Der weltweite Kampf gegen HIV steht 2025 an einem kritischen Punkt. Während neue Medikamente Therapien und Prävention vereinfachen könnten, droht die globale Infrastruktur zur HIV-Bekämpfung zu zerbrechen. Die internationale Finanzierung, die über zwei Jahrzehnte ein zentrales Rückgrat der HIV-Arbeit war, ist stark geschrumpft – mit direkten Folgen für Millionen Menschen. Mit dem Abzug wichtiger internationaler Gelder, vor allem aus den USA, aber auch aus Deutschland, drohten Fortschritte von Jahrzehnten verloren zu gehen. Das ambitionierte Ziel der internationalen Gemeinschaft, HIV bis 2030 als Bedrohung der öffentlichen Gesundheit zu besiegen, scheint kaum noch erreichbar.
Globaler Trend: Vermehrt Neuinfektionen außerhalb von Subsahara-Afrika
Aktuell leben weltweit rund 40,8 Millionen Menschen mit HIV, mehr als drei Viertel davon sind in medizinischer Behandlung. Seit 2010 sind die jährlichen Neuinfektionen um 40 Prozent zurückgegangen. Die Todesfälle durch AIDS haben sich seitdem mehr als halbiert, 2024 starben noch 630.000 Menschen an AIDS-bedingten Erkrankungen, während diese Zahl 2004 noch gut 2,1 Millionen Menschen betrug. In einigen Regionen – etwa im östlichen und südlichen Afrika – reduzierte sich die Zahl der Neuinfektionen zwischen 2010 und 2024 um mehr als die Hälfte. Durch den breiten Einsatz von HIV-Medikamenten ist die allgemeine Lebenserwartung dort um fast fünf Jahre gestiegen.
Der Rückgang der Neuinfektionen stagnierte allerdings zuletzt. 2024 wurden 1,3 Millionen Ansteckungen registriert, ähnlich viele wie im Vorjahr. Dabei zeigt sich ein neuer Trend: Erstmals konzentriert sich ein erheblicher Teil der neuen Infektionen nicht mehr auf Subsahara-Afrika. Vor allem Osteuropa, Zentralasien, Lateinamerika sowie der Nahe Osten und Nordafrika verzeichnen steigende Raten. In der
Was ist HIV? Was AIDS?
Das Humane Immundefizienz-Virus (HIV) greift gezielt das Immunsystem an und führt unbehandelt zu AIDS („Acquired Immune Deficiency Syndrome“). In diesem Stadium ist der Körper so geschwächt, dass er schwere Infektionen und andere Erkrankungen nicht mehr abwehren kann. Dank antiretroviraler Therapie (ART) ist HIV heute jedoch meist gut kontrollierbar. Die Viruslast kann auf ein nicht nachweisbares Niveau reduziert werden. Das Fortschreiten zur AIDS-Erkrankung wird dadurch verhindert und das Risiko einer Ansteckung minimiert. Denn wenn das Virus im Blut nicht nachweisbar ist, ist es auch nicht übertragbar.
Medizinische Innovationen
Die Vereinten Nationen definieren folgende „key populations“, die besonders von einer Ansteckung bedroht sind: Männer, die mit Männern Sex haben, Sexarbeiterinnen und -arbeiter, Transpersonen, Drogenabhängige und Gefängnisinsassen. Diese Gruppen machten außerhalb von Subsahara-Afrika 80 Prozent der Neuansteckungen aus.
Noch ist der Standard die tägliche Einnahme von Tabletten, sowohl für die Therapie als auch für die Prävention. Als Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) eingenommen verhindert das HIV-Medikament bei Nicht-Infizierten, dass sich das Virus im Körper festsetzt. Doch die tägliche Tabletteneinnahme ist für viele Menschen eine große Hürde. Vor allem Jugendliche und Menschen in instabilen Lebenssituationen brechen die Behandlung immer wieder ab. Auch jene, die weit entfernt von Gesundheitseinrichtungen leben, haben oft Schwierigkeiten, die Therapie zu beginnen oder fortzuführen.
Neue langwirksame Präparate wie Lenacapavir oder injizierbare Formen von PrEP bieten hier eine Lösung: Zwei Spritzen pro Jahr können mittlerweile reichen, um das Virus dauerhaft zu unterdrücken oder eine Infektion zu verhindern. Klinikerfahrungen aus Pilotprojekten zeigen, dass gerade Jugendliche und junge Erwachsene von diesen Medikamenten profitieren, weil sie weniger von der täglichen Routine abhängig sind. Diese medizinischen Entwicklungen können in Zukunft dazu beitragen, die Zahl der Neuinfektionen zu senken. Wie bei der bisherigen HIV-Arbeit hängt die Wirksamkeit jedoch stark davon ab, ob Menschen Gesundheitszentren aufsuchen – und ob die Kliniken und Krankenhäuser ausreichend Kapazitäten haben, um den Therapieerfolg zu garantieren. Doch die Versorgungslage hat sich 2025 deutlich verschlechtert
Die internationale Finanzierung schrumpft und gefährdet den medizinischen Fortschritt
Die Gesundheitssysteme vieler Länder und die Präventionsprogramme gegen HIV und AIDS sind weiterhin auf externe Finanzierung angewiesen. Die wichtigsten Geberländer im Kampf gegen HIV sind die USA, England, Frankreich, die Niederlande und Deutschland. Alle fünf haben in diesem Jahr ihre Mittel reduziert – insgesamt ist fast ein Viertel der Finanzierung weggebrochen. Die größten Auswirkungen hat der Rückzug der USA.
