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Freiheiten des Alltags | bpb.de

Freiheiten des Alltags Stefan Wolle im Interview

Der Historiker und DDR-Kritiker nahm 1973 an organisierten Diskussionsrunden mit westdeutschen Teilnehmern teil.

Inhalt

Nach einem Universitätsverweis musste sich der Student Stefan Wolle zunächst in der Produktion "bewähren". 1973 kehrte er an die Humboldt-Universität zurück und nahm als "Kulisse" bei den Weltfestspielen teil. Gemeinsam mit anderen FDJ-lern wurde er für Diskussionsrunden vor allem mit westdeutschen Teilnehmern "angefordert." Bis 1976 entstanden immer mehr "Freiheiten des Alltags", als die SED-Führung die politische Notbremse zog und dies mit der Ausweisung von Biermann und anderen deutlich machte. Der Historiker Dr. Stefan Wolle gehörte bis 1989 der Akademie der Wissenschaften der DDR an und ist Autor zahlreicher Bücher zur DDR-Geschichte.

Das Interview entstand am Rande der Veranstaltung "Weltfestspiele '73 - Heldinnen, Bands & Klassenbrüder" vom 1. bis 3. August 2003 in Berlin.

Text:

Ich bin damals Student der Humboldt-Universität gewesen, allerdings in einer sehr pikanten Situation: Ich bin einige Zeit vorher wegen ideologischer Schwierigkeiten von der Universität verwiesen worden und musste dann mich in der Produktion bewähren, wie es damals hieß, und kam an die Universität zurück, gerade zu dem Zeitpunkt, als die Weltfestspiele begannen.

Ich habe natürlich sehr viel gewusst über die Hintergründe, durch diese Einbindung in diese organisierte Gruppe – wir waren denn auch zusammengefasst in einer Schule hier in Berlin – und es ging also früh los, recht militärisch und eigentlich auch generalstabsmäßig geplant. Wir wurden dann irgendwo hin geschickt, wo "die Brennpunkte waren der Diskussion", wo Westdeutsche oder andere Gruppen auftraten, wo einfach ein bißchen Kulisse gebraucht wurde, da sind wir dann sozusagen hinbeordert worden, per Telefonanruf. Da wurden dann 100 FDJler verlangt oder 500 oder 1.000 und das ging dann zack, zack, zack.

Es waren interessante Tage. Wir haben ja einfach dieses internationale Treiben sehr genossen und das war dann auch nicht mehr hundertprozentig zu kontrollieren, von niemandem. Von keiner FDJ-Führung und von keiner Staatssicherheit. Und ich habe damals vieles überhaupt zum erstenmal gehört, was da vor sich geht, im Iran zum Beispiel. Ich kann mich an eine lange, interessante Diskussion erinnern mit iranischen Studenten. Das war einfach eine Möglichkeit, den Horizont zu weiten.

Insgesamt, die ersten Jahre von Honecker – also so zwischen etwa '71 und '76 – war schon die Zeit der relativ größten Übereinstimmung zwischen der SED-Führung und der Bevölkerung. Die Leute nahmen die kleinen Freiheiten des Alltags gerne an, aber sagten dann: Wir hätten gerne ein bißchen mehr davon. Und irgendwo musste der Staat dann die Notbremse ziehen. Das tat er dann im November '76 demonstrativ durch die Ausweisung von Wolf Biermann.

Mehr Informationen

  • Produktion: 2003

  • Spieldauer: 2 Min.

  • hrsg. von: Bundeszentrale für politische Bildung

  • Verfügbar bis: 31.12.2035

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