Wo die Zäune immer höher werden: die europäische Außengrenze in Melilla
Vera HanewinkelVioletta SieringBeeke Wattenberg
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Spanien hat zwei Exklaven in Nordafrika: Ceuta und Melilla. Sie sind seit dem 15. Jahrhundert Teil des spanischen Territoriums. Seit dem Beitritt Spaniens 1986 zur EG bilden die Grenzen der Enklaven einen Teil der europäischen Außengrenze.
In Ceuta und Melilla verlaufen die einzigen Festlandgrenzen der EU mit Afrika. Weil Flüchtende und Migrant/-innen immer wieder versuchen, die hohen Grenzzäune zu überwinden, geraten die beiden spanischen Exklaven regelmäßig in die Schlagzeilen. Der Beitrag blickt am Beispiel Melillas auf Abschottungsmaßnahmen an den europäischen Außengrenzen.
Melilla liegt an der nordafrikanischen Mittelmeerküste und teilt sich eine zwölf Kilometer lange Landgrenze mit Marokko. Das Territorium der (aus marokkanischer Sicht) Interner Link: Enklave – aus spanischer Sicht Interner Link: Exklave – umfasst 13.4 Quadratkilometer, auf denen 2020 87.076 Menschen lebten.
Die spanische Exklave zeugt von einer langen Geschichte von Kontakt und Austausch, aber auch Rivalitäten zwischen Christ/-innen und Muslim/-innen auf der Iberischen Halbinsel und in Nordafrika. So fiel Melilla im Zuge von Reconquista , also der Interner Link: Zurückdrängung des muslimischen Machtbereichs im Mittelalter, und beginnender kolonialer Expansion 1497 an Spanien. Im Zuge der Kolonisierung Afrikas durch europäische Mächte wurde der Norden Marokkos 1912 Teil des spanischen Protektorats "Spanisch-Marokko", das bis zur Unabhängigkeit Marokkos 1956 bestand. Auch nachdem Marokko ein unabhängiger Staat geworden war, blieben Ceuta und Melilla in spanischer Hand, da beide bereits seit Jahrhunderten spanische Besitzungen waren. Die marokkanische Regierung erhebt allerdings bis heute Ansprüche auf die beiden spanischen Gebiete.
Als Spanien 1986 der Europäischen Gemeinschaft beitrat, wurde Melilla ein Teil dieser Gemeinschaft und damit der späteren Europäischen Union, nicht aber des Schengen-Raums. Die EU wurde 1992 durch den Interner Link: Maastrichter Vertrag gegründet. Nur ein Jahr später begann Spanien in Melilla mit dem Bau eines Zauns entlang der Landgrenze zu Marokko. Dieser sollte irreguläre Migration nach Spanien und damit auch in die EU unterbinden. Da der Zaun aber recht einfach zu überwinden war, begann die spanische Regierung ab 1995 ein umfassendes Grenzsicherungssystem zu installieren, das immer weiter ausgebaut wurde – mit massiver Unterstützung der EU. Bis zur Jahrtausendwende sollen 48 Millionen Euro in die Grenzzäune der beiden spanischen Enklaven geflossen sein, 75 Prozent der Kosten trug die EU. Zwischen 2005 und 2013 investierte das spanische Innenministerium weitere 72 Millionen Euro in die Erweiterung und den Unterhalt der Grenzanlagen; 47,3 Millionen davon in Melilla. Während die EU in den 1990er Jahren Spanien dazu drängte, die Grenze in Melilla zu sichern, ist es heute Spaniens Regierung, die die EU drängt, die Sicherung der Grenze als europäisches Projekt zu begreifen und Geld in Zäune und Sicherheitstechnologien zu investieren.
