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Der „Grüne Marsch“ 1975 und der Westsahara-Konflikt | Hintergrund aktuell | bpb.de

Der „Grüne Marsch“ 1975 und der Westsahara-Konflikt

Redaktion

/ 7 Minuten zu lesen

Am 6. November 1975 marschierte Marokko in die Westsahara ein. Der Tag gilt als symbolischer Beginn des bis heute andauernden Konflikts.

Mit wehenden Fahnen und dem Koran in der Hand überqueren am 6.11.1975 Marokkanerinnen und Marokkaner die Grenze zur spanischen Kolonie Spanisch Sahara. (© picture-alliance / dpa | DB UPI)

Im Oktober 1975 kündigte Marokkos König Hassan II. an, 350.000 unbewaffnete Zivilistinnen und Zivilisten auf einen „Friedensmarsch“ in die Interner Link: Westsahara schicken zu wollen. Der sogenannte „Grüne Marsch“ war eine strategische Massendemonstration in das Gebiet der Westsahara, um die eigenen Ansprüche auf das Gebiet zu untermauern und die Region nach dem absehbaren Ende der spanischen Kolonialherrschaft an das marokkanische Territorium einzugliedern.

Bevor sich der Marsch in Gang setzte, war das marokkanische Militär bereits in das nordöstliche Grenzgebiet Westsaharas vorgedrungen. Nach diesen Ereignissen beanspruchte Marokko weite Teile der Region für sich – gegen den Widerstand der dort beheimateten Sahraui. In Marokko wird der 6. November bis heute als Nationalfeiertag gefeiert.

kurz&knappWarum „Grüner“ Marsch?

Die marokkanische Bezeichnung des „Grünen“ Marschs geht auf die Farbe des Islam zurück. Grün gilt als Farbe des Propheten Muhammad und symbolisiert das Paradies, die Hoffnung und den Frieden. Mit der Bezeichnung unterstrich König Hassan II. die marokkanische Darstellung des Marschs als „Friedensmarsch“.

Den in der Region lebenden Sahraui ist der Marsch als „schwarzer Marsch“ bekannt. Die gleichzeitige marokkanische militärische Invasion des Gebiets der Westsahara von Norden her ging mit Morden, Folterungen und dem gewaltsamen Verschwindenlassen von Menschen sowie Bombardierungen durch marokkanische Streitkräfte einher und markierte den Beginn der Flucht tausender Sahraui in die Wüste.

Neben Marokko, das im Norden an das Gebiet der Westsahara grenzt, stellte auch Mauretanien nach der spanischen Kolonialherrschaft Gebietsansprüche an die Region und besetzte ab 1975 deren Süden. Mauretanien grenzt im Südwesten an die heutige Westsahara. Der Grüne Marsch löste intensive diplomatische Verhandlungen zwischen Marokko, der damaligen Kolonialmacht Spanien und Mauretanien aus, an der sich auch die Interner Link: Vereinten Nationen (VN) beteiligten.

Karte von Westafrika mit Marokko und von Marokko kontrollierte Gebiete in Westsahara sowie angrenzende Staaten. (von TUBS via Externer Link: Wikimedia Commons, Bearbeitung (=Beschriftung) durch bpb) Lizenz: cc by-sa/3.0/de

Die Dekolonisierung Spanisch Saharas

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren viele ehemalige europäische Kolonien unabhängig geworden – so auch Marokko, das bis 1956 unter französischer und spanischer Kolonialherrschaft stand. Lediglich die Städte Interner Link: Ceuta und Melilla sind bis heute spanische Exklaven. Die Generalversammlung der VN forderte Spanien am 16. Dezember 1965 in Externer Link: Resolution 2072 dazu auf, auch die Kolonie Spanisch Sahara (heute: Westsahara) in die Unabhängigkeit zu entlassen.

Mit Unterstützung Algeriens gründete sich 1973 die Befreiungsbewegung Polisario (Frente Popular de Liberación de Saguía el Hamra y Río de Oro). Die „Volksfront zur Befreiung von Saguía el Hamra und Río de Oro“ sieht sich als Stimme des in Westsahara lebenden Volkes der Sahraui.

Spanien kündigte 1974 an, in der Westsahara ein Referendum über die Unabhängigkeit durchzuführen. Die benachbarten Staaten Marokko und Mauretanien wandten sich im selben Jahr mit ihren Gebietsansprüchen auf Westsahara an die VN-Vollversammlung. Diese forderte in Externer Link: Resolution 3292 Spanien auf, das Referendum zu verschieben und beauftragte ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofs, das im weiteren Prozess berücksichtigt werden sollte.

