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Wie funktioniert die Wehrpflicht?

Redaktion

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Im Jahr 2011 wurde die Wehrpflicht in Deutschland ausgesetzt – abgeschafft wurde sie nicht. Die veränderte Sicherheitslage hat nun eine Debatte über neue Modelle der Wehrpflicht angestoßen.

Noch in Zivilkleidung lernten junge Rekruten im Januar 2011 in der Friedenstein Kaserne in Gotha das Antreten. Sie gehörten zu den letzten Grundwehrdienstleistenden, die vor Aussetzung der Wehrpflicht einberufen wurden. (© picture-alliance, ZB / Michael Reichel)

Was ist die Wehrpflicht?

Die Wehrpflicht ermöglicht es einem Staat, seine Bürger zum Dienst in den Interner Link: Streitkräften zu verpflichten. Dieser Wehrdienst ist meistens zeitlich begrenzt. In Deutschland ist die Wehrpflicht in Externer Link: Artikel 12a des Grundgesetzes verankert und durch das Externer Link: Wehrpflichtgesetz geregelt. Von 1956 bis 2011 wurden Männer ab 18 Jahren hauptsächlich zum Dienst in der Bundeswehr verpflichtet. Derzeit ist die allgemeine Wehrpflicht ausgesetzt. Abgeschafft wurde sie jedoch nie.

Die allgemeine Wehrpflicht galt ständig, also auch dann, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik nicht militärisch bedroht war. Sie war zeitlich befristet und konnte Interner Link: aus Gewissensgründen verweigert werden. Dazu mussten Wehrpflichtige einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellen. Wurde diesem zugestimmt, musste ein Ersatzdienst („Zivildienst“) geleistet werden, der dem Allgemeinwohl dient – wie zum Beispiel in der Altenpflege oder im Rettungsdienst.

Es gab dabei keine „Wahlmöglichkeit“ – wer einberufen, gemustert und für tauglich befunden wurde, konnte nur dann einen Zivildienst leisten, wenn er als Kriegsdienstverweigerer anerkannt wurde. Vom Wehrdienst oder einem Ersatzdienst komplett befreit werden konnte, wer sich als Wehrpflichtiger ehrenamtlich für mindestens vier Jahre im Zivil- und Katastrophenschutz engagiert (zum Beispiel beim Interner Link: Technischen Hilfswerk). Das regelt Externer Link: § 13a des Wehrpflichtgesetzes.

Wann und für wen gilt die Wehrpflicht noch?

Im Unterschied dazu besteht weiterhin die Wehrpflicht im Spannungs- und Interner Link: Verteidigungsfall. Sie gilt nur dann, wenn der Deutsche Bundestag den Verteidigungsfall nach Externer Link: Art. 115a des Grundgesetzes festgestellt hat – also die Bundesrepublik angegriffen wird oder ein solcher Angriff „unmittelbar droht“. Dann können Männer zwischen 18 und 60 Jahren zum Wehrdienst eingezogen werden.

Dies gilt auch für Männer, die bisher nicht zum Wehrdienst herangezogen oder ausgemustert wurden. Sie können dann zu nichtmilitärischen Diensten wie zum Beispiel Versorgungsleistungen und Sanitätsdiensten für die Streitkräfte oder die Zivilbevölkerung verpflichtet werden.

Übrigens: Laut Grundgesetz können im Verteidigungsfall auch Frauen zu Sanitätsdiensten herangezogen werden, wenn deren Bedarf nicht gedeckt werden kann. Eine Verpflichtung von Frauen zum Dienst an der Waffe schließt das Grundgesetz dagegen aus.

Was sind die historischen Grundlagen der Wehrpflicht?

Nach dem Sieg der Alliierten über Deutschland im Zweiten Weltkrieg wurde die Wehrmacht aufgelöst und Deutschland demilitarisiert. Als am Interner Link: 23. Mai 1949 das Grundgesetz erlassen wurde, durfte die Bundesrepublik weder alleine über ihre Außenpolitik bestimmen noch hatte sie eine eigene Armee. Die oberste Entscheidungsmacht lag bei den drei Besatzungsmächten in Westdeutschland: den USA, Großbritannien und Frankreich.