Die Grenzanlagen
Seit 2005 umfasst das Grenzsicherungssystem zwei parallele, jeweils sechs Meter hohe Zäune, die zudem mit Bewegungsmeldern, Scheinwerfern und Überwachungskameras ausgestattet sind. Zwischen den beiden Zäunen befindet sich ein weiterer etwas niedrigerer Zaun. Auf marokkanischer Seite sichern zusätzlich ein Graben und ein stacheldrahtbesetzter Zaun die Grenze. Spanische Sicherheitskräfte patrouillieren an der Grenze.
2019 haben Arbeiten begonnen, um die Grenzanlage weiter zu verstärken. Die seit dem Jahr 2005 sechs Meter hohen Zäune sollen stellenweise auf nunmehr zehn Meter Höhe aufgestockt werden. Zudem wurde der 2005 installierte Nato-Draht am oberen Ende der Zäune durch umgekehrte Stahlkämme und damit "weniger grausame Elemente" ersetzt, wie es Spaniens Innenminister Fernando Grande-Marlaska im Sommer 2018 versprochen hatte. Dafür stellt die spanische Regierung 9,5 Millionen Euro zur Verfügung. Der von Marokko aus betrachtet erste spanische Grenzzaun soll sich zudem zukünftig in einem 30-Grad-Winkel in Richtung des marokkanischen Territoriums neigen und am oberen Ende mit einem "nicht erklimmbaren Zylinder" (cilindro "antitrepado") versehen werden. Zusätzlich werden weitere Videoüberwachungs- und Wärmebildkameras installiert und ein Gesichtserkennungssystem an den Grenzposten eingerichtet. Insgesamt fließen 32,7 Millionen Euro in die Verstärkung der Grenzanlagen in Spaniens Exklaven.
Trotz der Sperranlagen gelingt in vielen Fällen die irreguläre Einreise nach Melilla. Das spanische Innenministerium registrierte im Jahr 2020 1.415 Menschen, die über den Landweg irregulär nach Melilla eingereist sind. Das sind allerdings 71,6 Prozent weniger als im Jahr zuvor, als das spanische Innenministerium 4.984 illegale Übertritte der Landesgrenze in Melilla erfasste.
Der Rückgang der illegalen Einreisen in Melilla mag den Schluss nahelegen, dass die Verstärkung der Sperranlage eine wirksame Maßnahme darstelle, um irreguläre Migration nach Spanien zu reduzieren. Vielmehr scheint es jedoch so, als trage der Ausbau der Grenzzäune lediglich zu einer Verschiebung der Migrations- und Fluchtrouten bei. So Interner Link: stieg die Zahl der irregulären Ankünfte auf den zu Spanien gehörenden Kanarischen Inseln, die etwa 100 Kilometer vor Marokkos Westküste im Atlantik liegen, von 2.687 im Jahr 2019 auf 23.023 im Jahr 2020 (+ 756,8 Prozent). Ein ähnlich hoher Anstieg irregulärer Ankünfte war auf den Kanaren auch 2006 registriert worden, nachdem die Grenzanlagen von Ceuta und Melilla im Jahr 2005 erheblich verstärkt worden waren. Mehr als 30.000 Menschen kamen in jenem Jahr in kleinen Fischerbooten auf den Kanarischen Inseln an, was als "crisis de los cayucos" (etwa: Krise der Flüchtlingsboote) bezeichnet wurde.
