Subventionen vor allem durch Einnahmen aus dem Rohstoffsektor, insbesondere durch den Export von Erdgas. Gesetze garantieren subventionierte Produkte: Der Staat kauft etwa Benzin, Diesel und Mehl zu Weltmarktpreisen ein und verkauft sie im Inland stark vergünstigt weiter. Die so steigenden Staatsausgaben mit (bereits seit 2016) gleichzeitig sinkenden Gasexporten haben das Land unter Arces Regierung in eine schwere wirtschaftliche Krise gestürzt.

Spaltung der MAS

Nach seinem kurzen Exil in Mexiko und Argentinien kehrte Morales 2020 nach Bolivien zurück. Da er Arce innerhalb der MAS durchgesetzt hatte, erwartete er, dass dieser ihm den Weg für eine erneute Kandidatur ebnen würde. Doch beide zerstritten sich, auch, weil Arce selbst zur Präsidentschaftswahl 2025 antreten wollte.

In den vergangenen Jahren kam es bei Protesten mehrfach zu gewaltsamen und teilweise tödlichen Zusammenstößen zwischen bolivianischen Sicherheitskräften, Befürwortern und Gegnern Morales. Auch in den vergangenen Monaten versuchten Morales-Anhänger mit Straßenblockaden die Wahlteilnahme des Ex-Präsidenten zu erzwingen sowie dessen Verhaftung zu verhindern – gegen Morales wird wegen mutmaßlichen sexuellen Missbrauchs einer Minderjährigen und Menschenhandels ermittelt. Weil die Morales-Anhänger Arce im Parlament die Gefolgschaft verweigern, war die MAS-Fraktion zuletzt gespalten. Arce fand daher im Parlament in der zweiten Hälfte seiner Amtszeit kaum noch Mehrheiten für Beschlüsse, was die wirtschaftliche und politische Krise des Landes weiter verschärfte.

kurz&knappDas politische System Boliviens

Die Externer Link: bolivianische Verfassung gibt dem Präsidenten große Macht. Er ist Oberbefehlshaber des Militärs und Regierungschef. Seine Amtszeit beträgt fünf Jahre, die Verfassung von 2009 erlaubt nur eine einzige Wiederwahl in Folge.

Das Parlament (Asamblea Legislativa Plurinacional) besteht aus zwei Kammern: Das Abgeordnetenhaus (Cámera de Diputados) verfügt über 130 Sitze. In der zweiten Kammer, dem Senat (Cámera de Senadores), sitzen 36 Mitglieder. Sie repräsentieren die neun mit Bundesländern vergleichbaren Departmentos des Landes.

So wird gewählt

Präsident und Parlament werden regulär alle fünf Jahre gewählt. Das Staatsoberhaupt wird direkt vom Volk bestimmt. Im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahl gewinnt der Kandidat, der mehr als 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinen kann. Es reichen auch 40 Prozent, falls es 10 Prozent oder mehr Stimmen Abstand zum zweitplatzierten Kandidaten gibt. Schafft dies keiner der Bewerber, kommt es zur Stichwahl zwischen den beiden bestplatzierten Kandidaten. Dann reicht die einfache Mehrheit der Stimmen.

Die Abgeordneten des Parlaments werden teils direkt gewählt, teils werden die Sitze nach dem Verhältniswahlrecht über Parteilisten auf der Grundlage der Stimmanteile für die Präsidentschaftskandidaten vergeben. Im internationalen Vergleich ist die Externer Link: Quote der weiblichen Abgeordneten im bolivianischen Parlament aufgrund von Paritätsgesetzen mit um die 50 Prozent sehr hoch. Sieben Sitze sind für Vertreterinnen und Vertreter der indigenen Bevölkerung reserviert.

In Bolivien herrscht eine Wahlpflicht – mit Ausnahmen für Wähler und Wählerinnen über 70 und Bürgerinnen und Bürger, die im Ausland leben. Externer Link: Wahlberechtigt sind rund 7,9 Millionen Bolivianerinnen und Bolivianer ab 18 Jahren.

Wer stand zur Wahl?

Da Arce und viele MAS-Funktionäre eine erneute Kandidatur von Morales nicht unterstützten, trat dieser im Februar dieses Jahres aus der MAS aus. Morales wollte zunächst für die linke Partei El Frente Para la Victoria (dt. Die Front für den Sieg, FPV) antreten. Doch nachdem sowohl die zuständige Wahlbehörde und das Wahlgericht als auch das Verfassungsgericht entschieden hatten, dass Morales nicht noch einmal als Präsidentschaftskandidat antreten darf, wurde er nicht zur Wahl zugelassen. Die Verfassung begrenzt das Amt auf eine einmalige Wiederwahl. Morales und seine Anhänger forderten deshalb dazu auf, die Stimmzettel bei den Wahlen ungültig abzugeben. Viele Wählerinnen und Wähler sind diesem Aufruf offenbar gefolgt, wie die hohe Zahl an ungültigen Stimmen (rund 20 Prozent) in der ersten Wahlrunde zeigt. Morales scheint weiterhin über Mobilisierungskraft zu verfügen.