Als 1950 der Korea-Krieg begann und die Spannungen des Kalten Krieges zwischen Ost und West zunahmen, begann die Interner Link: Debatte über die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik. Damit wurde auch die Frage der Wehrpflicht wieder relevant. Bundeskanzler Konrad Adenauer begründete die Notwendigkeit einer westdeutschen Armee am Externer Link: 7. Februar 1952 im Bundestag mit der „aggressiven Expansionspolitik Sowjetrusslands“. Er sah es als notwendig an, die Bundesrepublik in die Verteidigungsgemeinschaft der westlichen Staaten einzubinden. Damit sollte sie auch zur Verteidigung Westeuropas beitragen. Die SPD befürchtete hingegen, dass unter anderem die Wiederbewaffnung die deutsche Teilung verstärken würde. Schließlich setzte sich die Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP durch.

Am 6. Mai 1955 trat die Bundesrepublik nach Unterzeichnung der Interner Link: Pariser Verträge der NATO bei. Wenige Tage später, am 14. Mai, schlossen sich die Staaten des Ostblocks zum Interner Link: Militärbündnis Warschauer Pakt zusammen, mit der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) als Gründungsmitglied. Bald darauf entstanden in beiden deutschen Staaten bewaffnete Armeen. Die ersten freiwilligen Soldaten der Bundeswehr wurden am 12. November 1955 vereidigt. Im Januar 1956 wurde in der DDR die Interner Link: Nationale Volksarmee (NVA) gegründet.

Damit standen sich entlang der innerdeutschen Grenze zwei Armeen mit ihren jeweils Verbündeten gegenüber. Die Bundeswehr hatte zu Hochzeiten des Kalten Kriegs fast 500.000 Soldatinnen und Soldaten, die kleinere NVA sollte in Kriegszeiten auf ähnliche Größe anwachsen .

Interner Link: Grundlage für die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik waren mehrere Änderungen des Grundgesetzes, die auch „Wehrverfassung“ genannt werden. Die allgemeine Wehrpflicht trat nach langen politischen Debatten und Protest von Gewerkschaften und Kirchen am 21. Juli 1956 in Kraft. Von nun an waren alle Männer zwischen 18 und 45 Jahren (im Verteidigungsfall bis 60 Jahre) wehrpflichtig.

Der Grundwehrdienst dauerte zunächst zwölf Monate. Von 1962 bis 1972 wurde er auf 18 Monate verlängert und im Anschluss schrittweise verkürzt. Vor der Aussetzung 2011 betrug er noch sechs Monate.

Wehrpflicht in der DDR

Die allgemeine Wehrpflicht wurde in der DDR 1962 eingeführt. Wehrpflichtig waren Männer zwischen 18 und 50 Jahren, im Verteidigungsfall bis 60 Jahre. Der Grundwehrdienst dauerte mindestens 18 Monate, wehrpflichtige Männer wurden in der Regel nur bis zum vollendeten 26. Lebensjahr eingezogen. Einen zivilen Ersatzdienst gab es nicht. Es war jedoch möglich einen waffenlosen Wehrdienst zu leisten. Als „Bausoldaten“ oder „Spatensoldaten“ wurden die jungen Männer häufig bei schweren körperlichen Arbeiten eingesetzt. Insgesamt leisteten mehr als 2,5 Millionen Wehrpflichtige den Grundwehrdienst in der NVA.

Warum wurde die allgemeine Wehrpflicht ausgesetzt?

Am 24. März 2011 stimmte der Bundestag für die Aussetzung der Wehrpflicht. Vorangegangen war eine lange Debatte über eine Reform der Bundeswehr.

Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks und Interner Link: Ende des Warschauer Paktes im Jahr 1991 rückte die Verteidigung des Landes in den Hintergrund. Aus Sicht der Politik gab es keine unmittelbare Bedrohung mehr, die eine große Armee nötig machte. Im Interner Link: Jahr 1989 dienten noch knapp 500.000 Soldaten in der Bundeswehr, 2010 war es noch etwa die Hälfte. Gleichzeitig Interner Link: wurde an den Militärausgaben gespart.

Seit den 1990er-Jahren beteiligte sich die Bundeswehr zunehmend im Ausland an Einsätzen der Vereinten Nationen und der NATO. Für solche Einsätze wurden vor allem gut ausgebildete Spezialisten benötigt. Nur noch sehr kurz dienende Wehrpflichtige waren hierzu nicht einsetzbar.

Hinzu kam die Diskussion um die Interner Link: Wehrgerechtigkeit: Bereits während des Kalten Krieges wurden längst nicht alle tauglichen Männer eines Jahrgangs zum Wehrdienst herangezogen. Der Anteil verringerte sich weiter als die Bundeswehr nach der deutschen Wiedervereinigung verkleinert wurde. Das empfanden viele Betroffene als ungerecht.