Abschiebungen und Zurückweisungen an der Grenze
2015 wurde in Spanien ein Gesetz erlassen (Ley de protección de la seguridad ciudadana), wonach Drittstaatsangehörige, die beim illegalen Grenzübertritt entdeckt werden, unmittelbar zurückgewiesen werden können. Menschenrechts- und Flüchtlingshilfsorganisationen sehen darin einen Versuch, völkerrechtswidrige Pushbacks zu legalisieren, also Zurückweisungen, bei denen den Betroffenen nicht die Möglichkeit gegeben wird, Asyl zu beantragen. Im Interner Link: Februar 2020 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Praxis der unmittelbaren Zurückweisung gestärkt. Geklagt hatten zwei Männer aus Mali und der Elfenbeinküste, denen es im August 2014 zusammen mit anderen Migrantinnen und Migranten gelungen war, die Zäune der Grenzanlage in Melilla zu überwinden. Beide Männer waren umgehend von der spanischen Grenzpolizei nach Marokko zurückgebracht worden, ohne dass ihnen die Möglichkeit gegeben wurde, ein Asylgesuch vorzubringen. Der EGMR entschied, dass die umgehende Abschiebung nicht illegal gewesen sei: Die Kläger hätten legale Einwanderungswege nach Spanien nicht genutzt; daher läge kein Verstoß gegen die Interner Link: Europäische Menschenrechtskonvention vor. Flüchtlingshilfsorganisationen beklagen jedoch, dass es in der Praxis an jenen legalen Einwanderungsmöglichkeiten fehle, auf die der Gerichtshof in seiner Entscheidung verwiesen habe. In einem Bericht des European Council on Refugees and Exiles aus dem Jahr 2019 heißt es, dass es zwar Grenzübergänge gebe, an denen Asylanträge gestellt werden könnten. Häufig würden aber insbesondere Migrant/-innen und Asylsuchende aus Subsahara-Afrika von der marokkanischen Polizei daran gehindert, diese zu erreichen. Daher entschieden sich viele dafür, die Grenzanlage illegal zu überwinden. Auch die spanische Flüchtlingshilfekommission (Comisión Española de Ayuda al Refugiado – CEAR) spricht davon, dass nur syrische, algerische und marokkanische Schutzsuchende die Möglichkeit hätten, an den Grenzposten um Asyl nachzusuchen, nicht aber Personen aus Subsahara-Afrika.
In keinem anderen EU-Land werden so viele Menschen an der Grenze zurückgewiesen wie in Spanien: 2019 waren es 493.455, das waren rund 68,8 Prozent aller EU-weit getätigten Zurückweisungen.
Videomaterialien und Recherchen lokaler und internationaler Nichtregierungsorganisationen belegen, dass Pushbacks oft mit schweren Misshandlungen durch marokkanische Sicherheitskräfte einhergehen. Spanische Sicherheitsbehörden arbeiten dabei eng mit den marokkanischen zusammen. So wurden beispielsweise in der Nacht vom 12. auf den 13. August 2014 marokkanische Sicherheitskräfte in die Grenzanlage auf spanischem Territorium gelassen, wo viele Migrant/-innen vor den Augen der spanischen Polizeieinheit "Guardia Civil" mit Schlägen und Tritten misshandelt und gewaltsam nach Marokko zurückgebracht wurden. Trotz dieser Gefahren versuchen Menschen vor allem aus Staaten in Subsahara-Afrika immer wieder, die Grenzzäune zu überwinden. In der Regel schließen sie sich dabei in größeren Gruppen zusammen, um die Chancen zu erhöhen, spanisches Territorium zu erreichen. Am 19. Januar 2021 versuchten beispielsweise 150 Menschen aus Subsahara-Afrika die Grenzzäune von Melilla zu überwinden. Nach Angaben der spanischen Tageszeitung El País gelang es 87 Menschen, alle drei Zäune – einschließlich des marokkanischen – zu überklettern. 78 von ihnen wurden in ein Zentrum zum temporären Verbleib von Eingewanderten (Centro de Estancia Temporal de Inmigrantes – CETI) gebracht. Die übrigen zwölf Personen mussten zunächst im Krankenhaus behandelt werden, da sie sich beim Erklimmen der Zäune schwere (Schnitt-)Verletzungen zugezogen hatten.
Kooperation mit Marokko
Seit Jahren kooperiert Spanien eng mit Interner Link: Marokko, um irreguläre Migration zu unterbinden. 1992 unterzeichneten beide Staaten ein Interner Link: Rückübernahmeabkommen. Es war eines der ersten dieser bilateralen Abkommen zwischen einem EU-Staat und einem Drittstaat, das die Rückführung von Migrant/-innen regelte.