Präsident Arce verzichtete auch angesichts schlechter Umfragewerte auf eine erneute Kandidatur. Der offizielle MAS-Kandidat, der aktuelle Innenminister Eduardo del Castillo. Er stand für eine Fortsetzung der sozialistisch orientierten Politik und eine starke Rolle des Staates beim Ausbau der Industrialisierung des Landes. Aussichtsreichster Kandidat der politischen Linken war vor der Wahl der Senatspräsident Andrónico Rodríguez. Der ehemalige MAS-Politiker trat für die Alianza Popular (dt. Volksallianz) an, die im ersten Wahlgang 8,5 Prozent der Stimmen erhielt. Mit prognostizierten 5,5 bis 8,5 Prozent sind seine Chancen auf einen Sieg ebenfalls gering.

In den Umfragen zuletzt vorne lag Samuel Doria Medina von der konservativ-wirtschaftsliberalen Frente de Unidad Nacional (dt. Front der nationalen Einheit). Der Unternehmer setzt auf einen Ausbau der Privatwirtschaft und den Abbau von Subventionen. Er will insbesondere die Beziehungen zu den USA verbessern. Medina trat für das breitere Wahlbündnis Bloque de Unidad (dt. Einheitsblock / Einheit) an, der verschiedenen Parteien eher der politischen Mitte versammelt. Medina und sein Wahlbündnis erhielten in der ersten Wahlrunde rund 19,7 Prozent der Stimmen.

Neben Medina galt Ex-Präsident Jorge „Tuto“ Quiroga von der rechts-konservativen Alianza Libre (dt. Freies Bündnis) als aussichtsreichster Kandidat. Auch er steht für mehr Marktwirtschaft und eine Aufarbeitung der MAS-Zeit.

Quiroga tritt nun am 19. Oktober in der Stichwahl an gegen Rodrigo Paz Pereira von der christdemokratischen Partido Democrático Cristiano. Paz und der PDC wurden vor der Wahl nur Außenseiterchancen eingeräumt. Zuletzt prognostizierten ihm Erhebungen des Meinungsforschungsinstituts Externer Link: AtlasIntel 7,5 Prozent der Stimmen. Mit einem Stimmanteil von 31,9 Prozent in der ersten Wahlrunde gilt er deshalb als Überraschungssieger. Ins Zentrum seiner Kampagne stellte er den Kampf gegen die Korruption und Maßnahmen zur Stabilisierung der bolivianischen Wirtschaft, etwa durch eine Steuerreform und geringere Staatsausgaben. Paz wird in der Stichwahl nun vom drittplatzierten Medina und seinem Wahlbündnis unterstützt.

Was waren Themen im Wahlkampf?

Das zentrale Wahlkampfthema war die Wirtschaft und hierbei insbesondere die steigende Inflation sowie die Versorgungskrise in Bolivien. Neben Kraftstoffen fehlen andere zentrale Güter wie Lebensmittel und Medikamente. Die Bevölkerung sieht sich mit wachsender Armut und Korruption konfrontiert. Auch wurde darüber diskutiert, wie das Land von seinen großen Rohstoffvorräten besser profitieren kann. Lithium ist ein Leichtmetall, das insbesondere für die Batterieproduktion verwendet wird – mit weltweit steigendem Bedarf. Boliviens Lithiumvorkommen zählt zu den größten der Welt, wird bisher aber nur in geringen Umfang abgebaut. Im Zentrum der Debatte um den Lithiumabbau stehen die Zulassung internationaler Investoren, die Folgen für die Umwelt und die Rechte der indigenen Bevölkerungen in den Abbaugebieten.

Wie geht es weiter?

Nach der Stichwahl am 19. Oktober wird der neue Präsident voraussichtlich am 8. November die Regierungsgeschäfte übernehmen. Insbesondere durch die schwierige wirtschaftliche Situation und die anhaltenden Proteste der Morales-Unterstützer finden die Wahlen in einer fragilen innenpolitischen Situation statt.

Unabhängig von ihrem konkreten Ausgang halten Externer Link: Beobachter daher für wahrscheinlich, dass soziale Unruhen und politische Spannungen auch nach der Stichwahl anhalten werden.

Dieser Beitrag wurde zuerst am 14.08.2025 veröffentlicht und am 26.08.2025 aktualisiert.

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