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Vertrag von Lissabon | bpb.de

Vertrag von Lissabon

A. Maurer

Mit dem am 13.12.2007 unterzeichneten V. [auch: Reformvertrag] soll die EU handlungsfähiger, demokratischer, und transparenter werden. Er wurde ausgehandelt, nachdem die Bürgerinnen und Bürger Frankreichs und der Niederlande den »Vertrag über eine Verfassung für Europa« im Mai und Juni 2005 mehrheitlich abgelehnt hatten. Im Juni 2006 erteilte daher der Europäische Rat der dt. Ratspräsidentschaft (1. Halbjahr 2007) den Auftrag zu prüfen, wie eine Reform der auf 27 Staaten angewachsenen EU realisiert werden könnte. In der Berliner Erklärung (25.3.2007) verpflichteten sich die Kommission, das Europäische Parlament sowie die Staats- und Regierungschefs, die EU-Verträge bis zu den Europawahlen 2009 zu reformieren. Dazu wurde eine Regierungskonferenz einberufen und am 19.10.2007 in Lissabon unter port. Vorsitz eröffnet. Sie beendete ihre Arbeit im Dezember. Der V. ändert sowohl den Vertrag über die Europäische Union (EU-Vertrag) als auch den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV), welcher nun »Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union« heißt. Dadurch tritt die EU an die Stelle der EG. Die wesentlichen Integrationsfortschritte des V. sind:

1. Stärkung der Demokratie und des Grundrechtsschutzes durch die massive Ausdehnung der Befugnisse des Europäischen Parlaments (EP) und die Stärkung der Mitwirkungsrechte der nationalen Parlamente, ferner durch neue, direkte Beteiligungsrechte der Unionsbürgerinnen und -bürger im Rahmen einer europ. Bürgerinitiative sowie durch die neue Verbindlichkeit der Grundrechtecharta.

2. Der V. erhöht die Verständlichkeit des europ. Primärrechts, denn er formt die Union zu einer einheitlichen Rechtspersönlichkeit, überwindet die in Maastricht eingeführte Dreisäulenstruktur, vereinfacht das Gesetzgebungsverfahren und verpflichtet den Rat, bei der Beratung von Gesetzentwürfen öffentlich zu tagen.

3. Auch die Handlungsfähigkeit der Union wird verbessert durch Reformen, die teilweise tief ins institutionelle Gefüge eingreifen, so z. B. die Einführung der sog. doppelten Mehrheit (Mehrheit der Staaten und gleichzeitig Mehrheit der EU-Bevölkerung) für Entscheidungen des Ministerrats oder die Schaffung der Ämter eines gewählten Präsidenten des Europäischen Rates und eines Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, der gleichzeitig Vizepräsident der EU-Kommission ist.

Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie die Justiz- und Innenpolitik wurden einer Totalrevision unterzogen. Der V. schafft neue Rechtsgrundlagen für die Energie- und Klimapolitik, die Weltraumpolitik, die Sportpolitik und den Katastrophenschutz. Die Zuständigkeiten zwischen Union und Mitgliedstaaten regelt der V. ebenfalls neu, einerseits dadurch, dass er Kompetenzkategorien für die Zuständigkeiten der Union festlegt und andererseits dadurch, dass er die Bestimmungen zum Subsidiaritätsprinzip präzisiert. Schließlich stärkt der V. die Rolle der nationalen Parlamente erheblich, indem er ihnen neue Möglichkeiten zur Subsidiaritätskontrolle an die Hand gibt und sie so unmittelbar in das Gesetzgebungsverfahren der EU einbezieht; zudem wird ihre besondere Rolle in einem Protokoll über die Rolle der nationalen Parlamente in der EU festgeschrieben. Seitdem sich im Juni 2008 die irische Bevölkerung in einem Referendum mehrheitlich gegen die Annahme des V. ausgesprochen hat, ist zunächst unklar, ob und wann der V. in Kraft treten kann.

Literatur

  • CEPS, EGMONT und EPC: The Treaty of Lisbon: A Second Look at the Institutional Innovations (joint study), Brüssel September 2010.

  • F. Laursen (Hg.): The Making of the EU’s Lisbon Treaty. The Role of Member States, Brüssel 2012.

  • A. Maurer/N. von Ondarza (Hg.): Der Vertrag von Lissabon: Umsetzung und Reformen, Onlinedossiers, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin Juni 2012 (Download: http://www.swp-berlin.org).

  • W. Weidenfeld (Hg.): Lissabon in der Analyse, Baden-Baden 2008.

aus: Große Hüttmann / Wehling, Das Europalexikon (3.Auflage), Bonn 2020, Verlag J. H. W. Dietz Nachf. GmbH. Autor des Artikels: A. Maurer

Siehe auch:

Fussnoten

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