Auch im Rahmen der Interner Link: Europäischen Nachbarschaftspolitik spielt Marokko eine wichtige Rolle. 2005 wurde ein erster gemeinsamer Aktionsplan geschlossen. 2013 folgte eine sogenannte Mobilitätspartnerschaft. Dieses Abkommen bietet marokkanischen Staatsangehörigen die Möglichkeit, leichter in die EU einzureisen, bindet die Mobilitätserleichterung aber gleichzeitig an das Versprechen Marokkos, irreguläre Migration stärker zu bekämpfen. 2018 bewilligte die EU Marokko 140 Millionen Euro, um das Grenzmanagement zu verbessern. Weitere 101,7 Millionen Euro folgten 2019.
Um irreguläre Migration zu unterbinden, führen marokkanische Sicherheitskräfte regelmäßig Razzien in informellen Lagern von Menschendurch, die auf marokkanischer Seite auf eine Gelegenheit warten, die Absperranlage der Enklave Melilla zu überwinden. Die Camps werden geräumt und zerstört, aber von Migrant/-innen und Schutzsuchenden immer wieder aufgebaut. Es gibt zahlreiche Berichte über Verhaftungen, Misshandlungen und Deportationen in südliche Landesteile Marokkos. Seit der starken internationalen Kritik an den Pushbacks aus Ceuta und Melilla werden zusätzliche Barrieren auf marokkanischer Seite geschaffen, um das Erreichen der spanischen Grenze weiter zu erschweren.
Aufnahmezentrum CETI und Zugang zu Asyl
Diejenigen, die die Grenze überwinden können, werden in das temporäre Aufnahmezentrum CETI gebracht, wo sie ihren Asylantrag stellen können. Laut UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) sind im Jahr 2020 1.460 Schutzsuchende in Melilla angekommen, davon 1.295 über den Landweg. Die meisten davon stammten aus Syrien, Tunesien, Marokko und Ägypten.
Erst nachdem geprüft wurde, ob die spanischen Behörden für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig sind, werden die Asylsuchenden auf die spanische Halbinsel transferiert. Manchmal dauert es viele Monate, bis das geschieht. Menschenrechtsorganisationen bemängeln die Intransparenz bezüglich der Transfers nach Spanien und kritisieren, dass die Herkunft darüber entscheide, wie die Menschen behandelt würden. Insbesondere Menschen aus Subsahara-Afrika würden davon abgehalten, Asyl zu beantragen und müssten lange warten, um auf das Festland gebracht zu werden.
Die Lebensbedingungen im CETI sind prekär, vor allem aufgrund der starken Überbelegung. So stehen nach offiziellen Angaben der Kommunalverwaltung Melillas 782 Unterbringungsplätze in dieser Einrichtung zur Verfügung. Im August 2020 lebten dort allerdings 1.354 Personen. Auch das Zentrum für unbegleitete Minderjährige Geflüchtete in Melilla "La Purisima" ist mit ca. 900 Minderjährigen (Stand: Juni 2020) stark überfüllt, da das Zentrum nur für 180 Menschen ausgelegt ist. Flüchtlingshilfsorganisationen kritisieren, dass die Überbelegung dazu führe, dass viele Schutzsuchende gezwungen seien, ohne Obdach auf den Straßen Melillas zu leben. In der aktuellen Corona-Pandemie sind die Menschen in den überfüllten Aufnahmezentren einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt. Es gab bereits mehrere COVID-19-Ausbrüche mit hunderten Infizierten.
Vera Hanewinkel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück.
Violetta Siering ist an der Universität Osnabrück im Masterstudiengang Internationale Migration und Interkulturelle Beziehungen (IMIB) eingeschrieben und arbeitet als Studentische Hilfskraft am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS).
Beeke Wattenberg absolviert den Masterstudiengang Internationale Migration und Interkulturelle Beziehungen (IMIB) an der Universität Osnabrück und ist Studentische Hilfskraft am dortigen Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS).
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