Gutachten des Internationalen Gerichtshofs

Der Internationale Gerichtshof stellte in seinem Externer Link: Gutachten vom 16. Oktober 1975 fest, dass in der Vergangenheit zwar rechtliche Bindungen von Marokko und Mauretanien zur Westsahara bestanden hätten, wies jedoch die Territorialansprüche beider Staaten zurück. Gleichzeitig bekräftigte er das Recht auf Selbstbestimmung der Sahraui. Noch am selben Tag erklärte König Hassan II. entgegen des Gutachtens, der Internationale Gerichtshof habe die historisch begründeten Ansprüche Marokkos auf die Westsahara bestätigt.

Am 6. November fand schließlich der Grüne Marsch statt, bei dem nur ein Teil der Marschierenden tatsächlich die Grenze zur Westsahara überschritt – und das auch nur wenige Kilometer weit. Die Demonstration wurde von der spanischen Regierung geduldet, eine militärische Eskalation sollte verhindert werden. Nach wenigen Tagen beendete Hassan II. den Grünen Marsch.

Rückzug Spaniens und Teilung

Am 14. November 1975 erklärte sich Spanien im Vertrag von Madrid bereit, Marokko und Mauretanien bis zum endgültigen Ende der spanischen Kolonialherrschaft an der Verwaltung der Westsahara zu beteiligen. Demnach sollte Marokko die nördlichen zwei Drittel des Landes, Mauretanien das verbleibende Drittel übernehmen. Spanien erhielt im Gegenzug Fischfangrechte und Bergbauanteile an den Phosphatminen des Gebiets. Eine Klärung der endgültigen Souveränität Westsaharas enthielt der Vertrag nicht. Im Februar 1976 zog sich Spanien völlig aus Westsahara zurück.

Westsaharakrieg (1976 – 1991)

Seit Beginn der militärischen Besetzung durch die beiden Staaten im Dezember 1975 war es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen gekommen. Am 27. Februar 1976 rief die Befreiungsbewegung des Volkes der Sahraui (Polisario) die "Demokratische Arabische Republik Sahara" (DARS) aus. Wenige Tage später gründete die Polisario eine Exilregierung in Algerien. Ein erheblicher Teil der westsaharischen Bevölkerung war dorthin geflüchtet. Unterstützt von Algerien führte die Polisario einen jahrelangen Krieg gegen Marokko und Mauretanien.

Nach Machtwechseln in Mauretanien schloss das Land im August 1979 einen Friedensvertrag mit der Polisario und zog sich aus dem Gebiet zurück. In der Folge besetzten marokkanische Truppen auch diesen Teil des Landes. Seine Gebietsansprüche festigte Marokko mit einem in den 1980er-Jahren errichteten, mehr als 2.000 Kilometer langen System von Schutzwällen. Es kontrolliert damit bis heute den Großteil des Territoriums. Offiziell herrschte von 1991 bis 2020 zwischen Marokko und der Polisario ein Waffenstillstand, der von der UN-Mission Externer Link: MINURSO (United Nations Mission for the Referendum in Western Sahara) überwacht wurde. Ein bereits für 1992 geplantes Referendum über die Zukunft Westsaharas scheitert bis heute am Streit zwischen Marokko und der Polisario über die Abstimmungsberechtigten.

Aufkündigung des Waffenstillstandsabkommens

Mitte November 2020 kündigte die Polisario das Waffenstillstandsabkommen mit Marokko von 1991 auf. Offizieller Grund war ein Eindringen des marokkanischen Militärs in eine entmilitarisierte Pufferzone und ein Angriff von Soldaten auf friedliche Demonstranten. Seither flammte der Konflikt immer wieder auf, die Polisario attackierten wiederholt die marokkanische Armee. Wie groß das Ausmaß der Gefechte tatsächlich ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Marokko behauptet, die Situation unter Kontrolle zu haben, während die Polisario von regelmäßigen Angriffen auf marokkanische Einheiten spricht. Journalistinnen und Journalisten haben keine Möglichkeit, sich einen Überblick über die tatsächliche Lage zu verschaffen, da ihnen in der Regel der Zugang zur Region verwehrt bleibt.

Große Rohstoffvorkommen

Beobachter und Beobachterinnen betonen die geostrategische Dimension des Konflikts. In Westsahara existieren große Vorkommen an wichtigen Rohstoffen: insbesondere Mineralien wie Phosphor, das in der Landwirtschaft als Dünger genutzt wird. Ebenso werden vor der Küste große Rohstoffvorkommen vermutet – darunter Erdöl. Der Fischreichtum an der westsaharischen Atlantikküste ist enorm, und in der Region besteht ein immenses Potenzial für die Erzeugung erneuerbarer Energien.

Viele Sahraui leben in Armut

Marokko wird von Menschenrechtsvertretern und den Sahraui dafür kritisiert, dass es deren Volk die ökonomische Grundlage entziehen würde. Die Gewinne aus der Rohstoffförderung fließen nicht an die Sahraui, sondern nach Marokko.