Anfang der 2010er Jahre passte die allgemeine Wehrpflicht auch aus Sicht von Politikerinnen und Politikern nicht mehr zur Sicherheitslage in Europa und den Einsätzen der Bundeswehr. Der Eingriff in die Grundrechte junger Männer, den eine Wehrpflicht bedeute, sei daher nicht mehr gerechtfertigt. So lautet die Begründung der Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP im Gesetzentwurf zur Aussetzung der Wehrpflicht.

Zitat

Vor dem Hintergrund der dauerhaft veränderten sicherheits- und verteidigungspolitischen Lage sind die mit gesetzlichen Pflichtdiensten verbundenen Grundrechtseingriffe nicht mehr zu rechtfertigen.

Entwurf des Wehrrechtsänderungsgesetzes

Seit der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 können sich sowohl Männer als auch Frauen ab dem vollendeten 17. Lebensjahr für einen freiwilligen Wehrdienst in der Bundeswehr verpflichten.

Weshalb wird nun über ein Zurück zur allgemeinen Wehrpflicht diskutiert?

Seit 2011 hat sich die sicherheitspolitische Lage in Europa grundlegend geändert. Mit dem Angriff Russlands auf die gesamte Ukraine am 24. Februar 2022 ist die Verteidigung der Bundesrepublik und der östlichen NATO-Bündnispartner wieder Thema in Politik und Öffentlichkeit. Mit einem Sondervermögen über 100 Milliarden Euro soll die Bundeswehr technisch modernisiert werden. Außerdem soll eine Reform ihre Einsatzbereitschaft verbessern. Neben Heer, Marine und Luftwaffe wird eine neue Teilstreitkraft für den „Cyber- und Informationsraum“ (CIR) eingerichtet.

Zitat

Für die Bundeswehr, genauso wie für unsere Gesellschaft bedeutet das: Wir müssen kriegstüchtig werden. Ich weiß, das kling hart.

Verteidigungsminister Boris Pistorius November 2023

Für diese Aufgabe soll die Bundeswehr bis 2031 auf 203.000 aktive Soldaten und Soldatinnen anwachsen. Hinzu plant das Verteidigungsministerium mit rund 260.000 Reservistinnen und Reservisten. So sollen im Verteidigungsfall bis zu 460.000 Soldatinnen und Soldaten zur Verfügung stehen. Die aktuellen Bewerberzahlen sind hierzu nicht ausreichend.

Welche Modelle für eine künftige Wehpflicht werden diskutiert?

Um die Truppengröße zu erweitern, wird auch über neue Modelle einer Wehrpflicht diskutiert. Ein Vorschlag ist, das derzeitige Modell der Freiwilligkeit zu optimieren und eine effizientere Nachwuchswerbung zu betreiben. Bislang melden sich nicht genügend Menschen freiwillig, um den Bedarf an Soldatinnen und Soldaten zu decken. Ein anderes Modell ist angelehnt an die Methode, nach der die schwedische Armee rekrutiert. Dort werden alle wehrpflichtigen Männer und Frauen erfasst und zum Teil auch gemustert. Ausgewählt für den Wehrdienst wird jedoch nur ein kleiner Teil der jungen Erwachsenen.

Ein dritter Weg wäre eine allgemeine Dienstpflicht für Männer und Frauen. Um auch Frauen in dieser Form der Wehrpflicht berücksichtigen zu können, müsste das Grundgesetz geändert werden – hier ist bisher explizit nur von Männern die Rede.

Für die Bundeswehr würde die Wiedereinführung einer Wehrpflicht einen großen Aufwand bedeuten. Denn dann müssten alle Wehrpflichtigen wieder gemustert werden. Die dafür nötige Infrastruktur wurde nach 2011 abgeschafft.

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat im Juni 2024 ein Mischmodell aus Pflicht und Freiwilligkeit vorgeschlagen: Ähnlich wie in Schweden soll es eine planmäßige Erfassung von männlichen Wehrpflichtigen geben. Junge Männer würden verpflichtet, einen Fragebogen auszufüllen, Frauen dürfen ihn freiwillig ausfüllen. Aus dem Kreis der Erfassten würden die Geeignetsten für die Musterung ausgewählt. Der Dienst selbst würde jedoch weiterhin freiwillig sein. So möchte die Bundeswehr 5.000 zusätzliche freiwillig Wehrdienstleistende pro Jahr finden.

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