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Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Bankenunion | bpb.de

Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Bankenunion

U. Hufeld

Der Zweite Senat des BVerfG hat mit Urteil vom 30.7.2019 die gegen die Bankenunion erhobenen Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen. Die Europäisierung der Bankenaufsicht und der Bankenabwicklung hat vor dem Grundgesetz Bestand. Die Mitwirkung von Bundesregierung und Bundestag am Zustandekommen und an der Umsetzung der Rechtsgrundlagen (SSM-VO und SRM-VO) begegne keinen durchgreifenden Bedenken. Art. 127 Abs. 6 AEUV als vertragliche Grundlage des Aufsichtsmechanismus SSM und Art. 114 Abs. 1 AEUV als Basisnorm für den Abwicklungsmechanismus SRM haben sich als tragfähige Ermächtigungsgrundlagen erwiesen. In diesem Rahmen haben Bundesregierung und Bundestag ihrer Integrationsverantwortung entsprochen.

Der Senat handhabt die Integrationsverantwortung als Gelenkbegriff zwischen der Unionsgesetzgebung und dem Wahlrecht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG (»Anspruch auf Demokratie«). Der Schlüsselsatz lautet: »Der Verpflichtung der Verfassungsorgane entspricht daher ein in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG verankertes Recht der wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger, dass die Verfassungsorgane dafür sorgen, dass die mit dem Vollzug des Integrationsprogramms verbundenen Einschränkungen ihres Anspruchs auf demokratische Selbstbestimmung nicht weitergehen, als dies durch die zulässige Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union gerechtfertigt ist.«

An der Spitze der Leitsätze steht ein elementarer Demokratie-Vorbehalt, der einer ungebremsten Expertokratisierung Grenzen setzt. Der Vorbehalt wird gegen unabhängige Behörden (Agenturen) der Union in Stellung gebracht und grundsätzlich gegen jedwede Europäisierung der Verwaltungsorganisation. Der mitgliedstaatlich-indirekte Vollzug soll die Regel sein, der direkte Vollzug (»unionale Eigenverwaltung«) stelle eine Ausnahme dar. Besonders streng und restriktiv reagiert das BVerfG auf verselbständigte Behörden. Um das Mindestmaß »an demokratischer Legitimation und Kontrolle« zu gewährleisten, gilt ebenso wie auf staatlicher auch auf europ. Ebene, dass unabhängig-expertokratische Verwaltung spezifischer Rechtfertigung und Sicherung bedarf.

Die Absenkung demokratischer Steuerung und Legitimation wird vielfach gekennzeichnet mit dem Begriff »Einflussknick«. Mit Blick auf die Einrichtung unabhängiger Behörden verlangt das BVerfG »spezifische Rechtfertigung«. So erörtert das Urteil umfänglich »Kompensationsmaßnahmen« und kompensatorisch wirksame »Legitimationsfaktoren«. Diese Passagen rekapitulieren den unionsprimärrechtlich oder im nationalen Recht gewährleisteten Rechtsschutz, die sekundärrechtlich begründeten Rechenschaftspflichten und die intensive, detailgenaue Programmierung des Behördenhandelns im Verordnungsrecht. Deutlich akzentuiert der Senat die »Letztkontrolle« im unionsgesetzgeberisch möglichen Zugriff auf die Rechtsgrundlagen der Bankenunion. Die dergestalt begleitete und kontrollierte Expertokratie, abhängig von Sekundärrecht, auf das der Unionsgesetzgeber jederzeit zugreifen kann, erweist sich als »begrenzte« Modifikation der üblichen demokratischen Legitimationsvermittlung.

Der Maßstäbeteil des Urteils widmet Begriff und Sache der Integrationsverantwortung einen eigenen Abschnitt; näherhin geht es um die »Folgen für Verfassungsorgane Bundestag und Bundesregierung«. Der Senat bekräftigt seine bisherige Rechtsprechungslinie, voran das an Bundesregierung und Bundestag adressierte Mitwirkungsverbot, sobald Unionsorgane die Grenzen des Integrationsprogramms überschreiten. Das gilt für die Mitwirkung am Zustandekommen von Sekundärrecht jenseits der Vertragsgrundlagen (ultra vires), aber auch für dessen Umsetzung. Seit dem Urteil vom 30.7.2019 müssen Bundesregierung und Bundestag darauf achten, dass Praxis und Fortentwicklung der Bankenunion in den verfassungsgerichtlich eng gezogenen Grenzen verbleiben. Nunmehr kann »integrationsverantwortlich« beobachtet werden, ob sich der SSM in seiner künftigen Handhabung oder Novellierung ultra vires dahin fortentwickelt, dass »die gesamte Bankenaufsicht auf die EZB übertragen« wird, und ob die Kompetenzen des Single Resolution Board im SRM »erweiternd ausgelegt werden«. Nochmals bekräftigt das Gericht, dass Bundesregierung und Bundestag aus der Integrationsverantwortung verpflichtet sind, sich »schützend und fördernd« vor das subjektive Recht auf »dauerhafte Einhaltung des Integrationsprogramms« zu stellen. Das Urteil vom 30.7.2019 setzt ein Zeichen auch nach außen gegenüber der Union und allen Mitgliedstaaten: Deutschland beteiligt sich an der Bankenunion fortan nach Maßgabe dieser Rechtsprechung.

Das Urteil des BVerfG zur Bankenunion ist defensiv komponiert, nimmt durchweg Bedacht auf Haltelinien und Schranken, auf äußerste Grenzen auch für jede künftige »Europäisierung der nationalen Verwaltungsorganisation«. Indirekt verhält sich das Gericht auch zur Statik der Wirtschafts- und Währungsunion, zum »Wagnis der Asymmetrie«. Die Währungsunion beruht auf Supranationalisierung, Konstitutionalisierung und Expertokratisierung: Währungspolitik ist ausschließliche Zuständigkeit der Union (Art. 3 Abs. 1 lit. c AEUV), die normativen Grundlagen finden sich im Primärrecht (Art. 127 ff. AEUV und Satzung des ESZB und der EZB) und im Zentrum steht die Europäische Zentralbank, ein unabhängiges expertokratisches Unionsorgan. Diese Kombination soll auf die Währungsunion beschränkt bleiben: (1) Der Senat kennzeichnet die Bankenaufsicht als »im Kern gewerbepolizeiliche Aufgabe« und »Fremdkörper« im AEUV-Kapitel zur Währungspolitik. Sie soll nicht im vollen Umfang supranationalisiert und zentralisiert werden, sondern föderal bleiben, mit gewichtigen Kompetenzen der BaFin. (2) Mit Nachdruck lehnt das Urteil für das Recht der Bankenunion eine (für Konstitutionalisierung typische) Unabänderlichkeit ab, betont energisch das Recht der politischen Organe auf »Änderung oder Aufhebung der Rechtsgrundlagen«. (3) Die Fachleute in den Gremien des SSM und des SRM sollen nicht nach dem Muster der EZB expertokratisch und unabhängig entscheiden, sondern demokratisch rückgebunden, rechenschaftspflichtig und kontrollierbar.

aus: Große Hüttmann / Wehling, Das Europalexikon (3.Auflage), Bonn 2020, Verlag J. H. W. Dietz Nachf. GmbH. Autor des Artikels: U. Hufeld

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