In der Region ist Armut weit verbreitet, vor allem in den Flüchtlingslagern: Die meisten Sahraui (etwa 173.000 Menschen) leben nach Angaben der VN seit 1975 in Flüchtlingslagern im algerischen Südwesten. Hinzu kommen jene Sahraui, die in andere Länder geflohen sind – insbesondere nach Europa (etwa 50.000 Menschen). Die Lager sind in großem Maße auf internationale Hilfe angewiesen. Da sich diese in der Wüste befinden, ist Landwirtschaft hier praktisch unmöglich. Die Perspektivlosigkeit vieler junger Menschen im unfreiwilligen Exil verstärkt den Widerstand gegen die marokkanische Besatzung.

Die Sahraui sind heute eine verstreute Gruppe: Ein Teil lebt in dem von Marokko (etwa 105.000 Menschen), und der andere in den von Polisario kontrollierten Gebieten (rund 50.000 Menschen).

Minderheit im eigenen Land

Marokko hat mit einer aktiven Ansiedlungspolitik mehrere Hunderttausend Menschen in der Region angesiedelt. Die Sahrauis wurden so zu einer Minderheit in ihrem eigenen Land, die nur noch in bestimmten Gebieten vertreten ist. 2014 veröffentlichten Daten zufolge waren von den 530.000 Einwohnern des von Marokko besetzten Gebiets in der Westsahara ein Drittel Angehörige des marokkanischen Militärs, 46 Prozent marokkanische Zivilisten. Lediglich noch 105.000, also etwa ein Fünftel, gehörten der Ethnie der Sahraui an.

Protestierende demonstrieren in Madrid, Spanien auf Plakaten für die Einhaltung der Menschenrechte und Gerechtigkeit in der Westsahara. (© David Canales/SOPA Images via ZUMA Press Wire)

Völkerrechtlicher Status und Menschenrechte

Der völkerrechtliche Status der Westsahara ist bis heute ungeklärt. Die Republik ist volles Mitglied der Afrikanischen Union. Die VN definieren die Region als „Externer Link: Hoheitsgebiet ohne Selbstregierung“. Deutschland und die meisten EU-Staaten sehen den Status Westsaharas als völkerrechtlich ungeklärt an. Sie erkennen weder die Vorherrschaft Marokkos noch eine unabhängige Republik Sahara an. Zwischen der EU und Marokko gibt es enge Beziehungen in der Migrationspolitik, beide sind außerdem wichtige Handelspartner.

Marokko wird von Menschenrechtsorganisationen regelmäßig für seinen Umgang mit der westsaharischen Bevölkerung kritisiert. „Die Behörden gehen rigoros gegen Gruppen und Personen vor, die mit friedlichen Mitteln die Selbstbestimmung ihrer Heimat fordern“, konstatiert etwa Amnesty International. Marokko hat bereits in der Vergangenheit öffentliche Versammlungen, Organisationen und Berichterstattung verboten, von denen es seinen Anspruch auf Westsahara gefährdet sah. Seit dem Ende des Waffenstillstands Ende 2020 häufen sich Berichte über Überwachung und Verhaftungen von Menschenrechtsaktivisten. Marokko weist die Vorwürfe zurück und wirft der Menschenrechtsorganisation politische Einmischung vor.

Zunehmende Unterstützung für Marokkos Autonomiepläne

Marokko selbst sieht die Zukunft der Westsahara weiterhin als autonome Region unter marokkanischer Souveränität („Autonomieplan“) und erhält dafür zunehmend internationale Unterstützung.

2024 erkannten 47 Länder die Saharauische Republik der Polisario an – 2021 waren es noch 84. Dieser Rückgang ist auch auf diplomatische Verschiebungen der vergangenen Jahre zurückzuführen. 2020 erkannten die Vereinigten Staaten unter Präsident Donald Trump Marokkos Souveränitätsanspruch über die Westsahara an. Im Gegenzug normalisierte Marokko seine Beziehungen zu Israel im Rahmen der Abraham-Abkommen. Spanien (2022), Frankreich (2024) und Großbritannien (2025) sprachen sich für Marokkos Autonomieplan aus.

In einem historischen Schritt unterstützte Ende Oktober 2025 der UN-Sicherheitsrat im Rahmen der Resolution 2797 den Plan als Verhandlungsbasis. Algerien blieb der Abstimmung fern und kritisierte den Plan: Die Resolution beachte das völkerrechtlich verbriefte Recht der Selbstbestimmung der Sahraui nicht ausreichend und lasse von der Polisario hervorgebrachte Vorschläge zur Beilegung des Konflikts außen vor. China, Russland und Pakistan enthielten sich in der Abstimmung, sie schlossen sich Algeriens Kritik in Teilen an.

Neben wirtschaftlichen Interessen spielt auch die Sicherheitslage für die Entscheidung der Länder eine Rolle. In der Sahelzone wurden zuletzt Islamisten immer stärker. Zugleich weitete Russland seinen Einfluss in der Region aus. Auch China ist in Afrika mittlerweile ein erheblicher Machtfaktor. Weder die EU noch die USA wollen Marokko als Verbündeten verlieren.

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