Unter anderem über das Programm PEPFAR (The United States President’s Emergency Plan for AIDS Relief), 2003 von US-Präsident George W. Bush initiiert, trugen die USA bis Januar 2025 fast zwei Drittel der internationalen HIV-Finanzierung. Es wurde im Januar zunächst ausgesetzt und zuletzt stark reduziert und zeitlich begrenzt fortgeführt. Gleichzeitig wurde USAID dauerhaft geschlossen, die zentrale Behörde der Vereinigten Staaten für Entwicklungszusammenarbeit und das wichtigste Instrument für die Implementierung von PEPFAR. In vielen Ländern finanzierte USAID auch das staatliche Gesundheitssystem. Dort fehlen jetzt wichtige Bausteine für die HIV-Behandlung. Auch die Präventionsarbeit ist betroffen.
Gleichzeitig sind weltweit die Budgets für
Modellrechnungen legen nahe, dass die Zahl der Neuinfektionen ohne Ersatzfinanzierung der gestrichenen US-Gelder bis 2030 um insgesamt sechs Millionen steigen könnte, die der Todesfälle um vier Millionen.
Die Folgen der Unterfinanzierung in Südafrika
Südafrika ist das Land mit den meisten HIV-infizierten Menschen der Welt, über acht Millionen leben mit dem Virus, fast 13 Prozent der Bevölkerung. Zwar finanziert das Land viele Medikamente inzwischen selbst, doch grundlegende Bausteine der täglichen Begleitung – Aufklärung, Transport, Community-Teams – waren lange international gefördert. Kliniken melden bereits, dass viele Patientinnen und Patienten nicht mehr zu ihren Terminen erscheinen.
Gleichzeitig entstanden dort wie in anderen Ländern nach dem Wegfall internationaler Programme lokale Ersatzstrukturen. Freiwillige übernehmen Aufgaben, für die es keine Mittel mehr gibt. Jugendliche bilden digitale Gruppen, um einander an Arztbesuche zu erinnern. Mütter unterstützten sich gegenseitig bei der Versorgung von Kindern. Jugendkollektive nutzten lokale Radiosender, um Informationen über HIV und Behandlungsmöglichkeiten zu verbreiten.
Weitere Gefahr: Diskriminierung von Risikogruppen
Aber die finanziellen Kürzungen sind nicht das einzige Problem. Auch politische und rechtliche Entwicklungen erschweren vielen Menschen den Zugang zu Gesundheitsdiensten. In mehreren Staaten wurden etwa Gesetze erlassen und verschärft, die queere oder Trans*personen kriminalisieren oder diskriminieren. Sie zählen zu den HIV-Risikogruppen.. Aus Angst vor Verhaftung oder Stigmatisierung meiden queere und Trans*personen in vielen Ländern sowieso schon häufig Gesundheitszentren. Die Zahl der Neuinfektionen steigt insbesondere in diesen Risikogruppen.
Deutschland: Stabile Versorgung und internationale Verantwortung
In Deutschland lebten Ende 2023 etwa 90.000 Menschen mit HIV. Die Zahl der jährlichen Neuinfektionen liegt seit einigen Jahren konstant bei 2000 bis 3000 Fällen. Die Lage gilt als stabil. Antiretrovirale Medikamente sind umkompliziert zu bekommen und Therapieabbrüche vergleichsweise selten, genau wie AIDS-bedingte Todesfälle. Späte Diagnosen sind allerdings weiterhin häufig und Präventionsangebote erreichen nicht alle Zielgruppen. Vor allem heterosexuelle Menschen sind sich der eigenen Gefährdung oft nicht bewusst.
Die Bundesrepublik zählt bislang zu den wichtigsten europäischen Geldgebern für den Global Fund, einer weltweiten Partnerschaft zur Bekämpfung der drei großen Infektionskrankheiten HIV, Tuberkulose und Malaria. Aber auch deutsche Gesundheits- und Entwicklungsetats wurden zuletzt reduziert. Expertinnen und Experten fordern hingegen, die Mittel stabil zu halten oder sogar auszubauen, um die Versorgungslücken abzufedern, insbesondere in Ländern, die bisher stark von US-Geldern abhängig waren. Die Kürzungen in der Entwicklungszusammenarbeit wirken über Ländergrenzen hinweg – resistente Virusstämme, die in Afrika oder Asien entstehen, sind für die Menschen weltweit eine Gefahr.